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Natürlich leben wir in einer Meinungsdiktatur. Das ist auch gut so.

von | Okt 6, 2019 | Aktuelles, Kolumnen, Medien, Schwer verpetzt

Natürlich leben wir in einer Meinungsdiktatur.

In Deutschland wird vorgeschrieben, was gesagt werden darf und was nicht. Dinge, die dagegen verstoßen, werden strafrechtlich geahndet. Und das ist gut so. Verleumndung, Beleidigung, Volksverhetzung, Holocaustleugnung. Wer Bestrebungen unternimmt die Verfassung abzuschaffen wird zuerst überwacht, dann verboten. Richtig so. Eine Meinungsdiktatur also. Meinungen, die die Verfassung bedrohen, sind nicht erlaubt. Wer das Grundgesetz und die freiheitlich-demokratische Grundordnung bekämpft, wird ausgestoßen und bestraft, wenn nötig. Gut so.

Macht das die BRD zu einer „Diktatur“? Natürlich nicht, wird ein noch logisch denkender Mensch sagen. Nach Popper muss auch eine Gesellschaft, die für Freiheit und Toleranz einsteht, intolerant gegenüber ihren Feinden, sein. Auch wenn das ein vermeintlicher Widerspruch ist. Im Gegenteil, eben jene Feinde dieser Toleranz werden dieses vermeintliche Paradox gnadenlos ausnutzen, um mit Hilfe der Verteidiger jener Freiheit eben diese abzuschaffen. Nur so funktioniert aber Demokratie.

Doch so empfinden anscheinend einige Deutsche nicht, oder? Laut einer neuen ZEIT-Umfrage glauben 41% der Ostdeutschen, dass man heute seine eigene Meinung nicht freier äußern könne als in der DDR. Die rechtsextremistische AfD pusht hart das Narrativ der „Meinungsdiktatur“. Natürlich, werden diese Verfechter meinen, wird man dafür nicht eingesperrt und gefoltert. Aber man werde gesellschaftlich geächtet. Könne seinen Arbeitsplatz verlieren. Oder die Enkel brechen den Kontakt zu einem ab.

Täter-Opfer-Umkehr: Die Enkel, die den Kontakt zu den rassistischen Großeltern abbrechen



Die Freiheit, „Drecksfotzen“ sagen zu dürfen

Aber das ist keine „Meinungsdiktatur“. Das ist keine „Zensur“, selbst wenn das der Fall wäre. Ich bin nicht der erste Mensch und auch gewiss nicht der letzte Mensch, der anmerkt, dass Freiheit eben auch für „die anderen“ gilt. Wenn jemand Dieter Nuhr nicht witzig findet, und das sagt, dann ist das sein gutes Recht, ebenso wie Nuhr Witze auf Kosten von Schwächeren machen darf. Meinungsfreiheit ist keine Kritikfreiheit, wie Stadelmann auch gut erklärt hat:

Dieser Comedian erklärt, ob es in Deutschland Meinungsfreiheit gibt – Sehenswert!

Thomas Fuchs, Direktor der Medienanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein, sagte neulich bei einer Podiumsdiskussion, an der ich auch teilnahm, dass das Künast-Urteil, laut welchem sie u.a. als „Drecksf*tze“ bezeichnet werden dürfe, juristisch gesehen nachvollziehbar ist. Die Grenzen der Meinungsfreiheit sind in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer weiter ausgedehnt worden. Der Paragraf 103 StGB wurde gestrichen (Wenn auch nur Dank Böhmermann). Man kann sogar eine Politikerin ungestraft „Drecksf*tze“ nennen. Anscheinend.

Das ist nicht nur Welten von der DDR entfernt, das ist sogar weitaus liberaler, als es die Bundesrepublik noch vor 30 Jahren war. Wenn AfD, aber auch Lindner oder Poschardt diese zündelnden Begriffe verwenden, meinen sie nicht Zuchthaus oder Folter, sondern die böse „Gängelung“ durch öffentliche Kritik. Selbst wenn es wirklich einen „links-grünen Mainstream“ gäbe, der Leute, die „nur ihre Meinung sagen“ zu Unberührbaren machen würde – was definitiv nicht der Fall ist – ist es sehr gefährlich, auch nur verbal die Grenzen zwischen einer freiheitlichen Demokratie und einer Diktatur zu verwischen. Das nützt nur denjenigen, die erstere abschaffen wollen.

Es gibt keine Repressalien für Meinung

Dabei vergessen Lindner, Poschardt, Maaßen und Co. dass sie der beste Gegenbeweis sind, dass es eben keinen „Mainstream-Zwang“ gibt, meinungskonform zu bleiben. Keine Meinungsdiktatur. Wer ungestraft in großen Tageszeitungen seine Meinung sagen kann, dass seine Meinung unterdrückt werde, wird offensichtlich nicht unterdrückt.

Es gibt genug Publikationen und Meinungsführer, die jedem Kritisierten zur Seite springen. Egal, ob es Nuhr oder Kühnert ist. Nur weil ein paar Medien und ein paar Personen des öffentlichen Lebens Kritik üben, wird keine Meinungsfreiheit beschnitten. Wessen Karriere wurde beendet? Maaßen hat dreist gelogen und rechtsextreme Inhalte verbreitet und wird dennoch bei jedem Huster in allen Schlagzeilen zitiert. (Und natürlich kann so ein Mann nicht Chef des Verfassungsschutzes sein!)

Faktencheck: Abrechnung mit den rechtsextremen Tweets von Maaßen

Wo soll er hier diskriminiert werden? Das will mir doch keiner erzählen. Und von der AfD brauchen wir gar nicht anzufangen. Die AfD kann einen waschechten Faschisten als Spitzenkandidaten für eine Landtagswahl aufstellen, und könnte dort Ende Oktober die zweitstärkste Partei werden. Einen Faschisten! Und dann hat genau der noch die Dreistigkeit, zu behaupten, er werde unterdrückt oder diskriminiert. Dass man ihn ganz „emotionalisiert“.

Analyse: Die erschreckendste Erkenntnis aus dem Höcke-Interview

Rassismus ist keine Meinung

Aber kommen wir zu dem viel wichtigeren Punkt: Manchmal ist Ausgrenzung und Verachtung eben richtig. Denn vieles von dem, was hier als „Aber man wird doch wohl noch seine Meinung sagen dürfen“ verteidigt wird, ist gar keine Meinung, die man noch sagen darf. Gerade die AfD, die sich inzwischen regelmäßig außerhalb des demokratischen Konsens bewegt, nutzt diese Rhetorik nur, um ihren Menschenhass, ihre Lügen und ihre Verfassungsfeindlichkeit in die Öffentlichkeit zu schmuggeln.

Die AfD hat versehentlich selbst festgestellt, dass sie verfassungsfeindlich ist

Die AfD wird von Faschisten dominiert. Menschen, die andere Menschen aufgrund ihrer Herkunft und Hautfarbe, aber auch ihrer Meinung diskriminieren und kriminalisieren wollen. Die AfD will die Demokratie abschaffen. Sie will Gesetze brechen und wichtige Gesetze untergraben und abschaffen, die für eine funktionierende Demokratie essentiell sind. Natürlich darf sie das nicht. Natürlich dürfen wir das nicht zulassen.

Die AfD muss dafür geächtet werden. Sie muss dafür ausgeschlossen werden. Sie muss vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Wenn wir der AfD die „Freiheit“ lassen, anderen die Freiheit zu nehmen, dann bricht unsere Demokratie zusammen. Als Gesellschaft und als Staat müssen die Intoleranten nicht toleriert werden. Und das ist kein Widerspruch zur Toleranz. Die AfD lügt, sie hetzt und betrügt. Sie leugnet die blanke Realität. Einfach nur für die „Machtergreifung“ (Gauland).

Konservative und Liberale als Helfershelfer von Faschisten

Wenn Konservative und Liberale nun Faschisten nach dem Mund reden und sich dafür einsetzen, dass diese ihre verfassungsfeindlichen Positionen ausleben dürfen, schaffen sie sich selbst ab. Wer einfach nur der Eskalation wegen (oder des Applauses von Rechts) öffentliche Kritik (von links) als „Gesinnungsdiktatur“ oder „Angriff auf die Meinungsfreiheit“ bezeichnet, der spielt nicht nur denjenigen, in die Karten, die wirklich die Meinungsfreiheit abschaffen wollen. Welche Partei hat Online-Pranger eingerichtet, an welcher kritische Lehrkräfte auf Parteilinie gebracht werden sollen?

Nein, sie sind auch noch Heuchler. Denn wenn eine Komikerin einen (zugegebenermaßen geschmacklosen) Witz auf Kosten von Ostdeutschen macht, kommt der wütende Mob von rechts und will sie einsperren und umbringen. Wenn ich zum Beispiel einen Faktencheck über Seenotrettung mache, kriege ich Morddrohungen. Wo sind hier die Liberalen, die von „Meinungsdiktatur“ jammern? Man könnte jede Kritik so umdrehen, nur macht das die „Gegenseite“ nicht.

Also ja, das was man als „Meinungsdiktatur“ bezeichnet, gibt es teilweise. Aber es ist keine „Diktatur“, sondern ein wesentlicher Grundbestandteil einer funktionierenden Demokratie. Durch absichtliche Falschdarstellung wird es jedoch pervertiert. Schutzmechanismen für die Demokratie und die Freiheit sind gut und richtig. Lasst euch nicht einreden, dass sie etwas Schlechtes sind.

Sprecht nicht Faschisten nach dem Mund

Keiner will Nuhr ein Auftrittsverbot erteilen (außer ein paar Leute, die wir alle ignorieren sollten statt sie als Meinungsführer betiteln, die sie nicht sind). Aber die AfD und ihr rechtsextremer Arm auf den Straßen möchte Journalisten, die kritische Fragen stellen, arbeitslos machen. Oder gleich aufhängen („Ein Baum, ein Strick, ein Pressegenick!”).

Der Feind steht rechts! Wenn Konservative und Liberale glauben, sie könnten den Spagat wagen, und die Menschenverachtung der Rechtsextremen verurteilen und gleichzeitig deren Vokabular und ihre Narrative etablieren, weil sie die „Linken“ schwächen, dann irren sie gewaltig. Niemals anders sind Faschisten an die Macht gekommen.

 

Artikelbild: Marcos Mesa Sam Wordley, shutterstock.com