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Wir müssen die Meinungsfreiheit für AfD-Wähler endgültig abschaffen!

von | Nov 5, 2019 | Aktuelles, Kolumnen, Schwer verpetzt

Kommt schon, wer hat das ernsthaft gefordert?

Jetzt mal ganz im Ernst – überall liest man derzeit, wie die „Meinungsfreiheit“ bedroht werde. In jeder Zeitung und überall in Social Media äußern Menschen die Meinung, dass sie ihre Meinung nicht äußern dürfen. Ich lese so viel über die „Bedrohung“ der Meinungsfreiheit (von „links“ und von der „politischen Korrektheit“ natürlich, was denn sonst). Aber nirgendwo, wer diese denn eigentlich einschränken will. Und nein, dass man dafür kritisiert wird ist doch keine „Einschränkung der Meinungsfreiheit“. Sondern Anwendung dieser! Was für ein billiger, rhetorischer Trick. Dennoch ist diese rechte Diskurs-Taktik plötzlich Schlagzeile in vielen großen Medien.



Das wird man doch wohl noch sagen dürfen!

„Wenn angeblich 63% der Deutschen meinen, dass man „aufpassen“ müsse, wenn man seine Meinung öffentlich äußert, dann müssen die Nazis in der AfD wohl Recht damit haben, dass wir in einer „linksgrünversifften Meinungsdiktatur leben!“ Und dieses Denken ist auf so vielen Ebenen so gefährlich. Nicht nur, weil es völliger Unsinn ist. Sondern letztlich erst wirklich zu einem Verlust der Meinungsfreiheit führt. Doch zuerst zu den Schlagzeilen: Wenn man alle diese Artikel zu Ende liest, bekommt man tatsächlich eine differenzierte Analyse. Und ja, jedes Mal die Feststellung: Nein, die Meinungsfreiheit ist in Deutschland nicht in Gefahr, ihr geht es bestens.

Die Überschriften suggerieren jedoch etwas völlig anderes. Aber rechtes Framing ist in der deutschen Pressewelt nun mal sehr beliebt, weil es kaum einen besseren Absatzmarkt gibt als das empörte, rechtskonservative Bürgertum. Das Problem dabei: Wer nur die Überschrift gesehen hat, hat etwas völlig anderes von den Artikeln gelernt. Und zwar die fatalste Botschaft, die man bringen kann: Die Afd hat irgendwie ja wohl Recht. Und selbst die, die die Artikel gelesen haben, werden sich tendenziell auch eher nur an das Framing erinnern. Denn die Debatte, die wir führen ist nicht: Rechte Akteure versuchen gezielt, von jeglicher Kritik an ihren verfassungsfeindlichen Aussagen abzulenken. Sondern: Kritik an Rechten ist verfassungsfeindlich! Irgendwie, quasi. Dürfen sie auf jeden Fall nicht.

Denn jetzt mal Klartext: Was darf man denn in Deutschland „nicht mehr sagen“? Dass Renate Kühnast eine „Drecksf*tze“ sei? Oh, das darf man sogar ungestraft. Darf man in einem Buch Massendeportationen von Ausländern fordern, notfalls mit Gewalt und auch mit Inkaufnahme von Toten? Ja, das tut Faschist Höcke in seinem jüngsten Buch (Mehr dazu). Das darf man sogar nicht nur sagen, dafür will die CDU sogar mit einem über Zusammenarbeit reden (Mehr dazu).

Der Unsinn der 63%

Und das mit den 63% ist ohnehin völliger Unsinn. Die Aussage lässt sich von einer total umständlich formulierten Umfrage ableiten. „Neulich sagte jemand: ‚Heutzutage muss man sehr aufpassen, zu welchen Themen man sich wie äußert. Es gibt viele ungeschriebene Gesetze, welche Meinung akzeptabel und zulässig sind und welche eher tabu‘. Sehen sie das auch so, oder sehen Sie das nicht so?“ Das sind zwei völlig unabhängige Aussagen! Das ist doch vollkommen verwirrend. Soll man jetzt einer verschachtelten Behauptung, die eine andere Behauptung zitiert, zustimmen? Kann man nicht eher fragen: „Meinen Sie, dass man sich rassistisch äußern dürfen sollte?“

Und um Friederike Haupt in ihrem Kommentar in der FAS zu paraphrasieren: Natürlich muss man aufpassen, was man sagt. Beim Autofahren muss man auch aufpassen, wo man hinfährt. Du musst an einer roten Ampel halten oder beim Abbiegen rechts- und links gucken. Weil du sonst andere tot fährst. Und mit der Meinungsfreiheit ist es genau so. Meinungsfreiheit ist keine Meinungspflicht und erst Recht keine „Nicht-kritisiert-werden“-Freiheit. Es ist irre, dass wir rechte Politiker*innen unwidersprochen buchstäblich in Talkshows einladen und ihnen Leitartikel in Zeitungen schreiben lassen, wo sie sich beklagen dürfen, dass sie nicht ihre Meinung sagen dürfen. Die Meinungsfreiheit ist in Deutschland gesichert, man darf so viel sagen wie lange nicht mehr.

So viel Meinungsfreiheit wie noch nie

Thomas Fuchs, Direktor der Medienanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein, sagte neulich bei einer Podiumsdiskussion, an der ich auch teilnahm, dass das Künast-Urteil, laut welchem sie u.a. als “Drecksf*tze” bezeichnet werden dürfe, juristisch gesehen nachvollziehbar ist. Die Grenzen der Meinungsfreiheit sind in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer weiter ausgedehnt worden. Der Paragraf 103 StGB wurde gestrichen (Wenn auch nur dank Böhmermann). Man kann sogar eine Politikerin ungestraft “Drecksf*tze” nennen. Anscheinend. Man darf auch ungestraft Todeslisten von politischen Feinden anlegen.

Das ist nicht nur Welten von deiner Diktatur entfernt, das ist sogar weitaus liberaler, als es die Bundesrepublik noch vor 30 Jahren war. Wenn AfD, aber auch jemand wie Lindner oder Poschardt diese zündelnden Begriffe verwenden, meinen sie nicht Folgen wie Zuchthaus oder Folter, sondern die böse “Gängelung” durch öffentliche Kritik. Selbst wenn es wirklich einen “links-grünen Mainstream” gäbe, der Leute, die “nur ihre Meinung sagen” zu Unberührbaren machen würde – was definitiv nicht der Fall ist – ist es sehr gefährlich, auch nur verbal die Grenzen zwischen einer freiheitlichen Demokratie und einer Diktatur zu verwischen. Das nützt nur denjenigen, die erstere abschaffen wollen.

Aber was ist mit Lucke und den Vorlesungen…?!

Ja, was ist damit? Dass Lucke absolut kritisierenswert ist und nicht seine eigene Verantwortung unter den Tisch kehren darf, haben wir hier ausführlich erklärt:

Bernd Lucke ist mitschuldig am Rechtsextremismus der AfD

Und die Studierendenproteste? Ja, was ist denn passiert? Gab es irgendwelche Anzeigen? Ist Lucke jetzt geächtet und ausgestoßen? Durfte er sich nicht unverblühmt als wie ein Jude im dritten Reich behandelt (!) darstellen? Dass sich Lucke als armes, missverstandenes Opfer präsentierend durfte, stand in allen Zeitungen. In wie vielen standen Aussagen der Protestierenden? Glaubt mal nicht den eskalierenden Darstellungen über die Proteste. Was ist denn konkret passiert? Lucke saß grinsend im Saal, auf der Bühne beruhigen Asta-Vertreter die Menge, die Studierenden singen und klatschen. Es war eine friedliche Stimmung, die Polizei musste nie eingreifen. Klar, ihn mit Papierkügelchen zu bewerfen ist uncool, aber… sind Papierkügelchen und etwas ziviler Ungehorsam jetzt das Ende der Meinungsfreiheit? Ernsthaft? Was ist die Alternative? Will man jetzt im Gegenteil Protest verbieten?

„Attacke auf die Meinungsfreiheit“?

Man sprach dabei von „Attacke auf die Meinungsfreiheit“, was absurd ist. Lucke darf weiter dozieren. Er darf es halt nicht ohne Protest. Und das ist auch gut so. Hier wird wieder Kritik mit Einschränkung der eigenen Freiheiten verwechselt. Es ist absurd, wenn über den rechtsextremen Anschlag von Halle genau so gesprochen wird wie über eine friedliche Störung einer Vorlesung. Das ist doch nicht vergleichbar! Um noch einmal die tolle Friederike Haupt zu zitieren: „Die AfD spielt den Ball ins Aus und behauptet dann, jemand habe das Spielfeld geschrumpft.“ Denn natürlich darf man nicht alles sagen. So etwas zum Beispiel nicht:

Leute, eure Meinungsfreiheit hört dort auf, wo sie die Freiheit der anderen beschränkt. Das ist doch nicht so schwer. Die Strategie dahinter ist auch offensichtlich: Eine Verschiebung des Diskurses nach Rechts. Nazis und Faschisten wollen ohne Kritik ihre menschenverachtenden Pläne aussprechen und dann umsetzen. Sie möchten ihre Kritiker*innen mundtot machen. Und DAS ist eine Einschränkung der Meinungsfreiheit.

Die rechte Strategie

Rechtspopulisten und Faschisten wie in der AfD arbeiten die ganze Zeit daran, den Diskurs zu zerstören und zu manipulieren. Deshalb die vielen Lügen, Fake News. Deshalb werden Pseudo-Skandale wie der Adventskalender erst künstlich erzeugt. Mehr dazu:

Adventskalender: Die Strategie hinter der „Weihnachts-Hysterie“ der AfD

Denn wenn erst einmal über die irren Behauptungen der Rechtsextremen geredet wird, wenn es Teil des medialen Mainstream wird, kann man Kritik, Boykotte, Ausladungen und so weiter ganz einfach als Bedrohung der Meinungsfreiheit bezeichnen. Obwohl es die Verteidigung dieser ist. Jeder, der sich gegen die Feinde der Demokratie stellt, wird so selbst als Feind gebrandmarkt. Und das ist perfide und höchst gefährlich. Weil wenn dieses Framing erst einmal etabliert ist, wird die Öffentlichkeit nicht mehr die Nazis als Bedrohung ansehen. Sondern diejenigen, die die Nazis kritisieren. Und dann haben wir schon verloren.

Wenn jeder in den Verdacht gerät, ein Feind der Meinungsfreiheit zu sein, der mit Fakten und Belegen Faschisten kritisiert und vielleicht vorschlägt, dass diese nicht Regierungsverantwortung bekommen sollten (oder „Machtergreifung“, wie Gauland sagte) wird plötzlich dafür kritisiert und als Feind der Meinungsfreiheit betitelt. Aber diese Kritik ist dann natürlich nicht Einschränkung der Meinungsfreiheit oder wie? An dieser Stelle eine absolute Leseempfehlung von Franziska Schutzbachs Buch „Die Rhetorik der Rechten“, die das dort ausführlich erklärt hat.

Das Problem

Wenn jetzt Liberale und Konservative dieses Framing übernehmen – um sich ebenfalls vor Kritik von links zu wehren und die Opferhaltung zu nutzen, wie kurz nach Lucke Lindner, oder um vermeintlich liberale Werte des offenen Diskurses zu verteidigen, der öffnet genau diesen Diskurs für die Feinde der Demokratie. Die ihn von innen zerstören werden.

Christian Lindner ist ein Angriff auf die Meinungsfreiheit!

Oder eben wenn die Medien, die durchaus differenzierte Artikel zum Thema schreiben, in welchem sie sogar eindringlich davor warnen, diesen „Mythos“ (Harald Staun, FAS) zu wiederholen, dann denken, sie müssten provokative Überschriften und Aufmacher dazu packen, weil der Ragebait im liberalen Bürgertum sich eben gut verkauft. (Für die Überschriften können die Autor*innen selbst in der Regel nichts.) Was dann passiert ist, wie schon beschrieben, eine Verschiebung des Diskurses. Denn auch wenn man dem Mythos (später im Text) widerspricht, so diskutiert man diesen Mythos. Man nimmt ihn ernst. Und man tut so, als sei das eine von zwei validen Positionen, die man einnehmen kann. Und nicht Unsinn.

Man darf den Feinden der Meinungsfreiheit nicht die Freiheit gewähren, diese zu bedrohen

Und dann muss man sich nicht wundern, wenn manche diese Position einnehmen. Und sagen: Jau, wir haben eine linksgrünversiffte Meinungsdiktatur. Ich weiß nicht, warum alle sich so über die AfD empören, sie übertreibt zwar, aber im Grunde hat sie Recht. Hat sie aber nicht. Ich weiß, zu viele Menschen denken da zu kurzsichtig. Man denkt an die Auflage von Morgen, oder – im Falle von Politiker*innen – an die Wahl von morgen und dass man da die fünf Stimmen mehr bekommt, mit der man in den Thüringer Landtag einziehen kann.

Wir müssen weniger darüber reden, ob man manche Dinge sagen darf, sondern mehr darüber, ob man über manche Errungenschaften der liberalen Demokratie nicht noch einmal aushandel muss. Es gibt gute Gründe, warum wir keine Morddrohungen, keine demokratiefeindlichen Aufforderungen, keine Aufrufe zur Gewalt, keine Holocaustleugnung, keine Volksverhetzung, keine Beleidigungen tolerieren. Nicht, weil wir Feinde der Meinungsfreiheit sind. Sondern weil wir  ihre Verteidiger sind. Denn wenn wir zulassen, dass manche die Regeln brechen dürfen, die für einen demokratischen Diskurs notwendig sind, dann werden sie die Regeln brechen. Und die Meinungsfreiheit für alle anderen abschaffen.

Artikelbild: Dean Drobot, shutterstock.com