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Querdenker-Urteile der Woche (KW 16): Strafen für Hildmann-Petzen

von | Apr 23, 2023 | Serie

Es gibt nicht nur immer mehr Prozesse gegen „Querdenker“ – es gibt auch immer mehr Urteile. Da es mittlerweile so viele sind, fassen wir die Urteile regelmäßig in einem Sammelartikel zusammen. Letzte Woche gab es aufgrund der Feiertage ausnahmsweise mal keine Infos. In der Woche davor berichteten wir unter anderem darüber, dass ein Strafverteidiger nun selbst angeklagt wurde. Erlebt man auch nicht so oft:

Hildmann-Vertraute: Strafbefehle beantragt

Ihr erinnert euch vielleicht noch als Efstathia M., die ehemalige IT-Mitarbeiterin der Generalstaatsanwaltschaft Berlin, vertrauliche Informationen via Messenger an Neonazi und Antisemit Attila Hildmann weitergegeben haben soll. Dabei soll sie Hildmann auch vor dem Haftbefehl gewarnt haben. Hildmann floh kurz davor bereits in die Türkei – Informationen erhielt er nämlich bereits seit November 2020 von M.

Ermittlungen wegen Geheimnisverrat wurden eingeleitet, sie wurde kurzfristig aus dem Staatsdienst entlassen. SPIEGEL berichtet jetzt, dass auch ihre Schwester in Verdacht geraten sei, da sie für das Kopieren der Akten zuständig gewesen sei. Auch sie wurde mittlerweile vom Dienst freigestellt.

Gegen Efstathia M. und ihre Schwester wurde nun ein Strafbefehl erlassen: Efstathia M. wurde zu 180 Tagessätzen a 15 € (Gesamt 2.700 €) verurteilt, ihre Schwester zu 70 Tagessätzen a 50 € (Gesamt 3.500 €). Aufgrund der Höhe der Tagessätze wäre demnach nur Efstathia M. vorbestraft, ihre Schwester nicht. Die Höhe der Tagessätze bemisst sich am derzeitigen Einkommen, welches sich bei Efstathia und 15 €/Tag auf Sozialhilfe-Niveau bewegt. Rechtskraft haben beide Urteile noch nicht.

Und auch könnte das noch nicht das Ende der Verfahren für Efstathia M. bedeuten. Wie SPIEGEL weiter berichtet, soll sie in Telegram-Gruppen auch zu gewaltsamen Protesten in Hinblick auf das Kanzleramt aufgerufen haben. Bislang wurde seitens der Staatsanwaltschaft noch kein Ermittlungsverfahren dazu eingeleitet. Verjährt wäre das Delikt jedoch noch nicht.

Hildmann selbst befindet sich nach wie vor in der Türkei. Trotz internationalem Haftbefehl will die Türkei ihn nicht ausliefern. Grund: er soll mittlerweile die türkische Staatsbürgerschaft besitzen.

Für Corona-Impfungen Geld genommen: Bewährung

Ein Student hat 2021 in Wien in einem Impfzentrum gearbeitet. Zunächst waren nur über 80-Jährige priorisiert, die ihre Termine teils aber laut seiner Aussage aus verschiedenen Gründen nicht wahrgenommen haben. Damit der damals noch wenig verfügbare Impfstoff nicht verfallen musste, wurden auch immer wieder andere Personen geimpft. Dies schien sich rum zusprechen und nachdem man ihm erst Trinkgeld geboten hatte, schien er dann in den 36 angeklagten Fällen pro beschafftem Impftermin 200 € erhalten zu haben. Im Prozess konnte man ihm dies jedoch nicht nachweisen, er selbst sprach nur von 2.600 bis 2.700 €. Auch habe er das Geld in erster Linie verkonsumiert: Eis und Mittagessen für die Kollegen oder sonst wie ausgegeben.

Glück für ihn, da ab 3.000 € eine deutlich höhere Strafe gedroht hätte. Er zeigte sich geständig, ist bisher auch strafrechtlich noch nie in Erscheinung getreten und erhielt wohl auch daher nur fünf Monate „bedingte Haft“ (vergleichbar mit Bewährung in Deutschland). Um den Erfolg seines Studiums und seinen weiteren Lebensweg nicht zu gefährden, verzichtete die Richterin zudem darauf, den entstandenen Schaden einzuziehen.

Ex-Polizist Tim(m) K.: Bewährungs- oder Haftstrafe?

Man weiß bei seinen ganzen Aussagen schon gar nicht mehr, in welche Kategorie man Tim(m) K. (er schreibt sich selbst mal mit einem, mal mit zwei M) eigentlich einordnen soll, aber „Querdenker“ ist da noch die mildeste. Da wir Menschen erst einmal nichts Böses unterstellen wollen, kommt er also in diese Kategorie.

Diesmal hat es Außenministerin Annalena Baerbock erwischt. Tim(m) K. hat einen Videoclip in einem seiner YouTube-Videos verwendet. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft: es handele sich dabei um eine gegen Personen des politischen Lebens gerichtete Beleidigung und Verleumdung. In seinen Videos tritt er regelmäßig als „Lovepriest“ auf, verbreitet allerdings in erster Linie Häme und stichelt gezielt gegen „Andersdenkende“, die sich weltoffen, liberal und tolerant zeigen. Regelmäßiger Gegner: die Regierung und offenbar alles, was links von der AfD steht. Ob seine Videos als geistige Brandstiftung oder als Grundlage für stochastischen Terrorismus bezeichnet werden dürfen, können wir an der Stelle nicht abschließend bewerten. Das müssen Gerichte entscheiden.

Gerichte mussten auch die Strafanzeige gegen Tim(m) K. wegen der Verwendung des Videos von Annalena Baerbock entscheiden und kamen zu dem Ergebnis, dass er einen Strafbefehl mit einer Geldstrafe in Höhe von 1.500 € zugunsten der UNO-Flüchtlingshilfe e.V. als Auflage zahlen soll. Zusätzlich gab es anscheinend acht Monate auf Bewährung. Sollte er diesen Auflagen nicht nachkommen oder es zu weiteren Straftaten kommen, droht ein Bewährungswiderruf und er müsste tatsächlich ins Gefängnis. Die Kosten des Verfahrens muss er ebenfalls tragen. K. kündigte auf seinem Telegram-Kanal umgehend an, Einspruch einlegen zu wollen, der Strafbefehl ist daher noch nicht rechtskräftig. Er postete aber vorsichtshalber schon einmal seine Bankverbindung, um Spenden zu sammeln. Wir hoffen an der Stelle, dass er die ganzen Spenden auch entsprechend beim Finanzamt seines Wohnortes angeben wird.

Was denn nun? Bewährung oder Haft?

Ebenso unsicher wie bei der korrekten Schreibweise seines eigenen Namens (das Gericht zumindest schreibt ihn mit doppel-M) scheint er auch bei dem Inhalt des Strafbefehls zu sein. Während im Schreiben des Amtsgerichts Detmold klar und deutlich steht, dass die acht Monate Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt sind, behauptet er bei YouTube, dass er zu acht Monaten Gefängnis bzw. Haft verurteilt wurde.

Je nach Framing könnte man also meinen, dass er wirklich direkt ins Gefängnis und in Haft muss. Für jemanden, der nicht nur Ex-Polizist ist und sich mit Gesetzen auskennen müsste, sondern auch sonst jedes Wort auf die Goldwaage legt und uns einst quasi abmahnte, weil wir nicht wussten, dass er vom Polizeidienst suspendiert wurde, eigentlich ein ziemlicher Fauxpas.

Artikelbild: shutterstock