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Psychoterror & Zwangsumzug: Wenn „liberale“ Influencer Zielpersonen „markieren“ – Jasmina Kuhnke

von | Apr 9, 2021 | Analyse

Die (r)echte Cancel Culture – Eine ausführliche Analyse

Achtung, das wird ein sehr langer Artikel. Wir finden aber, dass es nötig ist, dieses Problem in seiner ganzen Tiefe zu analysieren. Weil es nicht neu ist und nicht nur eine Person betrifft.

Die Comedy-Autorin Jasmina „Quattromilf“ Kuhnke erlebte bisher im Netz das „normale“ Ausmaß an Hass. Und ja, es ist eine Schande, dass Hass, Drohungen und mehr für Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Hetze einsetzen, Alltag sind. Auch für uns bei Volksverpetzer gehört es zum „Grundrauschen“, beleidigt und bedroht zu werden. Das gilt aber umso mehr für Frauen und nicht-weiße Menschen, die vornehmlich die Feindbilder für den enthemmten Hass im Netz bilden. Doch die Privatperson Kuhnke ist nicht nur das, sondern auch laut gegen Faschismus und Rassismus, wie sie in einem Interview mit uns einmal erklärte:

Interview mit Jasmina Kuhnke: Die Quattromilf, vor der Nazis Angst haben

Mit ihrer deutlichen Haltung gegen Hass und Hetze geriet sie offenbar in den Fokus gewisser „liberaler“ bzw. „konservativer“ Influencer:innen. Einer der bekanntesten davon ist der WELT-Autor Rainer Meyer, der sich „Don Alphonso“ nennt. Wir (und auch andere Medien) berichteten bereits davon, wie öffentliche „Kritik“ an diesem Account „zufälligerweise“, von einem  rechtsextremen Hass-Mob ausgehend, zu massiven Drohungen und Terror gegenüber Linken, insbesondere Frauen und PoC  führten. Und wir stellten fest: Weil diese „zufällig“ die gleichen Feindbilder und Schlagworte der Rechtsextremen mit den gleichen Narrativen bedienen, folgen ihm und anderen wenig überraschend viele Rechtsextreme.

Viel Applaus von ganz rechts

Wir zeigten damals (November 2019) bereits : 44 % der auswertbaren Retweets von Don Alphonso-Tweets kommen von Accounts, die vorher bereits die rechtsextreme „Identitäre Bewegung” retweetet haben. Unseren Hinweis ignorierte Don Alphonso und eine Analyse im Februar 2021 unterstrich erneut, dass ihm immer noch viele Rechtsextreme zu folgen scheinen: 51 % der Retweets von Don Alphonsos Tweets stammen von Accounts, die vorher Höcke und/oder die rechtsextreme Bewegung „Ein Prozent” retweetet haben. Und dass Meyer sehr genau darauf achtet, wer ihm folgt, hat er hier gezeigt, als er unseren ehrenamtlichen Mitarbeiter Alex Urban im November 2019 einfach so blockierte und ihm völlig anlasslos unterstellte, ein „Mitwirkender im Scharfmachergeschäft“ zu sein und seine Beiträge zu melden.

„Bald die Quittung bekommen“

Meyer interessiert sich also anscheinend nicht dafür, dass er von extrem vielen Leuten aus einer rechtsextremen Blase rund um vom Verfassungsschutz überwachten Personen und Gruppen retweetet wird, hat aber etwas gegen Volksverpetzer, die er sofort blockt. Aber nicht nur das: Nach einem harmlosen „Follow“ stellte er Alex Urban an den Pranger bei seinen damals circa 30.000 Follower:innen und bezeichnete ihn als „Überwacher“. Und hier kommt wieder Kuhnke ins Spiel.

Kuhnke sprang (neben dem Volksverpetzer und Stephan Anpalagan) mit ihrem @ebonyplusirony-Account vor den damals sehr kleinen (300 Follower) und ahnungslosen Twitter-Account unseres ehrenamtlichen Mitarbeiters, der sich rein gar nichts zu Schulden hat kommen lassen, außer dass er aus Interesse dem „Don Alphonso“-Account folgen wollte. Und offenbar seitdem zählt die Comedy-Autorin zu „denen“, die „bald die Quittung bekommen“, wie es Meyer sicherlich nur versehentlich sehr drohend formulierte.

Die Methode „Don Alphonso“ wurde medial schon viel diskutiert. Die Folgen davon, dass der Autor bei der „WELT” ohne Grund oder mit äußerst dünnen (oder falschen) Gründen Andersdenkende anprangert und wohl bewusst dem Hetzmob aussetzt, interessiert die „WELT”-Spitze auch nicht. Die Liste der Opfer ist lang. Das betraf den Bundestagsmitarbeiter Ssaman Mardi, der ein Dutzend Morddrohungen erhalten hat, nachdem Don Alphonso ihn erwähnt hat (Quelle ). Das betraf den Autor und Filmemacher Mario Sixtus, den Journalisten Robert Wagner, das betrifft den Journalisten Sebastian Pertsch und die Politikerin Anne Helm. Oder den Autor Hasnain Kazim oder die Autorin Sibel Schick. Viele trauen sich deshalb nicht, ihn öffentlich zu kritisieren, weil eine Stimmung der Angst herrscht.

Das künstlich erzeugte „Panoramagate“

Ein konkretes Beispiel haben wir letzten Juli bereits akribisch aufgeführt: Als Rainer Meyer die österreichische Extremismus-Forscherin Natascha Strobl mit aufgeblähten und teilweise falschen Anschuldigungen einer extremen Hasskampagne aussetzte, die dazu führte, dass sie Gewaltdrohungen gegen sich und ihre Kinder erhielt und sogar, dass ihr verstorbener Vater verunglimpft wurde. Bis heute gab es keine Reaktion von Don Alphonso zu unserem Artikel, auch der Geschäftsführer der WELT, Ulf Poschardt, lachte nur darüber.

Pseudo-„PanoramaGate“: Lügen, Ablenkungen & rechtsextreme Gewaltdrohungen

Bisher hatten diese Influencer:innen und ihre rechten Hassmobs damit Erfolg: Natascha Strobl musste inzwischen ihren Twitter-Account löschen und wurde erfolgreich mundtot gemacht. Die Methode wurde hier, hier, hier oder hier schon beschrieben, nicht nur von uns.

Psychoterror, geleakte Adresse, Zwangsumzug: „Geht komplett an meine Grenzen“

Aber kommen wir zurück zu Jasmina Kuhnke, denn uns ist es wichtig, zu zeigen, dass das kein Einzelfall ist, dass die Methode bekannt ist und dass das Problem seit Langem besteht. Es ist die Methode des „dog whistling“. Wie eine Hundepfeife nur von Hunden gehört werden kann, wird hier der Subtext des Hasses, der rechtsextremen Narrative und Feindbilder bedient, ohne *zu* deutlich zu sein. So wird subtil das „Othering“ betrieben. Und da ist der Account „Don Alphonso“ nicht alleine, wie Jasmina Kuhnke das gesamte letzte Jahr über erfahren musste.

Jasmina Kuhnke wurde regelrecht zur Zielscheibe gewisser „liberaler“ oder „konservativer“ Influencer:innen, darunter Kolumnist:innen und Medienschaffende. Der öffentliche Austausch war durchaus hart und Kuhnke teilte durchaus auch aus, aber bei den meisten Accounts war sie zuvor schon grundlos geblockt worden, bevor sie diese überhaupt kannte. Sie reagierte meistens auf Markierungen und Anprangerungen. Und sie wurde fast nach jeder Erwähnung durch diese Accounts Ziel von Hass (der über das normale Maß an Pöbeleien hinaus geht!) und strafrechtlich relevanten Kommentaren.

Anfang 2021 hat sich das alles noch einmal gesteigert und neue Ausmaße erreicht. Ihre private Adresse wurde veröffentlicht, samt Foto des Hauses, sie und ihre Familie wurden zu Hause terrorisiert und bedroht. Es wurden Hunderte strafrechtlich relevante Kommentare dokumentiert. Und das ist „nur“ der strafrechtlich relevante Hass. Ist das jetzt diese „Quittung“? Gehen wir einmal in die genaue Analyse.

Im Schnitt fast 3 Erwähnungen am Tag

Eine gewisse Gruppe an Accounts, die wir in unserer Analyse „Influencer:innen“ nennen und die dezidiert nicht zur rechtsextremen Szene zählen, und die wir später noch einzeln aufgelistet haben, scheint diese „Markierungen“ und die öffentliche „Kritik“ an Jasmina Kuhnke auf Twitter anzuführen. Wir beschränkten unsere Analyse auf das Jahr 2021, weil diese Daten vollständiger verfügbar waren. Doch wie Kuhnke selbst berichtet, halten die Drohungen schon über ein Jahr an, auch Anspielungen darauf bzw. Drohungen, dass man ihre Privatadresse herausfinden werde. Die Gruppe der „Influencer:innen“ verfasste bis Ende März (das sind gerade mal 90 Tage) insgesamt 272 Tweets, die den Twitter-Account von Jasmina Kuhnke erwähnten.

Wir haben auch eine Sammlung von 192 strafrechtlich relevanten Kommentaren (deren Verfasser:innen im Weiteren: „Hater“, die in großen Teil aus dem sog. „Sifftwitter” stammen) im gleichen Zeitraum, die von der Opfer-Hilfe-Stelle „Hassmelden“ gesammelt wurden. Davon sind 98 bis heute auch nicht gelöscht worden. Hierbei ist zu beachten, dass es sich hier nur um die Hasskommentare handelt, die strafrechtlich relevant waren und die auf Twitter verfasst und entdeckt wurden. Die Liste ist nicht vollständig und auf anderen Kanälen und Gruppen durchaus weitaus extremer. Auch bekannte und offene(re) Rechtsextreme und Neonazis veröffentlichten Hass und Hetze und dort (z. B. in diversen Telegram-Gruppen oder im Forum „Drachenschanze”) finden sich noch weitaus mehr Hasskommentare und Bedrohungen. „Sifftwitter” ist ein besonders radikales Troll-Netzwerk, das ursprünglich durch Hass auf den Youtuber „Drachenlord” entstand (Quelle). Die Gruppe scheint auch im Bezug zu anderen Leaks von privaten Adressen zu stehen und ist berüchtigt für ihren Online-Terror (Quelle).

Was hat das jetzt aber mit den Influencer:innen zu tun, die ja einwenden dürften, dass sie nichts dafür könnten, wenn „zufällig“ gleichzeitig auch ein rechtsextremer Mob Jasmina Kuhnke terrorisiert? Nun, es scheint eine Korrelation zwischen jener „Kritik“ und dem rechtsextremen Hass und Psychoterror zu geben.

Die „Hater“ retweeten gern rechtsextreme, Verschwörungsideologen – und Don Alphonso & Co.

Von „Hatern“ am häufigsten erwähnte Accounts (Mentions), wenn sie über Jasmina Kuhnke twittern (Kuhnkes Unterstützer:innen entfernt):

  • Hallaschka_HH: 19 Mentions
  • UPol_eV: 16
  • Doblerin: 13
  • KeilaniFatina: 11
  • M_Ostermann: 9

Von Hatern am häufigsten erwähnte Accounts (Mentions), wenn sie strafrechtlich relevant über Jasmina Kuhnke twittern (n=98, die meisten sind aufgrund der Auswahl-Methodik Antworten an Kuhnke):

  • Doblerin: 7 Mentions
  • Hallaschka_HH: 4
  • UPol_eV: 4
  • ben_brechtken: 2

Korrelation von „Markierungen“ und Hass

Es scheint also durchaus eine Korrelation zu geben zwischen der Gruppe der „Influencer:innen“, die Kuhnke regelmäßig anprangern und denjenigen, die ihr strafrechtlich relevante Kommentare senden, den „Hatern“. Sie scheinen zumindest am häufigsten die Accounts zu erwähnen, die auch von Jasmina als die Treiber der Hassstürme gegen sie wahrgenommen wird. Die „Hater“ selbst retweeten oft rechte Accounts, scheinen nach Markierung der „Influencer:innen“ mit dem Hass loszulegen.

Tweets dieses Jahr (2021) von den „Influencer:innen” über Jasmina:

  • Doblerin 83
  • Hallaschka_HH 49
  • UPol_eV 38
  • KeilaniFatina 21
  • _donalphonso 8
  • JSevincBasad 5
  • ben_brechtken 2

Wenn man sich konkrete Daten anschaut, wird einiges auch klar:

Tage, an denen sich die „Influencer:innen“ besonders an Kuhnke abgearbeitet haben, waren jüngst zum Beispiel der 21.03. (37 Tweets), der 22.03. (17 Tweets) und der 29.03. (21 Tweets). An diesen oder unmittelbar darauf folgenden Tagen war auch das Kommentaraufkommen durch Accounts hoch, die durch strafrechtliche Kommentare aufgefallen sind. Die Dynamik wird hier langsam deutlich. Das sind übrigens die Accounts, denen die meisten der „Hater“ folgen:

  • argonerd 26
  • _donalphonso 24
  • reitschuster 10
  • HGMaassen 19
  • RolandTichy 18
  • siffbossflunder 17
  • janfleischhauer 17
  • TichysEinblick 17
  • Doblerin 16
  • Alice-Weidel 13

Hier noch mal der obligatorische Hinweis, dass ein Auftauchen in irgendeiner dieser Listen nicht automatisch heißen muss, dass man ein rechtsextremer Account ist, regelmäßig Fake News verbreitet oder automatisch problematisch agiert. Es sind solche jedoch eindeutig darunter, und andere Accounts, die regelmäßig dafür kritisiert werden, Rechtsextremismus zu verharmlosen und sich ebenfalls des „dog whistling“ bedienen. Wer einige Accounts kennt, kennt die generelle Gesellschaft. Schauen wir uns konkretere Beispiele an.

Die Hass-Peaks und ein Danke an den rechtsextremen Hass-Mob

Ein Peak der Tweets der „Influencer:innen“, die Kuhnke attackieren, findet sich am 21. und 22. März diesen Jahres, dicht gefolgt von einem Peak der Hasskommentare und strafrechtlich relevanten Kommentare. Was haben die „Influencer:innen“ Accounts so getwittert?

Das war so etwas – und man merkt, dass es schon nicht mehr viel mit konkreten politischen Positionen zu tun hat ist, sondern mehr mit dem Versuch, sie bloßzustellen. Der 29.03. war sogar noch schlimmer, als aus „Sifftwitter“ der Hashtag #HaltDieFresseJasmina gestartet wurde. Solche rassistische Hetze wurde verbreitet, wie von diesem bekannten rechtsextremen Aktivisten aus dem AfD- und Ein-Prozent-Kontext.

„Von Herzen… danke sagen“

Teile der Gruppe der Influencer:innen sprangen sogar offenbar zufrieden auf den Hashtag auf, befeuerten ihn und gaben Kuhnke selbst die Schuld, sich dem Terror von Nazis ausgesetzt zu haben. Besonders die Journalistin Anna Dobler ist hier zu erwähnen, die auch die Spitze der Erwähnungen von Jasmina Kuhnke seit Anfang 2021 (83) anführt und sich offenbar sogar bei dem rechtsextremen Hetzmob bedankte?

Der Hashtag ist natürlich eine Reaktion auf den Hashtag #HaltDieFresseBILD, der unter anderem durch Jasmina Kuhnke initiiert wurde, der wiederum eine Reaktion auf heftig kritisierte Beiträge von BILD-Redakteur:innen war. Wir haben die Hintergründe hier ausführlich zusammengefasst. Man mag die Wortwahl durchaus für kritikwürdig halten, aber bei einem richtet es sich gegen einen mächtigen Konzern, beim anderen gegen eine Privatperson, die (rassistisch und sexistisch) bedroht, beleidigt und strafrechtlich relevant angegriffen wird. Die Unterschiede in den Methoden sind extrem deutlich.

#HaltdieFresseBild: Die ganze Geschichte hinter dem Hashtag – und die rechte Gegenkampagne

Diese vom Inhaltlichen völlig losgelöste Doppelbehandlung sieht man auch daran, dass beispielsweise Anna Dobler Kuhnke dafür anprangert, nicht (in ihren Augen) echte Nazis zu bekämpfen, wie die des Compact-Magazins, der NPD oder Identitäre und stattdessen anzuprangern, dass jene linke Aktivist:innen zu Unrecht dezidierte Nicht-Nazis „bekämpfen“ würden.

Die offensichtliche Ironie ist natürlich, dass Anna Dobler selbst außerhalb dieses einen Tweets „Compact“, „Kopp-Verlag“, „Antaios-Verlag“, die „NPD“ oder die „Identitäre“n mit einer einzigen Ausnahme nie auf Twitter kritisiert hat.

Zumindest findet man über die Twitter-Suche unter diesen Schlagworten diese nicht.*

Zwangsumzug, Familie in Angst

Ok, das waren viele Informationen. Und hier müssen wir auch deutlich darstellen, dass auch ein durchaus harter und unsachlicher Schlagabtausch völlig in Ordnung ist. Stilkritik ist in Ordnung. Sogar Heuchelei und künstliche Empörung sind zwar unfair, aber in Ordnung, das ist alles von der Meinungsfreiheit gedeckt. Das hier ist nicht das Problem. Die Gruppe der „Influencer:innen“ hat teilweise durchaus den Hashtag kritisiert, hat Rechtsextreme verurteilt und Kuhnke in Schutz genommen. Kritik ist in beide Richtungen in Ordnung, selbst wenn sie die inhaltliche Ebene verlässt. Frau Dobler bezeichnete Kuhnke dabei hingegen als „die mit Abstand schlimmste Person auf Twitter”. Damit offenbar also schlimmer als die Nazis, die Morddrohungen schicken und andere Menschen terrorisieren?

Das Problem ist jedoch, dass das ständige Bedienen der rechtsextremen Feindbilder und Narrative nunmal den Applaus von jenen „Hatern“ anzieht, die diese Leute regelmäßig retweeten, ihnen folgen und den Hasswellen folgen, um zu wissen, welche „Ziele“ sie jetzt hassen und angreifen sollen. Ob gewollt oder nicht – und es werden Verurteilungen verfasst – das sind die Folgen der Fehde und der Angriffe auf Jasmina Kuhnke. Und es wurde noch schlimmer. Jede Opferinszenierung, die die Influencer:innen gerne betreiben, wird hiermit zerstört:

Mitte Februar wurde ein Video, das deutlichen Bezug zu dem menschenfeindlichen „Pink-Panther”-Video des NSU zeigt, veröffentlicht und in den entsprechenden Kreisen geteilt, in welchem die Privatadresse von Kuhnke bekannt gegeben wurde. Das Video war zutiefst rassistisch und beinhaltete Morddrohungen. Im Gegensatz zum Staatsschutz in Köln, der nur wenig Interesse zeigte, war das Video verschiedenen Terrorexpert:innen, mit denen Kuhnke in Kontakt steht, zu konkret, zu heftig und zu bedrohlich. Nur wenig später ging der Psychoterror los: Es wurden Dutzende Lieferando-Bestellungen an ihre Adresse geschickt, sie bekam vermehrt Droh-Nachrichten an ihre private Adresse, ihre Familie lebte in Angst. Sie erhielt rassistische Postkarten mit subtilen Drohungen.

Sie konnte nicht mehr sicher lokal Einkaufen gehen oder sich zu Hause aufhalten. Das betraf längst nicht mehr nur Twitter, es gab rechtsextreme Foren, Neonazi-Größen verbreiteten es („Ich weiß, wo du wohnst“), Hass und Drohungen auf allen Kanälen. Kurz vor dem Jahrestag des rechtsextremen Terroranschlags von Hanau.

„Ich hoffe, dass, wenn ich ein weiterer »Einzelfall« werde, ich alleine bin und nicht auch meine Familie.“

Es blieb nur die Flucht aus dem gewohnten Leben, denn auch nach Dutzenden Versuchen, nach Anrufen, Hilferufen und mehr bekam sie keine wirkliche Hilfe von der Polizei oder anderen Sicherheitsbehörden in NRW. Es gab eine Gefährdetenansprache, die Polizei sehe jedoch keine Gefährdung. Wirklich. Es blieb nur der spontane Umzug an eine neue Adresse, mit den entsprechenden Kosten. Inzwischen hofft Kuhnke nur: „Ich hoffe, dass, wenn ich ein weiterer »Einzelfall« werde, ich alleine bin und nicht auch meine Familie.“

Die Polizei empfiehlt ihr hingegen, ihren Twitter-Account zu löschen, dann sei alles wieder gut.

Aber nicht nur würde sie das buchstäblich durch Terror ihrer Meinungsäußerungsmöglichkeiten berauben – und ist nicht genau das jene „Cancel Culture“, die eben genau jene Influencer:innen vermeintlich beklagen? – es ist auch völlig falsch. Kuhnke wird im Privatleben, auf allen Kanälen, von einem rechtsextremen Mob gestalkt und heimgesucht. Wenn sie in einem Live-Gespräch zu einem völlig anderen Thema spricht, wird der Chat überspült von Hasskommentaren und Drohungen. Das hat rein gar nichts mehr mit Diskurs zu tun, und sei er auch unsachlich. Das ist der Versuch einer persönlichen, beruflichen, finanziellen und psychischen Demontage. Warum ist es keine „Cancel Culture“, wenn Frau Dobler offenbar möchte, dass Menschen und Firmen, die mit Kuhnke kooperieren, dies einstellen?

„Es geht komplett an meine Grenzen“

Und hier kommen wir endlich zum Kern der Sache: Durch gewisse Influencer:innen, die sich an Jasmina Kuhnke (und vielen anderen) abarbeiten, werden gewisse rassistische und sexistische Narrative bedient. Das oben erwähnte „Othering“. Jasmina Kuhnke ist „laut“, provokant und direkt – aber disqualifiziert sie das für den öffentlichen Diskurs? Rechtfertigt irgendeine ihrer Aussagen diesen Psychoterror, diese finanziellen Bürden? Es werden die Narrative der „wütenden, schwarzen Frau“ bedient, die nicht wisse, wo ihr Platz sei, meinte Kuhnke selbst.

Und die Markierungen jener Influencer:innen, die (zufälligerweise?) die Narrative und Feindbilder der Rechtsextremen teilen, führen dazu, dass sie „gecancelt“ werden soll. Beruflicher und finanzieller Ruin, das Wegdrängen aus dem öffentlichen Diskurs. Und auch wo es um konkrete Bedrohung geht und strafrechtlich relevante Kommentare und Nachrichten scheinen die Behörden eben nicht helfen zu können. Das wird düsterer, wenn man weiß, dass einer jener „Influencer:innen“ ein Account eines „unabhängigen” Berufsverbandes der Polizei ist, der ihren groben Wohnort auch noch getwittert hatte.

So ein Äquivalent gibt es wirklich nicht „auf der anderen Seite“, auch wenn die Influencer:innen hart daran arbeiten, so zu tun, als wären „beide Seiten“ gleich verwerflich. Anstatt den Hass zu relativieren, könnten jene Influencer:innen den Hass mehr verurteilen, gegen ihn kämpfen. Wer gegen „Cancel Culture” ist, könnte „Sifftwitter“ bekämpfen. Dort gibt es keinen Zweifel, dass es die Richtigen trifft. Rechtsextreme Accounts blocken, die einem folgen. Rainer Meyer hatte ja gezeigt, dass man teilweise sehr penibel aufpasst, wer einem folgt. Öfter die Methoden und Lügen der Rechtsextremen anprangern und entlarven. Warum nicht? Oder zumindest sich bewusst werden, welche Konsequenzen es hat, wenn man derartige, ja Kampagnen, gegen eine Einzelperson betreibt, nur weil man sich streitet.

Jasmina Kuhnke gibt nicht auf

Jasmina Kuhnke gibt natürlich nicht auf und lässt sich nicht von diesem Hass mundtot machen. Dennoch hat es ihr enorme Kosten verursacht, besonders die Folgen der Veröffentlichung ihrer Privatadresse und der dazugehörige Umzug. Wir laden jede Leser:in also gerne ein, diesem Link zu folgen und ihr und ihrer Familie eine kleine Spende zur Hilfe zukommen zu lassen. So viel übrigens zu den zynischen Vorwürfen und der Täter-Opfer-Umkehr jener „Influencer:innen“ (, die wohl bezahlte Artikel in großen Tageszeitungen darüber verfassten), Kuhnke und andere Betroffene von Rassismus würden ihr „Opferdasein“ nur spielen und es zu einem „Geschäftsmodell“ machen (mehr dazu). Tolles „Geschäftsmodell“, welches ihr mindestens 50.000 € Kosten verursacht hat!

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Ob gewollt oder nicht, ob bewusst oder nicht, ob erwünscht oder nicht, DAS sind die Folgen davon, wenn solche Accounts wie jene „Influencer:innen” Menschen wie Kuhnke „markieren” und immer wieder zur Täterin stilisieren. Und dagegen können diese Accounts etwas tun, anstatt mit Tonfall-Kritik und Täter-Opfer-Umkehr zu reagieren. Wenn ihre Distanzierungen und Verurteilungen von Rechtsextremismus und Hass aufrichtig sind.

Streit ist in Ordnung, aber wir müssen zu einer Diskussionskultur ohne Nazis und „Sifftwitter“ zurückkehren können. Und Nazis bekämpft man nicht dadurch, in dem man ständig darauf hinweist, wie ebenso vermeintlich schlimm „Linke” sind. Der Leak der Privatadresse mitsamt rassistischen Morddrohungen kurz vor dem Jahrestag des letzten rechtsextremen Mordanschlags in Deutschlands, den letzten rechtsextremen „Einzelfällen”, sollte ein deutlicher Hinweis darauf sein, dass die wahre Bedrohung für Diskurs und Gesellschaft und Menschenleben aus dieser einen Ecke kommt. Und das muss endlich anerkannt werden. Und auch von den Behörden ernst genommen.

Zum Thema haben auch der WDR (Hier) und der SPIEGEL (Hier, Bezahlschranke) einen Bericht gemacht.

Zum Thema:

Warum Tweets von WELT-Autor Don Alphonso immer noch zu Hass & Morddrohungen führen

*Nachtrag/Ergänzung 14:30. Autoren: Thomas Laschyk, Alex Urban, Philip Kreißel. Artikelbild: Marvin Ruppert/Foto Jasmina Kuhnke

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