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Ärzteverbände protestieren: Kassenarztchef Gassens irreführende „Impfzwang“-Andeutung

von | Jan 20, 2022 | Aktuelles

Kassenärzte-Chef Gassen löst Phantomdiskussion aus

Der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) ist bereits die gesamte Pandemie über negativ mit Vorstößen aufgefallen, die immer wieder von Querdenker:innen und Rechten Applaus erzeugten. Wir erinnern uns: Ausgerechnet als die zweite Welle so richtig anlief, war es unter anderem Gassen, der weniger Schutzmaßnahmen forderte. Die BILD griff seine Forderungen mit „Ärzte-Aufstand gegen Merkels Lockdown-Plan!“ auf und löste eine breite Debatte aus. Bund und Länder zögerten unter anderem unter diesem Druck bis Weihnachten, um endlich wirksame Gegenmaßnahmen zu ergreifen.

Auch die Kampagne selbst fiel in kürzester Zeit in sich zusammen. Zuerst kam es zu einem massivem Backlash von Wissenschaft, Ärzteschaft und Intensivmediziner:innen (wir berichteten), dann kam heraus, dass viele Verbände in der Unterstützerliste von Gassen auftauchten, die gar nicht gefragt worden waren, wie wir ebenfalls berichteten. Wenige Wochen später musste sogar Gassen selbst zurückrudern (Quelle).

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Und auch jetzt liefert Gassen den Gegner:innen von Impfungen und Corona-Maßnahmen wieder eine Steilvorlage. Gassen ist jetzt erneut in den Schlagzeilen:

In Zusammenarbeit mit der BILD Zeitung inszeniert sich Andreas Gassen erneut als Sprecher aller (Kassen-)Ärzt:innen in Deutschland und kündigt an, man würde eine Impflicht in den Praxen nicht umsetzen. Besonders kritisierenswert ist wieder die Art, wie er das erklärt. Die Aussagen von Kassenarztchef Gassen sind für Impfgegner:innen und die Verschwörungsideologischen-Szene ein gefundenes Fressen.

Die feiern seine Aussagen als Rebellion der Ärzteschaft gegen eine Impfpflicht:

Gassen löst Phantomdiskussion aus – Bundesverband Deutscher Internisten widerspricht

Die Frage, wie und ob eine Impflicht umgesetzt werden kann, mag spannend sein und auch die Position der Ärzteschaft ist dabei natürlich relevant. Das Framing und die Unterstellung durch Gassen ist jedoch äußerst fatal und fehlerhaft. Gassen sagte nämlich wörtlich (Quelle):

„Wir werden unseren Ärzten nicht zumuten, eine Impfpflicht gegen den Willen der Patienten zu exekutieren.“

Damit eröffnet er eine Diskussion, die es so gar nicht gibt. Es erweckt den Eindruck, als müssten Ärzt:innen „gegen den Willen der Patienten“ bei einer Impfpflicht Impfungen verabreichen, als wäre Gewalt im Spiel oder etwas dergleichen. Er spielt hier, bewusst oder nicht, auf den Querdenken-Mythos eines „Impfzwangs“ an. Zur Erklärung: Wie eine Impfpflicht letztlich aussehen könnte, wird noch diskutiert, aber sie könnte lediglich ein ausgedehntes 2G sein, oder mit Strafen verbunden sein (mehr dazu). Ein „Impfzwang“, also der physischen Zwang, möglicherweise mit Gewalt, steht absolut nicht zur Debatte und ist nur Propaganda von Impfgegner:innen.

Seine Formulierung ist möglicherweise nicht mit Absicht so getroffen, dass man darin einen Impfzwang implizieren kann, mindestens ist sie jedoch extrem fahrlässig. Der Bundesverband Deutscher Internisten sieht sich genötigt, Herr Gassen zu kritisieren und Klarstellungen zu machen:

Auch weitere Verbände und Ärzt:innen widersprechen (wieder einmal):

Auch die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen Maria Klein-Schmeink sieht in der Formulierung Gassen die Andeutung eines Impfzwanges und kritisiert das scharf:

Berliner Kassenärztliche Vereinigung übt heftige Kritik

Die deutlichste Kritik kommt jedoch von der Berliner Kassenärztlichen Vereinigung. Diese veröffentlichten eine Pressemitteilung mit dem Titel „KBV hat „Phantomdiskussion” ausgelöst“ (Quelle):

„Berlins Praxen impfen mit oder ohne Impfpflicht weiter

Die Berliner Praxen werden mit oder ohne Impfpflicht auch weiterhin mit großem Engagement gegen COVID-19 impfen, reagiert der Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Berlin auf die aktuelle Diskussion, die durch die heutige Äußerung des Vorstands der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) ausgelöst wurde. Dass die Ärztinnen und Ärzte bei der Einführung einer Impfpflicht staatliche Zwangsmaßnahmen in den Praxen durchsetzen müssten, sieht der Berliner KV-Vorstand überhaupt nicht.

„Das ist eine Phantomdiskussion, die jedweder Grundlage entbehrt. Ein Zwang beim Impfen oder eine Pflichtberatung kann von der Politik nicht gewollt sein. Und es ist auch nicht damit zu rechnen, dass Patientinnen und Patienten mit Polizeibegleitung zum Impfen in die Praxen gebracht werden“, heißt es weiter. Bisher habe es seitens der Politik keinerlei Andeutungen gegeben, dass es Impfzwangsmaßnahmen geben wird und diese von den Praxen umgesetzt werden müssten. Solche Maßnahmen wären in den Praxen auch nicht umsetzbar.

Sollte die Politik eine Impfpflicht einführen, werde es auch weiterhin unterschiedliche Meinungen geben. Von langen Diskussionen in den Praxen sei deshalb noch lange nicht auszugehen, denn dorthin gehen nur diejenigen, die sowieso geimpft werden wollen.“

Herr Gassen spricht mit seinen irreführenden Aussagen also eindeutig nicht, für alle (Kassen) Ärzt:innen und liefert (schon wieder) Futter für Verschwörungsideolog:innen und Impfgegner:innen

Fazit: Erneut hefitge Kritik an querdenkeresque Stimmungsmache

Es ist nicht das erste Mal, dass Herr Gassen durch seine mindestens fahrlässigen Äußerungen und Forderungen eine völlig unnötige und gefährliche Debatte auslöst, wie eingangs erwähnt. Durch das irreführende Framing, besonders gepusht durch den in Sachen Corona besonders negativ aufgefallenen Axel-Springer Verlag (mehr dazu), wird der Eindruck erweckt, Herr Gassen spreche für die deutsche Ärzteschaft, davon kann sicherlich nicht die Rede sein. Andere Medien lassen sich erneut auf dieses Astroturfing ein und erzeugen eine unnötige Debatte, die die Impfgegnerfront stärkt und den Kampf für ein Ende der Pandemie weiter untergräbt.

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Artikelbild: Kay Nietfeld/dpa

Unsere Autor:innen nutzen die Corona-Warn App des RKI.