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MDR macht Stimmung gegen Ukraine-Geflüchtete mit Fake „Einkaufszettel“

von | Okt 12, 2022 | Aktuelles

Der MDR hat mal wieder einen fragwürdigen Beitrag geliefert, in dem rechts-populistische Narrative und Vorurteile gegen Geflüchtete bedient werden. In dem Artikel ging es um ukrainische Geflüchtete, die angeblich die Tafeln in Deutschland ausnutzen sollen. Die Argumentation ist fadenscheinig und das Hauptbeweismittel wurde von der Tafel dementiert. Der Artikel bedient anti-ukrainische Frames und lieferte eine Steilvorlage für rechtsradikale Medien und Pro-Putin-Propagandisten.

Falsche Beweise und ihre Folgen

Der fragliche Artikel wurde am 18. September veröffentlicht. Darin werden ukrainische Tafelbesucher:innen als undankbar, anspruchsvoll und vor allem extrem reich dargestellt. Mitarbeitende der Tafel würden wegen Schäden an den Lebensmitteln beschimpft, die 2 € symbolischen Unkostenbeitrag für Lebensmittelpakete würden von Ukrainer:innen mit 100 € Scheinen bezahlt und der Parkplatz sei voller SUVs mit ukrainischen Kennzeichen. Das Hauptbeweisstück für das angebliche ukrainische Anspruchsgehabe: Das Foto eines vermeintlichen Einkaufszettels, angeblich geschrieben von einer Ukrainerin und an die Tafelmitarbeiterin gegeben, auf dem untere anderem Kaviar notiert ist. 

Tafel erklärt: Das ist kein Einkaufszettel!

Die Tafel widerspricht: Es handele sich bei dem Zettel nicht um einen Einkaufszettel. Stattdessen sei es gängige Praktik der Tafeln, bei größeren Gruppen von Geflüchteten Vorlieben und Essgewohnheiten abzufragen. Der Zettel sei das Ergebnis solcher Gespräche, mehr nicht. Zudem wurde der Zettel, anders als von der Autorin des MDR-Beitrags behauptet, nicht von Ukrainer:innen, sondern von einem Dolmetscher verfasst. Er enthält also keinerlei Forderung, sondern ist lediglich ein Hinweis zu Essgewohnheiten und besonderen Wünschen der Geflüchteten.

Nach Kritik an dieser falschen Darstellung ändert der MDR schließlich die Bildunterschrift in „Zettel“ anstelle von „Einkaufszettel“. Und gibt einen Hinweis am unteren Ende des Artikels. Aber da ist das Kind schon in den Brunnen gefallen. Ein Artikel in der „Jungen Freiheit“, einer Zeitschrift aus dem Spektrum der Neuen Rechten, behauptet, eine Frau habe nach Kaviar und Garnelen „verlangt“, die prorussische Propagandistin Alina Lipp bezieht sich in ihrem Desinformations-Telegram Kanal positiv auf den Beitrag: „reiche ukrainische Flüchtlinge in Deutschland stürmen die „Tafeln“ und benehmen sich ungehobelt – sagt der MDR!“ und sieht sich bestätigt in früheren Behauptungen, dass „reiche Ukrainer die deutschen Hilfsleistungen für Flüchtlinge eiskalt ausnutzen!” und Friedrich Merz schlägt mit seiner jüngsten rechtspopulistischen Entgleisung in eine ganz ähnliche Kerbe (mehr dazu hier).

JOURNALIST WEISST MDR irREFÜHRENDES FRAMING NACh

Der Journalist Peter Althaus hat sich den MDR-Beitrag genauer angeschaut. Er legt dar, dass Kaviar im postsowjetischen Raum ein häufiger konsumiert und zu vielen Anlässen serviert wird und wesentlich billiger und weiter verbreitet ist als in Deutschland. (In diesem Onlineshop etwa starten die Preise für 80g Kaviar bei 1,49€). 

Auch die SUVs sind kein Skandal: Die Menschen seien schlicht mit ihren privaten Autos geflohen, als die russische Armee einrückte. Die Tatsache, dass sie sich in einem Leben vor dem Angriffskrieg einmal schicke Autos kauften, bedeutet nicht, dass sie jetzt keinen Anspruch darauf haben sollten, zur Tafel zu gehen. Ähnliche Angaben bestätigt auch die Tafel selbst. Die Autos auf den Bildern im Artikel tragen die Nummernschilder von den Vororten von Kyjiw. Zu denen auch die stark zerstörten Gemeinden Butscha und Irpin gehören.

Peter Althaus zeigte außerdem auf, dass sich die Autorin des MDR Beitrags auf Facebook immer wieder kritisch gegenüber ukrainischen Geflüchteten und dem ukrainischen Staat als solchen äußerte (Quelle). Die Kritik des Journalisten ist hier ausführlich nachzulesen. 

MDR UND RECHTSPOPULISMUS: Nicht der erste Vorfall

Es könnte als ungeschickter Beitrag ignoriert werden, der nur versehentlich Munition für Pro-Putin-Propaganda und rechtsradikale Medien gedient hatte. Der MDR fällt immer wieder durch die unkritische Wiedergabe rechtspopulistischer Talking-Points auf. Oder damit, Faschisten und Rechtsextreme eine Bühne zu geben.

  • 2019 etwa lud der MDR den Neonazi Arthur Österle für eine Podiumsdiskussion ein, der unter anderem an der Organisation der rechtsextremen „Pro-Chemnitz“-Demos beteiligt war, bei denen es zu massiver rassistischen Übergriffen kam (wir haben damals hier darüber berichtet).
  • Im August dieses Jahres wurde Faschist und AfD-Landeschef Höcke im Rahmen einer Sommerinterview-Reihe mit Parteichefs beim MDR interviewt. Seine zum Teil zutiefst rassistischen Aussagen wurden darin kaum kommentiert stehen gelassen

Als später Kritik daran laut wurde, nahm das MDR Thüringen Social-Media-Team Höcke in Schutz und erklärte, man solle mit dem Begriff „Faschist“ behutsam umgehen.

Hier verbreitet der MDR eine falsche Tatsachenbehauptung: Höcke IST ein Faschist, zweifelsohne. Daran gibt es keinen Zweifel, und wir haben das bereits ausführlich belegt. Wenn man Faschisten nicht mehr Faschisten nennen darf, haben wir ein gewaltiges Problem und der MDR ist ein Teil davon. In Bezugnahme auf das erwähnte Gerichtsurteil ist es richtig, dass das Gericht Höcke nicht zum Faschisten erklärte, sondern nur, dass es erlaubt war, ihn in dem konkreten Fall als solchen zu bezeichnen. Aber eben weil das „Werturteil nicht aus der Luft gegriffen ist, sondern auf einer überprüfbaren Tatsachengrundlage beruht.“ Wir haben das hier erläutert. Dass der MDR hier Faschisten in Schutz nimmt und Fake News verbreitet, ist unglaublich.

  • Vor kurzem hatten wir berichtet, dass der MDR die Ergebnisse eines eigenen Abstimmungstools, das zudem extrem manipulationsanfällig ist, als „Umfrageergebnisse“ in Artikeln zitiert. Ohne darauf hinzuweisen, dass die Ergebnisse nicht repräsentativ sind. Die Umfrage wurde etwa verwendet, um zu „zeigen“, dass Klimastreiks wenig Zustimmung in der Bevölkerung genießen würden.

Ist der MDR auf dem rechten Auge blind?

Der MDR hat also einen Beitrag veröffentlicht, der durch falsche Darstellungen und Dekontextualisierung bestimmter Details tendenziöse Stimmungsmache gegen ukrainische Geflüchtete erzeugt hat, und hat dadurch eine Steilvorlage für extreme Rechte und Putin-Propaganda geliefert.

Öffentlich-rechtliche Medien genießen in weiten Teilen der Bevölkerung eine große Legitimität, gerade weil davon ausgegangen wird, dass sie ordentlich arbeiten. In rechtspopulistischen oder verschwörerischen Kreisen, die sie eigentlich als „linksgrün“ und „Lügenpresse“ ablehnen, werden sie dann besonders gerne zitiert, wenn sie entsprechende Frames bedienen. Siehe die Pro-Putin-Propagandistin, die sich durch den Beitrag in ihrer Hetze gegen Ukrainer:innen bestätigt sieht. Immer wieder zeigen engagierte Journalist:innen, Bürger:innen und Fake-News Beobachter wie wir auf, dass beim MDR zum Teil unsauber gearbeitet wird und dabei rechtspopulistische Narrative bedient werden und Faschismus verharmlost und multipliziert. Das sollte nicht unser Job sein müssen!

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