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Die Meere kochen, die Wälder brennen – ihr fantasiert „Heizungsideologie“!

von | Jun 14, 2023 | Aktuelles

Luisa Neubauer trifft den Nagel auf den Kopf, wenn sie in ihrem Instagram-Reel vom 13. Juni davon spricht, dass wir heute in einer Welt leben, vor der man vor Jahrzehnten noch als ‚Klima-Dystopie‘ gewarnt habe. Die Klimazeichen stehen mal wieder vornehmlich schlecht, neue wissenschaftliche Erkenntnisse legen nahe, dass der Point of no Return immer näher rückt – oder in einzelnen Fällen sogar bereits überschritten ist. Und womit befassen sich einige deutsche Politiker:innen und Medien vor Sommerpause? Mit populistischem Gefasel von „Heizungsideologie“. Sagen wir so: Lösungsorientiert sieht anders aus.

Meereis der Arktis womöglich schon in den Sommern der 2030er verschwunden

Erst kürzlich verdeutlichte eine Studie, die in der Fachzeitschrift Nature Communications erschien, den Ernst der klimatischen Lage. Darin befassten sich Klimaforschende mit dem fortschreitenden Verlust des arktischen Meereises und zeigen auf, dass eine zu optimistische Prognose des Weltklimarats womöglich korrigiert werden muss. Denn der Weltklimarat IPCC geht im Sachstandsbericht von 2021 davon aus, dass der erste nahezu eisfreie September (der Monat mit der geringsten Eisbedeckung) der Arktis vor 2050 stattfindet. Berechnungen der Klimaforschenden zufolge könnte die Eisbedeckung des arktischen Ozeans im September jedoch schon vor 2040 nur noch sieben Prozent betragen. Der erste nahezu eisfreie September holt damit auf – und rückt ins kommende Jahrzehnt.

Die Wassertemperatur des Nordatlantiks ist so warm wie nie zuvor

So weit in die Zukunft müssen wir derweil gar nicht gehen, um weitere schlechte Nachrichten zu empfangen. Denn der Nordatlantik zeigt schon heute außergewöhnlich beunruhigende Wärmerekorde. Am 11. Juni verzeichnete er 22,7 Grad Celsius und schlug damit den bisherigen Rekord von 2010 um ein halbes Grad. Dabei handelt es sich nicht etwa um einen einzelnen Ausreißer – Forschende beobachten die Anomalie schon seit Monaten. Zudem ist der Nordatlantik mit diesem Trend nicht allein, das Phänomen ist global in fast allen Ozeanbecken zu beobachten. Bereits im April schlugen Forscher:innen erstmals Alarm, als die globale Durchschnittstemperatur der Meeresoberflächen mit 21,1 Grad einen nie zuvor gemessenen Wert aufwies. Im Nordatlantik sind die Temperaturen dennoch besonders gravierend und verantwortlich ist primär der Klimawandel.

In Kanada nehmen Waldbrände ungekannte Ausmaße an

Während das Eis schmilzt und die Temperatur der Meeresoberflächen steigt, brennen in Kanada die Wälder. Was zunächst nicht sonderlich ungewöhnlich klingt, erreicht aktuell ungekannte Ausmaße. Expert:innen bestätigen, dass es sich um eine besonders schlimme Waldbrand-Saison handelt und das Ausmaß der Brände für die Jahreszeit nicht normal sei. Zahlen zeigen diese Anomalie besonders eindrücklich:

Der Durchschnitt der Waldbrände über dieselbe Zeitspanne beträgt in den letzten zehn Jahren 1.624 Feuer, die rund 250.000 Hektar Land verbrennen. Dieses Jahr sind es über dieselbe Zeitspanne bereits 2.214 Feuer. Das verbrannte Land hat sich derweil verzehnfacht: Über drei Millionen Hektar Land sind den Bränden schon bis Mitte Juni zum Opfer gefallen. Nun ist der Klimawandel nicht der alleinige Grund für Waldbrände. Dennoch bereitet die Klimakrise den (metaphorischen wie realen) Boden für mehr Waldbrände von schlimmerem Ausmaß.

Und wer es gerne näher zu Hause mag: Ebenfalls mit dem Klimawandel zusammenhängend: Bereits 2022 waren die Böden so trocken wie seit 50 Jahren nicht mehr. In Jüterbog wird seit fast zwei Wochen auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz ein Waldbrand gelöscht. Missernten wie in den letzten Jahren drohen. Es droht wieder ein Dürresommer. Das neue Normal in der Klimakrise.

Alles für den Wahlkampf: Söder diffamiert Maßnahmen für den Klimaschutz

Hier könnten weitere detaillierte Schilderungen der klimatischen Lage weltweit folgen – denn auch in Deutschland herrscht aktuell Waldbrandgefahr, das Meereis im antarktischen Ozean erzielt bereits heute regelmäßig Tiefstrekorde und in Ostafrika bedroht die (laut Weltwetterorganisation) schwerste Dürre seit 40 Jahren Millionen Menschenleben. Aber es nützt ja alles nichts, wenn vonseiten der Politik nicht bald etwas passiert. Ein Blick auf einige Politiker:innen droht dann aber doch jede Hoffnung im Keim zu ersticken.

Die Opposition hat nichts Besseres zu tun, als die Bemühungen als „Heizungsideologie“ zu diffamieren, während die Ampel gerade zutiefst versagt, ein wirksames Heizungsgesetz auf den Weg zu bringen – auch dank Sabotage aus der FDP. Und so ließ sich Markus Söder auf einer Kundgebung blicken, die sich gegen die „Heizungsideologie“ richtet. Sein Vize Hubert Aiwanger hatte auf der Bühne wohl kurzzeitig vergessen, wie er zu seinem Posten gekommen ist und erklärte die herrschende Demokratie für nichtig, indem er davon sprach, dass sich die ‚schweigende Mehrheit‘ diese zurückholen müsse. Im Publikum befanden sich zahlreiche AfD-Wähler:innen und so bediente sich der Politiker mal eben beim Sprachjargon der Kollegen von ganz rechts.

Söder verbreitet rechte lügengeschichten

Söder selbst grenzte sich derweil nominell von der AfD ab. Weiterhin sprach er sich gegen eine angebliche ‚zwanghafte Veganisierung‘ und das ‚zwanghafte Gendern‘ – zur Erinnerung: rechte Lügen, die es nicht gibt – aus und kam dann schließlich zum eigentlichen Thema der Kundgebung: Nachdem er den Klimaschutz angeblich für wichtig befunden hatte, kritisierte er eine vermeintliche ‚Brachialkur‘, mit der die Grünen ihn betreiben würden – „nur mit Ideologie, ohne Pragmatismus, ohne Vernunft“, hieß es da.

„Die Grünen haben die Philosophie, zu verbieten und umzuerziehen“, sagte Söder außerdem. Eigene Ideen oder Verbesserungsvorschläge für den Klimaschutz blieben aus. Und darum geht es wohl auch nicht. Für den Wahlkampf genügt es Söder scheinbar, erstmal nur die Ansätze anderer kleinzuhalten. Bei einer Kundgebung gegen die „Heizungsideologie“ scheint er da an der richtigen Adresse. Eine Kundgebung, auf der die Anwesenden auch mal die Grünen hängen wollen – und ihn ausbuhten. Kein Wunder, ist es das gleiche Klientel, das ihm noch vor wenigen Jahren Morddrohungen schickte.

Politiker:innen wie Söder stehen dem Klimaschutz im Weg

Die Erde brennt, schmilzt und erwärmt sich mit jedem Tag näher hin zum Point of no Return. Aktuelle Ereignisse und Erkenntnisse zeigen deutlicher denn je: Die Zeit ist knapp. Für einiges ist es bereits zu spät. Wir – und insbesondere die Politik – brauchen alle Ansätze, Ideen und Maßnahmen für den Klimaschutz, die wir kriegen können. Was niemand brauchen kann, sind Politiker:innen, die sich samstags auf eine Bühne stellen, verschwörerisches Gedankengut à la ‚wir müssen uns die Demokratie zurückholen‘ verbreiten und die einzigen Maßnahmen für Klimaschutz als „Heizungsideologie“ diffamieren. Mit solchen Worten lenken Aiwanger und Söder sowohl vom Krisenzustand unserer Erde als auch von jeglichen Lösungen ab. Im Namen des Wahlkampfs. Und das könnte letztlich dazu führen, dass wir uns tatenlos dem Point of no Return nähern.

Artikelbild: canva.com