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Die Russland-Sanktionen wirken besser, als du denkst

von | Jul 27, 2023 | Aktuelles

Sogar die offiziellen Zahlen zeigen es. Aber es gibt noch mehr. 

Die Sanktionen schaden der russischen Wirtschaft. Gestern veröffentlichte der Internationale Währungsfonds seine Prognose (!) für 2023. Darin kommt Russland auf ein Wachstum von 0,7 %, aber Deutschland stagniert um -0.3 %. Dieser Punkt wird aktuell genutzt, um zu behaupten, dass die Sanktionen nicht wirken. Für 2022 – dem ersten Sanktionsjahr – sah es allerdings anders aus. Trotz hoher Einnahmen durch die hohen Preise für Öl und Gas im ersten Halbjahr schrumpfte Russland laut offiziellen Zahlen um 2,1 % und Deutschland wuchs 1,8 %. Insgesamt ist Deutschlands Wirtschaft also seit Kriegsbeginn gewachsen und Russland geschrumpft. Und das sogar laut den offiziellen Zahlen, an denen man durchaus einige Zweifel haben kann (dazu gleich mehr). Wie sehr die Sanktionen im letzten Jahr wirkten, haben wir an diesem deep dive und dieser Studie gezeigt:

„Pazifisten“ gegen pazifistische Methoden

Sanktionen sind ja gerade die Methode der Auseinandersetzung, die in vielen Konflikten Druck auf einen Aggressor ausüben kann, ohne mit ihm in eine direkte kriegerische Auseinandersetzung zu treten. Einfach zu sagen: „Ich verurteile zwar den Krieg, aber bin auch gegen Waffenlieferungen, gegen Sanktionen und dafür alle russischen Forderungen zu erfüllen, um den Krieg schnell zu beenden“ ist auch nur ein komplizierter Weg, um auszudrücken, dass man möchte, dass Putin den Krieg ohne große Probleme gewinnt. Falls du diese Argumentation nicht sofort überzeugend findest, hier haben wir das ausführlich erklärt:

Ausgerechnet die selbsternannten Pazifist*innen um Sahra Wagenknecht machen schon seit Kriegsbeginn Stimmung gegen die Sanktionen. Und das natürlich regelmäßig mit jeder Menge Desinformation und Verbreitung von (pro)-russischer Propaganda.

Am 19. Juli bombardierte Russland zivile Ziele ohne jeden militärischen Nutzen in der Hafenstadt Odessa und zerstörte nach ukrainischen Angaben 60 000 Tonnen Getreide, die für den Export auf den angespannten Weltmarkt bestimmt waren. Wagenknecht hatte dazu nichts zu sagen, stattdessen kritisierte sie am selben Tag die Sanktionen gegen Russland – auch mit der Behauptung, die russische Wirtschaft würde wachsen und unsere schrumpfen. 

Wenige Tage später postete dann ihre Verbündete Sevim Dağdelen:

Dabei lässt sie natürlich die Zahlen aus 2022 weg, die das ganze in einem anderen Licht erscheinen lassen. 

Russisches Wachstum ohne Sanktionen

Es reicht allerdings nicht aus, direktes Wachstum zu vergleichen. Um die Wirkung der Sanktionen zu sehen, muss klar verglichen werden zwischen dem Szenario mit und dem ohne Sanktionen.

Und Russland hätte ohne Sanktionen viel höheres Wachstum gehabt. Die Weltbank sah vor dem Krieg ein Wachstum 2,4 % für 2022. Allerdings ist auch das noch nicht die ganze Wahrheit. Die durch den Krieg stark gestiegenen Energiepreise hätten ohne Sanktionen Milliarden in die Kassen gespült, das Wirtschaftswachstum wäre viel höher gewesen. Berechnet man das ein, kommt man auf einen Schaden durch die Sanktionen von 7 bis 10 % der Wirtschaftsleistung durch die Sanktionen – allein in 2022. In Deutschland lag die Vorhersage bei 4 % Wirtschaftswachstum, erreichte dann aber „nur“ 1,8 %, also ein Minus von 2,2 % im Vergleich zu „kein Krieg“. Der Schaden für Deutschland lag aber weniger an unseren Sanktionen und vor allem an der Inflation durch hohe Gas- und Lebensmittelpreise, die es vermutlich auch ohne Sanktionen in geringerem Umfang durch den Krieg Russlands gegeben hätte. 

Im Vergleich zum Szenario ganz ohne Sanktionen wäre Russland jetzt also viel stärker und könnte seinen Soldaten einen ordentlichen Bonus auszahlen für das Morden – mit unseren Gas- und Ölrechnungen. 

Russland hat jetzt ein größeres Defizit

Nur das Bruttoinlandsprodukt zu betrachten ist aber auch etwas irreführend, da Russland massiv auf Reserven zurückgreift, um seine Ausgaben zu erhöhen. In Kriegszeiten kommt es durchaus vor, dass das Bruttoinlandsprodukt STEIGT, weil der Staat einfach viel mehr Geld ausgibt. 2022 ist Russlands GDP aber dennoch gesunken. Russland versuchte wohl auch, Defizite aus 2022 zu verstecken, indem man es einfach im Januar 2023 aufweist. 

Die höheren Militärausgaben bringen aber der Bevölkerung rein gar nichts und werden von der Ukraine in kürzester Zeit pulverisiert. Bis August 2022 – also nach einem halben Jahr Krieg – wurden in der Ukraine etwa 16 Mrd. USD an russischem Equipment zerstört, das entspricht etwa 1 % des russischen Bruttoinlandsprodukts. Der Sold der getöteten Soldaten und die Produktion von kaputten Waffen sind auf dem Papier aber trotzdem eine „Zunahme“ des Bruttoinlandsprodukts. Die Bevölkerung hat davon wenig.

Russische Zahlen einfach frei erfunden?

Und jetzt kommt der wahre Twist: Bisher sind wir in dieser Analyse davon ausgegangen, dass Russlands Zahlen zum Bruttoinlandsprodukt tatsächlich korrekt sind. Aber das ist unwahrscheinlich. Im Zuge dessen wird auch schon der Internationale Währungsfonds hart kritisiert, da er diese Zahlen einfach übernimmt. Eine Studie zeigt, dass Autokratien das Bruttoinlandsprodukt massiv übertreiben, um etwa 35 %. Der IWF und J.P. Morgan sind eigentlich die einzigen, die für 2023 ein Wachstum vorhersagen, praktisch alle anderen sagen eine weitere Rezession in Russland voraus. Das Problem ist, dass viele ökonomischen Daten von Russland geheim gehalten werden, daher lässt sich einfach nicht genau sagen, wie es um die russische Wirtschaft tatsächlich steht.

Die russische Wirtschaft leidet unter den westlichen Sanktionen. Laut dem Bremer VWL-Professor Michael Rochlitz war Russland zuletzt „sehr abhängig vom Import von Hochtechnologie-Gütern“, die nun fehlten. Zusammen mit dem braindrain (Abwanderung junger Fachkräfte) seit Kriegsbeginn habe Russland sich dadurch seinen IT-Sektor verbaut. Ähnlich äußerte sich der Volkswirt Holger Schmieding. Laut ihm wirken die Sanktionen wie ein „schleichendes Gift“, da sie Russland von westlicher Technologie abschnitten. Auch China würde demnach Russland nicht entscheidend zur Hilfe kommen, da für die chinesische Wirtschaft der Handel mit westlichen Märkten eine größere Rolle spiele. Zu den gleichen Erkenntnissen kam bereits im vergangenen Sommer eine Studie der Yale University. Warum die vom Kreml gelieferten Zahlen, die der IWF einfach so übernimmt, problematisch sind, haben wir hier erklärt:

Fossile Energien waren das Problem

Der Grund, warum sich Putin trauen konnte, trotz enormer Sanktionsdrohungen den Krieg zu beginnen, war sein Einkommen aus fossilen Brennstoffen. Selbst ein Einbruch der russischen Wirtschaft um 10 % gegenüber einer Welt ohne Sanktionen hat Russland nicht so stark geschadet, wie wünschenswert gewesen wäre, da das Land massives Einkommen durch fossile Energien generieren konnte. 

Dieses Einkommen erlaubt es Putin, seit Jahren an der Macht zu bleiben und seinen Propagandaapparat zu finanzieren. Es hat Russland erlaubt, Reserven zu bilden, die es jetzt nutzen kann. 

Gerade deshalb sind die Sanktionen gegen fossile Energien so wichtig. Sie entziehen Putin die Lebensgrundlage. Russland ist quasi ein Petrostate. Jedes Solarpanel und jede verbaute Wärmepumpe bei uns bringen uns diesem Ziel etwas näher, unabhängig zu sein und Putins Macht zu brechen. Bis wir vollständig von fossilen Energien unabhängig sind, sollten wir uns allerdings nicht von Putins Propagandisten verarschen lassen. 

Artikelbild: Gevorg Ghazaryan