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Uni Witten: Umstrittene Veranstaltung mit Homburg & Guérot abgesagt

von | Okt 11, 2022 | Aktuelles

Nach Debatten um den geplanten Auftritten von Ikonen der „Querdenken“-Szene wie Stefan Homburg und Ulrike Guérot bei einer Tagung an der anthroposophisch geprägten Hochschule wird diese doch nicht mehr stattfinden. Als Grund wird von den Veranstalter:innen die Absage maßgeblicher Referent:innen genannt. Auf der Website der Veranstaltung steht jetzt:

„Mit der Veranstaltung „Die Würde des Menschen – (un)antastbar?“ sollte ein multiperspektivischer Austausch zum Thema Corona-Krise realisiert werden. Durch die Absage maßgeblicher Referent:innen kann die Veranstaltung nicht wie geplant stattfinden. Daher haben wir entschieden, die Veranstaltung kurzfristig abzusagen. Wir bedanken uns bei allen Unterstützer:innen sowie bei den Referent:innen und Interessent:innen für die Bereitschaft teilzunehmen und bitten um Entschuldigung für die kurzfristige Absage!“

Uni Witten hatte Einladung zuvor verteidigt

Wie Gastautor Matthias Meisner bei Volksverpetzer heute erst berichtete, hatte die Universität Witten/Herdecke die heftig kritisierte Einladung der beiden zunächst verteidigt. Die Kontroverse an der Universität um die Tagung „Die Würde des Menschen – (un)antastbar?“ sorgte für große Aufmerksamkeit, als der für eine Teilnahme angefragte Rechtswissenschaftler Stefan Huster, Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und Vorsitzender des im Sommer aufgelösten Corona-Sachverständigenrates, absagte (wir berichteten).

Huster kritisierte Frau Guérot und Herrn Homburg heftig für deren “ völlig abwegige und polemische Positionen“. Er attestierte ihnen „Querdenkertum, das unsere gesamte politische Ordnung diskreditiert“. In seiner Begründung für die Absage per Mail, die Volksverpetzer vorliegt, zitierte er aus dem Buch von Frau Guérot und schrieb dazu:

„Das ist – mit Verlaub – einfach schlimmste verschwörungstheoretische Hetze. Soll sie ,zum Schweigen bringen und ,sich kümmern‘, um wen sie will – ich finde das auf keiner Ebene mehr diskussionswürdig. Wer diesen Leuten und Positionen Gehör und Publikum verschafft, übernimmt Mitverantwortung für schlimme politische Fehlentwicklungen und muss sich daher auch Kritik gefallen lassen.“

KEINE GEFAHR DARIN, DASS „NACHWEISLICH WIDERLEGTE AUSSAGEN“ EINE BÜHNE BEKOMMEN

In der Stellungnahme vom Freitag der Hochschule wurde die Veranstaltung und die Einladung der Personen im Namen der Wissenschaftsfreiheit verteidigt. Man gab zu, dass es dass es vielen als „pure Provokation“ erscheine, dass an der Universität eine Tagung organisiert werde, bei der voraussichtlich „grundlegende Aspekte“ der gemeinsamen Arbeit gegen die Corona-Pandemie in Frage gestellt würden. Aber: „Vielleicht ist es daher verständlich, dass mehrere Stimmen in der Universitätsgemeinschaft laut werden, die ein Verbot der Tagung fordern.“ Von einem Veranstaltungsverbot aber werde erst Gebrauch gemacht, wenn Recht verletzt werde, persönlich angegriffen werde „oder wenn die Universität unter dem Deckmantel der Wissenschaftlichkeit missbraucht wird, um nachweislich widerlegten Aussagen eine Bühne zu geben“.

Die Einladung wurde von vielen Stellen kritisiert. Besonders die Kritik von Janosch Dahmen war relevant. Der Arzt und gesundheitspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag ist nicht nur Alumnus der Universität Witten/Herdecke, sondern sitzt auch in deren Aufsichtsrat.  Er sagt dem Volksverpetzer:

„Ich war und bin immer ein Verfechter des offenen, auch streitenden wissenschaftlichen Diskurses gewesen, aber der gemeinsame Nenner von Stefan Homburg und Ulrike Guérot ist offensichtlich die Delegitimierung von seriöser Wissenschaft, freier Presse und dem Staat beziehungsweise der freilich-demokratischen Grundordnung einschließlich der Menschen und Institutionen, die für sie stehen.“ Es gehe um die „gezielte Diskreditierung all jener, die ihre kruden Ansichten und unseriösen Methoden nicht teilen“.

Dahmen wirft Guérot und Homburg gezielte Angriffe auf Wissenschaftler:innen, Hetze und das Verbreiten von Hass und Desinformation vor. „Auch Universitäten und wissenschaftliche Einrichtungen müssen sich die Frage gefallen lassen, ob solche Menschen weiter mit ihnen assoziiert bleiben sollen und ob es richtig ist, ihnen eine Bühne zur Aufwertung ihrer skurrilen Thesen zu bieten.“

Veranstalter sagt ab

Doch die Veranstaltung wir nicht mehr stattfinden. Neben der deutlichen Absage von Stefan Huster gab es auch weitere Absagen zur Veranstaltung. Auch Uni-Vizepräsidentin Petra Thürmann unterzeichnete wie alle anderen Präsidiumsmitglieder die Erklärung der Universität vom Freitag, sie sagte jedoch ebenfalls ihre Teilnahme and der Tagung aber ohne Nennung von Gründen ab. Zuvor hatte die im Programm ebenfalls angekündigte Heidelberger Wissenschaftlerin Beate Ditzen, die sich mit Berührungsforschung beschäftigt (Quelle) offiziell wegen „einer Terminkollision“ abgesagt. Und weil sie den offenbar nur telefonisch vereinbarten Auftritt gar nicht in ihrem Kalender finde.

Die Veranstalter der Tagung, eine Initiativgruppe an der Universität Witten mit dem Namen „Das Ich im Wir“, äußerten sich nicht zu der inhaltlichen Auseinandersetzung. Diese Absagen und dass offenbar kein Ersatz für diese gefunden werden konnten, sind jetzt offiziell der Grund für die Absage der Veranstaltung. Stefan Huster kommentierte die Absage auf Twitter: „Da hatten wohl auch noch andere ReferentInnen Bedenken…“

Uni Witten distanziert sich doch am Dienstag

Kurz darauf wird mehr bekannt: Am Dienstag machte die Universitätsleitung einen Rückzieher – und distanzierte sich von „Querdenken“ und auch den Veranstalter:innen in einem offenen Brief. Die Universitätsleitung weist die Nähe zur „Querdenker-Szene“ zurück und distanziert sich von der Veranstaltung.

Die Uni Witten untersagt jetzt die Nutzung der Räumlichkeiten auf dem Campus der Hochschule. Sie sehe den geforderten Punkt nicht mehr erfüllt, laut dem kein Missbrauch der Hochschule unter dem Deckmantel der Wissenschaftlichkeit stattfinden dürfe, um nachweislich widerlegten Aussagen eine Bühne zu geben. Mehrere der eingeladenen wissenschaftlichen Expert:innen hätten abgesagt bzw. sich von der Tagung distanziert, die Initiative „Das Ich im Wir“ habe „keinen adäquaten wissenschaftlichen Ersatz finden“ können.

„Die Veranstaltung ist damit aus unserer Sicht in einer ausgeprägten inhaltlichen Schieflage; ein angemessen kritischer wissenschaftlicher Diskurs von Expert:innen auf Augenhöhe ist nicht mehr gewährleistet.“ Am Vormittag hatten sich nach Informationen des Volksverpetzers etwa 70 Studierende – deutlich mehr als erwartet – getroffen, die einen Gegenprotest organisieren wollten.

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Artikelbild: Olaf Kosinsky – CC BY-SA 3.0 de