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Faktencheck: Drostens Doktorarbeit ist legitim – Neue Fakes über „Revisionsschein“

von | Dez 8, 2020 | Analyse

Faktencheck: Natürlich ist Drostens Doktorarbeit legitim

Verschwörungsideologe Schiffmann streute als erster Desinformation

Prof. Christian Drosten, Chefvirologe an der Charité Berlin, ist im Laufe der Corona-Pandemie zu einem der bekanntesten Wissenschaftler Deutschlands geworden. Wenige Kolleg:innen wurden ähnlich häufig erwähnt wie Drosten. In der Öffentlichkeit wirkt er oft wie ein Fels in der Brandung der Corona-Pandemie und ihrer Folgen, was auch seine Popularität in der breiten Bevölkerung gesteigert hat. Doch damit ist er in den letzten Monaten auch immer mehr zum Hauptfeind derer geworden, die das Virus selbst oder die davon ausgehende Gefahr für einen Großteil der Bevölkerung leugnen.

„Bilden Sie sich fort!“: Wie cool Drosten seine Hater auf Twitter abfertigt

Oft sind deren Angriffe fadenscheinige, plumpe Attacken aus den Abgründen von Social Media-Deutschland, die Drosten mit erfrischender Schlagfertigkeit zu kontern weiß. (Tweet, Tweet, gesammelte Werke). Einige nutzen jedoch eine perfidere Strategie: Sie versuchen, den wissenschaftlichen Hintergrund von Deutschlands bekanntestem Virologen in Frage zu stellen. Lieblingsthema dabei: Prof. Drostens Doktorarbeit. Warum investieren „Querdenken“ und Co. so viel Energie darein? Und was ist überhaupt dran an der „Kritik“? Spoiler: Nicht viel. Aber der Reihe nach.

Die seltsame Vorgeschichte der „Doktorarbeits-Leugner“

Tatsächlich ist die inszenierte Debatte um Drostens Doktorarbeit nicht neu. Sie ist eher ein unbeholfener Fortsetzungs-Fantasyroman der Verschwörungsbubble, die dem Ganzen immer wieder ein neues Kapitel hinzufügen will, ohne zu wissen, worum es eigentlich geht. Das erste Kapitel hieß: „Wir haben Drostens Doktorarbeit nicht gefunden, also gibt es sie nicht!“. Das haben wir zeitnah widerlegt, indem wir – surprise – seine Doktorarbeit gefunden haben (Artikel). Die erste Behauptung haben wir einfach widerlegt, indem wir sie ausgeliehen haben.

Das zweite Kapitel war eher eine Art „Remake“ des ersten, denn es hieß „Solange die Doktorarbeit nicht in Papierform zu finden ist, gibt es sie nicht!“. Also haben wir die Doktorarbeit in Papierform besorgt und auch dieses Narrativ widerlegt (Artikel). Als Nächstes haben dann die Leugner:innen zum Shitstorm gegen unser Beweisvideo aufgerufen. Als ob das die Existenz der Doktorarbeit widerlegen würde, aber man kann es ja mal versuchen. Hier zeigt sich schon: Sie merken, dass ihr Weltbild eine Fehlkonstruktion ist, wollen sich aber mit Biegen und Brechen daran festhalten.

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„Moving the goalpost“

Je mehr sie versuchten, die Doktorarbeit zu leugnen, desto eindeutiger wurden ironischerweise die Belege für deren Existenz. Mehr dazu auch hier vom correctiv. Die Doktorarbeitsleugner gingen dann zu einer anderen Strategie über: „moving the goalpost“. Das ist ein Argumentationstrick, in dem diejenigen, die Fake News verbreiten, ständig ihre Behauptungen anpassen, wenn ihre Fake News widerlegt werden. Anstatt zu behaupten, dass es Drostens Doktorarbeit gar nicht gäbe, gingen sie dazu über, eine Verschwörung dahinter zu vermuten, dass sie erst seit 2020 verfügbar ist. In deren Augen macht diese unehrliche Argumentation Sinn: Sie versuchen nicht, wie vernünftige Menschen, Fakten festzustellen und sich damit eine Meinung zu bilden, sondern sie wollen Drosten diskreditieren und suchen nur Ausreden dafür. Aber auch das konnte einfach aufgeklärt werden:

Drostens Doktorarbeit erst seit 2020 verfügbar? Was wirklich dahinter steckt

Also musste die Strategie der Verschwörungserzählungen weiter geändert werden: Nicht mehr die Existenz der Arbeit wurde hinterfragt, sondern ihr legitimes Zustandekommen. An diesem Punkt startet die Mission „Revisionsschein“.

Strategiewechsel der Doktorarbeitsleugner: Die Causa „Revisionsschein“

Auf verschiedenen einschlägigen Seiten, die um Relativierung der Pandemie bemüht sind, war in den letzten Tagen und Wochen nämlich mal wieder ein angeblicher „Leak“ aufgetaucht. Angeblich habe die Universität, die Prof. Drostens Doktorarbeit betreute, zugeben müssen, dass ein gewisser „Revisionsschein“ fehle. Und dass solle bedeuten, dass Drostens Doktorarbeit zweifelhafter denn je sei. Bitte was?

Das müssen wir erstmal einsortieren. Dankenswerterweise haben uns die Kollegen von Correctiv wieder ordentlich Arbeit abgenommen. Anscheinend gab es nämlich bei der Frankfurter Goethe-Universität Unstimmigkeiten, was den Revisionsschein zur Doktorarbeit von Prof. Drosten angeht. Ein Revisionsschein ist, kurz gesagt, eine letzte Bestätigung vom Betreuer einer Doktorarbeit, bevor diese veröffentlicht wird. In dieser PDF lässt sich das auf Seite 14, Unterpunkt 5.1 nachlesen. Aber aufgepasst: Die PDF bezieht sich auf „Promotionen im Fachbereich 03“, also im Fachbereich Gesellschaftswissenschaften.

Natürlich gibt es auch für den Fachbereich Medizin an der Uni Frankfurt eine Promotionsordnung. In der ist keine Rede von einem Revisionsschein. Dass dieser für Drostens Arbeit nicht existiert, ist also schlicht und ergreifend dem unterschiedlichen Promotionsverfahren mit unterschiedlichen Promotionsordnungen in den jeweiligen Fachbereichen geschuldet. Das bestätigte auch der Sprecher der Universität, Olaf Kaltenborn, Correctiv gegenüber.

Kommunikationsfehler führt zu Verschwörungserzählung

Aber was ist denn dann eigentlich das Problem an der ganzen Geschichte? Die Antwort ist verblüffend einfach: Es gab schlicht einen Kommunikationsfehler seitens der Pressestelle der Universität. Diese hatte auf Nachfrage einem Markus Kühbacher (der sich auf Twitter als „Wissenschaftler“ bezeichnet) mitgeteilt, dass Drosten seine Promotionsurkunde nach Erteilung des Revisionsscheins erhalten habe – was natürlich nicht stimmen kann, wie wir oben gesehen haben. Offensichtlich lag hier ein Irrtum des Sprechers vor, welchen dieser später auch korrigierte. Einen Revisionsschein hat es nicht gegeben, da dieser gar keine Voraussetzung war.

Die Korrektur des Irrtums wurde dann aber unter Verschwörungserzähler:innen umgedeutet. Es sei ein „Eingeständnis“, für Drosten werde es „eng“. Allein die Existenz einer Falschaussage zuzüglich zur allgegenwärtigen Vermutung, da „stimme doch etwas nicht“, reicht aus, um das Narrativ einer gefälschten Doktorarbeit aufrecht zu halten. Dabei hatte die „Falschaussage“ weder mit dem Inhalt der Arbeit, noch mit der Person Prof. Christian Drosten etwas zu tun. Und auch schon lange nichts mehr mit der ursprünglichen Lüge, die Doktorarbeit hätte es gar nicht gegeben.

Fazit

Es spricht weiterhin alles dafür, dass Professor Drosten bei seiner Doktorarbeit weder geschummelt noch gefälscht hat. Dafür gibt es kein einziges Indiz. Die Nichtexistenz eines Revisionsscheins ist dem Promotionsverfahren im Fachbereich Medizin der Goethe-Universität Frankfurt geschuldet, nicht dem Wirken „dunkler Mächte“. Dass über einen solchen Schein überhaupt diskutiert wird, liegt nur an einem Irrtum eines Sprechers der Universität. Und dennoch glauben die, die daran glauben wollen, jetzt umso mehr an das Narrativ der „gefälschten Doktorarbeit“. Und merken nicht einmal, dass sie im Laufe der Monate ihre Behauptungen mehrfach geändert haben und ihren ersten Fake News widersprechen.

Es ist eine riesige Inszenierung und ein Trick der Pandemie-Leugner:innen

Der ganze Aufstand um eine derartig formale Frage mag übertrieben wirken. Zumal Prof. Drostens Reputation ohnehin nicht an seiner Doktorarbeit hängt – immerhin gibt es auf der Welt kaum einen Menschen, der im Bereich Virologie derart angesehen ist, wie er. Doch die Hintergründe dieses Narratives sind gefährlich. Verschwörungserzähler:innen und Rechtsextreme versuchen, das Vertrauen in anerkannte, demokratische Institutionen auszuhöhlen.

Es geht ihnen eigentlich gar nicht um irgendwelche Doktorarbeiten oder Revisionsscheine. Es geht ihnen darum, Menschen zu verunsichern und die Gesellschaft in einer bereits angespannten Lage in Panik zu versetzen. Deswegen müssen wir umso nachdrücklicher auf Fakten beharren, dürfen uns nicht dazu verleiten lassen, Verschwörungserzählungen auf den Leim zu gehen. Demokratie bedeutet Vielfalt der Meinungen, aber auf Basis von Fakten.

Artikelbild: Michael Kappeler/dpa / Volksverpetzer


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