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E-Autos: So manipuliert euch ein Diesel-Verein mit Fake aus altem Nuhr-Zitat

von | Jun 3, 2022 | Analyse

Billiger Anti-E-Auto-Fake

Boah, 2022, was für ein Chaos, oder? Ukrainekrieg, Sonnenblumenöl ist ständig alle, wir sollen Erdöl sparen, der Staat verbilligt Erdöl… die Lage ist unübersichtlich. Mindestens. Dazu Klimakrise, Digitalisierung, Corona ist noch da, Pflegenotstand und Verkehrswende, die Welt scheint aus den Fugen und viele Menschen sind verunsichert. Wie schön ist es da, wenn eine Facebookseite euch jeden Tag weismacht, dass einfach alles so bleiben wird wie immer? Wer Angst vor Veränderung hat, kann hier den benötigten Trost finden und sich ins Mantra eingrooven, dass nicht ihr euch an die Realität anpassen müsst, sondern diese nichtsnutzige Realität sich gefälligst mal an euch orientieren sollte, so sieht’s nämlich aus.

Diesel-Lobby-Verein

Die Rede ist von der Seite „Kein KFZ Dieselverbot in Deutschland“, die ihre 105.000 Follower bereits in ihrem Info-Text in der Sicherheit wiegt, die wahre Petrolheads dieser Tage in den klassischen Medien mit ihrem albernen Wahrheitsanspruch immer seltener finden. Die Seite ist eigentlich der Facebook-Auftritt eines Vereins mit dem Namen „Mobil in Deutschland e.V.“, der versucht, dem ADAC Mitglieder abzujagen. Info-Text:

„Moderne Diesel zählen zu den umweltfreundlichsten Antrieben die es gibt. Es macht daher überhaupt keinen Sinn, diese Vorzeigetechnik zu unterdrücken oder zu verbieten. Deutschland muss technikoffen bleiben. Nur so kommen wir voran.“ [sic]

Tja, das kommt vermutlich darauf an, was für Antriebe wir in die Auswahl nehmen. So ein Dieselmotor ist schon umweltfreundlicher als ein Raketentriebwerk oder eine kohlebetriebene Dampfmaschine, aber sobald wir Elektromotoren in die Auswahl aufnehmen, hat die „Vorzeigetechnik“ Dieselmotor ähnlich gute Aussichten auf einen Ökopreis wie ein Maulwurf Chancen auf eine Goldmedaille im Stabhochsprung:

Er verbraucht ein Vielfaches an Ressourcen, emittiert gesundheitsschädliche Substanzen, Abwärme, benötigt extra Harnstoff, damit er nicht noch gesundheitsschädlicher wird und alle CO2-Einsparungsstragien sind im Umstand verpufft, dass die Vehikel immer größer wurden. Dementsprechend schlecht ist diese Technologie für die Zukunft gerüstet.

Für mehr Autos – und Gejammer über Staus

Grundsätzlich stellt sich die Frage, warum es dem Mobil in Deutschland-Team überhaupt wichtig sein sollte, wie umweltfreundlich ein Dieselmotor ist, denn ein stabiles Weltklima scheint ihnen kein sonderliches Anliegen zu sein. Die Facebook-Seite besteht aus emotionalen Beiträgen gegen ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen, der Forderung nach Benzin-Subventionen wie dem Tankrabatt, der Selbstbeweihräucherung, wie toll Autos doch sind und der daraus folgenden Idee, dass es immer mehr werden sollten.

Es ist unfreiwillig komisch, dass diese Forderungen nach mehr Autos und höherem Erdölbedarf in einem winselnden Gejammer über Staus und hohe Spritpreise gipfeln, denn das sind vollkommen erwartbare Entwicklungen in einer Welt mit immer mehr PKW, privat gehandelten, endlichen Energieträgern und endlichem Straßenraum. Der Mobil in Deutschland e.V. könnte auch fordern, dass wir alle wie vor 300 Jahren wieder unsere Notdurft aus dem Fenster entsorgen und sich dann tränenreich beklagen, dass es überall entsetzlich stinkt und es wäre nicht absurder.

Anti-Grünen-Stimmungsmache, mitsamt Gewaltandrohungen in den Kommentaren

Das könnte also fast lustig sein, wenn dazwischen nicht immer wieder aggressive, martialische Warnung davor kämen, wie gefährlich die Grünen angeblich seien, was in den Kommentaren zu entsprechende Enthemmung inkl. Gewaltandrohungen, Bodyshaming allen möglichen Hassnachrichten gegen die Partei führt. Ebenfalls befremdlich ist der Beitrag darüber, dass der ADAC in Zukunft auch bei Fahrradpannen helfen will („die Vergrünung geht weiter“).

Generell scheinen alle Menschen ohne Auto mit Auspuff aus Sicht des Mobil in Deutschland e.V. und seiner Follower nichtsnutzige Trottel zu sein, die den aufrechten Diesel-Dieters im Weg stehen. Dementsprechend lebt die Seite von Fake-News und verzerrten Darstellungen, um die eigenen Mitglieder in der Wahnvorstellung zu halten, es werde in Zukunft alles so bleiben, wie es ist. Spoiler: Wird es nicht.

Seite voller Fakes und Verzerrungen

Einer der erfolgreichsten Facebook-Posts der Seite wurde am vergangenen Montag veröffentlicht, und ironischerweise diente dafür das veraltete Zitat eines altbekannten Prominenten, der selbst etwas die Orientierung verloren hat: Dieter Nuhr. Dieser hat 2019 mal drei absurde Sätze gesagt, die schon damals mehr Fehler als Wahres enthielten und im Jahr 2022 schlechter gealtert sind als die Compliance-Richtlinien des Axel-Springer-Verlags.

Na, wisst ihr noch, wie im Jahr 2019 alle über das Dieselfahrverbote diskutiert haben? Ja, das war insgesamt recht ernüchternd. Bitte nicht falsch verstehen, ich diskutiere wahnsinnig gerne über alles Mögliche, aber die Debatten vor drei Jahren waren primär von Verwirrung und Überforderung geprägt. So als würde man mit 10-jährigen über Immobilienfinanzierung diskutieren. Ein Grund war die Vielzahl unterschiedlicher Substanzen, die ein Diesel-PKW während der Fahrt so von sich gibt und die alle in rein zufälliger Reihenfolge in die vielen hilflosen Versuche einflossen, Dieselmotoren zu verteidigen.

Hier zur Übersicht eine kleine Auflistung:

  • CO2: Pro Liter Diesel emittiert ein Motor ungefähr 2,6 Kilo CO2. Das Einatmen üblicher Mengen ist für Menschen gesundheitlich vollkommen unbedenklich, die Gefahr liegt in der Fähigkeit dieses Moleküls, Wärmestrahlung zur Erde zu reflektieren und sie dadurch langfristig zu überhitzen.
  • Feinstaub: Ist wie der Name schon sagt sehr feiner Staub, bestehend aus Staubteilchen mit wenigen Mikrometern Durchmesser, also etwas kleiner als eine menschliche Zelle (25 Mikrometer). Dieser ist tatsächlich gesundheitsschädlich.
  • Schwefeloxid (SO2, SO3 und weitere): Ist ebenfalls gesundheitsschädlich, verursacht sauren Regen und gehört deswegen nicht in Babybrei oder sonst irgendeinen Brei. Entsteht ferner beim Verbrennen von schwefelhaltigen Brennstoffen, z.B. Kohle, Heizöl und eben auch Diesel. Unsere Autos fahren in der Regel mit entschwefelten Kraftstoffen, so dass die höchste Schwefelbelastung vom internationalen Schifffahrtsverkehr ausgeht. Falls ihr schon mal gehört habt, dass ein Kreuzfahrtschiff so schädlich ist wie ein paar Millionen Autos: Das ist eine Falschmeldung, die eben nur die Schwefeloxide von Schiffen und Autos verglichen hat.
  • Stickoxide (NOx): Ist ebenfalls gesundheitsschädlich und als einzige dieser Substanzen tatsächlich ursächlich für Dieselfahrverbote. Die anderen Moleküle sollten wir auch nicht mehr in die Atmosphäre entlassen als unbedingt nötig, aber bei der Diskussion, in welcher Hamburger Straße noch welche Diesel-Autos fahren dürfen, ging es ausschließlich um Stickoxide.

Ein Umstand, der Dieter Nuhr auch nach 12 Monaten Nachhilfe von der halben Internet-Community nicht in den Schädel zu bugsieren war. Er scheint all die Emissionen auf einen Würfel geklebt zu haben, um damit vor einem Beitrag zu entscheiden, mit welchem davon er nun seine persönliche Lieblingstechnik verteidigen wird. Und beim Würfeln hatte er wohl auch noch Pech, denn rein statistisch hätte er ja dann zumindest in einem Viertel der Fälle richtig liegen müssen.

3 Jahre altes, damals schon unplausibles zitat 2022 neu aufgekocht

Der Mobil in Deutschland e.V. nimmt nun ein Zitat aus einem seiner Beiträge, das schon vor drei Jahren unplausibel as hell war, schreibt „wie recht er hat“ drüber und guckt freudig dabei zu, wie sich der Hass auf Grüne und Menschen mit einem Interesse an gesunder Atemluft entfaltet. Ob die Macher des Beitrags selbst nicht kapieren, was für einen sagenhaften Mumpitz sie hier verbreiten oder bewusst ihre Follower für dumm verkaufen, konnte nicht abschließend geklärt werden. Laut Sharepic sagte Nuhr vor drei Jahren Folgendes:

„Wir wickeln gerade die Dieseltechnik ab, die nachweislich weniger CO2 erzeugt, weil wir Elektroautos kaufen sollen, die man nirgendwo laden kann. Bei dem die Batterien schon bei der Produktion so viel CO2 erzeugen, dass man mit dem Diesel 8 Jahre lang hätte fahren können. Aber die Batterien sind vegan und glutenfrei. Großartig!“

Aua. Also jetzt nicht nur, weil das alles so falsch ist

Selbst wenn es wahr wäre: Was für eine unlustige Satire-Sendung ist das bitte? Dieselautos sind fast so klimaschädlich wie E-Autos. Haha. Hier habt ihr noch einen Veganerwitz – haha. Das gucken sich Leute live im Fernsehen an? Das sind dann aber auch die, die bei jedem Vier-Viertel-Takt sofort mit klatschen, oder? Wenn Dieter Nuhr als nächstes einen Kuchen backen will, aber dann nur einen ungenießbaren Bröselhaufen hervorbringt, liest er dann aus lauter Ärger darüber in seiner Sendung das Rezept vor und nennt es Satire? Hey, wir können nichts dafür, dass ihr alle euer Geld in Diesel-Technik investiert habt.

Anyway, es ist halt nicht nur nicht lustig, es ist auch grober Unfug:

  1. Niemand hat 2019 die Dieseltechnik abgewickelt. Sieht man leicht daran, dass heute (3,5 Jahre später) auch noch knapp 15 Millionen Diesel-PKW durchs Land fahren und in der Zeit 2019 bis 2021 noch mal 2,5 Millionen neu zugelassen wurden.
  2. Die Nuhr’sche Motoren-Esoterik kommt zum Tragen: Bei Dieselfahrverboten ging es nicht um CO2, sondern um Stickoxide. Um deren hohe Werte in den Griff zu bekommen, gab es in einzelnen Straßen in einzelnen Städten Fahrverbote für alte Diesel. Auf neu zugelassene Diesel-PKW haben diese Fahrverbote keine Auswirkung. Mit CO2 hatten die Fahrverbote gar nichts zu tun.
  3. Erzeugt Dieseltechnik erheblich weniger CO2? Kommt jetzt drauf an, wie man „erheblich“ definiert. Ein Diesel-Golf liegt auf 100 km bei 15 kg CO2, ein Benziner hingegen bei 18 kg CO2. Ist in der Tat weniger, aber bei 48 Mio. PKW ist auch das viel zu viel, um unsere Klimaziele einzuhalten.
  4. Die Anzahl der Ladesäulen hat sich in Deutschland auf 50.000 normale Ladepunkte mit 22 kw und 8.000 Schnelllader mehr als verdoppelt, seit Nuhr das gesagt hat. Deswegen immer Vorsicht mit uralten Prognosen, deren Wahrheitsgehalt ein paar Jahre später an der Realität zerschellen könnte. 😉
  5. Ein deutscher Diesel-PKW erzeugt in 8 Jahren mehr CO2 als ein E-Auto. Viel mehr. Nuhr hat die Zahl aus einer Studie von 2017, die laut den Autor:innen schon 2019 veraltet war. Jetzt haben wir 2022, Batterien werden jetzt schon so energie- und damit emissionsärmer hergestellt, dass der Klimarucksack für eine 55-kWh-Batterie im Schnitt nach 35.000 bis 45.000 Kilometern erreicht ist.

Nicht die Grünen sind Schuld – die CSU hat es verbockt

Übrigens war es auch nicht der Plan der Grünen, Dieselfahrverbote einzurichten, wie dort in vielen Kommentaren zu lesen ist, im Gegenteil: Die Stickstoff-Grenzwerte wurden bereits 2008 von der EU vorgegeben und es kam in den Folgejahren immer wieder zu Nachfragen, wie Deutschland diese Werte einzuhalten gedenke. Das Verkehrsministerium war ab 2009 in CSU-Hand und so hoffte man dort, die strengeren Grenzwerte durch angestrengtes Beten und Hoffen zu erreichen, was überraschenderweise komplett fehlschlug. Dankeschreiben für diese weitsichtige wie verantwortungsvolle Politik könnt ihr bitte ans Franz-Josef-Strauß-Haus in München schicken.

Das ganze Desaster war die Folge eines CSU-Verkehrsministeriums, das allen Diesel-Besitzer:innen Deutschlands mit 10 Jahren Anlauf kräftig in den Hintern trat, woraufhin viele von denen wütend auf die Grünen waren. Verstörend. Die EU-Abgasnorm wird voraussichtlich 2025 erneut verschärft und wir dürfen alle gespannt sein, mit welch klugen Maßnahmen unser neue Verkehrsminister Wissing das Land darauf vorzubereiten gedenkt.

Beim Mobil in Deutschland e.v. hat man für all diese Probleme übrigens bereits eine Lösung auf die Flyer gedruckt: E-Fuels. Der Plan: Deutschland behält all seine Diesel-PKW und tankt diese in Zukunft mit klimaneutralen, synthetischen Kraftstoffen. So etwas gibt es in der Tat: Mit Wind- oder Solarstrom lässt sich per Elektrolyse Wasserstoff herstellen, und daraus können wir dann grünes Methanol herstellen, grünes Ammoniak oder eben grünen Motorenkraftstoff.

Mit E-Auto kommt man 8 mal so weit wie mit E-Fuels

Haken daran: Es kostet sehr viel Wind- und Solarstrom, ihn herzustellen. Ein VW Golf kann mit einem Liter davon 17 Kilometer fahren, aber es kostet auch 27 Kilowattstunden, ihn herzustellen. Ladet ihr ein Tesla Model 3 direkt mit dieser Strommenge, kommt es damit 142 Kilometer weit, also die ca. achtfache Strecke. Bei der Herstellung synthetischer E-Fuels verschwenden wir also so viel Energie, dass wir die am besten nur dort verwenden, wo wir mit Strom nicht weit kommen, also in Schiffen, Flugzeugen oder Landmaschinen.

E-Fuels werden voraussichtlich außerdem recht teuer. Das ist insofern lustig, dass dieser Verein ja jetzt schon über die Benzinpreise jammert, die einfach aus normaler Marktlogik mit Angebot und Nachfrage teuer wurden. Und jetzt schlagen dieselben Typen eine Lösung vor, die noch teurer wird? Was für eine skurrile Vereinigung. Zudem müssen wir so schnell wie möglich klimaneutral werden, was mit einer Flotte von 48 Millionen E-Fuels tankenden PKW um Jahre nach hinten verzögert würde.

Gegen erneuerbare Ideen und teure Spritpreise – aber für eine Lösung, die noch teurer ist und viel mehr Erneuerbare braucht?!

Die Kommentare bei Mobil in Deutschland, nicht nur beim Nuhr-Zitat, wirken nicht gerade so, als seien da viele Fans für den Ausbau von Wind- und Solarkraft zu finden. Stattdessen möchten die, dass andere Länder entsprechend stark zubauen und wir möglichst viel importieren. Was sollte da schon schiefgehen? *hust* Russland *hust hust*

Am Ende steht hier also ein Verein ewiggestriger Dieseltypen, die ausgerechnet den veralteten Unfug eines Verkehrsesoterikers posten, welcher auch schon vor 3 Jahren klar als Unfug erkennbar war. Sie wollen, dass alle möglichst viel Auto fahren, aber das soll maximal billig und ohne Staus vor sich gehen und bitte auch klimaneutral und mit der energiehungrigsten Methode, die dafür technisch zur Verfügung steht.

Und zum Beweis, wie schlecht das eigene Publikum mit der Materie vertraut ist, feiern die diesen konfusen Beitrag auf >120.000 Reaktionen.

Zum Thema:

Zockt uns das Spritkartell ab & subventioniert der Tankrabatt nur ihre Gewinne?

Artikelbild: shutterstock.com Lensw0rId / Screenshots

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