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Denk dran: Die großen Konzerne wissen seit 50 Jahren vom Klimawandel

von | Jun 23, 2023 | Analyse

Kommentar

In Debatten zum Klimaschutz wird gern die Verantwortung des Einzelnen in den Fokus gestellt – auf die eine oder andere Art. Und auf jeden Fall ist es eine gute Sache, wenn du auf Fleisch verzichtest, lieber mit dem Zug fährst, als zu fliegen und statt Privatauto eine BahnCard hast. Jemand muss mit gutem Beispiel vorangehen und auch die Nachfrage senken. Aber es ist nicht deine Schuld, dass die Klimakrise unaufhaltsam voranschreitet. Eine neue Studie zeigt auf, dass die Großkonzerne, die unser Klima verschmutzen, schon vor 50 Jahren genau vorhersagten, wie sich das Klima verändern wird. Und es verschwiegen, sogar aktiv manipuliert. Sie wussten es die ganze Zeit, haben uns belogen und dabei Unmengen an Geld verdient. Trotzdem sollst du für die notwendige Energiewende aufkommen?

Wer blockiert den Klimaschutz?

Es ist erschreckend: Manchmal fühlt es sich mittlerweile wie ein abgestumpftes Mantra an, auf die immer extremeren Auswirkungen der Klimakrise hinzuweisen. Die Ereignisse werden immer schlimmer, doch die politischen Reaktionen immer planloser und apathischer. In Deutschland sind laut RKI im vergangenen Jahr rund 4.500 Menschen wegen der Hitze gestorben. Europaweit beziffert Klimaexperte Stefan Rahmstorf die Kosten der Klimakrise allein im Jahr 2022 auf 100.000 Menschenleben. Ja, das passiert alles gleichzeitig, während Rechtspopulisten wie Markus Söder und Hubert Aiwanger versuchen, uns zu überzeugen, dass extrem effiziente Wärmepumpen so etwas wie der Teufel höchstpersönlich sind. Über den absurden „Heizungsideologie„-Diskurs berichteten wir bereits:

Wenn man sich mit dem Thema Klimaschutz auseinandersetzt, endet man oft in einer Mischung aus Ungläubigkeit (Wie kann es sein, dass wir fast nichts gegen die Klimakrise tun?) und Wut (Warum tun die Verantwortlichen nicht mehr gegen die Klimakrise?). Es fühlt sich fast so an, als würden geheime Mächte im Hintergrund jegliche Bemühung im Keim ersticken. Doch hier kommt eine der wenigen guten Nachrichten zum Thema: Hier gibt es keine Verschwörungsmythen oder „Die da oben“-Geraune. Und es gibt auch keine „geheimen Mächte“. Es gibt die Umweltsäue und wir können sie klar benennen: Es sind die Konzerne.

They Knew!

Never Forget: They Knew“ – so treffend titelte der US-Blog Daily Kos Anfang Juni. Sie beziehen sich dabei auf eine Studie, die diesen Januar in der Science veröffentlicht wurde. Die Autor:innen der Studie, zu denen neben Stefan Rahmstorf unter anderem auch Geoffrey Supran, Forscher für Wissenschaftsgeschichte an der renommierten Universität Harvard zählt, zeigen darin, dass ExxonMobil schon seit den 1970er Jahren ganz genau Bescheid wusste, dass der Klimawandel existiert, aber auch wie die Erderwärmung ablaufen wird und dabei Zugriff auf Modelle hatte, die ähnlich exakt waren wie die der unabhängigen oder staatlich finanzierten Wissenschaftler:innen.

Falls ihr euch jetzt fragt: „Moment mal, ist das nicht genau das ExxonMobil, welches den historisch vierthöchsten Ausstoß klimaschädlicher Emissionen aller Unternehmen hat?“, dann habt ihr absolut Recht. Und ihr habt auch recht, dass es ein wenig seltsam wirkt, wenn ein solcher klimafeindlicher Konzern gleichzeitig auf dem 8. Platz der Forbes Global2000-Liste der größten Unternehmen weltweit steht, während in Deutschland Studierende monatelang auf einen Heizkostenzuschuss von 200 Euro warten müssen und der Finanzminister den Bürger:innen erzählt, dass der Staat leider sparen muss.

Das Geld für den Klimaschutz fehlt nicht. Es ist nur denkbar schlecht verteilt. Genauso wie Schuld und Verantwortung, die nur zu gern auf die Schultern der einfachen Menschen gelegt werden.

Schuldabwälzung auf Individuen

Da du den Volksverpetzer liest, kommt dir das vielleicht bekannt vor. Wir berechnen unseren ökologischen Fußabdruck, sehen das erschreckende bis katastrophale Ergebnis, fühlen uns schrecklich. Dann überlegen wir, wie wir unser Verhalten verbessern können, damit das Gefühl nicht mehr ganz so schrecklich ist. Vegane oder wenigstens vegetarische Ernährung, keine Flugreisen mehr, ÖPNV statt Auto, regionale Produkte kaufen. Schon fühlen wir uns zumindest etwas besser, die nagende Schuld ist ein wenig zurückgedrängt.

Doch was wir bei allem lobenswerten Eifer für eine klimafreundliche Lebensweise dabei vergessen: Radikale Veränderung für das Klima erreichen wir damit auf globaler Ebene nicht. Ganz offensichtlich nicht. Seit Jahren wird Veränderung gefordert, für mehr Klimaschutz demonstriert. Versteh mich bitte nicht falsch, es ist gut und richtig, die oben genannten Veränderungen in seinem eigenen Leben anzustoßen. Doch wir dürfen uns dabei nicht das Hirn waschen lassen und glauben, es wäre allein unsere individuelle Verantwortung, den Klimawandel durch unser Verhalten zu stoppen und unsere eigene, individuelle Schuld, wenn wir es nicht schaffen.

Solange wir in einem System leben, in dem Konzerne so viel Macht und Einfluss durch ihr Kapital haben, ist es naiv zu glauben, dass genau jene keine Verantwortung übernehmen müssen. Aber in einer Marktwirtschaft ist ihr einziger Antrieb der Profit, Klimagerechtigkeit ist für den Konzern nur so lange relevant, wie die CEOs sich ausrechnen, damit ihre Marktposition zu halten oder zu verbessern und die Gewinne zu steigern. Womit wir beim nächsten Thema wären.

Greenwashing

Es klingt immer wieder zu schön, um wahr zu sein: Eine Fluglinie, die niedrige Preise und auch noch die niedrigsten Emissionen verspricht, ein Möbelhaus, welches unter dem FSC-Goldstandard produziert und so weiter. Und weil es zu schön klingt ist es eben in der Regel auch nicht wahr. RyanAir hat einfach mal behauptet, dass sie die grünste Airline Europas sind – Beweise dafür haben sie keine. Und IKEA mag zwar das FSC-Siegel haben, aber das hindert sie nicht daran, illegal in der Ukraine Holz zu hacken und dieses für ihre Produkte zu verwenden. Diese Praxis, Greenwashing genannt, tritt immer wieder auf, der Blog thesustainableagency.com hat einige der jüngsten Beispiele gesammelt. Das Umweltbundesamt definiert Greenwashing folgendermaßen:

Allgemein versteht man unter „Greenwashing“ den Versuch von Organisationen, sich insbesondere durch Maßnahmen im Bereich Kommunikation und Marketing ein „grünes“ bzw. „nachhaltiges“ Image zu geben, ohne entsprechende, nachhaltigkeits-orientierte Aktivitäten im operativen Geschäft tatsächlich systematisch umzusetzen.

Quelle: Umweltbundesamt

Das ist kein Problem, welches nur IKEA oder RyanAir betrifft. Die Konzerne machen das auch nicht, weil sie heimliche Bösewichte sind. Wir sind hier nicht in einem Hollywood-Film, sondern im Kapitalismus. Diese Konzerne begehen Greenwashing, wie gesagt, weil sie sich davon Gewinnmaximierung erhoffen. Sie sehen Klimabewusstsein als gesellschaftlichen Trend, den ihre Marketingabteilungen beachten müssen und aus dem sie einen „Wettbewerbsvorteil“ schlagen können. Das geben die Marketing-Gesellschaften auch ganz offen zu:

Screenshot Marketing-Agentur Mandelkern.de

Regularien sind noch zu lasch

In einer demokratischen Marktwirtschaft muss der Staat die Rahmenbedingungen vorgeben, sodass Konzerne der Gesellschaft nicht aktiv schaden. Denn dass das allein kein Hindernis ist, wenn man dennoch Profit machen kann, zeigt die Geschichte. Das EU-Parlament arbeitet schon länger daran, zumindest für die EU-Staaten Regeln zu erlassen, die das Greenwashing effektiv eindämmen.

Auch aktuell sind wieder Verschärfungen geplant, die es den Konzernen schwerer machen sollen, ihre absolut nicht klimafreundlichen Produkte und Dienstleistungen als „umweltfreundlich“ oder gar „klimaneutral“ zu verkaufen. Noch etwas mehr unter dem Radar der Öffentlichkeit läuft das Greenwashing im Finanzsektor. Angeblich nachhaltige Fonds können kaum mehr für Klima und Umwelt leisten als herkömmliche. Auch dazu wurden schon mehrere Studien veröffentlicht, zuletzt 2021 [PDF] und 2023 [PDF].

Man mag sich jetzt fragen: Ist es nicht eigentlich Aufgabe der Politik, genau das zu verhindern? Geben wir nicht genau dafür unseren Vertreter:innen in den Parlamenten die Macht, Gesetze zu erlassen? Stimmt – nur leider ist Greenwashing nicht das einzige strukturelle Problem in unserer Gesellschaft. Herzlich willkommen in der Welt der Klimakorruption.

Klimakorruption

In demokratischen Systemen sollten Abgeordnete in den Parlamenten eigentlich unabhängig von den Interessen großer Konzerne debattieren und abstimmen können. Dieser Kerngedanke findet sich sogar in Artikel 38 des Grundgesetzes:

(1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

Grundgesetz Art. 38, Hervorhebungen VVP

Die großen Konzerne finden dennoch Wege, zu ihren Gunsten Einfluss auf die Entscheidungen im Parlament zu nehmen. Da ist zum Beispiel Frank Schäffler, FDP-Abgeordneter im Bundestag. Seine Denkfabrik „Prometheus“ wird unter anderem vom fossilen Konzern Exxon-Mobil finanziert. Wie Schäffler, der sich selbst schon als „Klimaskeptiker“ bezeichnete, im Namen seiner fossilen Geldgeber unsere Klimapolitik blockiert, berichteten wir bereits ausführlich:

Er ist einer der FDP-Politiker, die maßgeblich dahinter steckten, dass das lange geplante und mehrfach schon von der FDP bestätigte Heizungsgesetz ziemlich nutzlos gemacht wurde.

Wie die Gaslobby mitregiert hat

Doch es sind nicht nur einzelne Abgeordnete, die sich zu Helfershelfenden der fossilen Konzerne machen lassen. Die zwielichtigen Verbindungen zwischen Politik und fossiler Wirtschaft sind noch systematischer, reichen noch tiefer. So berichtete Correctiv im März, wie die Deutsche Entwicklungsbank (DEB) im Namen der Entwicklungspolitik in fossile Energien investierte. Gleich mehrere Stadtwerke finanzieren Gaslobbyverbände von den Geldern ihrer Kundinnen und Kunden, also der Bürger:innen. Über eine große Analyse, wie die Gaslobby uns systematisch über Jahre quasi mitregiert hat, haben wir hier berichtet:

Schon 2013 kam eine Studie zu dem Ergebnis, dass pro Jahr weltweit fast eine Milliade Dollar an das sogenannte Climate Change Counter Movement (CCCM) fließt. Im CCCM waren schon damals über 90 Akteure aus der fossilen Industrie und dem konservativen politischen Spektrum aktiv. Die Auswirkungen dieser Anti-Klimaschutz-Bewegung sind weltweit massiv. Ohne Lobbyarbeit ist es zum Beispiel schwer zu erklären, warum ausgerechnet der CEO des Ölkonzerns Adnoc den Vorsitz der nächsten Weltklimakonferenz (Ende des Jahres in Dubai) übernehmen soll. Der Kapitalismus treibt schon sehr absurde Blüten.

Ach so, über die Verbindung zwischen dem Axel-Springer-Verlag – der über die BILD oft gemeinsame Sache mit Politikern wie Schäffler macht – und der private equity corporation KKR haben wir jetzt noch gar nicht geredet: Der Verlag gehört zu Teilen KKR, eines der weltweit größten private equity Firmen, die noch in fossile Energie investieren. Wie deren massive Manipulation gegen mehr Klimaschutz funktioniert, haben wir schon sehr oft ausführlich behandelt. Das erklärt dann auch, warum die BILD (Teil des Axel-Springer-Medienimperiums) so absurd über Wärmepumpen lügt:

Fazit

Also nochmal: Vegane Ernährung, Radfahren, ÖPNV nutzen, Strom sparen – das sind alles Dinge, die du tun kannst und solltest, die unabhängig von der großen Politik einen positiven Einfluss haben. Aber lass dir nicht von den Konzernen mit ihren Greenwashing-Kampagnen einreden, dass die Verantwortung und die Schuld für den Klimawandel bei dir persönlich liegen. Solange milliardenschwere Konzerne die Umwelt verschmutzen und das Klima zerstören, nur weil sie damit mehr Profit machen, hilft leider auch noch so nachhaltiger, individueller Lebensstil nicht viel. Besonders wenn sie viele der Milliarden dann in Medien und Parteien investieren, die Desinformation über die Klimakrise verbreiten und die notwendigen Klimagesetze blockieren.

Das klingt natürlich erstmal deprimierend: Wenn die großen Konzerne sowieso nach den Gesetzen des Profits und nicht nach denen der Nachhaltigkeit handeln, was kann ich als Bürger:in dann überhaupt ändern? Das Gute ist: Es gibt sehr wohl Möglichkeiten, etwas zu ändern. Weil es nicht ein diffuses „Die da oben“ gibt, sondern klar benennbare Akteure, die zu wenig demokratischer Kontrolle unterliegen. Das kann man ändern! Der offensichtlichste Schritt ist: Geh wählen, beschäftige dich mit Politik und mach dein Kreuz bei einer Partei, die ernsthaft Dinge verändern will!

„Politik verändert eh nichts“ – alternative Optionen

Aber auch wenn du enttäuschst von der Politik bist – was man ja absolut verstehen kann -, wenig Zeit dafür hast oder sich das aus anderen Gründen nicht richtig anfühlt, gibt es Optionen. Informiere dich über Gewerkschaften in deiner Branche, schließe dich mit anderen Leuten zusammen. So kannst du nicht nur deine ganz persönlichen Arbeitsbedingungen verbessern, sondern auch helfen, ernsthafte Veränderungen gegen das Profitinteresse der Konzerne und für Umwelt und Klima zu leisten. Es gibt Möglichkeiten, Dinge zu verändern – auch wenn diejenigen, die vom aktuellen Zustand profitieren, das natürlich nicht so gern hören.

Es gibt auch viele tolle, unabhängige Online-Blogs, die du mit Spenden unterstützen kannst. LobbyControl setzen sich zum Beispiel für ein transparenteres Lobbyregister ein. Abgeordnetenwatch arbeitet ebenfalls daran, mehr Transparenz zu schaffen. Dort findest du gesammelt Informationen zu allen Abgeordneten des Bundestages. Oder schau bei den Kolleg:innen von correctiv vorbei, dort findest du Faktenchecks und investigative Recherchen. Es ist ein anstrengender Weg hin zu einer besseren Welt, aber es lohnt sich, ihn zu gehen!

Ein häufiges Narrativ ist „Wir können uns so viel Klimaschutz nicht leisten“. Aber wenn wir ehrlich sind, ist auch das nur ein Ablenkungsmanöver vom tatsächlichen Problem: Wir können uns so einflussreiche, milliardenschwere Superreiche und so rücksichtslose fossile Konzerne nicht mehr leisten.

Artikelbild: canva.com