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Maaßen: Die rechtsradikale Strategie hinter dem wirren Baerbock-Tweet

von | Jun 7, 2021 | Analyse

Die Hundepfeife für rechts

Hans-Georg Maaßen ist ein rechter Troll. Der Ex-Verfassungsschutzpräsident, der für die CDU bei der Bundestagswahl als Direktkandidat antritt, hält sich unzweifelhaft in der rechten Ecke auf. Nicht, weil man ihn da hingestellt hat, sondern weil er regelmäßig selbst da hingeht. Wir haben es in der Vergangenheit bereits analysiert: Maaßen gibt regelmäßig Rechtsextremisten und rechtsextremen Publikationen Interviews und verbreitet rechtsextreme Inhalte, Narrative und Codes.

Faktencheck Neubauer: Maaßen teilt wirklich antisemitische & rechtsextreme Inhalte

Die Schlagworte, Narrative, sein Umfeld und die Inhalte und Feindbilder, die er verbreitet, sind unzweideutig der „Neuen Rechten“ zuzuordnen und vielen Gruppen, die er in seinem Amt bis 2018 noch hätte überwachen sollen.

Ex-Verfassungsschutz Maaßen retweetet Lügen von Rechtsradikalen

Rechtsextreme Codes

Nach Kritik von Luisa Neubauer gaben ihr viele Expert:innen recht. Stephan Kramer, Präsident des Thüringer Amtes für Verfassungsschutz, stellt ebenfalls fest, dass Maaßen sich antisemitischer Stereotype bedient (Quelle):

„Das sind für mich klassische antisemitische Stereotype, die benutzt werden bei Herrn Maaßen, wenn man die Summe aller Dinge zusammennimmt, auch auf den unterschiedlichen sozialen Plattformen, aber auch in eigenen Reden. Da gibt’s eigentlich nichts Entlastendes mehr zu bemerken. Er nutzt antisemitische Stereotype, um auf Stimmenfang zu gehen. Und ich glaube, als solches muss man es auch einfach bezeichnen.“

Auch publizierte Maaßen im Magazin „Cato“ ein entlarvendes Essay, dessen skizzierte Weltanschauung rechtsextreme Codes offenbart, die zur „Neuen Rechten“ passen, aus denen sich auch die AfD speist. Der rechtsextreme Code „Globalisten“ wird von Maaßen nachweislich verwendet, worauf unter anderem die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung und die Bundeszentrale für politische Bildung hinweisen.

Auch Rechtsextremismusforscher Matthias Quent stellt fest, dass sich Maaßen in der ideengeschichtlichen Tradition antisemitischer und rechtsextremer Weltbilder bewegt. Also unzweifelhaft in ideologisch extrem rechten Kreisen. Er teilt deren Feindbilder und auch deren Verschwörungserzählungen. Das stellen alle demokratischen Parteien fest. Und die Rechtsextremen sehen das offenbar auch so:

Der relevante Kontext für den ACAB-Tweet

In diesem wichtigen Kontext muss man einen viral gegangenen Tweet von Maaßen über Annalena Baerbock betrachten. Dieser twitterte, dass die Initialen aller Vornamen Baerbocks „ACAB“ lauten, also wie „All Cops Are Bastards“. Er fragte dazu „Zufall oder Chiffre?“

Dafür erntete er gleichermaßen viel Spott wie Entsetzen. Viele machten sich über diese augenscheinlich sinnfreie Unterstellung lustig, andere verurteilten sie.

https://twitter.com/BerlinerNotizen/status/1401279753055768576

Die Union reagierte mit heftiger Kritik und Verurteilung auf ihren eigenen Kandidaten. CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak sagte: „Dieser Tweet ist unmöglich, unsäglich.“ CSU-Generalsekretär Markus Blume sagte der „Bild“, er empfinde Maaßen „tatsächlich als Belastung im Wahlkampf“. Auch der Sieger der Wahl in Sachsen-Anhalt, CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff, kritisierte Maaßen (Quelle). Das ähnliche und heftigere Kritik aus allen anderen demokratischen Parteien kam, ist an dieser Stelle auch selbstverständlich.

Aber beide Reaktionen machten eins deutlich: Sie nahmen die Aussage ernst.

Und natürlich muss man die Aussagen Maaßens ernst nehmen. Als Bedrohung. Denn wenn eine Person, deren Aussagen und Weltanschauung offenbar in der AfD nicht weiter auffallen würden, für die CDU in den Bundestag will, ist das extrem relevant. Dass Maaßen mit diesem Tweet keine gute Figur gemacht hat bei allen demokratischen Parteien, ist inzwischen klar. Aber wer den Tweet teilte, sich darüber aufregte oder lustig machte, verkennt wohl auch den eigentlichen Sinn dahinter. Denn Maaßen ist nicht (mehr) ein normaler CDU-Kandidat. Er ist ein rechter Troll.

Das ist die Strategie, mit der die AfD, aber auch Trump erfolgreich waren: Unsägliche, ja, wahnwitzige Dinge sagen, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Die krasse Kritik an Trump oder der AfD hat ihnen ja zumindest kurzfristig nicht geschadet. Damit kann man in manchen Bundesländern zweitstärkste Partei werden oder US-Präsident. Wir als Gesellschaft – besonders als diejenigen, die gegen Hass, Hetze und Lügen kämpfen – müssen endlich lernen, dass nicht alles für alle so offensichtlich verwerflich ist, wie wir das glauben mögen. Denn Maaßen hat die extrem negativen Reaktionen auf seinen Tweet gefeiert.

Zu „grün-linke Hetzer“ zählen allerdings wohl auch Parteikolleg:innen.

„Gerne mehr!“ und „grün-linke Hetzer“: Die Selbstinszenierung als Opfer

Die Aufregung und Empörung ist nicht die Strafe für Maaßen auf dessen Tweet, sondern dessen Ziel. Wir Demokrat:innen müssen endlich nach all den Jahren AfD und Trump lernen, dass die Menschen, die Zielgruppe für AfD, Trump und Maaßen sind, in einer eigenen Welt leben. Sie sehen etwas völlig anderes. Dieser Tweet Maaßens war ein einziger dog whistle, eine Hundepfeife. Ein Ton, den nur die gewünschte Zielgruppe hört. Klar, das, wofür er kritisiert wird, ist drin: Er unterstellt Baerbock Linksextremismus. Er weiß das, wir wissen das, seine Fans wissen das. Die finden das ja gut. Das ist ja das, was sie auch glauben.

Aber Maaßen ist nicht dumm. Er kann locker sagen, dass er ja gefragt habe, ob es Zufall sei oder eine Chiffre. Er hat es ja nicht direkt gesagt. Und viel eher kann man sagen: Das war halt der Versuch von „Satire“. Denn was Maaßen hier wirklich sagen wollte, ist: Klar ist diese Unterstellung dumm und lächerlich. Baerbock kann nichts dafür, wie sie von ihren Eltern genannt wurde. Es kann gar keine Chiffre sein. Und wichtiger: Wer anderen Chiffren unterstellt, ist deshalb nur ein dummer Verschwörungsideologe und macht sich lächerlich. Versteht ihr? Weil IHM rechtsextreme Chiffren vorgeworfen werden. Er macht sich über die berechtigte Kritik an ihm lustig, indem er einen hinkenden Vergleich macht. Denn dass Baerbock mit diesem Namen auf die Welt kam, dafür kann sie nichts. Welche Code-Worte Maaßen benutzt, dafür kann er auf jeden Fall etwas.

Das ist die Botschaft, die seine Zielgruppe vom rechten Rand sieht. Chiffre-Vorwürfe werden lächerlich gemacht UND man macht einen „Scherz“, der das eigene Weltbild bestätigt. Rechter Humor funktioniert stets so, dass er weiß, dass die gesagten Dinge nicht zwingend wörtlich wahr sind, aber ja irgendwie doch richtig. Sie „fühlen“ sich richtig an. Da verschwimmt die Grenze zwischen „Satire“ und Tatsache sofort. Was Fake News sind, ist für Rechtsextreme im Zweifel ein Scherz, der aber auch schon passt. Deshalb halten sie die Aufregung und die Kritik daran auch für so überzogen. Weil sie in ihrer kognitiven Dissonanz leben, in der ihre „Satire“ ernst ist, aber halt auch nicht wahr sein muss.

Die Empörung ist das Ziel

Dass die meisten Menschen beim Tweet den Kopf schütteln, kann Maaßen egal sein. Er wird von diesen ohnehin nie gewählt. Das verstehen viele nicht, auch was „Querdenken“ angeht: Dass dich die meisten Menschen hassen oder verachten, ist völlig egal, wenn du das lieferst, was deine Zielgruppe sehen möchte. Manche wollen explizit nicht Politik für alle machen. Für die eigene Filterblase ist es aber ein Erfolg. Man hat die „grün-linken Hetzer“ getriggert. „Owning the libs“, eine Inszenierung, in der man nur seinen Fans vorspielt, wie man das Feindbild erledigt, ist für die US-Republikaner:innen und auch die AfD teilweise der einzige Daseinsgrund.

Fahrspurende & weitere Blamagen – was sich die AfD von Peinlichkeiten erhofft

Unsere Aufregung ist für diese Leute das Zeichen, alles richtig gemacht zu haben. Wenn sich die „Falschen“ aufregen, muss man selbst ja das Richtige machen. Natürlich hinkt der Vergleich, natürlich sind das Whataboutismen, natürlich sind das Denkfehler, natürlich macht das alles keinen Sinn, aber diese Leute leben in ihrer eigenen Welt. Die kriegen die meiste Kritik, Argumente und Fakten gar nicht erst mit. Filterblasen sei Dank. Alles, was die von „der anderen Seite“ hören, sind die schlechtesten Argumente, aus dem Kontext gerissene Zitate oder einfach Lügen darüber, was die Demokrat:innen denken oder sagen.

Was also tun?

Als Demokrat steht man also im Spannungsfeld zwischen Anprangern und Ignorieren wegen Streisand-Effekt. Die Empörung kann Maaßen nutzen, um vor seiner Rechtsaußen-Bubble anzugeben. Letztlich stärkt es ihn. Dort. Andererseits muss man ja darüber sprechen, was dieser Mann so verbreitet und für welche Werte er steht. Es geht auch darum, genug Menschen im September zu mobilisieren, um seine Direktkandidatur zu verhindern, um seinen Einfluss in der CDU zu verringern, die auch in großen Teilen unzufrieden mit ihm ist. Noch möchten sich die meisten Konservativen eigentlich von solchem Gedankengut abgrenzen, was ja extrem wichtig und richtig ist.

Ich empfehle deshalb nicht zwingend das Totschweigen. Wir müssen uns nur darüber bewusst sein, dass rechte Trolle nicht nach den normalen Regeln spielen. Nach Jahren AfD und Trump sollten wir das doch endlich gelernt haben. Die Fronten sind verhärtet, vielleicht lohnt sich Kritik auch einfach nur dann, wenn es auch wirklich etwas Substanzielles zu kritisieren gibt. Und klar: Der Whataboutismus zu den Rechtsextremismus-Vorwürfen gegen Maaßen selbst, der im Subtext versteckt ist, den kann man ansprechen. Allerdings ist der schnelllebige Diskurs nicht vorbereitet für tiefere Analysen. Aber das planen die Fischenden am rechten Rand ja mit ein. Es geht nur um Symbole und darüber, wie die Dinge aussehen, und wer „gut“ und wer „böse“ ist.

Es ist gut, dass sich Rechtsradikale selbst entlarven vor der breiten Masse, die immer noch demokratisch ist und bleibt. Und das müssen wir auch verstärken. Wir müssen die kleine rechtsextreme Blase allerdings auch verstehen, wenn wir sie bekämpfen wollen.

Ergänzung 14:00 – Ich hatte recht

Gleichzeitig, während ich diesen Artikel verfasste, veröffentlichte Maaßen einen Tweet, der meine ganze Analyse bestätigte. Er erklärte selbst, dass es ein „ironischer Tweet“ gewesen sei, und dass „geheime Codes“ angeblich „absurd“ seien. Exakt, was ich sagte.

Maaßens fadenscheinige Behauptung ist natürlich weder vergleichbar noch richtig. Maaßen will bewusst verwirren und ablenken. Seine (ironischen) Vorwürfe an Baerbock waren lächerlich, das macht die Vorwürfe gegen ihn selbst nicht magischerweise auch lächerlich. Das ist der rhetorische Trick. Maaßen spielt für die rechtsextreme Blase die intellektuelle Analyse, die einfach nur sie selbst in ihrer Weltanschauung bestätigen soll. Gerade er als Ex-Chef des Verfassungsschutzes weiß eigentlich ganz genau, dass rechtsextreme Codes sehr wohl auch „Fakten und Inhalte“ sind. Das sagt seine ehemalige Behörde sehr deutlich (Quelle). Maaßen betreibt ein Ablenkungsmanöver. Natürlich war sein erster Tweet nicht ernst gemeint, deshalb geht Kritik daran fehl. Seine wahre Bedeutung ist allerdings genauso falsch und problematisch.

Artikelbild: Michael Reichel/dpa

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