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Trägt dieser ukrainische Soldat Nazi-Aufnäher?

von | Okt 11, 2022 | Analyse

Der völkerrechtswidrige russische Angriffskrieg auf die Ukraine dauert nun seit über 7 Monaten an. In den letzten Wochen mehrten sich die Meldungen über ukrainische militärische Erfolge, wie beispielsweise bei der strategisch wichtigen Befreiung der Stadt Lyman. Die russischen Invasoren befinden sich immer mehr in der Defensive. Doch dem russischen Präsidenten Wladimir Putin droht nicht nur militärisch, sondern auch im eigenen Land eine Niederlage. Spätestens mit der teilweisen Mobilmachung vom 21.09. betrifft der Krieg immer mehr Russ:innen direkt. Auch ursprünglich loyale, mächtige Männer aus der Elite wurden zuletzt lauter mit ihrer Kritik an der Armeeführung.

Bild von Nazi-Aufnäher: Passt gut in Putins Propaganda

Putin muss also fürchten, dass auch intern die Stimmung gegen den Krieg kippen könnte. Umso wichtiger ist es für ihn, die Narrative zu pushen, die scheinbar seine vorgeschobenen Kriegsgründe bestätigen. Als besonders absurd erweist sich dabei immer das Kriegsziel der „Entnazifizerung“. Angeblich würde die Ukraine von einem „Nazi-Regime“ beherrscht und Putins Russland müsste sie von diesem „befreien“. Diese Argumentation ist natürlich Unsinn, wie wir bereits analysierten. Doch die russische Propaganda hält verzweifelt daran fest, da es offenbar keine besseren Gründe gibt.

Regelmäßig werden Fakes verbreitet, die Ukrainer:innen als Nazis darstellen sollen. Ironischerweise oft genug, indem man in Wahrheit Russ:innen zeigt.

Sehr gut passt den Pro-Kreml-Medien da ein Bild, auf dem man den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und im Hintergrund einen Soldaten mit Aufnäher, der anscheinend Nazi-Symbolik zeigt. Geteilt wurde es unter anderem von der „jungen Welt“, einer linken Zeitung, die für ihre angeblich antiimperialistische Grundhaltung erstaunlich viele Sympathien für Wladimir Putin zu hegen scheint, und auch mal Putin-Reden im Ganzen veröffentlicht oder der vorgeworfen wird, eine Solidaritäts-Reise von LINKE-Politiker:innen in die Ukraine sabotiert zu haben.

Quelle: Screenshot twitter.com

Unterstützer:innen der Ukraine vermuteten, dass hier doch wie so oft etwas faul sein müsste und unsere Faktencheck-Kolleg:innen von correctiv.org haben schonmal genau hingeschaut.

Keine Fälschung – berechtigte Kritik!

Das Ergebnis: Das Bild ist nicht gefälscht, sondern stammt ursprünglich von Selenskyjs Telegram-Kanal. Auch das Symbol auf dem Aufnäher des Soldaten ist definitiv angelehnt an die Symbolik der SS-Division Totenkopf. Tatsächlich handelt es sich diesmal also um keinen pro-russischen Fake. Es gibt auch in der Ukraine eine rechtsextreme Kampftruppe, die der ukrainischen Regierung untersteht – Das Regiment Asow (Quelle). Deren Neonazi-Ideologie ist auch alles andere als subtil, mit ihrem Symbol der 2. SS-Panzerdivision. Berechtigte Kritik ist also definitiv angebracht.  Und diese ist auch wichtig!

Denn auch wenn die Unterstützung für die Ukraine laut verschiedenen Umfragen nach wie vor hoch ist, muss konstruktive Kritik möglich sein. Und da wir nicht in Russland sind, ist solche Kritik auch möglich, ohne dass man plötzlich aus dem Fenster fällt, Gift in seinem Tee hat oder beim Spaziergang fast ermordet wird. Die aktuellen Sympathien mit der Ukraine dürfen nicht dazu führen, dass jegliche Kritik an der politischen Führung oder dem Militär des Landes sofort abgeblockt wird.

Keine Entschuldigung!

Gleichzeitig ist dadurch aber nicht jedes einzelne Bild und jeder scheinbar oder (wie in dem Fall) tatsächlich enttarnte Nazi im Land eine Entschuldigung oder gar Rechtfertigung für den russischen Angriffskrieg. Probleme mit Rechtsextremismus müssen aufgearbeitet werden – in der Ukraine genauso wie in Deutschland oder anderen europäischen Ländern.

Gleichzeitig ist es aber absurd, solche Fälle für eine Täter-Opfer-Umkehr auszuschlachten. Denn damit spielt man genau in Putins Karten. Er möchte Zweifel streuen an der moralischen Integrität der gesamten Ukraine, denn nur so kann er seinen Angriffskrieg „rechtfertigen“ – und die breite, europäische Solidarität mit der Ukraine untergraben.

Fazit: Problem ernst nehmen, solidarisch bleiben!

Wir wollen hiermit explizit NICHT unter den Teppich kehren, dass es kritisiert werden muss, wenn sich ein Soldat mit einem Nazi-Aufnäher identifiziert. Rechtsextreme an sich sind schon eine Gefahr für die Demokratie. Umso schlimmer wird es, wenn sie bewaffnet sind. Mit dem Fokus auf das wahrheitswidrige Kreml-Narrativ der „Nazis in Kyjiw“ wird in diesem Fall aber das eigentliche Problem verdeckt. Denn Rechtsextremismus bei der Armee ist kein allein ukrainisches Phänomen – das gibt es zum Beispiel in Deutschland auch (wir erinnern uns noch gut an das KSK oder den Fall Franco A.).

Alle Armeen sollten sich dieser Problematik bewusst werden und so schnell wie möglich Wege finden, das Erstarken der Rechtsextremen an der Waffe einzudämmen. Doch das ist eine andere (wichtige!) Diskussion, die nicht von dem Fakt ablenken darf, dass Russland in der Ukraine als Agressor auftritt, Kriegsverbrechen begeht und erst kürzlich wieder wahllos Raketen auf die ukrainische Zivilbevölkerung geschossen hat. Und selbstverständlich selbst mehr als genug Rechtsextreme in seiner Armee hat.

Rechtsextremismus in der Armee kann nur in Demokratien bekämpft werden – auch deswegen sollten wir solidarisch mit der Ukraine bleiben. Falls ihr euch darüber informieren wollt, warum genau das Putin-Argument von den „Nazis in Kyjiw“ Unsinn ist, lest gern hier weiter:

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