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Faktencheck: Wie du mit Bildern von angeblich leeren Intensivbetten betrogen wirst

von | Dez 19, 2020 | Aktuelles, Analyse, Corona-Fake, Gastkommentar

Pandemie-Leugnerin teilt Fake News und irreführende Fotos

Gastbeitrag von Paul Hahn

Am 4. Dezember postet eine Frau, welche sich als Pflegerin eines Berliner Krankenhauses herausstellt, auf Facebook Bilder von sich vor angeblich leeren Intensivbetten.

„Ich bin raus! Meine erste Kündigung in 17 Jahren Pflege mit beatmungsfunktion! […] Vielleicht ist es nicht clever leere Betten zu posten aus dem Corona Hotspot Nr.1 wenn man seinen Job behalten möchte aber es ist die Wahrheit.“

Spoiler: Ist es nicht.

In dem Beitrag trifft sie noch weitere Aussagen, zusammengefasst geht es um folgende FAKE NEWS:

  • durch einen Corona-Abstrich könne man Geschmacks- und Geruchssinn verlieren (FAKE)
  • die normale Grippe fordert bundesweit durchschnittlich 25.000 Menschenleben (FAKE), wobei es dieses Jahr keine Grippetoten, dafür allerdings 9.000 Todesfälle durch Corona gebe (FAKE)
  • Intensivbetten seien leer (FAKE).

Sie ist Pandemie-Leugnerin und verbreitet absichtlich Desinformation, um euch zu verunsichern

Der Wahrheitsgehalt dieser Aussagen wurde bereits von CORRECTIV überprüft und als größtenteils falsch eingestuft. Mittlerweile wurde der Post durch Facebook als Fehlinformation markiert.

Die Falschmeldung über die leeren Intensivbetten sind nicht die einzigen Fake News, die sie streut. Sie postet regelmäßig Beiträge, in denen sie das Virus herunterspielt. Bereits am 21. und 23. November leugnete sie die Pandemie und verbreitete Querdenker-Fake News: „Es gab keine erste Welle und es gibt keine 2te Welle. Der Kampf gegen Corona fand am 18.11 vor dem Bundestag statt und leider haben wir ihn verloren.“ [sic].

Der Beitrag vom 4. Dezember findet positiven Anklang bei ihren Freund:innen auf Facebook und wurde dort inzwischen 26.790 Mal geteilt (Stand: 12.17.2020, 21:10 Uhr).

Ihr werdet verarscht: Wir zerlegen den Quatsch vom Fake-„Ermächtigungsgesetz“

Wer ist die Pflegerin?

Das Recherchezentrum CORRECTIV hat herausgefunden, dass die Frau offenbar als (freiberufliche) examinierte Altenpflegerin in Berlin beschäftigt ist. Ihr lässt sich auch ein XING-Profil zuordnen, dort werden auch Namen ihrer Auftraggeber:innen genannt. Dabei handelt es sich um drei Vermittlungsagenturen in Berlin. Der genaue Name der Pflegerin ist uns bekannt, wurde aber aus datenschutzrechtlichen Gründen unkenntlich gemacht.

Ein Berliner Krankenhaus bestätigte dem CORRECTIV außerdem, dass die Frau bereits als zeitweise hinzugezogene Arbeitskraft tätig, jedoch nicht fest angestellt war. Der genaue Kündigungsumstand ist dennoch unklar. Auf eine schriftliche Anfrage vom CORRECTIV an die Pflegerin gab es keine Antwort. Dass sie wegen Fake News über Intensivbetten und Corona gefeuert wurde, könnte also auch gelogen sein.

Vier Bilder von Intensivbetten sagen rein gar nichts aus

Die Fotos sind scheinbar echt, man könnte sich wirklich fragen, warum die Intensivbetten auf den Fotos ohne Belegung sind.

Eine Sprecherin des Berliner Krankenhauses gab CORRECTIV dazu eine einfache Erklärung.

„Die Fotos wurden wahrscheinlich […] auf der neu eingerichteten Covid-Station gemacht, die mit 48 Betten in Betrieb genommen wurde. Zuvor war die bisherige Covid-Station mit ca. 20 Betten ausgelastet. Das bedeutet, in den letzten Wochen gab es auf der ’neuen‘ Covid-Station zunächst freie Betten, die sich jedoch nach und nach gefüllt haben. Am vergangenen Dienstag [Anmerkung der Redaktion: Damit ist der 8. Dezember gemeint] waren kurzfristig alle 48 Betten auf der Station belegt.“ (Quelle CORRECTIV)

In Berlin beträgt der Anteil belegter Intensivbetten der COVID-19-Patient:innen für Erwachsene laut DIVI-Register 33,4 % (Stand: 17.12.2020, 10:19 Uhr). Ergo: Nur weil vier Intensivbetten in Berlin mal leer sein könnten, heißt das noch lange nicht, dass nicht anderswo eine Knappheit an Intensivbetten herrscht oder es sonst keine Corona-Patient:innen gibt.

Es wird behauptet, Corona sei „nicht einmal“ mit einer leichten Grippe vergleichbar es ist mindestens 10 mal tödlicher!

 „Die weniger informierten von euch haben Angst vor einem Virus den es zwar gibt der aber noch nicht einmal mit einer leichten Grippe vergleichbar ist! [sic]“, schreibt die Pflegerin in ihrem Beitrag.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) erklärte bereits im März, dass zwischen der saisonalen Grippe und COVID-19 eindeutige Unterschiede existieren. So werden die höhere Reproduktionszahl und die schon damals höhere Sterblichkeitsrate genannt.

SARS-CoV-2 verursacht sehr häufig Atemwegsinfektionen. „Meist in der zweiten Krankheitswoche kann sich eine Pneumonie entwickeln, die in ein beatmungspflichtiges ARDS (Acute Respiratory Distress Syndrome) fortschreiten kann […]“.

Das RKI verweist weiterhin in einem Epidemiologischen Bulletin vom 8. Oktober auf den Ernst der Lage: „Eine höhere Letalität und lange Beatmungsdauer unterscheiden Covid-19 von schwer verlaufenden Atemwegsinfektionen in Grippewellen“.

In einer Risikobewertung vom 11. Dezember 2020 heißt es, dass es sich „in Europa und in Deutschland um eine sehr dynamische und ernst zu nehmende Situation“ handelt. Die Anzahl der Fälle nimmt weltweit stetig zu. Der Lockdown ab dem 1. November flachte die Kurve zunächst ab, die „Anzahl neuer Fälle blieb aber auf sehr hohem Niveau und steigt seit Anfang Dezember inzwischen wieder stark an“. Außerdem ist die „Zahl der auf Intensivstationen behandelten Personen und die Anzahl der Todesfälle stark angestiegen“, so das RKI.

 Die Fallsterblichkeit von Corona ist zehn bis 19 mal höher als bei der Grippe (Quelle)!

Sie lügt natürlich auch über die Todeszahlen

Dass Corona weitaus tödlicher als die gemeine Grippe ist, haben wir bereits in einem anderen Artikel behandelt und daran hat sich bis heute auch nichts geändert.

Die Pflegerin behauptet, dass bundesweit durchschnittlich 25.000 Menschen jährlich an der Grippe sterben. Im Saisonbericht des RKI findet sich in einem einzigen Jahr die Zahl 25.100 wieder. Der schwersten Grippewelle seit 30 Jahren, nicht der „Durchschnitt“. Außerdem sind dies lediglich Schätzwerte der Todesfälle durch Influenza in der Saison 2017/18. Davon sind nur 1.674 Menschen laborbestätigt „an und mit“ Influenza verstorben. Hier geht es um Schätzwerte der Todesfälle durch Influenza in der Saison 2017/18. Dieser Wert fällt besonders hoch aus im Vergleich zu den laborbestätigten Todesfällen, welche sich lediglich auf 1.674 belaufen. In der Saison 2013/14 oder 2015/16 gibt es laut RKI 0 geschätzte Todesfälle und 23 beziehungsweise 237 laborbestätigte.

Außerdem ist die Zahl der Corona-Toten bereits weit über den besagten 9.000. Dieser Wert entspricht in etwa dem Bericht vom 9. Juli. Das ist also inzwischen fünf Monate her. Laut RKI sind bis zum 17. Dezember seit Beginn der Pandemie 24.125 Menschen an Corona gestorben. Also bestätigt so viel wie geschätzt in der schwersten Grippewelle seit 30 Jahren. TROTZ teils gravierender Maßnahmen!

Falschbehauptung zum Abstrich

Weiterhin behauptet die Pflegerin zu Beginn ihres Posts, dass Patient:innen den Verlust ihres Geruchs- und Geschmackssinnes bei einem Abstrich aus der Nase riskieren würden. Standardmäßig werden Abstriche allerdings aus dem Rachenraum entnommen.

Der Hals-Nasen-Ohren-Arzt Junge-Hülsing schrieb CORRECTIV: „Durch den Abstrich kann man weder seinen Geruchs- noch Geschmackssinn verlieren.“ Verletzungen können allerdings bei einer grob fehlerhaften Durchführung des Abstrichs entstehen. Es gebe Einzelfallberichte, dass dadurch Einschränkungen jener Sinne auftraten. Die Behauptung der Pflegerin ist also bewusst irreführend.

Fazit

Eine ideologisch verblendete Pflegerin verbreitet längst widerlegte Fake News und täuscht ihre Freund:innen mit bewusst irreführenden Fotos, um ihre Fantasiewelt zu bestätigen und Applaus ihrer Gleichgesinnten zu bekommen. Als (Ex-)Pflegerin missbraucht sie den Eindruck von Kompetenz, auf den viele hereinfallen. Dutzende Berichte von anderen Pfleger:innen, Ärzt:innen und Hilferufe von überfüllten Intensivstationen und Notverlagerungen, weil Plätze ausgehen, werden hier für die Lügen einer Frau ignoriert. So funktioniert Desinformation.

Gastautor: Paul Hahn. Artikelbild: pixabay.com, CC0


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