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CDU-Bericht zeigt: ARD & ZDF sind neutral & kritisieren Regierung

von | Jan 25, 2023 | Faktencheck

CDU und das Axel-Springer-Medium WELT möchten gerne den rechtsextremen Mythos von gleichgeschalteter, links-grüner ARD-„Lügenpresse“ bedienen, ohne das ganz so deutlich auszusprechen. Dazu wird geschickt ein „Bericht“ einer Schweizer Firma aufgesetzt und als „Studie“ inszeniert, die angeblich die typisch rechten talking points belegen soll – so zumindest die Darstellung in WELT. Doch nur ein genauerer Blick entlarvt, dass die präsentierten Zahlen tatsächlich genau das Gegenteil zeigen. Und auch völlig unklar ist, wie diese Zahlen entstanden sind. Was die „Zahlen“ eigentlich genau sind. Und wer hinter jenen Zahlen mit welcher Agenda steckt. Wie Rechte völlig ohne wissenschaftliche Grundlage Schlagzeilen fabrizieren, die mediale Stimmung erzeugen soll.

Anti-ÖR-PR-Firma

Es ist ein erneutes Beispiel der neurechten PR-Maschine, mit der mediale Konkurrenten wie ARD und ZDF systematisch mit politischer Agenda attackiert und diskreditiert werden sollen. Eine neurechte PR-Maschine, in der der Axel-Springer-Verlag wieder eine zentrale Rolle spielt. Und in der die immer gleichen Akteure sich gegenseitig die Bälle zuspielen, um für Außenstehende den Eindruck zu erwecken, hier würde es sich um irgendetwas auch nur ansatzweise Wissenschaftliches oder Handfestes handeln. Doch hier wurde von vorne bis hinten mit einer ideologischen Agenda gearbeitet.

Die PR-Firma „Media tenor“: Datenmanipulation“, „nicht ergebnisoffen“ und „nicht wissenschaftlich“

Die vermeintliche „Studie“ (so nennt sie zumindest die WELT das), ist nicht einmal im Ansatz eine wissenschaftliche Studie – und behauptet das nicht einmal selbst von sich. Es ist eigentlich einfach nur eine Sammlung an… nennen wir es „Essays“ einer Schweizer PR-Firma unter Leitung von Roland Schatz. „Media Tenor“, die den „Bericht“ erstellt haben, sind keine Unbekannten. Schon in der Vergangenheit wurde ihnen vorgeworfen, Zahlen ohne wissenschaftliche Grundlagen zu veröffentlichen und die Ergebnisse für Kampagnen vor allem gegen die Öffentlich-Rechtlichen zu nutzen. Das gerne für später merken. Ich zitiere mal eine Pressemitteilung von 2004:

„So behauptet Medien Tenor in seinem Forschungsbericht Nr. 146 vom Juli 2004 u. a., dass der Anstieg der Zuschauerzahlen bei der Tagesschau der guten Lage zwischen zwei Halbzeitpausen während der Fussball-EM im Juni geschuldet sei. Doch der EM-Spielplan belegt, dass es um 20.00 Uhr keine einzige Halbzeitpause gegeben hat, also dort auch keine Tagesschau platziert werden konnte.

Des Weiteren behauptet Medien Tenor, dass es eine Statistik des Wasserkonsums gebe, nach der die Menschen die Zeiten um 20.00 Uhr
zum Toilettengang nutzten, während der Fernseher weiterlief. Deshalb seien die 20.00-Uhr-Ausgaben der Tagesschau gelaufen, ohne dass es wirklich Zuschauer gebe. Auch diese Behauptung des Medien Tenor sind nach Zapp-Recherchen falsch. Denn eine bundesweite Statistik über den Wasserkonsum, die eine solche Schlussfolgerung zulässt, gibt es überhaupt nicht.“ [sic]

Nach welcher Methodik „Media Tenor“ arbeitet, legen sie des Öfteren nicht transparent dar. Ein anderes Institut erklärte 2006 zu einer von BILD (Auch Axel-Springer) in Auftrag gegebenen Studie, welche ARD und ZDF als einseitig kritisierte, dass „nicht ergebnisoffen“ und „nicht wissenschaftlich“ gearbeitet wurde. Die ARD wies darauf hin, dass man der Vorgängerfirma nach einem Gerichturteil bestätigt „Datenmanipulation“ vorwerfen dürfe. Und ein weiteres Verfahren soll „Media Tenor“ aufgrund mehrfacher, falscher Aussagen zu einer großen Gegendarstellung und zu Unterlassungserklärung gezwungen haben. Alles schon sehr vertrauenserweckend.

„gezwungen zu manipulieren“

Die ursprünglich in Bonn ansässige Firma musste 2007 Insolvenz anmelden und sitzt inzwischen in der Schweiz. Der Gründer Schatz wurde 2010 verurteilt, nachdem er in 11 Fällen geständig war. Darunter in einem Verfahren wegen Untreue, betrügerischen Bankrotts, Insolvenzverschleppung und Vorenthaltens von Arbeitnehmeranteilen für die Sozialversicherung und die Pensionskasse. Derselbe Schatz ist es, der jetzt den aktuellen „Bericht“ herausgegeben hat, worin angeblich die „Lage der Informationsqualität“ untersucht worden sein soll.

Nach welcher Methodik vorgegangen wird, geht daraus wieder überhaupt nicht hervor. Angeblich soll es quantitativ und qualitativ sein, und man hätte erfasst, welche TV-Nachirchtenberichte „Positiv“, „Negativ“ und „Neutral“ sein sollen. Wie das beurteilt wird, ist ein Geheimnis. Angeblich gebe es ein „Codebuch“ mit Kennzahlen, mit denen man seine Mitarbeiter schule.

Ein ehemaliger Medienanalyst des Unternehmens berichtet jedoch, dass die „Codebücher“ während laufender Untersuchungen angepasst worden sein sollen, damit sie die Ergebnisse liefern, die zur eigenen politischen Agenda passen. Man würde die Kriterien nachträglich anpassen, wenn „in der Research-Abteilung, der Abteilung, in der die Auswertung gemacht wird, festgestellt wurde, dass die Auswertung gar nicht mit dem übereinstimmt, was man sich gedacht hatte“.

Die Absurde Pseudo-Studie

Kommen wir aber zum aktuellen Bericht. Eigentlich handelt es sich dabei um eine Sammlung verschiedener Meinungsessays und -artikel. Der eigentlich relevante Teil, auf den ich mich jetzt konzentrieren möchte, sind die circa vier Textseiten Einleitung von Roland Schatz. Wer bereits enttäuscht ist, dass die angebliche „Studie“ nur vier Textseiten lang ist, den muss ich noch weiter enttäuschen: Der Text ist auch nur Schatz‘ vorgefertigte Meinung, die durch zwei Grafiken der „Analyse“ vermeintlich untermauert werden sollen. Wie inhaltsleer und ideologisch ausgerichtet der Text ist, sieht man an zwei Stellen besonders gut.

Einmal, als Schatz ausgerechnet der Querdenker-Propaganda-PR-Stunt von „Allesdichtmachen“, der besonders von Rechtsextremen gefeiert wurde, als glaubwürdigen Beleg dafür anbringt, dass Liefers & Co. „mangelnde Vielfalt in der Präsentation von Nachrichten“ kritisiert hätten, was abenteuerliche Desinformation ist. Doch nicht nur das: Er behauptet auch, sachlich korrekte Kritik an den „Lügenpresse“-Narrativen, von denen sich sehr viele Schauspieler später wieder distanziert haben, sei in Wahrheit „Journalisten“ gewesen, die mit Forderungen nach „Auftrittsverboten“ Liefers „mundtot“ gemacht hätten. Nicht einmal ein Beleg, nur neurechte Rhetorik. Das ist viel mehr Aluhut als Wissenschaft.

Die zweite Stelle zeigt auch: Es ist faktenarmes, neurechtes Geplapper à la „gleichgeschaltete“ Medien, als Schatz am Ende die angebliche „Studie“ mit einer Kindheitsanekdote vergleicht und die moderne Medienlandschaft mit der gleichgeschalteten DDR-Presse vergleicht, die wie damals alle das gleiche schreiben würden. Dieser unseriöse, unbelegte und verschwörungsideologische Blödsinn soll jetzt aber irgendwie mit nicht näher bekannten Zahlen belegt worden sein.

Analyse zeigt: Medien haben vor allem neutral berichtet und die Regierung kritisiert

Die WELT – deren oberster Boss Matthias Döpfner übrigens zufällig früher im Beirat der „Media Tenor“ saß – hat anscheinend aktuellere Zahlen, aber „Zwischenergebnisse“ der Analyse bis Juli 2021 konnten wir über den Politikberater Johannes Hillje finden. Die Ergebnisse scheinen sich nicht groß zu unterscheiden (nicht, dass ohnehin irgendwo konkrete Zahlen angegeben wären) – und die Schlussfolgerungen standen wahrscheinlich, wenn man die Begleittexte sieht, sowieso schon im Vornhinein fest. Darauf lassen nicht nur die oben angeführten Berichte und Gerichturteile schließen, sondern auch ein Blick in das wenig Daten, das angegeben wird. Denn die geben überhaupt nicht her, was großspurig im Bericht, wie auch in WELT, geraunt wird.

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Um über die gesamte „Informationslandschaft“ Deutschlands zu urteilen, wurden aus irgendeinem Grund ausschließlich ARD, ZDF und RTL herangezogen und dazu deren TV-Nachrichten im ersten Halbjahr 2021 (in der Gesamtanalyse bis Dezember 22). Warum nur diese und nur so wenige, bleibt ein Geheimnis. Auch wie schon erwähnt, ist unbekannt, nach welchen Kriterien überhaupt bewertet wurde. Dass einer der einzigen zwei Grafiken nicht einmal angegeben wird, welche Tabelle welcher Sender sein soll, ist sogar Absicht um angeblich zu zeigen, wie „gleich“ die Sender berichten sollten. Die meisten von euch dürften sich längst geschockt in die Haare fassen:

Selbst diese intransparenten, willkürlich kleine Auswertung zeigt doch deutlich: Die betreffenden Medien haben offensichtlich über alle Parteien meistens neutral berichtet. Genaue Zahlen sind nicht angegeben, aber das sieht man ja auch so deutlich. Im Text und auch in WELT wird das als vermeintlicher Beleg herangezogen, dass die gesamte deutsche Medienlandschaft quasi so gleichgeschaltet seien wie in der DDR.

Weil die meisten Berichte „neutral“ waren…?

Verhältnisse? Auswahl? Pfft!

Abgesehen davon, dass es absolut hanebüchen ist, aus dieser Mini-„Analyse“ Belege für großspurige, rechte Verschwörungsmythen ablesen zu wollen, zeigen doch die eigenen Grafiken, dass die wenigsten Berichte (dieser drei Sender) überhaupt eine vermeintliche (!) Wertung vorgenommen haben. Wirklich spannend wäre doch gewesen, das mal mit dem Axel-Springer Fernsehsender „WELT“ (Früher N24) oder den dutzenden anderen Sendern zu vergleichen, oder? Komisch, dass das nicht gemacht wurde.

Doch das ist nicht alles: Diese lustigen Grafiken sollen sogar als Beleg dafür dienen, dass diese gleichgeschaltete Presse quasi auch noch „linksgrünversifft“ sei sozusagen. Zumindest so die Rhetorik im dazugehörigen WELT-Artikel, der tenorgleich natürlich auch bei der (ich hätte fast „restlichen“ gesagt) rechtsextremen Presse nachgeplappert wird: „Grüne und SPD“ würden „am besten wegkommen“. Der Kontext wird hier völlig weggelassen: So gibt es (offenbar) mehr vermeintlich „negative“ Berichte über die Union, als die Grünen überhaupt vorkommen. Diese möglicherweise kritisierenswerte Ungleichbehandlung wird jedoch nicht erwähnt. Vermutlich weil das nicht in die Agenda gegen ARD und ZDF passt.

Klar, es wäre auch komisch: Denn dass die in dieser Zeit noch führenden Regierungsparteien CDU und CSU mit Abstand am meisten vorkommen, ist ja logisch. Die SPD solle aber bevorzugt werden, obwohl sie als Koalitionspartner weniger als halb so oft überhaupt vorkam? Hier sieht man, wie getrickst wird. Aber die größte Manipulation kommt erst noch.

DIE MEISTE KRITIK BEKAM… DIE REGIERUNG

Dass „alle [also drei, Anm. d. R] Sender das Gleiche […] bieten“ belegt angeblich die zweite Grafik. Dass zum Beispiel die damalige Kanzlerin Merkel bei allen (immer noch nur drei) Sendern am meisten in den Nachrichten vorkommt, ist jetzt der Beleg für eine Verschwörung der Medien wie in DDR-Zeiten. Klar. Es wäre viel logischer, wenn die wichtigste und bekannteste Politikerin des Landes nicht am meisten erwähnt worden wäre.

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Die Top 4 erwähnten Politiker sind alle aus der Union – damals noch Regierungspartei. Klar, wenn „die Medien“ vor allem über die Union berichten, sieht man sicherlich den Bias für Grüne und SPD. Das war Sarkasmus. Diese vier – Merkel, Spahn, Söder und Laschet – sind mit Scholz (SPD) auch die mit dem augenscheinlich größten Anteil an „negativen“ Berichten. Alle fünf waren damals in Regierungsverantwortung. Und besonders Merkel, Spahn und Söder sind doch als die Politiker bekannt, die sich FÜR Corona-Maßnahmen eingesetzt haben und dafür von Rechtsextremen und Querdenkern angefeindet wurden.

Wenn es jetzt also ein angeblich „negativer“ Bericht über Frau Merkel ist… was meint ihr dann, was ihr wohl negativ ausgelegt wird? Ich kann es nicht genau sagen, weil die Methodik unbekannt ist. Aber wenn ein großer Teil der „negativen“ Berichte Merkel und Spahn betreffen – dann doch tendenziell wohl eher deren Corona-Politik oder? Ich kann es nicht belegen (Aber keine Sorge, dieser „Bericht“ ja auch nicht), aber versucht man hier gerade, auch negative Berichte an der (Pro-Maßnahmen-)Regierungs-Politik von Merkel als Beweis heranzuziehen, dass „die Medien“ unkritisch Pro-Maßnahmen und Pro-Regierung gewesen seien, und dazu auch noch einen Bias Pro Grüne und Linke haben…? Baerbock hat übrigens echt viele „negative“ Berichte – und das als Chefin einer (grünen!!) Oppositionspartei in diesem Zeitraum.

Die rechten PR-Taschenspielertricks

Und das Desinformationsblatt adelt das alles auch noch zu einer „Studie“ und tut so, als würde das irgendwie belegen, dass „die Medien“ gleichgeschaltet seien und darüber hinaus Grüne und SPD bevorzugen würden. Ein nie bewiesenes, rechtes Märchen. Also fassen wir zusammen: Man hat drei TV-Sender analysiert, intransparent nach angeblichen Wertungen unterteilt und sich die Aspekte herausgepickt, die die gezielt gewünschte Schlussfolgerung vermeintlich belegen sollen. In Auftrag gegeben hat laut WELT diese „Analyse“ die CDU. Die dann auch prompt im Artikel „schlussfolgern“ darf, dass im ÖRR (wo ist da plötzlich RTL hin?) zu wenig ausgewogen berichtet werde. Nachdem eigentlich gezeigt wurde, dass nicht nur die Union am meisten Sendezeit bekommt, sondern die meisten Berichte über alle auch „neutral“ sein sollen.

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Johannes Hillje bemerkt auch, dass CDU-Politikerin Connemann die angeblich mangelnde Vielfalt in Kommentaren beklagt: „Die Einordnung durch CDU-Politikerin Connemann im Artikel führt ebenfalls in die Irre: Weder wurden „Kommentare“ analysiert, noch belegen die Daten mangelnde Vielfalt (was Connemann suggeriert).“ Und:

„Es sind methodisch intransparente Daten, deren tatsächliche Ergebnisse (soweit bekannt) im Widerspruch zur Berichterstattung und Einordnung durch die CDU steht. Eine konstruktive Debatte über die Reform des ÖRR gelingt auf diese Weise sicher nicht.“

Johannes Jillje

Richtig: Man könnte darüber reden, inwieweit „die Medien“ ausgeglichen berichten, das ist und war nie verboten. Auch wenn es merkwürdig wäre, zu beklagen, wenn alle das „gleiche“ berichten – wenn es halt die Fakten sind, die doch hoffentlich auch bei allen gleich sind. Doch eine konstruktive, wissenschaftliche Debatte sieht definitiv ganz anders aus, als das, was diese neurechte Medienwelt ihrer Leserschaft da inszenieren will.

Ihr sollt durch solche tricks manipuliert werden

Hinter dem vermeintlich seriösen Anstrich bleibt also echt nicht viel übrig. Die WELT kommt auch nicht umhin sich zu beklagen, dass kaum jemand anderes darüber berichtet. Außer natürlich die üblichen Verdächtigen der rechtsextremen und neurechten Medienwelt natürlich. Und deren Desinformation und irreführenden Schlagzeilen immer öfter im Axel-Springer-Medium zu lesen sind – und umgekehrt.

Am Ende scheint nur deutlich die ideologische Agenda durch: Die „Medien“ (und besonders ARD und ZDF) seien gleichgeschaltet, Pro-Linksgrün, und unausgewogen. Ein ständig widerlegtes Bauchgefühl, das durch eben solche wissenschaftsfernen „Berichte“ und Desinformationsartikel immer und wieder vorgekaut wird. Und man sich gegenseitig des Wahrheitsgehalts dieses Narrativs versichert. Eine differenzierte Debatte wird dadurch letztlich nur torpediert. Fakten und Wissenschaft sieht man herzlich wenig.

Artikelbild: Screenshots, Canva