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Musk lügt über Gründe seiner Sperrung von Journalisten – Faktencheck

von , | Dez 16, 2022 | Faktencheck

In diesem Artikel werden wir öfter den Namen des Account “Elon Jet” erwähnen, um den es in der Sache geht. Wir verlassen uns dabei auf unseren Rechtsstaat, dass wir von Twitter als EU-Bürger nicht ohne Weiteres gesperrt werden können. (Ansonsten findet ihr uns auch auf Mastodon.) Denn ja: Einfach nur über diesen Account zu berichten führt dazu, dass der Twitter-Besitzer Elon Musk Journalisten auf seiner Plattform willkürlich gesperrt hat. Inzwischen hat die EU Musk, selbsternannten Kämpfer für die Meinungsfreiheit, mit Sanktionen gedroht und auch das Auswärtige Amt hat Musk mit Konsequenzen gedroht, weil dieser die Pressefreiheit bedroht.

Was ist passiert?

Elon Musk behauptet, dass ein Stalker das Auto, in dem sein Sohn mitfuhr, verfolgte. Er postete auch ein Video, in dem offenbar seine Security den Mann konfrontiert. 

Elon behauptete auch, dass der Fahrer auf die Motorhaube gesprungen sei. Davon ist allerdings im Video gar nichts zu sehen, und es ist angesichts Musks fehlender Glaubwürdigkeit unklar, ob das stimmt. Musk suggeriert, der Stalker habe von dem Aufenthaltsort seines Sohns gewusst, wegen „Elon Jet“. Dieser Bot-Account verfolgte per Live-Tracking die Bewegungen von Musks Privatjet nach. Wegen des Vorfalls sperrte er den Account jedoch, obwohl er anfangs behauptet hatte, er würde ihn tolerieren.

Nicht nur das jedoch: Daraufhin sperrte Musk sogar mehrere hochrangige Journalisten, die kritisch über ihn berichtet hatten. Außerdem sperrte er ebenfalls sämtliche Links zu größeren Mastodon Instanzen. Da lohnt es sich doch mal an diesen Tweet zu erinnern:

Elon Musk und seine Fans behaupten nun, dass die Sperrung mit “Doxxing” zusammenhängen würde, also dem Veröffentlichen seiner Flüge mit seinem Privatjet. Diese waren in der Vergangenheit regelmäßig vom Account “ElonJet” veröffentlicht worden. Dabei handelt es sich um generell öffentliche Informationen, die frei im Netz abrufbar ist. Der Account „ElonJet“ reicherte diese Informationen aber noch an, zum Beispiel mit Daten über den CO2 Ausstoß der Privatjets. Musk verteidigt also das Löschen ihm unangenehmer Accounts mit der Behauptung, es würde sich um illegales „Doxxing“ handeln. Das ist allerdings gelogen, aus drei Gründen:

1. Was „Elon Jet“ gemacht hat war kein Doxxing und auch nicht strafbar

Twitters eigenes “Community Notes” Fact-Checking Feature musste Musks falsche Aussage korrigieren. Denn: Flugdaten zu veröffentlichen ist von der amerikanischen Verfassung unter der Meinungsfreiheit gedeckt. Es ist also nach US-Recht völlig legal, Musks Privatjet zu tracken.

Dass Musk nun den Account “ElonJet” gesperrt hatte, der diese Flüge verfolgt hat, ist also in direktem Widerspruch zu Elons ursprünglicher Aussage, dass er nur “rechtswidrigen Content” löschen würde. Aber wie gesagt sperrte Musk nicht nur diesen Account. Auch der Account @MattBinder, der auf diesen Faktencheck aufmerksam gemacht hatte, ist nun übrigens inzwischen auch gesperrt. 

Noch vor wenigen Wochen gab Musk an, ElonJet nicht sperren zu wollen. Eine von vielen Versprechen, die der rechte Milliardär gebrochen hat.

Elon Musk ist also für vollständige Free Speech (anscheinend vor allem für Nazis, hier haben wir darüber berichtet) – außer es betrifft ihn halt persönlich.

2. Elon Jet hatte mit dem Vorfall, den Musk heranzieht, nichts zun tun

Der letzte Tweet von „ElonJet“ vor der Sperre zeigt tatsächlich einen Flug nach Los Angeles (Archiv). Anhand des Videos, welches Elon Musk vom Vorfall gepostet hatte, konnte mittels öffentlicher Daten festgestellt werden, wo sich dieser Vorfall abgespielt hatte. Dabei kam heraus: Es war gar nicht in der Nähe eines Flughafens. Sondern über 45 Minuten Fahrt mit dem Auto entfernt. Das weckt starke Zweifel an der Darstellung von Elon Musk, dass der „ElonJet“ Account irgendetwas mit dem Vorfall zu tun haben könnte. Wenn der Stalker über den Account vom Landen des Flugs wusste, wie hat er das Auto 50 Minuten Autofahrt irgendwo in Los Angeles gefunden? 

EDIT 19.12.: Wie die Washington Post und ihre von Twitter zeitweise gesperrte Journalistin Taylor Lorenz herausfanden, fand der Zwischenfall laut Polizei viele Stunden nach der Landung von Musks Jet statt.

Dazu kommt, dass es sich um eine öffentlich einsehbare Information handelt. Jeder kann jederzeit diese Fluginfos abrufen. „ElonJet“ hingegen postet nur im Moment des Landens die Ankunftszeit. 

Sollte es sich tatsächlich so abgespielt haben, dass der Stalker auf Musks Flugzeug über öffentliche Daten aufmerksam wurde, so ist es kaum vorstellbar, dass er im Moment des Landens quasi ohne Verzögerung seinen Weg zum Flughafen finden konnte, um dann das Auto seines Sohnes etwa eine Dreiviertelstunde (nach neuen Infos sogar Stunden später) zu verfolgen. „ElonJet“ ist für Stalker also erstmal ziemlich unbrauchbar.

3. Die meisten gesperrten Journalisten haben nur über den Account berichtet!

Elon Musk behauptet, dass die Journalisten, zufälligerweise überwiegend ihm ungenehme Kritiker, die er gesperrt hat, ihn ebenfalls auf irgendeine unerklärliche Weise gedoxxt haben. Das ist falsch. 

Zwei der Journalisten hatten lediglich einen Bericht des LAPD gepostet, nach dem Elon Musk keinen “Crime-Report” zum Vorfall bei der Polizei eingereicht hatte. Auch das lässt an Elons Version der Geschichte zweifeln. Wenn das alles so schlimm war, warum dann keine Anzeige bei der Polizei? Nutzt er den Vorfall einfach nur als Vorwand, um ihm unliebsame Stimmen und freien Journalismus zu sperren?

Andere Journalisten hatten lediglich in ihren Artikeln den Twitter Account von „ElonJet“ verlinkt. Laut Elon Musk beteiligten sie sich damit auch am „Doxxing“ gegen ihn. Allerdings war der „ElonJet“ Account ja gesperrt von Musk. Insofern “leakt” ein Link auf einen gesperrten Account ja keine Information. Musk lügt. Alles was man da zu sehen bekommt, ist das hier:

Musk sperrt seine Kritiker und verletzt pressefreiheit

Wie soll das „Doxxing“ sein? Es ist also völlig unverhältnismäßig, Accounts zu sperren, die auf einen Account verlinken, der schon längst gesperrt ist. Es ist einfach eine Sperrung unliebsamer Stimmen. Die gesperrten Journalisten diskutierten diese Fakten auch in einem Twitter Space. Elon Musk persönlich trat daraufhin dem Space (Live-Diskussionsrunde) bei und konnte ihre kritischen Fragen nicht beantworten. Nach wenigen Minuten verließ er ihn daraufhin wieder:

Nach 30 Minuten wurde der Space plötzlich zwangsgeschlossen. Aktuell ist das Feature sogar komplett deaktiviert. Vermutlich, um zu verhindern, dass gesperrte Accounts Spaces beitreten können. Weil Elon Musk Twitter durch Änderungen und Entlassungen so kaputt gemacht hat, dass das möglich ist.

Auch Musks geheucheltes Demokratieverständnis wurde wieder bloßgestellt: Er öffnete zuerst eine Umfrage, ob die gesperrten Medienvertreter wieder zugelassen werden sollten (bei Neonazis ging das auch ohne). Als die Mehrheit für „Ja“ stimmte, ließ Musk einfach noch mal abstimmen, weil ihm das Ergebnis nicht gefiel.

Musk ist am Ende

Auch ohne dass Musk seine großspurige Behauptung, er würde auch seine Kritiker nicht blocken, gebrochen hat: Selbst nach Musks eigenen Regeln hätte es seine extreme Reaktion auf die Vorfälle nicht geben dürfen. Er schreibt selbst auf Twitter: “Posting locations someone traveled to on a slightly delayed basis isn’t a safety problem, so is ok.”

Wie man sieht, fällt kein einziger der Accounts, die Musk gesperrt hat, unter diese Regel. Es ist klar, dass er hier mit völliger Willkür vorgeht. Innerhalb von 24 Stunden sperrte Elon Musk Konten, von denen er sagte, dass er es niemals tun würde, stellte willkürlich neue Regeln auf, um dies zu rechtfertigen, drohte mit rechtlichen Schritten gegen einen 20-Jährigen, dozierte darüber, wie Doxxing auf der Plattform verboten ist, und doxte dann sofort selbst einen Mann.

Twitter blockt jetzt auch alle Flugtracker-Websites. Und übrigens auch alle Links zu Twitter-Konkurrenz Mastodon, da dort entsprechender Content noch erlaubt ist. Blockt Twitter als nächstes Youtube und Google, da auch dort entsprechender Flugtracking-Content noch verlinkt wird? Niemand weiß es und das ist das Problem. Genau darum sollten nicht einzelne Menschen Macht über die Plattformen der Öffentlichkeit bekommen und erst recht nicht rechte Verschwörungsideologen wie Musk.

Änderungshinweis: In einer früheren Version haben wir den Begriff „Zensur“ von Musk statt „Sperrung“ verwendet, um rechte Rhetorik zu imitieren, dies aber nirgendwo gekennzeichnet. Da es so einfach falsch war (Zensur kann nur vom Staat betrieben werden), haben wir den Artikel angepasst. Artikelbild: kovop58