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Fehlalarm Breitscheidplatz: Ich habe diese Spekulationen so satt!

von | Dez 21, 2019 | Aktuelles, Kolumnen, Schwer verpetzt, Social Media

Fehlalarm am Breitscheidplatz entblößt die deutsche Medienhysterie

Wegen eines „möglicherweise verdächtigen Gegenstandes“ hat die Polizei am Samstagabend vorsichtshalber den Berliner Breitscheidplatz geräumt. Auch eine Veranstaltung in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche musste in diesem Zusammenhang vorzeitig beendet werden. Die Polizei durchsuchte daraufhin den Breitscheidplatz.

Klar, mag das besorgniserregend sein, insbesondere ziemlich genau drei Jahre nach dem Terroranschlag an genau diesem Platz. Doch die Hetzer*innen und Panikmacher*innen, die inzwischen zum normalen Medienbetrieb gehören, witterten trotz später Stunde Morgenluft. Die Nazis und Rechtsextremisten instrumentalisierten die Meldung wieder einmal wieder für ihre Hetze – die Eilmeldungen und der Hashtag #Breitscheidplatz ein medialer Elfmeter für die Panikmacher*innen von der AfD.

Natürlich waren es „Syrer“, natürlich war es „Sprengstoff“, der obligatorische Sarkasmus und die Sticheleien gegen die Regierung durften auch nicht fehlen. Die Horden an rechtsextremen Accounts, die in die Kakophonie zum Hashtag mit einstimmten, um ihr Hetz-Narrativ zu befeuern, multiplizierten diese Strategien. An dieser Stelle möchte ich noch einmal betonen wie pervers es ist, dass eine politische Partei, die im Bundestag sitzt (!) auf Twitter Eilmeldungen bringt und noch dazu Falschinformationen verbreitet. Man stelle sich einmal vor, die SPD würde live von einem Autounfall auf der A8 twittern oder so etwas.



BILD erfand quasi einen Terroranschlag

Natürlich haben die Spekulationen nicht nur die AfD und ihre Nazi-Accounts verbreitet – die BILD war ganz vorne mit dabei. Mit „Neue Terror-Angst in Berlin!“ goss das Boulevard-Blatt ordentlich Öl in das rassistische Hetzfeuer – mit ihren speziellen, ganz eigenen „BILD-Informationen“:

Und das Boulevard-Blatt erfreute sich wohl enormer Klickzahlen – von Nazi-Trollen und Leuten, denen diese Schlagzeilen von eben jenen um die Ohren gehauen wurden, um ihre rassistische Weltsicht vermeintlich zu bestätigen. Triumphierend grölte die rechte Filterblase auf: Haben wir es euch doch gesagt ihr Gutmenschen!

Und das alles, während noch rein gar nichts bestätigt war, rein gar nichts bekannt. Die Polizei hatte nichts verkündet, nichts getwittert. Es ist alles reine Spekulation. Für BILD und Co jedoch mehr als genug, um einen ganzen Terroranschlag herbei zu schreiben. Die dankbare AfD erfreut sich über die Panikmache – Denn Angst und Unsicherheit sind ihr Geschäft. Und dann?

Keine Verhaftung, kein verdächtiger Gegenstand

Und kurz darauf stellte sich das alles (zum Glück) als heiße Luft heraus. Es wurde kein verdächtiger Gegenstand gefunden und die Straßensperren wurden aufgehoben. Es habe keine Festnahmen gegeben – und nein, auch keine „Gefährder“ oder „Syrer“ oder sonst wen. Der ganze Einsatz beruhte anscheinend auf einer Namensähnlichkeit bei der Überprüfung von Personen. Es war also quasi zum Glück ein Missverständnis und die Polizei hat einfach Vorsicht walten lassen – was ja gut ist!

„Möglicherweise verdächtiger Gegenstand“ hatte das allerdings auch von Anfang an impliziert. Medien wie die ZEIT – um auch positive Beispiele zu erwähnen – verzichteten komplett auf jegliche Spekulationen. Und ich hätte mir mehr davon gewünscht. Eine Freundin schrieb mir: „Am Breitscheidplatz ist anscheinend ein Anschlag verhindert worden!“ Genau das macht diese Medienhysterie mit uns. Nein, die Polizei hatte einen Verdacht – der  zum Glück auf einem Fehler beruhte – und hat eine Sicherheitsmaßnahme ergriffen. Doch die Dramatisierung der Medien hatte den Effekt bereits ausgelöst.

Als ich daraufhin ein paar Minuten den Hashtag Breitscheidplatz durchscrollte, las ich jedoch nur Spekulationen, irgendetwas von Sprengstoffanschlag, Islamisten, Syrern und ganz viel rechtsextreme Genugtuung, angefeuert durch WELT- und BILD-Artikel. Aber auch normale Menschen äußerten Angst, Verunsicherung und waren auf der Suche nach zuverlässigen Informationen. Und vor manchen AfD-Rechnern ließ man wohl bereits Korken knallen. Ob die Partei ihre eigene Medien-Hysterie in den nächsten Tagen trotz Fehlalarm ausschlachten wird?

Haltet einfach mal die Presse!

Ich habe es so satt wie katastrophengeil wir geworden sind. In der Medienwelt zählen nur noch Klicks und Emotionen und im Tandem damit erzählt uns die AfD, dass Deutschland viel unsicherer geworden sei und daran Schuld seien die bösen Migranten, wer auch sonst. Warum diese ganzen Narrative völlig falsch sind und wie sie funktionieren habe ich hier aufgeschrieben:

Ich bin Augsburger & hier ist es sicher: Wie man euch manipuliert, Nazis zu werden

Die AfD instrumentalisiert jeden Fall, der vermeintlich in ihr Weltbild passt. Eben jene Partei, die beim Mord an Lübcke durch einen Neonazi keine vorschnellen Verurteilungen durch die Medien einforderte und  forderte, dass wir nicht von Mördern „den politischen Diskurs bestimmen lassen“ sollten. Jep. Die Partei, die bei ViersenMagnitz, MünchenNotre DameMünsterBottrop und vielen anderen Fällen die Taten (oder im Fall von Notre Dame den Unfall) bereits mit ihren Feindbildern in Verbindung brachte, bevor überhaupt fest stand, was passiert war. Und in allen diesen Fällen falsch lag. So wie auch jetzt beim Breitscheidplatz.

Die eigene, rechtsextreme Wahnwelt

Die Partei lebt inzwischen ohnehin in ihrer ganz eigenen, rechtsextremen Wahnwelt. Und ich bezweifle, dass wir als Außenstehende noch großartig etwas daran ändern können. Wir sollten alle Troll-Accounts blockieren (selbst wenn ihre Inhaber*innen im Bundestag sitzen) und ihr den Sauerstoff entziehen, der sie am Leben erhält: Aufmerksamkeit. Aber gerade Medien wie die BILD und andere Accounts, die auf den Zug der Panikmache aufspringen und sich so gerne an Spekulationen und dem Verbreiten von Falschinformationen aufgeilen richten da den größten Schaden an der Gesellschaft an.

Denn sie normalisieren diese Hysterie und die Narrative der Rechtsextremen. Sie tragen aktiv dazu bei, dass Menschen verunsichert werden. Nicht nur wegen Kriminalität oder Terror, sondern auch darüber, welchen Informationen sie trauen können. Das füttert Verschwörungstheoretiker*innen. Man kriegt fast den Eindruck, manche Zeitungen wollen, dass die Rechtsextremen Zulauf bekommen. Ich habe keine Lust mehr darauf. Ich stöhnte schon genervt auf, als Breitscheidplatz in meine Twitter-Trends rutschte.

Wir wollen das nicht mehr! Die Hetze, die Panikmache! Die Falschinformationen immer auf Kosten der gleichen Gruppe (die dabei doch sehr diffus definiert ist). Ich muss zugucken, wie unsere Gesellschaft jeden Tag systematisch manipuliert und zermürbt wird. Und ich habe es so satt. Gebt Medien, die unbestätigte Gerüchte verbreiten keine Klicks und keine Reichweite! Blockt Hetzer! Vielleicht können wir diesen Wahnsinn irgendwann einmal eindämmen.

Artikelbild: Aaron Amat, shutterstock.com