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Urteile der Woche (KW 31): AfD-Mitglied fuhr gezielt Gegendemo an

von | Aug 6, 2023 | Serie

Es gibt nicht nur immer mehr Prozesse gegen Demokratiefeinde und Extremisten – es gibt auch immer mehr Urteile. Die Abgrenzung, wer „Querdenker“, Rechtsextremist, Antisemit, Reichsbürger oder alles gleichzeitig ist, fällt uns mit dem Wegfall der Covid19-Schutzmaßnahmen immer schwieriger. Am Ende wählen die meisten ohnehin die rechtsextreme AfD oder stehen ihr ideologisch zumindest nahe. Die Übergänge verfließen immer weiter. Zugleich haben viele der Verurteilten auch deutliche Schnittmengen mit anderen demokratiegefährdenden Gruppen, sodass wir uns nun entschlossen haben, die „Querdenker“-Urteile umzubenennen und auszuweiten. Ab sofort werden wir nur noch die „Urteile der Woche“ veröffentlichen, und darin alle Demokratiefeinde, Desinformationsverbreiter und Wissenschaftsfeinde aufzählen. Letzte Woche gab es Querdenker-News, bei denen selbst wir sprachlos waren. Ein Querdenker transportierte die Leiche seiner Frau im Auto:

Rechte Querdenker-Lehrerin aus dem Beamtenverhältnis entlassen

Wenn man in Deutschland als Lehrkraft verbeamtet werden will, muss man einen Diensteid schwören. Der gilt in allen Bundesländern. Wortwörtlich lautet er in Rheinland-Pfalz: „Ich schwöre Treue dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und der Verfassung des Landes Rheinland-Pfalz, Gehorsam den Gesetzen und gewissenhafte Erfüllung meiner Amtspflichten, so wahr mir Gott helfe.“ Der letzte Halbsatz kann dabei auf Wunsch weggelassen werden.

Beamt:innen sind zur unparteiischen und gerechten Amtsführung verpflichtet und müssen sich demnach verfassungstreu verhalten. Genau diesen Diensteid hat eine Lehrerin abgelegt und wurde verbeamtet. Genau diese Lehrerin war es dann jedoch auch, die im Internet regelmäßig rechte Parolen postete und als „Stimme von Kandel“ für Öffentlichkeit sorgte. 2018 soll sie bei einer Demonstration sowohl rechtsextreme als auch rassistische Parolen geäußert haben. Sie wurde daraufhin aus dem Beamtendienst entlassen und hat dagegen geklagt.

Das Gericht entschied damals, dass die Frau unter anderem gegen ihre Pflicht zur politischen Mäßigung verstoßen und den Schulfrieden gestört habe. Dadurch verlor sie auch ihre Pensionsansprüche. Laut Gericht habe sie sich mit ihrem Verhalten eines schweren Dienstvergehens schuldig gemacht. Nach 2018 soll sie sich zudem gegen Corona-Maßnahmen aufgelehnt und sowohl gegen Politik, als auch den Staat gehetzt haben. Sie hat zunächst Berufung eingelegt und will das Urteil nicht akzeptieren. Die Chancen, dass sie in der nächsten Instanz gewinnen wird, dürfen als eher gering eingeschätzt werden.

Bianca W. sucht Impfopfer – und findet keine

„Querdenkerin“ Dr. Bianca W. steht derzeit ja wieder vor Gericht (wir berichteten) und hat sich nun eine neue Verteidigungsstrategie überlegt. Ob der Vorschlag seitens der Verteidiger Martin Kohlmann und Maik Weise kamen, können wir nicht sagen, aber skurril ist er allemal: um zu beweisen, dass die fälschlich ausgestellten Maskenatteste doch berechtigterweise ausgestellt wurden, sollen auf Telegram in Querdenkergruppen zusammengesuchte Impfopfer jetzt vor Gericht als Zeugen aussagen um zu beweisen, dass es legitim war, dass andere Menschen „impfunfähig“ seien, weil diese „Impfopfer“ einen Impfschaden haben. Also einmal hinten durch die Brust ins Auge. Es bleibt abzuwarten, ob der Plan ins Auge geht oder ins Schwarze trifft. „Team Marcus“, namentlich Marcus Fuchs, der Organisator der Aktion. Der, der auch vor Roland Kaiser Konzerten für Impfgeschädigte demonstriert. Was genau der Schlagersänger Roland Kaiser damit zu tun hat? Wissen wir auch nicht.

Ex-AfDler fuhr drei Personen an – Prozessbeginn

„Im Oktober 2020 wurde die Frau, eine Person of Colour, am Rande einer Kundgebung gegen die AfD im schleswig-holsteinischen Henstedt-Ulzburg von einem damaligen Mitglied der Rechtsaußenpartei angefahren und schwer verletzt – absichtlich, das glaubt nicht nur ihr Ex-Freund, sondern auch die Staatsanwaltschaft. Und er, das ist Melvin S., der sich deshalb seit Anfang Juli wegen des Vorwurfs des versuchten Totschlags vor dem Landgericht in Kiel verantworten muss.

Statt einfach wegzufahren, soll der heute 22-Jährige, nachdem er und seine drei Begleiter von der antifaschistischen Kundgebung ausgeschlossen worden waren, den tonnenschweren Pick-up seiner Mutter gezielt auf den Bürgersteig gelenkt und auf vier Demonstrant*innen zugehalten haben.“ Wie das Portal endstation-rechts.de vom zweiten Prozesstag berichtet. Den ersten Prozesstag findet ihr hier: Prozessauftakt. Ein einziger Gegendemonstrant hat es geschafft, auszuweichen. Er leidet jedoch noch heute unter dem Ereignis und konnte auch die Zeugenaussage nur unter Tränen hinter sich bringen.

Täter fuhr gezielt auf die Opfer zu

„Fast atemlos erzählt der Student, wie Melvin S. das Auto „super kontrolliert und galant“ auf den Gehsteig gesteuert habe. Wie das erste Opfer zur Seite geschleudert worden sei. Wie der Angeklagte danach „einfach durch beschleunigt“ habe und mit aufheulendem Motor auf seine Freundin zugefahren sei. „Es wurde extra nach rechts auf den Grünstreifen gezogen, um sie zu treffen“, sagt er. „Ich wollte ihr noch zurufen, dass sie wegspringen soll. Hab es nicht mehr rausbekommen.“ Noch immer kämpfe er mit Schuldgefühlen, weil er sie nicht habe schützen können.“ (selbe Quelle)

Am ersten Prozesstag wollte der Angeklagte sich noch als Opfer darstellen, er sei von Antifa-Aktivist*innen verfolgt worden und gar nicht politisch zu sein. Das Gericht wusste jedoch mehr: Melvin S. hatte nicht nur einen Newsletter der „Identitären Bewegung“ abonniert, er verschickte auch per Whatsapp rassistische Bilder. Und bei Neonazi Tommy Frenck bestellte er nicht nur braune Brause, die er am Demo-Tag demonstrativ in Richtung der Gegendemo zeigte, sondern er tauschte auch Nachrichten mit ihm aus. Aus der AfD trat er erst kurz nach der Tat aus.

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