Es gibt nicht nur immer mehr Prozesse gegen Demokratiefeinde – es gibt auch immer mehr Urteile. Die Abgrenzung, wer „Querdenker“, Rechtsextremist, Antisemit, Reichsbürger oder alles gleichzeitig ist, fällt immer schwerer. Am Ende wählen die meisten ohnehin die rechtsextreme AfD oder stehen ihr ideologisch zumindest nahe. Die Übergänge verfließen immer weiter. Zugleich haben viele der Verurteilten auch deutliche Schnittmengen mit anderen demokratiegefährdenden Gruppen, sodass wir uns entschlossen haben, die „Querdenker“-Urteile umzubenennen.
Leider sind die Urteile in den vergangenen Wochen bei den sehr ereignisreichen Wochen beim Volksverpetzer ausgefallen: Wir waren auf der Leipziger Buchmesse, Thomas hat sein Buch “Werbung für die Wahrheit” veröffentlicht. Doch endlich sind die Urteile wieder da! Aber leider schaffen wir nicht mehr die wöchentlichen Artikel. Wir haben uns nun entschlossen, euch am Ende jedes Monats einen Catch-Up zu den wichtigsten Urteilen des Monats zu präsentieren. Da unser letzter Urteile-Artikel etwas zurückliegt, gibt es diesen Monat nicht nur Urteile aus April, sondern das Wichtigste seit dem letzten Text:
1. Erster Sieg vor Gericht gegen Julian Reichelt
Der oftmals desinformative und hasserfüllte Aktivismus Julian Reichelts, Ex-”BILD”-Chefredakteur und Betreiber des rechtsradikalen Online-Portals „Nius“, hat ständig Konsequenzen vor Gericht. Ende letzten Jahres verlor Reichelt gegen die Bundesministerin Schulze vor Gericht, als er über die Bundesregierung und die Taliban log. Kurz zuvor verlor er gegen Satiriker Jan Böhmermann, weil er „unstreitig unwahre“ Behauptungen über ihn verbreitet hatte.
Das erste Urteil im Jahr 2024: Aufgrund eines fehlerhaften Berichts über die Dresdner Seenotrettungsorganisation „Mission Lifeline International e.V.“ hat das Landgericht Berlin II 5.000 Euro Zwangsgeld oder 10 Tage Zwangshaft gegen Reichelt erteilt.
Das entsprechende Video lud Reichelt bereits am 02. Oktober 2023 auf seinen Kanal hoch. Dort behauptete er, Mission Lifeline werde von einem Verein finanziert, an dessen Spitze der Lebensgefährte von Katrin Göring-Eckardt (Grüne) stehe. Wahrheitsgehalt mal wieder nicht vorhanden.
Gegendarstellung nicht genug
Mission Lifeline sorgte sich zu Recht um ihren Ruf und mögliche Spendenverluste und setzte sich vor Gericht mit einer einstweiligen Verfügung durch. Reichelt löschte den dazugehörigen Beitrag auf Nius, überspielte die Lüge im Video mit Musik und packte die Gegendarstellung in die Videobeschreibung auf YouTube. Jedoch entsprach dies nicht den Forderungen des Gerichts. Wie T-Online schreibt:
„Die Gegendarstellung veröffentlichte Reichelt dort zunächst mit einem abgeänderten Text und lediglich in der Beschreibung unter dem Video. Zuschauer mussten auf “mehr” klicken, um sie zu finden.“
In einem Zwangsvollstreckungsverfahren verhängte nun das Gericht die 5.000 Euro Zwangsstrafe, damit Reichelt die Vorgabe endlich umsetzt. Wird die Gegendarstellung noch wie gefordert veröffentlicht, wird Reichelt die 5.000 Euro nicht zahlen müssen. Es wurde bereits nachgebessert, der Anwalt von Mission Lifeline fordert jedoch, dass die Gegendarstellung auch in Videoform veröffentlicht wird. Das Zwangsvollstreckungsverfahren läuft.
2. Sieg gegen Reichelt: Er Musste Post über Kölner Stadtanzeiger löschen
Wie bereits erwähnt, erwirkte die Produktionsfirma von Jan Böhmermann eine einstweilige Verfügung gegen Reichelt, der über die Affäre um den damaligen Chef des Bundesamts für Sicherheit und Informationstechnik Falschaussagen verbreitete und unter anderem Böhmermann vorwarf, Staatssekretäre aus dem Bundesinnenministerium hätten an seiner Sendung „ZDF Magazin Royale“ mitgewirkt. Das war erneut erfunden von Reichelt, das Landgericht Hamburg untersagte ihm anschließend diese Falschaussagen.
Auch einen Tweet über den stellvertretenden Chefredakteur des „Kölner Stadt-Anzeiger“, Martin Dowideit, musste Reichelt anschließend per Gerichtsbeschluss löschen. In diesem Streit ging es um eine andere „ZDF Magazin Royale“ Sendung über die rechtsradikale FPÖ (rechtsnationale Partei in Österreich), in der Böhmermann sagte: „Nicht immer die Nazi-Keule rausholen, sondern vielleicht einmal paar Nazis keulen.“ Das nahm Reichelt zum Anlass, Böhmermann einen „lupenreinen Mordaufruf“ vorzuwerfen. Wegen der Berichterstattung des Kölner Stadtanzeigers warf Reichelt diesem wiederum auf Twitter vor, den „Mordaufruf rechtfertigen zu wollen“. Das Landgericht Köln urteilte schließlich, die Äußerung von Böhmermann sei „ganz offensichtlich und für jedermann erkennbar satirisch gemeint“ gewesen. Den entsprechenden Tweet muss Reichelt löschen. Lupenrein waren mal wieder nur die Falschaussagen von Reichelt.
3. Sieg gegen Reichelt: Reichelt verliert gegen die Grünen
Die Grünen erwirken im April die nächste einstweilige Verfügung gegen den rechten Demagogen.
Manche Parteien wie die CSU oder die SPD haben in ihrer Parteistruktur fest Polizei-Gruppierungen eingegliedert. „Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen in der Polizei“ sind eine Arbeitsgemeinschaft in der SPD, die CSU hat den “Arbeitskreis Polizei und innere Sicherheit”. PolizeiGrün e.V. ist keine derart eingegliederte Gruppierung. Das ist ein von der Partei rechtlich, personell und finanziell unabhängiger Verein. Darin engagieren sich grüne und Grünen-nahe (aber nicht nur) Polizeibeamte.
Wie man sich sicherlich vorstellen kann, hat Reichelt etwas völlig anderes erzählt. Das Landgericht Hamburg gab den “Grünen in mehreren Punkten recht und untersagte Reichelt und Nius – vertreten durch Rechtsanwälte Steinhöfel aus Hamburg – im Wege der einstweiligen Verfügung bestimmte Äußerungen”, wie LTO berichtet (Beschl. v. 08.04.2024, Az. 324 O 129/24).
Reichelt, der pausenlos gegen die Grünen hetzt, unterstellte PolizeiGrün, eine eigene Polizei für die Partei zu sein. Diverse Formulierungen, in denen er wahrheitswidrig von “Polizisten der Grünen Partei” oder “Polizei der Grünen” spricht, sind laut Gericht so nicht zulässig. T-Online schreibt:
“Konkret muss Reichelt auch die Falschbehauptung tilgen, dass die Büros der “PolizeiGrün” im Gebäude der Parteizentrale der Grünen seien. Er hatte gesagt, das sei “natürlich furchterregend und verstößt vollkommen offenkundig gegen das Neutralitätsgebot der Polizei”.”
Viele Aussagen von reichelt wurden verboten
Das Landgericht Hamburg stimmte den Forderungen der Grünen teilweise zu, während in anderen Punkten Reichelt und Nius erfolgreich waren. Die Kosten des Rechtsstreits werden größtenteils gleichmäßig zwischen den beiden Seiten aufgeteilt. Reichelt und sein Anwalt setzen hingegen auf irreführende Strategien in der Prozesskommunikation.
In der öffentlichen Darstellung des Urteils versuchen Reichelt und sein Anwalt, die teilweise erlittene Niederlage vor Gericht als Erfolg darzustellen. Anwalt Steinhövel erwähnte in seiner Kommunikation ausschließlich die für sie positiven Urteilsteile und ließ die verlorenen Aspekte unerwähnt, mit der Behauptung, die Grünen seien mit ihrem Versuch, die Pressefreiheit einzuschränken, gescheitert. Er ignorierte dabei, dass das Gericht drei Aussagen aufgrund ihrer Unwahrheit verboten hatte, weil sie nicht unter den Schutz der Pressefreiheit fallen.
Reichelt log auf Twitter weiter
Reichelt selbst lügt jetzt auf Twitter, man dürfe weiterhin behaupten, dass die Grüne Partei sich eine eigene Polizei aufbaue, obwohl das Gericht ihm genau diese Aussage untersagt hat. Das ist besonders dreist: Genau diese Aussage darf Reichelt auf Twitter eben nicht isoliert posten. Er tut es frech aber einfach wieder.
Das könnte ihn teuer zu stehen kommen. Denn er könnte dadurch gegen die einstweilige Verfügung verstoßen. Mehr dazu haben wir hier schon berichtet:
4. Ordnungsgeld gegen AfD-Politiker
Da er eine Spiegel-Redakteurin als „Faschistin“ bezeichnete, muss der AfD-Politiker und Rechtsextremist Stephan Brandner nun noch mehr Ordnungsgeld zahlen. Zum Hintergrund: Ann-Katrin Müller, Spiegel-Hauptstadtredakteurin und langjährige Beobachterin der AfD, zog vor Gericht, nachdem Hassredner Brander sie auf Twitter als „Faschistin“ beschimpft hatte. Diese Bezeichnung, die Müller in Bezug auf ihre Berichterstattung über die AfD erhielt, wurde vom Landgericht Berlin als Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts gewertet (Beschl. v. 11.01.2024, Az. 27 O 546/23). Müllers Anwalt argumentierte erfolgreich, dass solche Bezeichnungen eine herabsetzende Wirkung haben und insbesondere auch als Angriff auf Müllers Reputation als Journalistin zu verstehen sind, ohne dass es tatsächliche Beweise für die Vorwürfe gäbe. Wir berichteten:
Bereits im Januar urteilte das Gericht, dass Brandner Müller nicht als Faschistin bezeichnen darf. Der Rechtsextremist zeigt jedoch keinerlei Einsicht, im Gegenteil: Er rief seine Followerschaft sogar dazu auf, Müller weiterhin als Faschistin zu bezeichnen. Wegen Nichtbeachtung der einstweiligen Verfügung erhielt Brandner bereits eine Rechnung über 5.000 Euro. Nun also die nächste Klatsche vor Gericht: Brandner muss weitere 15.000 Euro, also insgesamt 20.000 Euro zahlen (noch nicht rechtskräftig):
Anwalt Chan-jo Jun bringt es auf den Punkt. Anscheinend war das anfängliche Ordnungsgeld von 5.000 Euro noch nicht hoch genug:
5. Haftstrafe für flämischen Rechtsextremisten
Dries Van Langenhove, der Gründer der belgischen rechtsextremen Bewegung „Schild & Vrienden“ und ehemaliges Mitglied der belgischen Abgeordnetenkammer, wurde wegen Verstößen gegen das Gesetz gegen Rassismus und wegen Holocaustleugnung zu einer einjährigen Haftstrafe verurteilt. Konkret wurde er in folgenden Punkten für schuldig befunden: Mitgliedschaft in einer Organisation, die Diskriminierung und Rassentrennung befürwortet, die Leugnung, Verharmlosung, Rechtfertigung oder Billigung des Holocaust, die Verbreitung von rassistischem Gedankengut und rassischer Überlegenheit, die Aufstachelung zu Diskriminierung, Rassentrennung, Hass und Gewalt aufgrund von Nationalität, Hautfarbe und ethnischer Herkunft sowie der illegale Verkauf oder das Angebot von Pfefferspray.
Er verliert darüber hinaus für zehn Jahre sein Wahlrecht. Seine Bewegung „Schild & Vrienden“ gehört zu der Identitären Bewegung Europas. Laut Ergebnissen der Rechercheplattform zur Identitären Bewegung besuchten Anhänger:innen von „Schild & Vrienden“ die Identitäre Bewegung Deutschlands und Österreichs mehrfach. Die Identitäre Bewegung solidarisiert sich nun mit Van Langenhove:
2023 besuchte eine Delegation von „Schild & Vrienden“ eine Kundgebung initiiert von Martin Sellner, Kopf der Identitären Bewegung Österreichs, und trat dort gemeinsam mit Neonazis auf. Wie grausam die Identitären sind und wie nahe sie der AfD stehen, darüber berichteten wir bereits:
6. Geldstrafe für Queerfeind
Der Queerfeind Julian Adrat wurde vom Amtsgericht Berlin-Tiergarten zu einer Geldstrafe von 2.000 Euro verurteilt. In seinem Podcast verbreitet er schon seit längerem Hass und Hetze gegen queere Menschen. In einer Folge sagte er: “Transgenderismus gehört ausgerottet. Wie der Kommunismus. Wie der Nationalsozialismus. Mit Haut und Haar”.
Die 2.000 Euro sind bereits eine reduzierte Geldstrafe, Adrat legte gegen das Urteil Rechtsmittel ein. Der Queerbeauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann, warnt vor zunehmender Aggression gegen queere Menschen in Deutschland.
7. Verwarnung für Drosten-Pöbler
Das Amtsgericht Waren verwarnte ein Paar wegen verbaler Anfeindungen gegen den Virologen Christian Drosten auf einem Campingplatz an der Mecklenburgischen Seenplatte. Konkret handelt es sich um eine Verwarnung mit Strafvorbehalt, das heißt, die Schuld der Angeklagten wurde festgestellt und eine Geldstrafe erlassen. Diese wurde jedoch für ein Jahr auf Bewährung ausgesetzt.
Wie die Berliner Zeitung schreibt, machte der renommierte Virologe im Juni 2022 mit seiner Familie Urlaub auf einem Zeltplatz. Er berichtete im Verfahren, dass er mit seinem vierjährigen Sohn vom Zähneputzen auf dem Rückweg zum Zelt gewesen sei, als ein 49-Jähriger sich ihnen in den Weg gestellt und ihn lautstark beschimpft haben soll. Am Tag darauf kam es zu einer Auseinandersetzung mit dem Pöbler und seiner Frau. Auch wir berichteten damals:
Es ist nicht das erste Mal, dass Christian Drosten vor Gericht Recht bekommt. Auch Querdenker Fuellmich verlor bereits gegen den Virologen:
Artikelbild: Jörg Carstensen/dpa