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Urteile der Woche (KW 37): AfD verliert Kampf gegen Kunstfreiheit

von , | Sep 17, 2023 | Serie

Es gibt nicht nur immer mehr Prozesse gegen Demokratiefeinde und Extremisten – es gibt auch immer mehr Urteile. Die Abgrenzung, wer „Querdenker“, Rechtsextremist, Antisemit, Reichsbürger oder alles gleichzeitig ist, fällt uns mit dem Wegfall der Covid19-Schutzmaßnahmen immer schwieriger. Am Ende wählen die meisten ohnehin die rechtsextreme AfD oder stehen ihr ideologisch zumindest nahe. Die Übergänge verfließen immer weiter. Zugleich haben viele der Verurteilten auch deutliche Schnittmengen mit anderen demokratiegefährdenden Gruppen, sodass wir uns nun entschlossen haben, die „Querdenker“-Urteile umzubenennen. Ab sofort veröffentlichen wir die „Urteile der Woche“, und zählen darin alle Demokratiefeinde, Desinformationsverbreiter und Wissenschaftsfeinde auf. Letzte Woche berichteten wir darüber, wie es eine Neonazi und ehemalige Rechtsanwältin schaffte, den Holocaust in ihrer Steuererklärungs-Beschwerde zu verharmlosen:

AfD wollte Kunst verbieten

Schulen sind doch eigentlich dafür da, Schüler:innen auszubilden und zu kritischem Denken zu befähigen, oder? Das sah die AfD Niedersachsen anders: Dort klagten die Rechtsextremen gegen das Kultusministerium und wandten sich gegen ein Theaterstück an einer Schule in Osnabrück, wo 2019 das Theaterstück „Danke dafür, AfD“ aufgeführt wurde. Die Schüler:innen setzten sich also kritisch mit den politischen Positionen der Partei auseinander – absolut gerechtfertigt, wohlgemerkt. Die AfD Niedersachsen wird vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft.

Die Richter:innen sahen den Vorwurf von unzulässiger Parteinahme als nicht gegeben an und erteilten der AfD Niedersachsen somit eine klare Abfuhr. Kunstfreiheit ja, aber nur, wenn es nicht gegen die AfD geht? Die Grenzen zum Totalitarismus verschwimmen. Die Richter:innen machten klar, dass die Schüler:innen das Theaterstück eigenständig erarbeiteten und keinerlei politische Einflussnahme vorgenommen worden war.

Antisemitismusbeauftragter darf Audi loben

Schon gewusst, was ein rechter Blog, der Audi-Konzern und der Baden-Württembergische Antisemitismusbeauftragte Michael Blume miteinander zu tun haben? Bereits letztes Jahr kündigte Audi an, auf dem rechten Internetblog „Achse des Guten“ keine Werbeanzeigen mehr zu schalten. Im Vorfeld wurden dort unter anderem Gastbeiträge von Stefan Homburg veröffentlicht. Wie perfide Homburg Verschwörungsmythen verbreitet, haben wir hier bereits ausführlich analysiert:

Michael Blume, Antisemitismusbeauftragter von Baden-Württemberg, hat die Entscheidung Audis auf Twitter öffentlich gelobt – prompt klagten die rechten Blogger, wegen angeblichem Verstoß gegen das Neutralitäts- und Sachlichkeitsgebot. Zu Unrecht, wie auch die höchsten Verwaltungsrichter Baden-Württembergs schließlich bestätigten. Laut Verwaltungsgerichtshof Mannheim hatte es für Blume genügend sachliche Anknüpfungspunkte gegeben, Homburg als Verschwörungsmythologen zu bezeichnen. Der VGH billigte Blume darüber hinaus zu, nicht alle am rechten Rand fischenden politischen Positionen gleich behandeln zu müssen, sondern Extremmeinungen auch als solche benennen zu dürfen. Als Antisemitismusbeauftragter ist das schließlich sein Job.

AfD-Redner muss 36.000 Euro Strafe zahlen

Vielleicht erinnerst du dich noch an den politischen Aschermittwoch? An dem Tag geht es traditionell für Politiker:innen Bayerns, aber auch ganz Deutschlands hoch her – besonders Markus Söder ist oft und gerne Thema der Kabarettist:innen. Ein Redner der AfD, Gerald Grosz, überschritt dieses Jahr in seiner Rede jedoch bewusst die satirischen Grenzen des Kabaretts und griff Markus Söder und Karl Lauterbach direkt an. Der österreichische Rechtspopulist, ehemals FPÖ, bezeichnete Markus Söder als „Södolf“ und „Landesverräter“, Karl Lauterbach bekam den Titel „Horror-Clown“. Söder stellte daraufhin Strafanzeige.

Nun erließ das Amtsgericht Deggendorf Strafbefehl: Grosz muss 90 Tagessätze zu je 400€ zahlen, was ein Einkommen! Insgesamt sind das 36.000 Euro Strafe zahlen. Über seinen Anwalt ließ er bereits Einspruch einlegen. Wäre nicht das erste Mal, dass Rechte ihre Strafe nicht akzeptieren wollen.

Rassistischer Chefredakteur erhält ein Jahr Haft auf Bewährung

Im Februar verurteilte das Landgericht Dortmund den Neonazi Sascha Krolzig zu einem Jahr Haft auf Bewährung. In einem Magazin seines eigenen Verlages hatte der braune Chefredakteur Hetze gegen männliche Asylbewerber verbreitet und ihnen pauschal gewalttätige Sexualverbrechen gegen deutsche Frauen unterstellt. Seine Revision verwarf nun der Bundesgerichtshof – Krolzig muss die Strafe hinnehmen.

Seit mehr als zwei Jahrzehnten kämpft der Neonazi für den Umsturz der Demokratie – und nutzte dafür nicht nur seine Zeitung, sondern auch YouTube. Dort präsentieren sich Krolzig und andere NPD-Mitglieder offen rassistisch. Den Prozess wiederum missbrauchte Krolzig, sich als „Kämpfer für die Meinungsfreiheit“ zu inszenieren. Dem setzte der Bundesgerichtshof nun fürs erste ein Ende.

Maskenattest-Inflation: Homöopathin legt Einspruch ein

Auch in der Querdenker-Szene sind Einsicht und Akzeptanz von Strafen nicht unbedingt beliebt. Eine Offenburger Homöopathin reiht sich in die lange Liste von Mediziner:innen ein, die während der Corona-Pandemie wahllos Maskenatteste ausstellten. Im Fall der Offenburger Querdenkerin wurde bereits 2021 ein Strafbefehl erteilt: 22.500 Euro müsste die Homöopathin, die sich selbst als „Gegnerin der Schulmedizin“ bezeichnet, bezahlen. Seit ihrem Einspruch läuft das Verfahren, in dem bereits mehrere Zeug:innen berichteten, wie inflationär die Medizinerin Maskenatteste erteilte. Diese Zeugenaussagen belasten die Querdenkerin stark. Sie soll Atteste auf Anruf und ohne weitere Untersuchung ausgestellt haben. Insgesamt soll es für ihren aktuellen Prozess drei Verteidiger:innen geben von denen zwei vergangene Woche auch im Gericht anwesend waren. Das Urteil steht noch aus.

Artikelbild: shutterstock/Canva