Aufmerksamkeit statt Wissenschaftlichkeit
Stefan Homburg stammt eigentlich aus der Wissenschaft. Sein Fachgebiet sind öffentliche Finanzen, er war seit 1997 Direktor des entsprechenden Instituts der Leibniz Universität Hannover. Er vertrat damals radikal (wirtschaftlich) liberale Ansichten, mit Einschätzungen zur Weltwirtschaftskrise stand er laut FAZ (2009) „ziemlich allein da“. Auch den Euro kritisierte er schon in seinen frühen Jahren in Hannover, wenig überraschend unterstütze er in ihren Anfangsjahren die AfD, sprach noch Anfang 2015 auf dem Parteitag (Quelle). Abgesehen von einzelnen Interviews waren seine Positionen allerdings eher eine Randnotiz als eine Schlagzeile. Seine Chance, das zu ändern, sah er wohl in Corona.
Die Covid-19-Pandemie beschäftigt uns nun schon seit fast 2 Jahren. Wohl nie zuvor hat es einen vergleichbaren Ansturm an Falschinformationen und Halbwahrheiten gegeben. Natürlich waren daran „altbekannte“ Gesichter beteiligt, wie der schon zuvor mit antisemitischen Äußerungen aufgefallene Ken Jebsen (Quelle, Quelle) oder auch Boris Reitschuster, der seine zuvor schon teils „alternativen“ Ansichten im Laufe der Pandemie weiter radikalisierte und sich als Fake News Schleuder mehr Aufmerksamkeit einholte. Zu ihm haben wir bereits einen ausführlichen Artikel gemacht, in dem seine zahllosen Lügen und Falschinformationen aufgezeigt und auch seine Strategien analysiert werden. Diesen Artikel findet ihr hier:
Schwurbeln als Aufstiegschance?
Es gibt aber auch eine andere Sorte Verbreiter:innen von Falschinformationen. Das sind Menschen, die vor der Pandemie eher wenig Bekanntheit hatten, aber durch ihre überzogene „Kritik“ an den Maßnahmen in den letzten zwei Jahren einen Kreis an Anhänger:innen aufgebaut haben, der sich oftmals stark mit den oben Genannten überschneidet. Sie sahen die Pandemie wohl als Chance, sich auch einmal in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu rücken – und das sehr gern mit ganz und gar nicht wissenschaftlichen Methoden. Ein musterhaftes Beispiel für eine solche „Laufbahn“ ist Stefan Homburg.
Auch in der Corona-Pandemie ordnete er sich bei der Minderheit ein, die von Anfang an wider der Faktenlage die Wirksamkeit der Maßnahmen und die Gefährlichkeit der Pandemie verleugneten. Allerdings gab es diesmal zwei entscheidende Unterschiede: Erstens bewegte er sich nun auf Gebieten wie Virologie, Verfassungsrecht oder später Immunologie, in denen er keinerlei Expertise besitzt. Und zweitens erreichte er ironischerweise mit seinen fachfremden Äußerungen zunehmend mehr Menschen, denen nicht der Wahrheitsgehalt der Thesen wichtig war, sondern die nur ihr Weltbild bestätigt sehen wollten. Während wir an diesem Artikel arbeiteten, nahm Homburgs Leben eine weitere unerwartete Wendung: Er kündigte einen „Urlaub“ in Afrika an – und folgte damit zahlreichen Verschwörungserzähler:innen, die wohl einsehen mussten, dass sie sich auf einem gewaltigen Irrweg befanden.
Im folgenden Artikel widerlegen wir zahlreiche seiner falschen Behauptungen, analysieren Methoden, mit denen Homburg sich die Aufmerksamkeit seiner Anhänger:innen sichern möchte und untersuchen, inwieweit sich Stefan Homburg mittlerweile in demokratiefeindliche Narrative hineingesteigert hat. Hier kommt der große Homburg-Faktencheck.
Homburg im Faktencheck – Teil 1
Bevor wir seine Methoden und antidemokratische Tendenzen untersuchen, sind wir euch erst einmal den Beweis schuldig, dass er wirklich fast durchgängig lügt, manipuliert oder daneben liegt und widerlegen viele größere Behauptungen, auf die er sein Weltbild stützt.
Fake 1: Nein, der R-Wert ist NICHT schon vor den Maßnahmen „von allein“ gesunken!
Dazu gehen wir ganz weit zurück in die Anfangszeit der Pandemie. Damals wurde vermehrt der R-Wert betrachtet, eine Zahl, die angibt, wie viele Menschen eine infizierte Person im Schnitt ansteckt. Er war eine Grundlage für die schnellen und vergleichsweise konsequenten Maßnahmen, mit denen wir sehr glimpflich durch die erste Welle gekommen sind.
Die Behauptung, der R-Wert sei schon vor den Maßnahmen „von allein“ gesunken, stammt vom April 2020 aus diesem Video-Interview. Der suggestive Titel „War Lockdown unnötig?“ zeigt schon, wo es hingehen soll. Homburg, damals noch aktiv an der Leibniz Universität Hannover, behauptet darin, dass der Lockdown unnötig gewesen sei, weil der R-Wert schon zuvor „von allein“ gesunken sei, die Maßnahme also keinen Einfluss darauf gehabt hätten. Unsere Kolleg:innen von Correctiv haben dazu bereits diesen Faktencheck gemacht.
Darin wird auch klar, wie manipulativ diese Behauptung ist. Fakt ist, dass der R-Wert nach einem Peak Mitte März relativ schnell wieder fiel:
Diese Entwicklung gab es auch schon vor Homburgs „Stichtag“ für die Maßnahmen, dem 23. März. Hier kommt aber die Manipulation ins Spiel. Denn die Implikation, es habe vor dem 23. März keinerlei Maßnahmen gegeben und der Rückgang sei „von allein“ passiert, ist falsch. Die umfassenden Kontaktbeschränkungen kamen erst am 22. März, doch schon davor gab es Veranstaltungsbeschränkungen und Einschränkungen des öffentlichen Lebens.
Wir sehen also: Homburg setzt den Fokus auf eine grundsätzlich richtige Behauptung („R-Zahl sank schon vor dem 23. März“), um davon abzulenken, dass seine zweite, entscheidende Behauptung („Es gab keine Maßnahmen vor dem 23. März“) falsch ist. Doch damit ist seine implizite, pauschale Schlussfolgerung („Maßnahmen waren unnötig“) falsch. Diese Manipulationstechnik sehen wir in den nun fast zwei Jahren immer wieder – nicht nur von Homburg: Mit Halbwahrheiten absichtlich falsche Schlussfolgerungen ziehen.
Fakes 2 & 3: Homburg unterstellt RKI Panikmache, doch Pandemie war noch lange nicht über den Höhepunkt hinweg
Hier kommen wir zu gleich zwei weiteren Falschbehauptungen Homburgs, die aus dem oben zitierten Video stammen. Der Kontext ist wiederum die Zeit kurz nach der ersten Welle, die wir glimpflich überstanden hatten. Dank der Maßnahmen und Rücksichtnahme der Deutschen. Extreme Situationen in Norditalien und anderen Teilen der Welt mahnten zur Vorsicht, die Vermutung, dass da noch einiges auf uns zu kommt, sollte sich in den kommenden 2 Jahren bestätigen. Nahezu töricht wirken da die Behauptungen, die Homburg in dem Video von sich gibt.
Die erste Behauptung, das RKI betreibe „Panikmache“, indem es unrealistisch hohe Todeszahlen für die Corona-Pandemie prognostiziere, basiert offenbar auf ausgedachten Zahlen. Laut Homburg habe das RKI zwischen 300.000 und 1,5 Millionen Corona-Toten modelliert. Tatsächlich waren es aber laut RKI „nur“ 200.000-370.000. Hier hat Homburg sich wohl einfach Zahlen frei ausgedacht, die seiner Botschaft („RKI als Panikmacher“) dienen. Dass Todeszahlen im sechsstelligen Bereich keinesfalls realitätsfern sind, haben wir in den letzten Monaten ja auch erlebt.
Und zur Behauptung, die Pandemie sei im April 2020 schon über ihren Höhepunkt hinweg, müssen wir vermutlich nicht mehr viel sagen – das ist nun wirklich sehr schlecht gealtert. Und außerdem haben auch hier unsere Kolleg:innen von Correctiv schon damals alles gesagt, was es zu sagen gibt (an der Stelle noch mal der Verweis auf ihren Artikel, der beide Behauptungen widerlegt).
Fake 4: Beim Schönlügen der Situation des Gesundheitssystems erwischt!
Aus gesellschaftlicher Sicht war die größte Gefahr im Verlauf der Pandemie, dass das Gesundheitssystem zusammenbrechen könnte. Der vorher schon kritische Zustand wurde durch die Wellen des Virus noch entscheidend verschärft, nur das übermenschliche Engagement und der unermüdliche Einsatz des Klinikpersonals haben uns in den letzten Monaten vor dem Schlimmsten bewahrt. Umso arroganter wirken da die erfundenen Behauptungen eines Homburg.
Es war (und ist) auch eines der beliebtesten Argumente von Covid-Leugner:innen und -Verharmloser:innen: Angeblich sei das Gesundheitssystem nie überlastet gewesen, damit habe es zumindest keine Gefahr für die Allgemeinheit gegeben. Bereits im April 2020 behauptete Homburg in einem Interview mit dem WELT-Fernsehsender, dass es keine Überlastung des Gesundheitssystems gäbe und dementsprechend auch keine Notwendigkeit für einen Lockdown.
Diese „Prognosen“ widerlegten sich jedoch selbst. Während Homburg beispielsweise im Oktober 2020 beim „Corona-Quartett“ seine Behauptungen noch bekräftigte, es gäbe keine Überlastung des Gesundheitssystems, passierte Ende des Jahres genau das Gegenteil: Das Klinikpersonal arbeitete an den Grenzen der Kapazität, aus einzelnen Kliniken gab es bereits Hilferufe und Warnungen vor Triage-ähnlichen Zuständen (Quelle). Am 16.12. befasste sich auch der Gesundheitsausschuss des Bundestages mit der drohenden Triage (Quelle).
Unsere Kolleg:innen von Correctiv berichteten wiederum, hier geht es zu ihrem Artikel.
Fake 5: Nein, BioNTech stand nicht kurz vor der Pleite – Homburg manipuliert doppelt!
Wenn es so etwas wie „Gewinner“ der Pandemie gibt, dann gehört sicherlich das Mainzer Biotechnologieunternehmen BioNTech dazu. Noch vor gut zwei Jahren war das Unternehmen eher Insidern bekannt, nun ist der Name in aller Munde – zu Recht, wurde doch hier einer der ersten und wirksamsten mRNA-Impfstoffe gegen das Coronavirus entwickelt. Und natürlich ist BioNTech damit auch gleich zur Zielscheibe für „Querdenker“ wie Homburg geworden.
Zu Beginn der Impfungen (Jahreswechsel 2020/21) twitterte er beispielsweise die Behauptung, BioNTech sei fast pleite gewesen und der Impfstoff sei „übers Wochenende“ entwickelt worden, um hohe Gehälter für die Vorsitzenden Uğur Şahin und Özlem Türeci herauszuschlagen. Correctiv hat wiederum in einem lesenswerten Artikel Ende Januar 2021 aufgezeigt, warum das falsch beziehungsweise aus dem Kontext genommen ist.
Hier die Kurzform: Angeblich, so Homburg, sei BioNTech bei der Forschung an Krebsprodukten bisher erfolglos, ein Impfstoff „übers Wochenende“ käme also wie gelegen. BioNTech habe 2019 massive Verluste gemacht, aber gleichzeitig hätten Türeci und Şahin im selben Jahr 16,4 Mio. € Vergütung bekommen. Die Implikation ist klar: Der Impfstoff sei „nur so schnell nebenbei“ entwickelt worden, damit die Chefetage ihre Geldgier bedienen könne. Das ist allerdings in gleich mehreren Dimensionen falsch. Gucken wir uns das schnell im Detail an.
Falschbehauptung Teil 1: Finanzielle Situation
Das ist besonders peinlich für Homburg, da er eigentlich aus dem Bereich der Finanzwissenschaften kommt. Er geht hier grob ungenau mit einer gar nicht so schwer erklärbaren betriebswirtschaftlichen Situation um. BioNTech hatte nämlich zwar (noch) keine Gewinne, aber große Mengen an liquiden Mitteln, da Investoren eingestiegen sind, die sich auf lange Sicht Gewinne und Wertsteigerung des Unternehmens erhoffen. Das bedeutet, dass die Firma als eine hoffnungsvolle Investition in die Zukunft angesehen wird (und auch schon vor Covid-19 wurde!). Während auf dem Papier also tatsächlich für 2019 ein Minus stand, war die Situation bei BioNTech insgesamt sehr rosig. Ein „schneller Impfstoff-Erfolg“ war nicht notwendig.
Übrigens: 2021 war BioNTech allein laut Handelsblatt für schätzungsweise 20 % des gesamten deutschen Wirtschaftswachstums verantwortlich.
Die Vergütung von Şahin/Türeci bestand außerdem zu 95 % aus einem „Mitarbeiteraktienoptionsprogramm“. Sie bekommen also statt eines Teils des Lohns Aktienoptionen. Wenn die Firma erfolgreich ist, werden diese Aktien auf lange Sicht steigen und Geld abwerfen. Das ist gerade in Chefetagen von Firmen ein gern genutztes Mittel, da es motiviert, sich aktiv am Wachstum des Unternehmens zu beteiligen. Fixe und variable Vergütung der beidem (also das, was sie tatsächlich „aufs Konto“ bekommen haben) waren 311.000/370.000 Euro im Jahr. Ein Finanzprofessor muss das eigentlich wissen, aber vermutlich wollte Homburg für seine Verschwörungsmärchen einfach lieber seine Anhängerschaft täuschen.
Falschbehauptung Teil 2: Entwicklung „übers Wochenende“
Auch die Behauptung einer Impfstoff-Entwicklung „übers Wochenende“ ist eine fehlerhafte Suggestion. An der grundlegenden Technologie (also mRNA) forschten Şahin und Türeci schon seit 25 Jahren. Auf dieser „Plattform“ basierend lassen sich die einzelnen Impfstoffe dann sehr schnell designen, in wenigen Tagen gab es laut BioNTech-Pressestelle 20 verschiedene Kandidaten. Genau das ist ja auch das geniale bei einem mRNA-Impfstoff. Es müssen nämlich für eine wirksame Impfung nur die „Baupläne“, nicht aber ganze Antigene produziert werden.
Insgesamt dauerte die Entwicklung zwischen Veröffentlichung der Sequenzierung des Virus (Januar 2020) bis zu den ersten Impfungen (Dezember 2020) immer noch fast ein Jahr. Hier wird also absichtlich verdreht, Kontext weggelassen und übertrieben, um Aluhut-Märchen zu unterstellen. Ein typischer Homburg, wie wir noch öfter sehen werden.
VVP-Special: Wir widerlegen Leugner, Homburg glaubt, uns zu widerlegen – und wir widerlegen die Widerlegung!
Das ist weniger kompliziert, als es in der Überschrift klingt. Der folgende Faktencheck stammt aus dem Oktober 2020, es geht um die PCR-Tests. Zu dieser Zeit waren verschiedene Fehlinformationen zu den PCR-Tests im Umlauf. Am 04. Oktober veröffentlichten wir einen Artikel, in dem wir belegten, dass die PCR-Tests validiert sind, dass sie ausschließlich SARS-Viren (und keine Erkältungsviren) testen und dass sie sehr genau sind. Den Artikel findet ihr hier:
Natürlich passte das den Pandemie-Leugner:innen überhaupt nicht und sie versuchten alles (das heißt vor allem: wilde Sammlungen an Einzelfallevidenz), um uns zu „widerlegen“. Eine dieser Sammlungen hat Stefan Homburg als Argument geteilt, gegen das wir „schwerlich gegen an“ kämen. Diese Herausforderung haben wir gern angenommen – und sind nicht nur „dagegen angekommen“, sondern haben sogar anhand Homburgs Beispielen erneut bewiesen, dass die PCR-Teststrategie sehr sicher ist. Darauf konnte er allerdings nicht mehr qualifiziert antworten – und beließ es bei Beleidigungen, was tief blicken lässt.
Wer die ganze Story lesen möchte:
Fake 6: ADAC versicherte schon weit vor Corona nicht gegen Impfschäden aufgrund angeordneter Massenimpfungen!
„Wer es nicht versteht, dem ist nicht mehr zu helfen“ – So großspurig äußerte sich Homburg Anfang 2022, als er wieder einmal seinen Anhänger:innen den „endgültigen“ Beweis vorlegte, dass er von Anfang an recht gehabt haben sollte. Dabei wurde der Mann nur wieder bei einer glatten Falschbehauptung erwischt. Angeblich, so suggerierte Homburg in einem Tweet, habe der ADAC nämlich seine Unfallversicherung geändert. Sie schütze nun nicht mehr vor „Impfschäden aufgrund angeordneter Massenimpfungen“.
Der angehängt Screenshot ist auch kein Fake. Tatsächlich leistet die Unfallversicherung des ADAC nicht bei Schäden aufgrund angeordneter Massenimpfungen. Doch das hat nichts mit Covid-19 zu tun. Denn der Screenshot ist von 2007 (!). Tatsächlich basiert diese Klausel nämlich auf § 60(1) IfSG. Dort heißt es:
Kurzform: Wenn der Staat eine Impfpflicht anordnet, dann ist der Staat auch dafür verantwortlich, eventuelle Schäden zu ersetzen. Diesen Paragrafen gibt es schon länger, genau so wie die Klausel vom ADAC. Laut ADAC-Angaben schon seit 2007:
Fakt ist also: Die Klausel, dass die ADAC-Unfallversicherung nicht bei Schäden aufgrund angeordneter Massenimpfungen haftet, gibt es bereits seit 2007. Der rechtliche Hintergrund ist, dass in solchen Fällen ohnehin der Staat haftet (siehe § 60(1) IfSG). Auch wenn es natürlich wunderbar in die „Querdenken“-Propaganda der „gefährlichen Impfung“ passen würde, ist die Behauptung, diese Klausel sei eine Reaktion auf die eventuell kommende Impfpflicht gegen das Corona-Virus, einfach falsch. Homburg schämt sich offenbar kein bisschen, einfach so dreist die Unwahrheit zu verbreiten. So jemandem soll man Vertrauen schenken?
Methode Manipulation: Cherry-Picking/Auslassen wichtiger Daten
Eine weitere Methode, mit der Homburg sich die Welt „zurechtlügt“, ist die Manipulation. Dabei reden wir hier bewusst nicht von klassischen Lügen. Natürlich machen unter Pandemie-Leugnenden häufig Behauptungen die Runde, welche auf bewussten Lügen basieren, also einfache Falschaussagen in der Hoffnung, dass es niemand nachprüft. Die meisten von Homburgs Behauptungen sind jedoch eher Griffe in die Manipulations-Trickkiste. Wir sehen hier häufig sogenanntes „Cherry Picking“ beziehungsweise umgekehrt das Auslassen entscheidender Daten.
Cherry Picking funktioniert folgendermaßen: Man „pickt“ sich genau die Daten und Fakten aus einem komplexen Sachverhalt heraus, die nur scheinbar die eigene Position unterstützen und verheimlicht die entscheidenden Fakten und Zusammenhänge, die gegebenenfalls genau das Gegenteil beweisen oder die Aussage zumindest stark relativieren würden. Aus Sicht der/des Manipulierenden hat diese Technik den Vorteil, dass man nicht so leicht „erwischt“ wird. Homburg macht das sehr gerne – und ist dabei sehr dreist. Seine Fans hinterfragen ihn ohnehin nicht, und seriöse Medien kann man einfach beleidigen, dann kann man sie ignorieren. Die einzelnen Zahlen sind ja oftmals nicht falsch, es fehlt nur der Kontext – doch die wenigsten Leser:innen können das ad hoc erkennen. Und genau da kommen wir ins Spiel.
Homburg im Faktencheck – Teil 2: Beim Manipulieren erwischt!
Fake 7: Weder Virus noch Delta-Mutation sind ungefährlich – man muss den ganzen Zeitraum betrachten!
Hier haben wir quasi ein „Bilderbuch“-Beispiel fürs Cherry Picking. Wir befinden uns im Januar des vergangenen Jahres, während die Impfung gerade erst anlief beschäftigte uns die Sorge vor der Delta-Variante des Virus. Nicht so Stefan Homburg. Mit Cherry Picking versuchte er, die Delta-Variante herunterzuspielen, sogar lächerlich zu machen. Dr. Christian Siemering hatte ihn bereits damals enttarnt:
Homburg pickt sich hier nur einen Zeitraum von knapp zwei Wochen heraus. In diesem Zeitraum sieht es so aus, als würden die Zahlen (Inzidenz und Positivquote im UK) stagnieren oder sogar sinken. Natürlich weiß aber jede*r, dass für eine vernünftige Aussage zum Verlauf der Pandemie immer ein längerer Zeitraum sinnvoller ist (ganz abgesehen davon, dass gerade in der ersten Januarwoche noch einiges an Verzerrung von den Meldeverzögerungen an Feiertagen dabei ist). Und im Vergleich zum größerem Zeitraum waren die Infektionszahlen sogar deutlich angestiegen; auch die Positivquote ist über längeren Zeitraum stärker angestiegen.
Homburgs Taschenspielertricks
Darum bezeichnen wir dies als „Bilderbuch“-Fall von Cherry-Picking: Homburg „pickt“ sich Zahlen einer zuverlässigen Quelle (John Hopkins University) heraus, lässt dabei aber sehr wichtigen Kontext weg (nämlich den langfristigen Verlauf der Inzidenzen und der Positivquote). So sind zwar die „Fakten“, die er sich herauspickt, an sich nicht falsch. Doch ohne den Kontext sind sie enorm manipulativ, denn durchschnittliche Social Media-User werden sich nicht die Mühe machen, wie Dr. Siemering die Zahlen nachzuschauen. So erkennen sie nicht, dass sie manipuliert werden – genau darauf hoffen unseriöse Fake News-Schleudern wie Homburg.
Außerdem behauptet er noch, die im Verhältnis zum Frühjahr 2020 niedrige Positivquote „beweise“, dass die aktuelle Situation ja gar nicht so dramatisch sei. Auch hier stimmt wieder die Grundlage der Aussage, aber die Schlussfolgerung ist falsch, weil sie wichtigen Kontext auslässt. Die Quote ist zwar niedriger als im Frühjahr 2020, das liegt aber daran, dass damals nur sehr gezielt symptomatische Verdachtsfälle getestet wurden, während man Anfang 2021 schon zu eher flächendeckenden Tests übergegangen war. Dadurch ließen sich zwar in Summe mehr Fälle finden, aber natürlich prozentual weniger (da auch nicht-Verdachtsfälle getestet wurden). Homburg manipuliert wieder, um die Realität zu verschleiern-
Fake 8: Homburgs Manipulation vom Statistischen Bundesamt widerlegt
Im Oktober 2021 waren im Zusammenhang mit Corona schon fast 100 000 Menschen gestorben (im November war es dann so weit, Quelle). Das hinderte Stefan Homburg nicht daran, mit Hilfe eines Vergleiches der Sterbezahlen für die Jahre 2018, 2020 und 2021 zu „beweisen“, dass das Corona-Virus harmlos sein soll. Dazu suchte er sich gezielt die Sterbezahlen für die 1.-39. Kalenderwoche heraus – und manipulierte derart haarsträubend, dass sich sogar das Statistische Bundesamt einschaltete.
Auffällig ist, dass in 2020 die schwerwiegende Zweite Welle (und damit auch die hohen Todeszahlen) erst in den letzten Wochen stattfand. Indem er den Betrachtungszeitraum auf die 01.-39. Kalenderwoche legte, hat er die Zweite Welle mit ihren Todeszahlen geschickt „ausgeklammert“. Außerdem auffällig: Er lässt das Jahr 2019 komplett raus. Das ist kein Zufall oder Versehen, denn 2019 hatte noch einmal deutlich niedrigere Sterbezahlen. Hätte er das „zugegeben“, wäre seine Aussage schon mal deutlich relativiert gewesen. 2018, wo es eine der schwersten Grippewellen der letzten 3 Jahrzehnte gab, passt ihm da besser in den Graphen. Noch dazu hat er die Y-Achse „abgeschnitten“, damit die Unterschiede drastischer aussehen, als sie sind – auch ein beliebter Trick zur Manipulation.
Man sieht also auch hier wieder einen klassischen Fall von Cherry Picking und manipulative Grafik: Homburg lässt sowohl Jahre (2019) als auch Kalenderwochen (ab KW 40) „unter den Tisch fallen“. Hätte er beides mit einbezogen, wäre klar gewesen, dass Corona sehr wohl gefährlich ist und für Übersterblichkeit sorgt. Das wäre korrekter gewesen – hätte aber nicht so schön in seine realitätsferne Agenda gepasst.
Wir haben damals bereits einen Artikel gemacht:
Fake 9: Impfung schützt vor ITS-Einweisung – wenn man die Daten richtig versteht!
Ein Vergleich der Übersterblichkeit in Bundesländern mit unterschiedlicher Impfquote zeigt deutlich: Je geringer die Impfquote, umso größer die Todesrate.
Hier das Jahr 2021. Die Y-Achse ist die Übersterblichkeit, X-Achse die Impfquote der deutschen Bundesländer. Man sieht einen massiven Zusammenhang, wie die Hochschule Jena zeigt (HS Jena). Die niedrige Impfquote erklärt demnach fast 90 % der Übersterblichkeiten. Auch Longitudinalstudien kommen zu dem Ergebnis, dass die Impfung die Übersterblichkeit senkt (Preprint). Und ratet mal, wie Homburg genau das Gegenteil behaupten will:
Auch hier ertappt Dr. Siemering Homburg dabei, wie er zwei herausgepickte Fakten ohne Kontext nutzt, um seine eigene Position zu stärken. Laut Homburg habe Bremen Ende November 2021 die höchste Impfquote gehabt, aber gleichzeitig auch die höchste Auslastung der Intensivstationen. Er schlussfolgert, die Impfung könne deswegen ja nicht so viel helfen, sei vielleicht sogar schädlich.
Doch auch hier sehen wir wieder einen billigen Manipulationstrick. Entscheidende Fakten zur Interpretation lässt er nämlich aus. Warum fehlt zum Beispiel die Sterberate an Covid? Die war in Bremen zu dem Zeitpunkt siebenmal niedriger als in Sachsen oder Thüringen, auch die Siebentagesinzidenz ist in Sachsen und Thüringen jeweils um ein Vielfaches höher. Man muss sich außerdem anschauen, welcher Teil der Intensivstation tatsächlich wegen Covid-Patient:innen ausgelastet ist. Da stand Bremen (17,8 %) deutlich besser da als z.B. Sachsen (41,8 %). Wie sehr Homburg „falsch liegt“ (aka „manipuliert“) zeigt sich daran, dass Bremen sogar Intensivpatienten aus besonders betroffenen Regionen aufgenommen hat (Quelle). Und er hat offensichtlich nur eine Momentaufnahme genommen, denn über das ganze Jahr verteilt sieht man das Gegenteil.
Wenn man den Behauptungen mal genauer nachgeht, merkt man also schnell, dass wichtiger Kontext fehlt und sogar eigentlich das Gegenteil von dem, was Homburg behauptet, richtig ist.
Fake 10: Homburg behauptet genau das Gegenteil als das, was eine Dänemark-Studie zeigt
Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels wütet die Omikron-Variante des Corona-Virus, wiederum kämpft die Wissenschaft gegen die Zeit, um so schnell wie möglich Informationen über die Mutation zu sammeln. Ist sie eine weitere, gefährliche Eskalation? Oder kann diese Variante das Ende der Pandemie einläuten? Noch kennen wir die wichtigsten Antworten nicht. Doch Desinformations-Verbreiter wie Stefan Homburg hindert das nicht daran, sich einzelne Studienergebnisse herauszupicken und so zu manipulieren, dass es ins eigene Weltbild passt. Geimpfte und Geboosterte haben laut einer Studie eine geringere Ansteckungsgefahr mit Delta und Geboosterte außerdem eine geringere Ansteckungsgefahr mit Omikron. Und was macht der Fake-Verbreiter Homburg?
Auf Twitter behauptete Homburg, die dänische Studie belege, dass Geimpfte bzw. Geboosterte sich sogar schneller mit dem Virus anstecken, als Ungeimpfte. Auch hier nutzt er dabei Cherry Picking und das gezielte Auslassen von Daten, um seine Leser:innen zu manipulieren. Tatsächlich geben die Daten aber genau das Gegenteil her. Hier Dr. Siemerings Thread dazu:
Wenn man die Studie genau liest, erkennt man schnell den Denkfehler: Die höhere Ansteckungsrate bezieht sich auf den Vergleich Delta-Omikron (nicht Geimpfte-Ungeimpfte). Geimpfte stecken sich also häufiger mit Omikron an, als mit Delta. Dasselbe gilt für Ungeimpfte. Tatsächlich hat die Studie also herausgefunden, dass Geimpfte und Geboosterte eine geringere Ansteckungsgefahr mit Delta hatten und Geboosterte außerdem eine geringere Ansteckungsgefahr mit Omikron. Außerdem kommt sie zum Ergebnis, dass Omikron den Immunschutz der Impfung teilweise Umgehen kann und dass Boosterimpfungen die Übertragungsrate reduzieren.
VVP-Special Teil 2
Mit unseren unabhängigen Faktenchecks sind wir natürlich auch Homburg ein Dorn im Auge. Weiter oben haben wir schon gezeigt, wie er krampfhaft versuchte, uns zu widerlegen und dabei scheiterte. Ähnlich ungeschickt stellte er sich in folgendem Beispiel an, als er uns erst vorwarf, wir hätten uns u.a. auf „Beleidigungen“ spezialisiert – und uns buchstäblich im nächsten Satz selbst beleidigt.
Für Beleidigungen wurde Homburg laut Juristen Peter Nagel sogar rechtskräftig zu einer Geldstrafe belangt.
Während Homburg offensichtlich wahrheitswidrig verkündet, er würde niemals „rote Linien“ überschreiten – oder dass er gar keine juristischen Konsequenzen seiner Tiraden habe erleben müssen. Man sieht, bei fast jedem Tweet von Homburg scheint irgendetwas nicht zu stimmen, überall verdreht er die Wahrheit und lässt Dinge weg, es wirkt pathologisch.
Vor kurzem versuchte er außerdem, dem Beauftragten der Landesregierung Baden-Württemberg gegen Antisemitismus, Dr. Michael Blume, anzuhängen, er habe ihn im Volksverpetzer als „Antisemiten“ diffamiert. Wie Dr. Blume selbst richtigstellt, ist das nicht der Fall gewesen:
Auch wenn Homburg dieser Artikel also offenbar gar nicht schmeckt, verlinken wir ihn hier noch einmal, damit ihr selbst nachlesen könnt – und euch selbst überzeugen, ob Homburg irgendwo ein „Antisemit“ genannt wird:
Methode Populismus, Exkurs: Simple Kategorien, „Wir“ und „Die Anderen“
Wir wollen uns nun langsam an den Kern der ganzen Fake News herantasten. Wenn fast alle seine Aussagen unehrlich oder aus dem Kontext gerissen sind – warum macht Stefan Homburg das dann? Um das zu verstehen, müssen wir zuerst einen Blick auf das Konzept „Populismus“ werfen. Es lässt sich herunterbrechen auf die einfache Formel: „Wir“ versus „Die Anderen“. Verschiedene Forscher:innen, die sich mit dem Thema Populismus intensiv auseinandergesetzt haben, sehen diese (rhetorische) Unterteilung der Welt in zwei Kategorien als absoluten Kern des Populismus.
Wie die Kategorien konkret aussehen, ist dabei gar nicht einmal so wichtig. Ben Stanley, Associate Professor an der Uni Warschau, Zentrum für Demokratieforschung, spricht beispielsweise von einer Einteilung in „Wir, das Volk“ und „Die, die Elite“ (Artikel von 2008). Die finnische Politikwissenschaftlerin Emilia Palonen von der Universität Helsinki zeigt in ihrer Analyse zum ungarischen Populismus Viktor Orbáns auf, dass es auch „Wir, die Nation“ gegen „Die, alle Anderen“ heißen kann (Artikel von 2018).
Letztlich ist das genaue Aussehen dieser Kategorien relativ flexibel. Populist:innen werden jedoch immer mit dem „Wir“ gute, ehrenhafte Eigenschaften verbinden und mit „Den Anderen“ schlechte, hintertückische Eigenschaften. Damit schaffen sie für sich (und ihre Anhänger:innen) eine moralische Überlegenheit und die Gewissheit, auf der „richtigen“ Seite zu stehen. Damit lässt sich dann jegliches Vorgehen rechtfertigen, bis hin zur Gewalt – solange es nur darum geht, „Die Anderen“ zu besiegen.
Zurück zu Homburg
Bei Stefan Homburg finden wir Spuren dieser Unterteilung in „Wir“ und „Die Anderen“ beispielhaft auf Twitter. Am 14. Dezember teilte er einen „Demoleitfaden“, den Dr. Christian Siemering bereits analysierte:
Alle, die den obigen kleinen Abriss zum Thema „populistische Rhetorik-Strategie“ aufmerksam gelesen haben, werden schnell feststellen: Das, was Homburg in diesem „Leitfaden“ seinen Twitter-Fans vorgibt, ist eine Kurzform genau dieser Einteilung der Welt in Gut und Böse, in „Wir“ und „Die Anderen“. Die Kategorie „Wir“ sind die „netten und normalen Menschen aus allen Bevölkerungsschichten“ (Stichpunkt 1). Auffällig: Es wird gar nicht genauer beschrieben, was damit gemeint ist. Die schwammige Formulierung soll bewusst möglichst vielen Menschen die Möglichkeit geben, sich mit der „guten Seite“, also mit Homburgs Seite, zu identifizieren.
„Die Anderen“ sind dafür umso genauer beschrieben. Da ist einmal die Polizei, natürlich vor allem in den Situationen, in denen sie gegen den Willen Homburgs das Versammlungsrecht durchsetzt. Dann das „Staatsfernsehen“ und „Fascho-Fotografen“, womit jegliche Pressevertreter:innen diskreditiert werden sollen, die nicht auf Homburg-Linie berichten. Bleibt noch die unklare Masse von allen anderen, die aus Homburgs Sicht „gegen uns“ sind und pauschal als „Antifas“ eingeordnet werden.
Jegliche Gegendemonstration kann damit also auch kinderleicht zu „den Bösen“ zugeordnet werden. Die letzte Gruppe von „Die Anderen“ nennt er agents provocateurs. Damit meint er Rechtsextreme & Co., die auf entsprechenden Demos Stammgäste sind, aber einige bürgerliche „Querdenkende“ abschrecken könnten. Beruhigend erklärt er seinen Twitter-Fans, dass diese auch zu „Den Anderen“ gehören und vom Staat organisiert seien. Somit hält man das „Wir“ frei vom Rechtsextremismus-Makel. Dazu übrigens einige Fakten:
Zwischenfazit: Unantastbar durch populistische Rhetorik – Gift für die Demokratie?
Was wir also sehen, ist: Homburg bietet seiner Gefolgschaft ein fertiges Weltbild an, in der „Gut“ und „Böse“ schon ausdefiniert sind. Man selbst steht ausnahmslos auf der „Guten“ Seite, Polizeimaßnahmen, kritische Presseberichte oder Gegendemonstrationen stehen alle auf der anderen, der „bösen“ Seite. Damit macht sich Homburg selbst auch auf eine gewisse Art unantastbar. Da er die Deutungshoheit darüber hat, wer „gut“ und wer „böse“ ist, ist Kritik an ihm immer auch Kritik an „Uns“ und am „Guten“ schlechthin.
Ob Homburg dabei bewusst auf populistische Strategien zurückgreift oder sich intuitiv auf diese Art „unangreifbar“ machen möchte, können wir nur spekulieren. Nichtsdestotrotz ist es wichtig, diese gefährliche, populistische Art und Weise des Diskurses zu erkennen und zu verstehen. Für den demokratischen Diskurs ist eine solche Herangehensweise enorm toxisch, denn Demokrat:in zu sein heißt auch, anzuerkennen, dass man selbst falsch liegen könnte. Und das bleibt leider nicht die einzige demokratiefeindliche Tendenz, die man bei Homburg findet.
Antidemokratische Takes – dieses Gedankengut untergräbt unsere Demokratie
Nun könnte man vielleicht immer noch glauben, Homburg wäre nur im Corona-Stress ein wenig „falsch abgebogen“ und habe sich in eine „wahnhafte Sache“ verstrickt. Selbst seine populistischen Tendenzen könnte man vielleicht noch mit kaschierter Unsicherheit oder Geltungssucht erklären. Doch der folgende Abschnitt wird diesen Glauben endgültig aus der Welt räumen und sicherlich aufzeigen, dass Stefan Homburg in seinen Tweets und sonstigen Äußerungen demokratiefeindliche Takes nimmt, die eine antidemokratische und grundgesetzfeindliche Grundhaltung nahelegen.
Antidemokratischer Take 1: Relativierung der NS-Zeit
Schon relativ am Anfang der Pandemie (und seiner „Querdenken-Karriere“) fiel Homburg mit Äußerungen auf, die angebliche Parallelen zwischen den Corona-Maßnahmen und dem NS-Regime vergleichen sollten. Auf einer der ersten größeren „Querdenken“-Demo in Stuttgart im Mai 2020 vergleicht er die 1930er Jahre (also den Beginn des NS-Regimes) mit den damaligen Corona-bedingten Einschränkungen. Hier die entsprechende Stelle im Video dazu.
Er vergleicht dabei die NS-Propaganda vom „Volk ohne Raum“, die ideologische Grundlage für den Angriffskrieg der Nazis war und vom rechtsextrem-völkischen Autor Hans Grimm geprägt wurde, mit „Schauergerichten über Corona“. Damit sind wohl die regelmäßigen Lageberichte des RKI und die darauf basierende Berichterstattung gemeint. Dieser Vergleich hinkt nicht nur unfassbar stark, er offenbart auch einen gefährlichen Teil der „Querdenken“-Ideologie. Indem die Regierung, „die Medien“ und alle, die die Maßnahmen befürworten rhetorisch in einen Zusammenhang mit den Nazis gestellt werden, werden die Verbrechen des NS-Regimes enorm verharmlost.
Absurde Nazi-Vergleiche
Gleichzeitig wird auch die eigene, „gute“ Seite in einen moralisch überhöhten Zustand gebracht. Denn sie sind ja diejenigen, die sich gegen das „grausame Regime“ wehren. Das erklärt dann auch, warum so manche glauben, sie seien Widerstandskämpfer:in, nur weil sie eine regierungskritische Demonstration in einem funktionierenden Rechtsstaat angemeldet haben (mehr dazu). Homburg ist übrigens auch nicht der einzige, der sich absurder Nazi-Vergleiche bedient. Der Querdenker und Anwalt Ralf Ludwig vergleicht zum Beispiel gern einfach mal die Umsetzung des Holocausts mit Polizeimaßnahmen in Murnau (mehr dazu). Dabei scheint es ihn (und andere Anwesende) nicht zu stören, dass hier das schwerste Verbrechen der Geschichte und das Leid von Millionen Menschen politisch missbraucht wird. Hauptsache scheint zu sein, sich selbst in die Opferrolle zu begeben und damit wiederum unantastbar für jegliche Kritik zu machen.
In diesem Thread noch ein weiteres Beispiel, diesmal impliziert er, der VS entwickele sich in Richtung Gestapo, der „Geheimen Staatspolizei“ der Nazis:
Antidemokratische Takes 2 & 3: Antisemitismus und „Transhumanismus“-Behauptung
Wir haben bereits erklärt, wie sich Stefan Homburg aus der populistischen Trickkiste bedient. Die Aufspaltung der Gesellschaft in Gut und Böse, das rhetorische „Wir“ gegen „Die Anderen“ und auch: „Das Volk“ gegen „Die Elite“. Nun wäre das schon verwerflich genug, wären es bloße rhetorische Taschenspielertricks. Doch wenn man genau hinschaut, erkennt man Indizien für eine noch viel gefährlichere Ideologie: Antisemitismus.
Verschwörungserzählungen, die inhaltlich nah bei antisemitischen Narrativen liegen, sind unter „Querdenkern“ und sonstigen Pandemie-Leugnenden keine Seltenheit. Manchmal sind die Botschaften jedoch geschickter verpackt, als man es von stumpfen Neonazi-Parolen kennt – was sie nicht minder gefährlich macht, da sie so schwerer zu erkennen sind. Natürlich gibt es aber auch in dieser Szene einige bekannte Namen, die offen gegen die Juden hetzen, ein Beispiel davon haben wir hier analysiert:
Bei Stefan Homburg sind die Antisemitismus-Indizien etwas subtiler
Am 13. Juni 2021 tweetete er (mal wieder, siehe oben) eine simple Einteilung der Welt für seine Follower:innen. Diesmal ging es um „Rotpunkte gegen Grünpunkte“. Das klingt für die meisten eher lächerlich bis unverständlich, ist aber in Homburgs Welt eine wichtige Einteilung. „Rotpunkte“ sind Twitter-User mit roten Punkten in den Usernamen. Mit den roten Punkten wollten sie damals ihre Unterstützung für eine „No-Covid“-Strategie, also harte Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie, ausdrücken. Gegner:innen dieser Idee färbten dann später ihre eigenen Profile mit grünen Punkten (Quelle, Quelle).
Logischerweise preist Homburg „Grünpunkte“ mit guten Eigenschaften, die bösen „Rotpunkte“ werden verteufelt. Doch ein weiteres Detail ist auffällig. Er assoziiert nämlich die jeweiligen „Punkte“-Bewegungen mit Personen der Öffentlichkeit. Bei den „bösen“ Rotpunkten sind darunter George Soros, ein jüdischer Milliardär, Weltwirtschaftsforum-Chef Klaus Schwab oder auch Microsoft-Gründer Bill Gates. All diese Männer werden stellvertretend für eine (Finanz-)Elite genannt. Die Parallelen zur Verschwörungserzählung vom „Weltjudentum“, das die finanziellen Fäden in der Hand hält, sind erschreckend – gerade im Fall George Soros#, der eines der beliebtesten Ziele antisemitischer Verschwörungserzählungen der Gegenwart ist.
Wir haben bereits damals den Artikel dazu geschrieben, den wir auch schon weiter oben erwähnten:
Falls ihr euch fragt, wie genau Außenministerin Annalena Baerbock in die Welt antisemitischer Verschwörungserzählungen passt, mehr dazu hier:
Antidemokratischer Take 4: Das Grundgesetz ist kein Freifahrtschein für den Willen eines Einzelnen!
Stefan Homburg behauptete im Dezember 2021, eine Impfpflicht sei prinzipiell nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Seine „Argumentation“ ist, dass das Grundgesetz sich vom Faschismus und „Kommunismus“ abgrenzen habe wollen. Es stelle also damit, so schlussfolgert Homburg, Individualrechte über Kollektivrechte und man dürfe quasi machen was man wolle. Freiheit des Einzelnen als höchstes Gut? Ganz so einfach ist es leider nicht. Und so komplett ohne juristischen Sachverstand an die großen Fragen des Verfassungsrechts zu gehen, ist ebenfalls keine gute Idee, wie auch Dr. Siemering hier schreibt.
Es stimmt, dass das Grundgesetz die Grundrechte und vor allem die Menschenwürde betont, um sich vom Faschismus abzugrenzen (dies ist eine Lehre aus der gescheiterten Weimarer Verfassung). ABER: Das bedeutet nicht, dass das Individuum tun und lassen kann, was es will. Mit Freiheit und Individualrechten geht nämlich auch Verantwortung einher. Absolute Freiheit des Einzelnen würde zwangsläufig Einschränkungen für alle anderen bedeuten. Deswegen müssen verschiedene Freiheiten immer abgewogen werden. Faustregel ist Art. 2 (1) GG:
(1)Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
Exakte Prüfung statt Bauchgefühl!
Weiterhin reicht eine solche Bauchgefühls- „Analyse“ des Grundgesetzes bei weitem nicht aus, um festzustellen, ob eine potentielle Impfpflicht grundrechtlich vertretbar wäre. Dazu benötigt es einer spezifischen Grundrechtsprüfung, wie alle Jura-Studierende bereits im zweiten Semester wissen. Ironisch: Homburg bezieht sich in seiner nahezu pathetischen Ausführung auf das Grundgesetz und stellt sich als Verteidiger des Erbes der „Mütter und Väter des Grundgesetzes“ dar, aber zum Umgang mit dem Grundgesetz und zur Prüfung anhand desselben scheint er nicht in der Lage zu sein.
Falls ihr erfahren wollt, wie so eine Grundrechtsprüfung aussehen könnte und warum eine Impfpflicht unter bestimmten Bedingungen sehr wohl verfassungsmäßig sein kann, dann schaut bei Anwalt Chan-jo Jun vorbei. Er hat genau dazu bereits ein YouTube-Video gedreht:
Antidemokratischer Take 5 – BverfG entfernen „wie einen Blinddarm“
Diese Episode (hier festgehalten von Dr. Siemering) ist zwar nur ein kleiner, vielleicht auch unbedachter Tweet, doch auch sie zeigt, wie wenig Respekt Homburg vor den Institutionen unserer Demokratie hat. Der Kontext ist ein Tweet von einem Twitter-Nutzer namens Benedikt Brechtken, in welchem dieser fordert, der ÖRR müsse entfernt werden „wie einen Blinddarm“. Das wäre an sich schon demokratieverachtend genug, doch Homburg setzt noch einen drauf, denn er antwortet „BVerfG nicht vergessen“.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ist die höchste Instanz, wenn es in Deutschland um Verfassungsfragen geht. Damit ist sie auch von herausragender Bedeutung für die Judikative, also die Rechtsprechung in Deutschland. Als objektive Instanz kann das Gericht letztlich alle Gesetze darauf hin überprüfen, ob sie auch dem Grundgesetz entsprechen. In der Vergangenheit hat es durchaus kontrovers diskutierte Urteile des BVerfG gegeben. Doch wer diese Kontrollinstanz komplett entfernen möchte („wie einen Blinddarm“), zeigt damit nur, dass er keinen Respekt vor der Gewaltenteilung und der demokratischen Grundordnung hat.
Antidemokratischer Take 6 – Verfolgung von Abgeordneten nach namentlicher Abstimmung
Kontext: Am 10.12. wurde im Bundestag über die Einführung der Impfpflicht für Gesundheits- und Pflegepersonal abgestimmt. Die Abstimmung fand namentlich statt, das heißt man konnte im Nachhinein genau nachvollziehen, welche:r Abgeordnete wie abgestimmt hatte. Schon am Tag davor offenbarte Stefan Homburg auf Twitter erneut, wie viel (oder wenig) er von demokratischen Prozessen hält.
Unter dem Vorwand, die Abgeordneten verstießen „gegen Recht des Europarats“, kündigt er an, die Verstöße könnten „für eine spätere Verfolgung“ dokumentiert werden. Natürlich klingt es hier so, als wäre er nur besorgt um die Einhaltung europäischen Rechts. Allerdings spricht viel dafür, dass das hier nur ein Vorwand ist.
Ausreden
Homburg selbst gibt zu, dass der Europarat nicht die EU ist und sein Recht nicht gleichzusetzen ist mit verbindlichem Unionsrecht. Dann verflüchtigt er sich in die weitere Ausrede, dass ja auch die Europäische Menschenrechtskonvention „nur“ vom Europarat sei. Abgesehen davon, dass das nur ein schwächlicher Whataboutismus ist, ist er auch noch falsch. Denn die EMRK ist in Artikel 6 Abs. 3 EUV explizit als Teil des Unionsrechts benannt.
Wir sehen also: Die scheinbaren juristischen Bedenken sind nur vorgeschoben. Es geht wohl viel mehr darum, Druck auf Abgeordnete auszuüben und diese einzuschüchtern. Demokratisch gewählten Abgeordneten mit einer „Verfolgung“ zu drohen, wenn sie nicht so abstimmen, wie es der politischen Position von Herrn Homburg entspricht, ist ein weiteres Indiz für eine demokratieferne Grundhaltung.
Fazit: Homburgs Antidemokratische Grundhaltung – ein Fall für den Verfassungsschutz?
Wir sehen also, dass Homburg in Tweets, Reden und sonstigen Äußerungen immer wieder eine antidemokratische Grundhaltung durchscheinen lässt. Er teilt Verschwörungserzählungen, die nah an antisemitische Narrative heranreichen, möchte Abgeordnete des Bundestages verfolgen, wenn sie nicht seiner Meinung entsprechend abstimmen, ihm mangelt es an Respekt vor den Institutionen der Bundesrepublik und erhält die Freiheitsrechte des Grundgesetzes für einen persönlichen Freifahrtsschein, zu tun und zu lassen, was er möchte. Somit ist es kein Wunder, dass er mittlerweile auch dem Verfassungsschutz Niedersachsen „bekannt“ ist. Siehe unter anderem hier, nach einem Tweet in dem er die Impfpflicht mit Sterbehilfe und dem „Euthanasieprogramm“ verglichen hatte:
Zu dieser Story gibt es übrigens auch noch einen zweiten Teil. Denn natürlich nutzte Homburg diesen Tweet aus, um sich selbst als Märtyrer im „Kampf für die Freiheit“ darzustellen. Doch Homburg ist, anders als einige User auf Twitter glaubten, kein Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes. Das stellte der Verfassungsschutz zwar auch klar, aber Homburg fühlte sich so wohl in der Opferrolle, dass das offenbar egal war:
Ein unerwarteter Plottwist – Flucht nach Afrika?
Mittlerweile gehört Stefan Homburg zu denjenigen, die im „Namen des Widerstandes“ bereits alle Brücken hinter sich abgerissen haben. Seine Professur an der Leibniz Universität Hannover sowie die Leitung des Instituts für Öffentliche Finanzen ist er los und im Ruhestand (Quelle). Seine Reputation hat er mit seinen zahllosen Falschbehauptungen und Manipulationen mittlerweile wohl irreparabel beschädigt. Wir wären an dieser Stelle nun eigentlich davon ausgegangen, dass Homburg in Zukunft verzweifelt versuchen wird, wenigstens sein Image als „selbstloser Märtyrer des Freiheitskampfes“ aufrecht zu halten und auszunutzen. Doch während der Artikel in Arbeit war, kam der vielleicht amüsanteste Plottwist zu Tage:
Nach der Flucht vor der Realität folgt also auch die “Flucht” nach Afrika und der angekündigte Rückzug aus Social Media. Er schließt sich damit vielen anderen Führungsfiguren der „Querdenken“ und pandemieleugnende Szene an:
Vielleicht hilft es Stefan Homburg ja, doch noch einen Ausweg aus dem Teufelskreis der Social Media-Echokammer zu finden, in der er unterwegs ist. Man möchte es ihm wünschen. Doch für alle anderen ist es eine gute Nachricht, dass sich eine weitere Fake News Schleuder (vorerst) zurückzieht.
Artikelbild: picture alliance / dpa
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