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Urteile der Woche (KW 36): Holocaustleugnung in der Steuererklärung

von | Sep 10, 2023 | Serie

Es gibt nicht nur immer mehr Prozesse gegen Demokratiefeinde und Extremisten – es gibt auch immer mehr Urteile. Die Abgrenzung, wer „Querdenker“, Rechtsextremist, Antisemit, Reichsbürger oder alles gleichzeitig ist, fällt uns mit dem Wegfall der Covid19-Schutzmaßnahmen immer schwieriger. Am Ende wählen die meisten ohnehin die rechtsextreme AfD oder stehen ihr ideologisch zumindest nahe. Die Übergänge verfließen immer weiter. Zugleich haben viele der Verurteilten auch deutliche Schnittmengen mit anderen demokratiegefährdenden Gruppen, sodass wir uns nun entschlossen haben, die „Querdenker“-Urteile umzubenennen. Ab sofort veröffentlichen wir die „Urteile der Woche“, und zählen darin alle Demokratiefeinde, Desinformationsverbreiter und Wissenschaftsfeinde auf. Letzte Woche berichteten wir darüber, dass mal wieder ein AfD-Mitglied straffällig wurde, er hinterließ u.a. Hakenkreuze auf ukrainischen Autos. Ganz Querdenker-like legte er natürlich Berufung ein:

Uelzener Kinderarzt & AfD-Ratsherr wegen falscher Atteste verurteilt

Eigentlich berichten wir ausschließlich, dass Querdenker ihre Strafen und Urteile nie akzeptieren und fast schon aus Reflex immer wieder Rechtsmittel gegen die Urteile oder Einspruch gegen die Strafbefehle einlegen. Und was sollen wir sagen? Das ist auch in diesem Fall nicht anders. Dr. Günther Riedl (AfD-Ratsherr) wurden im April 2022 vor dem Amtsgericht Uelzen 29 gefälschte Atteste vorgeworfen, zuvor legte er Einspruch gegen einen Strafbefehl über 10.500 € ein. Der Zweck dieser Atteste sei ganz klar die Befreiung von der Maskenpflicht. Im April 2022 kündigte er noch an, keine Rechtsmittel einzulegen, denn: „Ich bin müde, will ein Ende.“

Mal wieder werden Urteile nicht akzeptiert

Der Richter äußerte sich damals wie folgt: „Sie waren sich nach meiner Überzeugung des möglichen juristischen Ärgers bewusst und haben deshalb versucht, das Ganze durch Formulierungen zu verschleiern. (…) Ich weiß, dass Sie ein guter Kinderarzt gewesen sind, glaube aber, dass Sie sich ein bisschen in Corona verrannt haben.“ (zitiert nach AZ-Online) Riedl wurde damals zu 120 Tagessätzen zu je 70 € (8.400 €) verurteilt – und ging in Revision. Der Prozess musste neu aufgerollt werden, da minimale Formalien nicht berücksichtigt wurden.

Ende August wurde der Fall nun erneut vor dem Amtsgericht Uelzen verhandelt. Die ursprünglich 30 angeklagten Fälle konnten nur in 26 Fällen bestätigt werden. Riedl zeigte sich geständig, verlas aber wieder ein vierseitiges Schreiben, wo er erläuterte, wieso er sein damaliges Vorgehen für richtig halte. Nachdem im ersten Prozess bereits ein Fall eingestellt wurde, wurden in diesem August drei weitere Fälle eingestellt, sodass noch über 26 Atteste entschieden werden musste.

Neues Urteil irritiert

Das neue Urteil irritiert zumindest uns. Die Tatvorwürfe sind so weit bestätigt, drei Fälle fallen raus, aber 26 blieben stehen. Von Reue keine Spur. Man könnte meinen, er würde dies jederzeit wieder tun. Und das Gericht? Die Richterin verurteilt ihn diesmal nur zur Hälfte der Strafe (90 Tagessätze zu je 50 €), sodass er noch nicht einmal vorbestraft wäre UND setzt das Ganze daher noch zur Bewährung aus. Die gesamten Rechtskosten trägt nun der Staat und somit wir alle, während er sich entspannt zurücklehnen kann. Kein Wort über das Geld, dass er mit der Ausstellung der Atteste verdient haben könnte.

Die Bewährungszeit ist für den 70-jährigen, der nicht mehr arbeitet, auf 18 Monate festgelegt worden. Weiterhin erhielt er eine Verwarnung, wow. Als Begründung nannte die Richterin unter anderem den langen Verfahrenszeitraum und die Tatsache, dass die „Corona-Situation gefühlt Vergangenheit“ sei. All das, während in Deutschland bereits wieder die ersten Menschen mit Corona auf der Intensivstation liegen und die WHO vor steigenden Corona-Zahlen warnt … Riedl nahm das Urteil sofort an, die Staatsanwaltschaft erklärte ebenfalls Rechtsmittelverzicht, sodass das Urteil direkt rechtskräftig war.

Wenn Querdenker eins gelernt haben: um ihren Willen zu bekommen, müssen sie einfach möglichst lange möglichst viele Menschen nerven und Teile der Justiz fast schon „lahmlegen“, mit Berufungen und Revisionen. Am Ende bekommen sie dann auch noch Recht für ihr gesellschaftszerstörendes Verhalten und die Destabilisierung der Demokratie. Schon erstaunlich dafür, dass der Staat laut ihren Narrativen ja gegen die Individuen handelt und uns alle nur zerstören möchte, oder?

Neonazi-Juristin leugnete Holocaust in Steuerschreiben: Freispruch

Das hier fällt in die Kategorie: „Urteile, die wir uns so nicht hätten ausdenken können.“ Angeklagt war Sylvia Stolz, ehemalige Rechtsanwältin und Lebensgefährtin von Rechtsextremist Horst Mahler, die bereits 2006 Beschwerden mit „H*** Hitler“ unterzeichnete und ständig nur vom „Deutschen Reich“ sprach. Schöffen stellte sie damals „im Falle einer Verurteilung des Angeklagten die Todesstrafe wegen „Volksverleumdung und Feindbegünstigung“ in Aussicht“. Der Spiegel schreibt: „Auf ihrem Briefkopf prangt der Reichsadler, darunter steht: „In Geschäftsführung ohne Auftrag für das Deutsche Reich.“

2009 wurde sie daher wegen Volksverhetzung verurteilt, erhielt eine Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 3 Monaten – und quittierte dies mit einem Hitlergruß. Die Zulassung als Anwältin wurde ihr mittlerweile entzogen

Volksverhetzung in der Steuerbescheid-Beschwerde

Der neue Prozess jetzt befasste sich ebenfalls mit Volksverhetzung. So soll Sylvia Stolz nach Auskunft des Merkur einen Bescheid des Finanzamts bekommen haben. Inhalt: die steuerliche Bewertung ihres Grundstücks. Stolz legte ausführlich Einspruch ein. So ausführlich, dass es am Ende 339 Seiten waren. Im Schreiben selbst sei wenig Einlassung auf den ursprünglichen Bescheid zu finden gewesen, wohl aber einiges, was Hinweise auf Volksverhetzung lieferte. Irgendwie schaffte es die Neonazi, in dem Einspruch den Holocaust zu verharmlosen.

Das sah auch der Richter so: „in unerträglicher Weise die Judenvernichtung verharmlost“. Sie stelle „die eigene Denke über das Leid von Menschen“. Er warf ihr vor, dass der steuerrechtliche Aspekt nur der Aufhänger gewesen sei, damit sie hetzen könne. Ja, es ging eigentlich um eine Grundstücksbewertung.

Tatsächlich gab es am Ende des Prozesses dann aber einen Freispruch. Der Tatbestand erfordert eine Öffentlichkeit, die bei einem direkten Schreiben an einen Finanzbeamten nicht gegeben sei. Die Behörde gehe sensibel mit Daten und dem Briefgeheimnis um, sodass Sylvia Stolz am Ende aus rein formalen Gründen freizusprechen war. Rechtskräftig ist das Urteil noch nicht, doch das Gericht wollte die Eröffnung des Verfahrens zunächst bereits aufgrund dieser Formalie abweisen. Ob die Staatsanwaltschaft in Revision geht, ist unklar.

Weimar: Pro-Querdenken Richter erhält 2 Jahre auf Bewährung

Das jetzige Urteil ist eine Geschichte in mehreren Akten. Es fing alles Anfang 2021 an. Mit einem Familienrichter aus Weimar, der Urteile in einem Prozess fällte, für die er formal gar nicht zuständig war. So wollte er damals festlegen, dass die Maskenpflicht an Schulen in Thüringen (und perspektivisch ganz Deutschland) ungültig sei. Das Problem dabei war nur, dass sich das zuständige Bildungsministerium in Thüringen umgehend von dem Beschluss distanzierte, denn er warf „gravierende verfahrensrechtliche Zweifel auf“.

Der Richter erklärte nämlich einfach willkürlich, dass der Beschluss nicht nur für die beiden klagenden Kinder gelten solle, sondern für alle Kinder. Damit hätte er faktisch alle Regeln zur Eindämmung der Pandemie außer Kraft gesetzt, was er als Familienrichter offensichtlich gar nicht mal kann. Familiengerichte seien nicht befugt, Anordnungen gegenüber Behörden zu treffen. Dafür fehle es an der erforderlichen gesetzlichen Grundlage. Querdenker feierten den Quatsch-Beschluss natürlich, zu früh, wie Volksverpetzer damals bereits richtig feststellte.

Der Richter klagte zuvor selbst erfolglos vor Gericht, um das Ganze dann einfach in die eigene Hand zu nehmen. Das ging aber direkt in den ersten 72h nach Urteilsverkündung schief. Das Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport ruderte unmittelbar zurück und verwies auf die nach wie vor bestehende Maskenpflicht an Schulen. Der Beschluss wurde umgehend gekippt, am Ende gab es sogar Ermittlungen gegen den Richter selbst wegen Rechtsbeugung.

Der Beschluss stützte sich auf pseudowissenschaftlichen und längst widerlegten Unsinn – und auch juristisch war er äußerst fragwürdig. Offenbar war der Richter selbst von Querdenken-Desinformation indoktriniert worden. Weiterhin hätte das Verfahren am Amtsgericht gar nicht geführt werden dürfen, da die Zuständigkeit für Coronaschutzverordnungen bei Verwaltungsgerichten und nicht bei Familiengerichten liegt. Mittlerweile prüfte die Staatsanwaltschaft Erfurt sogar das Vorliegen einer Straftat, da dort mindestens drei Anzeigen wegen Rechtsbeugung eingegangen waren.

ANTRAG WURDE DEM RICHTER WOHL ABSICHTLICH ZUGESCHOBEN

Die Tatsache, dass ausgerechnet er als Familienrichter dieses Verfahren an sich zog, soll übrigens auch kein Zufall gewesen sein. Eine ortsansässige Rechtsanwältin habe nach Auskunft der Thüringer Allgemeine in Telegram-Gruppen gezielt nach Klagewilligen gesucht, deren Nachnamen mit den Buchstaben B, E, F, H, I, J, L, Q, R, S, T, U, V und X anfangen. Rein zufällig die Buchstaben, für die der vorsitzende Richter laut Geschäftsverteilungsplan des Amtsgerichts zuständig ist. 

Es bestand ein Anfangsverdacht, dass er sich bei dieser Entscheidung einer Rechtsbeugung schuldig gemacht habe, „indem er sich bewusst und in schwerwiegender Weise von Recht und Gesetz entfernt hat, seine Entscheidung also von den gesetzlichen Vorschriften nicht mehr getragen wird, sodass sie willkürlich erscheint.“ Daraufhin folgte eine Hausdurchsuchung und die Sicherstellung von Beweismitteln (u.a. Handy).

Dem Richter wurde vorgeworfen, „elementare Verfahrensvorschriften missachtet und gegen materielles Recht verstoßen zu haben“. In der Anklage heißt es: er „habe sich in schwerwiegender Weise von Recht und Gesetz entfernt, um die angebliche Unwirksamkeit und Schädlichkeit staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der Coronapandemie öffentlichkeitswirksam darzustellen.“

Entfernung aus dem Richterdienst bestätigt – Zwei Jahre Freiheitsstrafe

Ebenso wurde er natürlich aus dem Richterdienst entfernt – und ging juristisch dagegen vor. Ende Januar berichteten wir, dass er diesen Prozess verlor. Eine Entfernung aus dem Richterdienst sei vorerst bei den vorliegenden Straftatbeständen legitim. Das Richterdienstgericht am Landgericht Meiningen bestätigte, dass ein Weimarer Familienrichter vorerst nicht mehr als Richter am Amtsgericht Weimar arbeiten darf.

Ende August folgte nun das Urteil: Er habe „mit hoher krimineller Energie ein Kinderschutzverfahren aufgesetzt“. Er wurde der Rechtsbeugung schuldig gesprochen und erhielt eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Ob er dieses Urteil annimmt, ist noch nicht bekannt. Die Staatsanwaltschaft hatte zudem eine Strafe von drei Jahren gefordert. Das ist das erwartbare Ende einer großen Farce. Und wieder ein Querdenker-Märchen, das nie wahr wurde.

Artikelbild: shutterstock/canva