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Neue Terrorgefahr: Vorsätzlicher Bombenanschlag auf ein Corona-Testcenter in den Niederlanden

von | Mrz 3, 2021 | Aktuelles

Terrorgefahr von Seiten der Querdenkenbewegung

von Anastasia Tikhomirova

Heute um 7 Uhr morgens kurz vor der Öffnung ereignete sich eine Explosion in einem Corona-Testcenter  in der nordholländischen Stadt Bovenkarspel nördlich von Amsterdam. Bei der Explosion zersplitterten Fenster, und Metallreste des Sprengsatzes, etwa 10cm mal 10cm groß, wurden an der Vorderseite des Gebäudes gefunden. Verletzte gab es nicht. Ein Sicherheitsbeamter befand sich im Inneren des Testzentrums, als der Sprengsatz hochging, blieb unverletzt und alarmierte die Polizei, berichtete der nationale Sender NOS.

Laut holländischer Polizei muss die Explosion wohl vorsätzlich herbeigeführt worden sein, indem ein Sprengsatz zuvor in einem Metallrohr an der Außenseite des großen Gebäudes platziert worden war. Polizeisprecher Menno Hartenberg sagte: „Wir wissen noch nicht genau, was explodiert ist, das müssen erst die Sprengstoffexperten untersuchen. Was wir sagen können, ist, dass so etwas nicht einfach so passiert, es muss gelegt worden sein.“

Das Gebiet wurde zu Ermittlungszwecken abgesperrt und eine Spezialeinheit für Explosivstoffe hinzugezogen, um das Gebiet zu sichern und auf mögliche weitere Sprengsätze abzusuchen. Hinweise auf mögliche Täter gab es zunächst nicht (Quelle).

Wut auf die Gesundheitsbehörden hat zugenommen

Die Region um die ländliche Stadt Bovenkarspel leidet derzeit unter einem der schlimmsten Covid-19-Ausbrüche in den Niederlanden, mit 181 Fällen pro 100.000 Einwohner an einem Tag. Verglichen mit etwa 27 pro 100.000 landesweit an einem Tag (In den Niederlanden ist die Zählweise anders, dort sind die Zahlen auf die Woche gerechnet höher als bei uns, Quelle). Mindestens ein Krankenhaus war gezwungen, Patient:innen in andere Provinzen zu verlegen, weil die Intensivstationen nicht mehr ausreichten. Diesen Mittwoch sind die Abriegelungsmaßnahmen in den Niederlanden leicht gelockert worden: Friseure haben wieder geöffnet, und nicht lebensnotwendige Geschäfte dürfen nach Vereinbarung eine kleine Anzahl von Besucher:innen akzeptieren.

Eine nächtliche Ausgangssperre von 21 Uhr bis 4:30 Uhr bleibt weiterhin bestehen. Die Wut gegen die Gesundheitsbehörden hat seit Anfang 2021 zugenommen, sodass der Leiter des Nationalen Instituts für Gesundheit nun von einem Sicherheitsdienst zu öffentlichen Auftritten begleitet werden muss. Ist der Anschlag auf das Testcenter eine Äußerung dieser Wut?

Nicht der erste Anschlag auf ein Gesundheits- oder Testcenter

Es wäre nicht das erste Mal, dass es einen Anschlag auf Gesundheits- oder Testcenter gab. Auf der östlichen Seite des Ijsselmeers war Ende Januar ein ähnliches Testzentrum niedergebrannt worden, was der Auftakt zu tagelangen Ausschreitungen im Land gegen die nächtliche Ausgangssperre war. Dabei wurden auch an Teststandorten in Amsterdam Fenster eingeschlagen (Quelle).

Doch auch in Deutschland gab es bereits mehrfach Bombendrohungen gegen Gesundheitsämter (Quelle). Erst gestern wurde ein Impfzentrum in Hamburg von Pandemie-Leugner:innen mit Gewalt bedroht. Die Polizei beschlagnahmte bedrohliche Plakate bei den Tätern, welche eine Anleitung zur Sprengung des Impfzentrums und einen Virologen mit Pistole am Kopf zeigen (Quelle).

Wir erinnern uns: Auch in Berlin gab es Terror gegen Forschungsinstitutionen. Im Oktober wurde ein Sprengsatz vor der Leibnitz-Gemeinschaft gezündet. In der Woche zuvor gab es einen Brandanschlag auf das RKI. Wir haben darüber berichtet:

„Querdenker“-Terror: Sprengsatz in Berlin vor Leibniz Forschungseinrichtung gezündet

Wer auch immer die Täter:innen waren, in den Gruppen der „Querdenker“ wurde der Anschlag auf jeden Fall gefeiert:

Terrorklatscher: Maskenhasser bejubeln den Brandanschlag auf das RKI

Auch Angriffe auf Journalist:innen waren ebenfalls nicht unüblich auf den Querdenken-Demos:

Leipziger wehrten sich gegen Querdenker, Polizei versagte – auch beim Schutz unserer Reporterin

Anschlag auf eine ICE-Strecke

Außerdem verübten anscheinend Querdenker:innen Anfang des Jahres einen Anschlag auf eine ICE-Strecke bei Schweinfurt. Die bisher erlangten Erkenntnisse zu der Tat deuteten „stark darauf hin“, dass es eine Protestaktion von Gegnern der Corona-Maßnahmen gewesen sei. Am Dreikönigstag hatte ein aus Schweinfurt kommender ICE zwischen Waigolshausen und Gemünden eine Notbremsung einleiten müssen, nachdem er eine zwischen Holzlatten gespannte Plane überfahren hatte. In Tatortnähe entdeckten Polizisten danach noch weitere solcher Konstruktionen. Der Triebwagen des ICE wurde leicht beschädigt, verletzt wurde niemand (Quelle).

Die Radikalisierung der Querdenkerszene schreitet auch über nationale Grenzen hinweg immer weiter voran. Die immer militanter wirkenden Pandemieleugner:innen stellen eine wachsende Bedrohung dar und eine kleine Gruppe davon vielleicht eine neue Art des Extremismus. Die AfD und andere rechte Parteien versuchen sich an die Bewegung dranzuhängen und somit Wähler:innen zu gewinnen.

„Sie haben die Querdenkerbewegung als potenzielles Spalt-, Mobilisierungs- und Rekrutierungspotenzial erkannt. Daher traten rechtsextreme Gruppierungen von Anfang an als offene Förderer und Unterstützer dieser Protestszene auf“. Sie bieten „Online-Plattformen zur Vernetzung, Organisation von Protesten, Rechtshilfe, befeuernde Kommentare, Videos“ an oder treten „selbst als provozierende Organisatoren von Corona-Kundgebungen“ auf, darunter unter anderem Mitglieder von der NPD, „DIE RECHTE“ und „Der III. Weg“, außerdem Angehörige aus dem Spektrum der Neuen Rechten und der „Reichsbürger“ (Quelle: Verfassungsschutz und Der Standard).

Und eigene Recherchen:

So rechtsextrem war Berlin: AfD, NPD, III. Weg, Identitäre, Holocaustleugner, Gewalt

Woher die Terrorgefahr der Querdenker kommt

Es zeigt sich: Rechtsextreme unterwandern die Querdenkenproteste, was ihnen auch gelingt, jedoch wäre es verkürzt und unzureichend, alle Querdenker:innen pauschal als rechtsextrem zu bezeichnen. Das besondere Momentum der Querdenken-Bewegung kristallisiert sich aus ihrer heterogenen Zusammensetzung heraus – hier marschieren Verschwörungsideologen neben Rechtsextremen, Selbstversorger:innen und Esoteriker:innen Hand in Hand mit Antisemit:innen und alternative Spirituelle, Yogis und Hippies zusammen mit Reichsbürgern, Identitären und Faschisten.

Wie Verschwörungsideologien und Antisemitismus zusammenhängen

Die diffuse und vielschichtige Querdenkerbewegung besteht aus Menschen mit unterschiedlichen politischen Ansichten (einige von ihnen waren vor der Pandemie „unpolitisch“) und Überzeugungen – ihr gemeinsamer Nenner ist ihre verfassungsfeindliche Gegnerschaft zu einem Staat, der seine Bürger:innen angeblich durch die „Corona-Diktatur“ unterdrücken würde. Durch die (angeblich und in manchen Fällen auch tatsächlich) drohende existenzielle Not gelingt die massenhafte Mobilisierung von Maßnahmengegner:innen, die ohne Rücksicht auf Verluste auf den rechtsoffenen Protesten marschieren. Diese Verluste belaufen sich auf bis zu 21 000 durch Querdenkerdemos verursachte Infektionen (Quelle), Missachtung staatlicher Vorgaben, NS-Relativierungen und auch der Rechtfertigung und Anwendung von Gewalt.

Corona-Querfront: Von Homöopathie & Handauflegen zur Holocaustrelativierung?

Der Wunsch nach einer gewalttätigen Revolution

Es ist nicht unüblich, dass sich eine militante, extremistische Gruppe von einer radikalen Bewegung abspaltet – diese Gefahr besteht auch hier, wie bereits begangene und angedrohte Anschläge zeigen. „So wird sogar die Notwendigkeit eines Bürgerkriegs heraufbeschworen, Regierungsmitglieder als Massenmörder verunglimpft und die Protestbewegung als legitime Revolutionsbewegung, die militant gegen ein tyrannisches Regime vorgehen muss, dargestellt. Physische Gewalt bis hin zu Todesdrohungen gegen Politiker, Behörden, Medien und die Polizei wird als notwendig beschrieben.“ (Quelle).

Artikelbild: Koen Van Weel/ANP/dpa

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