Kommentar
Nach knapp einem Jahr Ukraine Krieg meldet sich Alice Schwarzer erneut zu Wort und fordert zusammen mit Sarah Wagenknecht in einer Online Petition die Einstellung der Waffenlieferungen an die Ukraine. Gerade zu einem Zeitpunkt, wo es der Ukraine weiterhin an Waffen und Munition mangelt und Russland im Osten erneut zur Offensive übergeht und mobilisiert.
Beide Personen sind, was ihre Äußerungen zum Ukraine-Konflikt angeht, höchst umstritten, Wagenknecht fällt regelmäßig mit Putin-freundlichen Forderungen auf, Schwarzer erntete im letzten Jahr mit ihrem offenen Brief in der Emma viel Häme und Kritik. Schwarzer, die dezidiert keine Expertin ist, ist deshalb schon oft mit unqualifizierten Aussagen negativ aufgefallen.
Viel Rhetorik, wenig Fakten, falsche widersprüche
Die Petition, die mit einem Demoaufruf am Brandenburger Tor endet, ist besonders perfide ausgestaltet und formuliert. Sie suggeriert, dass man der Ukraine helfe, indem man sich für den Stopp der Waffenexporte stark macht, sich damit das Blutvergießen stoppen ließe und dass sich endlich für Friedensverhandlungen eingesetzt werden sollte. Keine der beiden implizierten Botschaften entspricht den Fakten. Insbesondere wegen der Waffen und Munition kann sich die Ukraine gegen die russische Invasion wehren, Friedensverhandlungen werden seitens der Russen immer wieder auf Eis gelegt oder zunichte gemacht. Wir hatten eine lange Liste an Verhandlungs-Versuchen des Westens hier dokumentiert.
Der Rhetorik-Trick von Schwarzer & Co: Zwischen Waffenlieferungen und Verhandlungen einen falschen Widerspruch zu erzeugen. Doch der Ukraine zu helfen, damit der Kriegstreiber Putin nicht Erfolg hat, und auf einen schnellen Frieden drängen, schließt sich nicht aus. Man kann der Ukraine helfen und trotzdem gleichzeitig versuchen, zu verhandeln.
Es sei an dieser Stelle erwähnt, dass wir uns alle wünschen, dass das Blutvergießen in der Ukraine bald ein Ende haben möge. Das bloße einstellen der Waffenlieferungen wird aber nicht dazu führen, sondern eher dazu, dass die Opferzahlen auf der ukrainischen Seite noch höher ausfallen und Russland am Ende die Oberhand im Krieg gewinnt. Ein Krieg wohlgemerkt, den Putin alleine begonnen hat.
Propaganda im Sinne Putins
Die Strategie der Petition ist klar: Einfache Botschaften mit rhetorischen Tricks sollen dafür sorgen, die öffentliche Meinung über Waffen und Munitionslieferungen an die Ukraine ins Negative zu ändern, gerade weil sie angesichts der letzten Entscheidung zu Panzerlieferungen sehr umstritten in der deutschen Gesellschaft gewesen ist. Der Unterton der Petition von Schwarzer, Wagenknecht & Co.:
“Wenn wir aufhören der Ukraine Waffen zu liefern, können sie auch nicht mehr solange Widerstand leisten. Dann muss verhandelt werden. Und der Krieg endet dann.”
Hauptsache, der Krieg sei bald vorbei, also könne man aufhören, Waffen zu liefern. Eine Logik, die sich auch schon vor einem Jahr als falsch erwies. Zu großen Teilen, weil der Westen das Land unterstützt hat, konnte sich die Ukraine solange gegen Russland wehren. Die naive und brutale Forderung, dem kriegstreibenden Diktator doch einfach gewinnen zu lassen, wird durch pseudo-pazifistische Rhetorik kaschiert. Im Endeffekt nutzen die Forderungen aus der Petition vor allem einen: Putin.
Schauen wir uns ein paar der einzelnen Passagen der Petition genauer an.
Manipulation in Textform
Heute ist der 352. Kriegstag in der Ukraine. Über 200.000 Soldaten und 50.000 Zivilisten wurden bisher getötet. Frauen wurden vergewaltigt, Kinder verängstigt, ein ganzes Volk traumatisiert. Wenn die Kämpfe so weitergehen, ist die Ukraine bald ein entvölkertes, zerstörtes Land.
Die von Russland brutal überfallene ukrainische Bevölkerung braucht unsere Solidarität. Aber was wäre jetzt solidarisch? Wie lange noch soll auf dem Schlachtfeld Ukraine gekämpft und gestorben werden? Und was ist jetzt, ein Jahr danach, eigentlich das Ziel dieses Krieges?
Da wir wissen, wie diese Petition endet, ist schon der Beginn des Schreibens von Wagenknecht und Schwarzer sehr perfide gewählt. Sie suggerieren, man würde hier unterzeichnen, um der Ukraine zu helfen das Leid zu beenden. Davon kann nicht die Rede sein. Es sind nicht unsere Waffenlieferungen, die den Krieg fortsetzen, sondern es ist Russland, dass seine Truppen nicht zurückziehen will. Der Krieg endet sofort, nachdem Russland den Rückzug antritt. Diese Option hat die Ukraine als sich verteidigendes Land nicht. Wer hat denn die Verantwortung für die Toten?
Die Petitionsstarterinnen ignorieren völlig geltendes Völkerrecht: Ein Land darf ein anderes Land nach wie vor nicht einfach so überfallen. Der internationale Gerichtshof hat den russischen Angriff längst als völkerrechtswidrig verurteilt. Dass es hier eindeutig einen Aggressor gibt, sparen Wagenknecht und Schwarzer aus. “Was das Ziel des Krieges” sei? Eine Frage und eine Petition, die man an den Kreml hätte richten sollen.
Slippery-Slope Argumente
Noch versichert der deutsche Kanzler, er wolle weder Kampfjets noch „Bodentruppen“ senden. Doch wie viele „rote Linien“ wurden in den letzten Monaten schon überschritten?
Hier wird bewusst mit Ängsten von Bürger:innen gespielt und ein Argumentationstrick angewendet, der sich “slippery slope”-Argumentation nennt. Es wird unterstellt, dass diese Hilfe zwangsläufig weiter führen wird. Aber weder hat Scholz in Aussicht gestellt, Kampfjets zu liefern, noch war jemals die Rede von Bodentruppen. Das über Kampfjets diskutiert wird, ist zwar international der Fall, es wird aber niemals dazu kommen, dass jemals deutsche Bodentruppen in die Ukraine gesendet werden, da dies Deutschland tatsächlich zur Kriegspartei machen würde (Quelle).
Es ist zu befürchten, dass Putin spätestens bei einem Angriff auf die Krim zu einem maximalen Gegenschlag ausholt. Geraten wir dann unaufhaltsam auf eine Rutschbahn Richtung Weltkrieg und Atomkrieg? Es wäre nicht der erste große Krieg, der so begonnen hat. Aber es wäre vielleicht der letzte.
Atom-Angst schüren
Seit Beginn des Krieges droht Russland mit Konsequenzen bis zum Atomkrieg im Falle von Waffenlieferungen durch den Westen. Doch bis heute ist Putin keiner seiner Drohungen nachgekommen, selbst nachdem fest stand, dass der Westen nun auch schwere Panzer in die Ukraine liefert. Die Abschreckung mit Atomwaffen sei ein Bluff der Russen, was viele Expert:innen sagen.
Die Ukraine kann zwar – unterstützt durch den Westen – einzelne Schlachten gewinnen. Aber sie kann gegen die größte Atommacht der Welt keinen Krieg gewinnen. Das sagt auch der höchste Militär der USA, General Milley. Er spricht von einer Pattsituation, in der keine Seite militärisch siegen und der Krieg nur am Verhandlungstisch beendet werden kann. Warum dann nicht jetzt? Sofort! Verhandeln heißt nicht kapitulieren. Verhandeln heißt, Kompromisse machen, auf beiden Seiten. Mit dem Ziel, weitere Hunderttausende Tote und Schlimmeres zu verhindern.
Selbst hier geben die Petenten nicht korrekt wieder, was der US General Milley gesagt hat. Es ist zwar so, dass Milley meinte, die Ukraine werde es nicht schaffen, die Russen von ihrem Territorium zu verjagen. Er meinte aber auch, dass die Verhandlungsposition im Moment besser für die Ukraine stehe und sie aus dieser Position heraus verhandeln sollten. Aber genau aus dieser Position heraus will Russland eben keine Friedensgespräche führen, in dem Sie als “Verlierer” heraus gehen.
Die hohle Forderung nach Gesprächen nutzen im Moment also nur der russischen Seite. Zuletzt sprach sich etwa die Hälfte der Bundesbürger:innen dafür aus, dass es an der Ukraine liege, Gespräche mit Russland über Friedensverhandlungen zu führen. Die Suggestion, Russland könne keinen Krieg verlieren, weil sie die meisten Atomwaffen habe, ist auch erstmal nur eine unsinnige Behauptung. Eine Liste an Kriegen, die Russland ebenso wie die USA auch mit Atomwaffen nicht gewinnen konnten, sollte diese Behauptung in ihrer Absolutheit widerlegen.
Wir fordern den Bundeskanzler auf, die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen. Jetzt! Er sollte sich auf deutscher wie europäischer Ebene an die Spitze einer starken Allianz für einen Waffenstillstand und für Friedensverhandlungen setzen. Jetzt! Denn jeder verlorene Tag kostet bis zu 1.000 weitere Menschenleben – und bringt uns einem 3. Weltkrieg näher.
Die Petition endet wie sie angefangen hat: Perfide. Der Kanzler solle sich für Frieden einsetzen, damit nicht weiter Menschenleben geopfert würden und erneut wird das Schreckensszenario eines dritten Weltkrieges gezeichnet. Scholz selbst machte erst Anfang Februar nochmal klar, was schon seit Anfang des Krieges klargestellt wurde. Russland, der Aggressor, der Verantwortliche für die Toten, müsse sich zurückziehen.
Fazit: Petition richtet sich an falsche Adresse
Die Petition von Alice Schwarzer und Sarah Wagenknecht strotzt vor Manipulation und Falschinformation. Alle dort vertretenen Thesen und Forderungen nutzen nicht der Ukraine, sondern Putin. Sie verzerren die reale Lage und verstecken sich hinter einer Rhetorik des Pseudo-Pazifismus, dabei fordern sie eigentlich die Kriegsziele des Diktators. Neben den beiden umstrittenen Verfasserinnen lassen sich unter den Erstunterzeichnern ebenfalls weitere bemerkenswerte Namen finden:
Zu den Organisatoren hinter der Petition gehört auch Ex-General Erich Vad, über den wir hier bereits geschrieben haben.
Erich Vad referierte beim Faschisten Kubitschek im für die Neue Rechte wichtigen IfS (Institut für Staatspolitik) und schrieb auch für die rechtsradikale JungeFreiheit. Und liegt mit seinen Einschätzungen zum Ukraine-Krieg regelmäßig falsch.
Ebenso wie übrigens Wagenknecht, die schon intern einräumen musste, falsch gelegen zu haben.
Die Petition macht den selben Logik-Fehler, wie schon der offene Brief von Alice Schwarzer und offenbar darüber hinaus, dass die geübte Kritik damals offenbar stur ignoriert wurde: Wenn man will, dass der Krieg beendet wird, ist Olaf Scholz der falsche Adressat. Es ist Putin, den man überzeugen muss, die Waffen niederzulegen. So verfasst und in die öffentliche Debatte gestreut, befeuert die Petition letztlich einfach nur Kreml-Propaganda. Kein Wunder, dass auch der Chef der rechtsextremen AfD die Petition, Chrupalla, sofort unterstützt:
Fast so, als würde man Propaganda im Sinne Putins verbreiten.
Artikelbild: Screenshot