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So stark spaltet Putins Krieg die rechte Szene

von | Mrz 3, 2022 | Aktuelles

Putins Angriff auf die Ukraine spaltet Rechte

Die völkerrechtswidrige Invasion der Ukraine durch den russischen Autokraten Wladimir Putin ist seit über einer Woche das bestimmende Thema in Medien und Politik. Während der größte Teil des demokratischen politischen Spektrums den Angriffskrieg verurteilt, ist aus dem rechten und rechtsextremen Lager keine wirklich einheitliche Reaktion zu vernehmen. Wir hatten bereits berichtet, wie die AfD versucht, den Spagat zwischen Verurteilung des Krieges und Schutz ihres Freundes Putin zu schaffen:

So relativieren die Putin-Freunde der AfD den Krieg in der Ukraine

Dabei erkennt man schon das Dilemma, in welchem sich nicht nur die AfD, sondern auch andere Teile der politischen Rechten gerade befinden. Einerseits ist es moralisch kaum möglich, Putins Rhetorik gegen die souveränen Ukraine, seine Invasion und die Kriegsverbrechen seiner Armee schönzureden. Andererseits haben Teile der politischen Rechten in Deutschland (und auch im restlichen Europa) lange Zeit gute Kontakte zu Putin gepflegt und seinen autokratischen Führungsstil verehrt (mehr dazu). Außerdem fühlen sich auch einige sichtlich unwohl damit, den gleichen Kurs wie die Regierung einzuschlagen und damit das bequeme Nest des „Dagegenseins aus Prinzip“ zu verlassen, das jahrelang Zustimmung brachte, ohne dass man ernsthafte politische Arbeit leisten musste.

Rechte befürchten intern Spaltung

Diese Spaltung wird auch innerhalb der rechten Szene selbst bemerkt und befürchtet. Stellvertretend dafür steht Martin Sellner, Sprecher der österreichischen rechtsextremen Bewegung „Identitäre Bewegung“ (IB). Die Rechercheplattform zur Identitären Bewegung hat in einem Twitter-Thread Sellners Angst vor einer Spaltung wegen des Krieges in der Ukraine dokumentiert:

https://twitter.com/IbDoku/status/1498910294080434179

Dabei zeigt sich, dass nicht nur durch die AfD ein Riss geht. Auch andere Teile der neurechten Szene, die in den letzten Jahren ohnehin schon eine teilweise „Neumischung der Karten“ im Rahmen der Corona-Proteste erlebt hat, stehen in diesem Konflikt auf unterschiedlichen Seiten. Doch zuerst einmal wollen wir einen Blick in die AfD, die „Stimme Moskaus im Bundestag“ werfen.

„Die Stimme Moskaus“: AfD wird im Bundestag wegen Russland-Kontakten fertig gemacht

AfD: Das Ringen um Haltung

In der Sondersitzung des Bundestages am 27.02. zum Krieg in der Ukraine versuchte der AfD-Fraktionsvorsitzende Tino Chrupalla, die Schuld Putins an diesem Angriffskrieg zu relativieren. Es dürfe nicht darum gehen, einen Schuldigen auszumachen, man müsse den Konflikt „von beiden Seiten betrachten“ und außerdem habe ja sowieso Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) den Kalten Krieg ausgerufen – wir berichteten. Gleichzeitig scheint aber auch manchen Politiker:innen der AfD bewusst zu sein, dass sie sich mit offener Unterstützung für Putin gerade in der aktuellen Situation ins Abseits stellen.

Während also vor allem Politiker:innen aus der Parteispitze und der Bundestagsfraktion darum ringen, einen moralisch haltbaren Kurs zu finden, ohne dabei den heimlichen „Kumpel Putin“ zu sehr zu verleugnen, scheinen andere Partei-Mitglieder nach wie vor vollständig auf der Seite Putins zu sein. Beispielhaft dafür steht folgende Facebook-Interaktion zwischen Stephan Brandner, stellvertretendem Bundessprecher der Partei und Gunnar Lindemann, AfD-Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses:

Und ansonsten gibt es auch viel Nachplappern der Putin-Propaganda innerhalb der AfD. Die Kommentarspalten und Hetzgruppen der AfD sprechen Bände.

Mehr dazu:

So relativieren die Putin-Freunde der AfD den Krieg in der Ukraine

Rechtsextreme, die jetzt plötzlich FÜR Flüchtlinge sind?

Wie die Rechercheplattform zur Identitären Bewegung analysiert, herrscht großer Zwist bei den Rechtsextremist:innen darüber, was man mit Schutzsuchenden aus der Ukraine macht. Viele Rechtsextreme nutzen die Situation, um – abgrenzend zu den Schutzsuchenden von 2015 – von „echten“ Flüchtenden zu sprechen. Andere Rassist:innen unterscheiden reflexhaft bei den Flüchtenden per Hautfarbe, halten „weiße“ Schutzsuchende für nicht problematisch (mehr dazu).

Rechtsextremist Sellner stellt ironischerweise richtig fest: „Refugees Welcome“ von rechts ist pure Heuchelei.

https://twitter.com/IbDoku/status/1498910359876427776

Der Streit in der neurechten Szene geht tief, viele möchten sich gar nicht positionieren, so auch Sellner. @IBDoku schreibt:

„Wie große Teile der Neuen Rechten möchte sich auch Sellner nicht festlegen und damit angreifbar machen. Er kann und möchte aktuell selbst keine Partei ergreifen, was noch einmal Brisanz und Spaltungspotential dieser Frage unterstreicht. IB-Chef Sellner skizziert das wahre Feindbild der Identitären. Für ihn sitzt der Feind weder in #Kiew noch in #Moskau, sondern er personifiziert ihn u. a. als @NancyFaeser. Die liberale Demokratie ist der auserkorene Todfeind der Rechten.“ [sic]

Ratlosigkeit bei Neuen Rechten

Auch der wichtige Vordenker und Verbündete der AfD Kubitschek findet in seiner Publikation wenig klare Linien. Er erkennt die Uneinigkeit der eigenen Leute, kritisiert „glühende Ukraineanhänger“ und bezeichnet Russland in einer Buchvorstellung als „identitäre, stolze Nation“.

Mehr zu Kubitschek:

Der Drahtzieher hinter der AfD & der rechtsextreme Plan zur Machtergreifung

Sonstige Rechte: Ungewisse Freund-Feind-Beziehungen

Auch in der sonstigen politischen Rechten ist man sich nicht einig, ob man an der Seite der Ukraine oder an der Seite von Putin stehen möchte. Für die Rechten selbst ist das vor allem insofern problematisch, als dass ein gemeinsamer Feind (Angela Merkel, Flüchtlinge, die Linken, Corona-Maßnahmen…) sie in den letzten Jahren immer wieder zusammenschweißte. Doch nun unterstützen ehemalige „Verbündete“ auf einmal die Linie der Regierung oder weigern sich zumindest, so wie die letzten Jahre klar dagegen zu schießen.

Doch auch andere Beispiele mehren sich in der letzten Zeit. So wird in rechten Telegram-Gruppen gerade Rechtsanwalt Joachim Steinhöfel attackiert, der bereits den AfD-Bundesvorstand und das rechte Magazin „Tichys Einblick“ vertrat (Quelle). Sein „Vergehen“: Er hat auf Twitter gegenüber dem rechtspopulistischen österreichischen Politiker Gerald Grosz (der mit „Make Austria Grosz Again“ wirbt) klargestellt, dass er ihn in Zukunft nicht mehr vertreten werde. Als Grund nennt er Grosz‘ unkritische Haltung gegenüber Putin. Daraufhin wirft Grosz ihm ökonomische Interessen vor, denn anders könne er es sich nicht erklären, dass ein ehemaliger Verbündeter nun anderer Meinung ist:

Fazit: Konflikt in der Rechten mit unklarem Ausgang

Wir sehen also: Auf der einen Seite stehen die Teile der politischen Rechten, die bereit sind, ihre grundsätzliche Ablehnung von allem, was die Regierung tut, zumindest vorübergehend und teilweise zu Gunsten einer pragmatischen Haltung gegen Putin aufzugeben. Ob das tatsächlich daraus resultiert, dass sie vom Völkerrecht und Menschenrechten überzeugt sind und diese verteidigen wollen, oder ob man einfach nur Angst davor hat, in einer moralischen Sackgasse und damit auf der falschen Seite der Geschichte zu enden, kann man von außen nicht beurteilen.

Fakt ist jedoch, dass dies den restlichen Teil der Rechten stark verunsichert. Das sind nämlich diejenigen, die nach wie vor Opposition als Selbstzweck sehen und prinzipiell alles, was unsere Regierung tut und unterstützt, für eine Lüge oder Verschwörung halten. Ohne Sinn und Verstand wird nach wie vor Putin verteidigt und gegen die Politik der Regierung angeschrien. Offenbar sind diese Gruppen nicht in der Lage, auch einmal selbstkritisch die eigene Haltung zu Putin zu verändern. Dadurch entsteht ein scharfer Konflikt innerhalb der Rechten, die nun überall „gesteuerte Opposition“ und „Unterwanderung“ vermuten, weil sie Widerspruch aus den eigenen Reihen schlicht nicht gewöhnt sind. Was das für die rechte Szene langfristig bedeuten wird, können wir nicht vorhersagen. Doch dass es ihr Auftrieb gibt, ist kaum zu vermuten.

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Artikelbild: Sasa Dzambic Photography / Screenshot

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