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Rothschild-Mythos: Antisemitismus-Problem bei Freien Wählern?

von | Sep 25, 2023 | Aktuelles

Update: der Freie-Wähler-Kandidat Markus Saller hat sich gegenüber dem Spiegel entschuldigt: „Mit dem heutigen Tag ist mir bewusst geworden, dass man einen Zusammenhang zwischen meinen Posts und Antisemitismus herstellen kann, er war jedoch nie gewollt, und ich distanziere mich von jeglicher Form von Antisemitismus.“

FW-Kandidat verbreitet antisemitische Verschwörungserzählungen über Rothschild. In den letzten Wochen war der Chef der Freien Wähler – Hubert Aiwanger – in allen Medien. Aiwanger hatte sich zu Schulzeiten bekannt, ein zutiefst antisemitisches Flugblatt verfasst zu haben und damals hat auch die Strafe dafür auf sich genommen. Das Flugblatt schrieb „Volksverrätern“ einen „Freiflug durch den Schornstein Auschwitz“ aus. Mit der Affäre ging er denkbar schlecht um, erst sehr spät kam eine Nonpology von ihm. Viele jüdischen Verbände waren entsetzt. Statt groß Reue zu zeigen, griff er stattdessen durchgehend die Presse an, die über den Vorfall berichtete. Konsequenzen hatte dies nicht, genauso wenig wie die Vorwürfe vieler Zeugen zu vielen anderen rechtsextremen Taten Aiwangers, die er leugnet.

Viele Verteidiger von Aiwanger rechtfertigten das Flugblatt damit, dass es ja schon lange her war. Dass er in Erding zusammen mit der Desinformations-Verbreitenden Monika Gruber auch vor Verschwörungsidelogen und Rechtsextremisten davon sprach, dass „die Mehrheit“ sich „die Demokratie zurückholen“ muss – geschenkt. Dort gab er übrigens auch dem Sender Auf1 ein Interview, der regelmäßig antisemitische Verschwörungstheorien verbreitet. 

Freie Wähler Kandidat verbreitet Antisemitismus ZU Rothschild?

Vielleicht hat der milde Ausgang für Hubert Aiwanger dazu geführt, dass Parteikollegen nun die bürgerliche Maske in der Öffentlichkeit ablegen. Markus Saller ist Landtagswahlkandidat für die Freien Wähler Bayern im Landkreis Mühldorf a. Inn. Auf Twitter scheint er ziemlich ungehemmt seine von Verschwörungsideologien geprägte Gesinnung heraushängen zu lassen. Beispielsweise ist er offenbar so naiv, dass er sogar bei Tweets des bekannten Lügners und Verschwörungsideologen Stefan Homburg auf „Gefällt mir“ drückt. Homburg hatte in dem Tweet die Freilassung eines Arztes gefeiert, der gefälschte Impfausweise ausgestellt hatte – und damit massiv Menschen in Gefahr gebracht hat, weil Ungeimpfte viel ansteckender waren und öfter gestorben sind. Das gefällt offenbar dem Freie-Wähler-Mann.

Ich erwähne hier den Like, weil Herr Saller hier wunderbar aufzeigt, wie solche Querdenker-Verschwörungsmythen schnell ins Antisemitische kippen können.

Gestern postete Karl Lauterbach – beliebter Hauptfeind der Querdenker und regelmäßiges Opfer ihres ungehemmten Hasses und Morddrohungen -, dass er sich mit einem Harvard Arzt getroffen hatte, dessen Frau Emma Rothschild heißt. Darunter sammelte sich sofort ein grauenerregender Sumpf aus antisemitischen Kommentaren. Mit dem Hass der AfD heutzutage leider Alltag. Denn zur jüdischen Familie Rothschild gibt es zahlreiche antisemitische Verschwörungs-Mythen. So wird gelogen, dass die Rothschilds angeblich als geheime Macht wahlweise Covid erschaffen haben oder die Regierung kontrollieren, so auch Karl Lauterbach natürlich. 

Dass der „Hauptfeind“ Lauterbach Gesundheitsminister ist, sei also die „Schuld“ von den Juden „Rothschild“, posten Leute dort. Auch Markus Saller kommentierte – und zwar mit einer sogenannten „Dog-Whistle“ oder auch „Hundepfeife“. Das bedeutet: man postet Antisemitismus in codierter Form, sodass vor allem Antisemiten es verstehen und man es hinterher wunderbar abstreiten kann. Hier postet Saller einfach nur raunend den Namen „Rothschild“, er muss gar nichts weiter dazu sagen, denn jeder Antisemit, den er damit offenbar ansprechen will, versteht es. Der Soziologe Armin Nassehi machte darauf aufmerksam: 

Viele Stunden später löschte Saller den Post wieder, allerdings ohne Stellung zu nehmen oder sich zu entschuldigen (Update: Er hat sich gegenüber dem Spiegel entschuldigt). Es gibt schließlich keinen anderen Grund, den Nachnamen der Frau besonders hervorzuheben, als auf die antisemitischen Verschwörungsmythen anzuspielen.

Der Rothschild Hoax

Wenn Rechtsextreme mal zur Abwechslung Milliardäre kritisieren, dann sind das zufällig ziemlich häufig jüdische Banker. Ein Beispiel ist der Milliardär George Soros, über den auch schon der tatsächlich reichste Mann der Welt, Elon Musk (Musk ist fast 50-mal reicher als Soros) oder der Lügner Homburg, Verschwörungstheorien verbreitet haben. Andere wie Rockefeller, Gates oder Schwab sind gar nicht jüdisch, hier wird dann einfach unterstellt, dass sie ihr jüdisch-sein einfach verstecken würde. Alles, damit es ins Lügenkonstrukt passt.

Ein anderes Beispiel ist die Bankiers-Familie Rothschild, die Anfang des 19. Jahrhunderts tatsächlich ein bedeutender Finanzier europäischer Staaten, dieser Einfluss schwand aber bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wieder. Die Nationalsozialisten nutzten die Familie dann für antisemitische Propaganda. Goebbels persönlich ließ einen Film mit vielen frei erfundenen Details produzieren, um sein Gedankengut unter die Leute zu bringen. Dort halten sich die Lügen bis heute – offenbar auch bei Kandidaten der Freien Wähler. 

Heute wird gern behauptet, dass die Rotschilds angeblich die Zentralbanken der Erde kontrollieren, was vollkommen falsch ist. Die Zentralbanken sind nicht in privater Hand, sondern werden von ernannten Beamten geleitet. Die Unternehmen der Rothschilds sind heute nur noch ein Schatten ihres Einflusses Anfang des 19. Jahrhunderts. Viele Immobilien der Familie sind verkauft. Der Umsatz der „Rothschild Group“ liegt bei 500 Millionen Dollar, sehr viel weniger als die meisten Banken haben.

Nachwirken der Nazis

Emma Rothschild, mit der sich Lauterbach getroffen hatte, ist tatsächlich mit der Bankiers-Familie verwandt, arbeitet allerdings als Professorin. Andere, wie der Desinformationsexperte Mike Rothschild oder der Ökonom David Rotschild, müssen immer wieder darauf hinweisen, dass sie gar nicht mit „den“ Rothschilds verwandt sind, um antisemitischer Belästigung entgegenzuwirken. Es gibt eben viele Leute mit diesem Namen, nicht alle sind verwandt.

Rechte Verschwörungserzählungen zu den Rothschilds sind für Außenstehende mittlerweile geradezu grotesk komisch, so behauptete die antisemitische Lügnerin und US-Kongressabgeordnete Greene, dass die Rothschilds mittels eines „Space Laser“ für Waldbrände verantwortlich sind. Dass es der Klimawandel sein könnte, wäre ja geradezu absurd. Greene hat ihre Followerzahl seit Musks Übernahme auf Twitter/X fast verdoppelt

Die Verschwörungstheorie kann zu echter Gewalt anstiften. So glaubte der jüngst verhaftete Putschist Prinz Reuß an die Verschwörungstheorie der Rothschilds. Dessen Terrorgruppe aus Reichsbürgern hatte Waffen gehortet, um den Bundestag zu stürmen. Zwei rechtsextreme Terroristen aus den USA sahen George Soros als Verantwortlichen hinter Migration und wendeten Gewalt gegen Unschuldige an. Auch der rechtsextreme Attentäter von Halle wurde von den Lügen zu George Soros motiviert. Sein eigentlich geplanter Anschlag auf eine Synagoge wurde nur durch deren schwere Holztür vereitelt. Er tötete stattdessen zufällige Passanten. Lügen über mächtige jüdische Milliardäre zu wiederholen ist kein „Scherz“ oder anderweitig zu rechtfertigen. Es führt aktiv dazu, dass rechtsextreme Attentäter sich in ihrer Ideologie bestätigt sehen. 

Great Reset und weitere Hundepfeifen

Leider sind Verschwörungstheorien zu Rothschild offenbar kein Einzelfall bei Herrn Saller, der nicht in der AfD ist, sondern bei den Freien Wählern. Offenbar stimmt er auch CDU-Rechtsaußen Hans Georg Maaßen zu, der fordert, die Brandmauer zur rechtsextremen AfD einzureißen: 

Und offenbar stimmt Saller Maaßen auch in seinen teils antisemitisch codierten Verschwörungserzählungen zu. Maaßen verbreitete unter anderem Mythen zum „Great Reset“, neben anderen Verschwörungserzählungen und antisemitischen Codes, die er als Ex-Verfassungsschutzchef unbedingt kennen muss:

Auch Herr Saller scheint großen Gefallen an der Verschwörungserzählung des „Great Reset“ zu finden. Danach würde die „internationale Finanzelite“ angeblich an einem Plan arbeiten, Covid zu nutzen, um die Weltwirtschaft negativ umzugestalten. Und sich mehr Macht zu sichern. In Wirklichkeit ist der Great Reset vor allem eine Marketingkampagne des World Economic Forum. Das ist übrigens keine linke Organisation, sondern ein Forum für superreiche Unternehmer. 

Dieses Märchen ist wunderbar anschlussfähig für Antisemitismus: Zum Beispiel verbreitete der Neonazi und Querdenker Attila Hildmann viele Themen dieser Theorie, er formulierte es nur etwas expliziter. Sie passt nämlich auch sehr gut in die Rothschild-Theorie, in der jüdische Banker die Welt beherrschen. So etwa:

Tweet zeigt, wie Verschwörungsideologen Antisemitismus verbreiten indem sie Rothschild, WEF und Great Reset zu vermischen

Die Freien Wähler müssen gegen Antisemitismus aktiv werden

Natürlich wird uns jetzt dieser Artikel so ausgelegt werden, dass wir doch nur den Freien Wählern schaden wollen und die Reihen geschlossen werden müssen. Das war auch schon so, als wir Maaßen kritisiert haben. Wenige Monate später beschloss die CDU ein Parteiausschlussverfahren, welches leider bisher nicht von Erfolg gekrönt war. Es geht hier eben um Antisemitismus und nicht um Parteipolitik. Doch wenn die Freien Wähler sich glaubwürdig von Antisemitismus distanzieren wollen, dann können sie das machen. Wir weisen nur auf die überprüfbaren Fakten hin. Wem sie nicht gefallen – an uns liegt es nicht.

Im Gegensatz dem Wahn verfallenen AfD gehe ich nicht davon aus, dass die Freien Wähler eine durch und durch rechtsextreme Partei sind, die hoffnungslos verloren ist und in der Antisemitismus normal ist. Im Gegenteil: Ich kenne Funktionäre, die aufrechte Demokraten sind und Antisemitismus entgegentreten. Gerade deshalb habe ich durchaus Hoffnung, dass die Freien Wähler sich auch durch ihren Umgang mit Antisemitismus von der AfD absetzen werden. Wenn sie jetzt jedoch schweigen und derartige Fälle unter den Teppich kehren, fangen sie den gleichen Weg an zu gehen, den auch die AfD genommen hat. Die Freien Wähler können jetzt beweisen, dass sie doch auf dem demokratischen Boden stehen – etwas, den ausgerechnet ihre Parteivorsitzender mit seinen vergangenen Taten in Frage stellte.

Dafür braucht es Aufklärung und eben auch eine offene Fehlerkultur, die auch mal die Fehler bei sich selbst sieht und nicht nur bei „den Medien“, die darauf hinweisen. Auch daran, wie die Partei mit diesen Enthüllungen umgeht, wird sich ihre wahre Einstellung zu Antisemitismus zeigen.

Artikelbild: Canva, Bilder im Text: Screenshots