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Wie die AfD Arme gegeneinander ausspielt, um nur den Reichen zu helfen

von | Sep 8, 2023 | Analyse

Neue Arbeiterpartei? Wie die AfD gegen die eigene Wählerschaft hetzt

Die AfD will eine Politik, von der Reiche profitieren und von der Arme weniger Geld haben. Dies tut sie indem sie strategisch den Sozialneid nach unten schürt. Trotzdem ist die AfD zunehmend für Arbeitende und Menschen aus den unteren Statuslagen attraktiv. Dabei ist sie das genaue Gegenteil einer Arbeiterpartei. Unter der AfD-Wählerschaft befinden sich viele Personen, die mit Existenzängsten kämpfen und tagtäglich mit sozialer Ungleichheit konfrontiert sind. Diese Menschen brauchen gute Sozialpolitik. Die AfD macht aber das Gegenteil davon: Sie hetzt gegen ihre eigenen Unterstützer und versucht den Sozialstaat abzubauen. Ihre Strategie ist es, die Schwächsten ihrer eigenen Wähler gegen Jene auszuspielen, die von Abstiegsängsten bedroht sind. Das Ziel dahinter ist, marktradikale Politik zu legitimieren, die nur Reichen hilft. Das trifft also gerade ihre eigene Wählerschaft besonders hart. Denn unter ihr befinden sich überproportional viele Menschen aus den unteren Statuslagen: Arbeitende, Geringverdienende, Sozialleistungsempfangende und Arbeitslose. Diese sind besonders wichtige Gruppen für den Erfolg der AfD, weil sie einen großen Teil ihrer Wählerschaft ausmachen. Trotzdem spielt die AfD diese Gruppen skrupellos gegeneinander aus, um am Ende keiner davon helfen zu müssen.

Für jeden sechsten AfD-Wählenden ist soziale Sicherheit wichtiger als das Thema Zuwanderung

Die AfD inszeniert sich gerne als Arbeiterpartei und Vertreter der Arbeitnehmenden. Auf einem Plakat zur Bundestagswahl 2017 warb sie z.B. mit: „Das Rot der Arbeitnehmer ist jetzt Blau!“ Spiegelt sich das aber tatsächlich in ihrer Politik wider? Denn Fakt ist: Wer AfD wählt, tut dies am ehesten wegen rechter Überzeugungen zu Migration. Also nicht allein aus Politikverdrossenheit oder weil sie abgehängt sind. Dass die AfD das auch weiß, zeigt sich in ihren Wahlprogrammen, die eher auf marktradikale, statt soziale Politik setzen. Aber ist der Wählerschaft überhaupt bewusst, welche sozialen Kollateralschäden das für sie hat? Denn unter der Wählerschaft befinden sich gerade jene Menschen, die eigentlich von Sozialpolitik profitieren würden.

Bei einer Infratest Umfrage von 2021 gaben z. B. 17 % der AfD-Wählerschaft an, dass das Thema „Soziale Sicherheit“ die größte Rolle bei ihrer Wahlentscheidung spielte. Und zwar noch vor Zuwanderung, Wirtschaft, Arbeit oder Corona. Für jede sechste Person waren also nicht (nur) rechte Überzeugungen ausschlaggebend. 85 % gaben außerdem an, dass es in Deutschland eher ungerecht zugeht. 86 % sagten, der Wohlstand in Deutschland sei ungerecht verteilt. Ganze 46 % der eigenen Wählerschaft waren zudem der Meinung, dass sich die AfD nicht genug von rechtsextremen Positionen distanziert. Und 40 % machten sich große Sorgen, dass der Klimawandel ihre Lebensgrundlage zerstöre.

AfD Wählerschaft nähert sich Eigenschaftsprofil rechter Parteien an

Es ist offensichtlich, dass nicht alle, die AfD wählen, nur an rechter Politik allein interessiert sind. Ein Teil der AfD-Wählerschaft hat zu Themen der sozialen Gerechtigkeit Bedürfnisse, die von anderen Parteien bisher nicht befriedigt wurden. Klassischerweise sind dies Themen für Arbeiter- oder soziale Parteien. Aber ist die AfD tatsächlich eine solche Partei?

Um die Frage zu beantworten, muss geklärt werden, wer genau die AfD-Wählerschaft überhaupt ist. Eine Längsschnittanalyse für den Zeitraum 2013 bis 2018 hat sie in ihren demografischen Merkmalen ermittelt. Sie wurde auf Grundlage repräsentativer Querschnitterhebungen des Politbarometers (FG Wahlen) und Längsschnittdaten vorheriger Untersuchungen durchgeführt. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass sich die AfD „im Zeitverlauf dem typischen Eigenschaftsprofil der Wählerschaft einer rechtspopulistischen Partei angenähert“ hat. Diese Wähler sind eher weiß, jung, männlich, mit geringerer Bildung und entweder arbeitslos, selbständig oder (Handwerks-)arbeiter.

AfD hat höchsten Anteil an Wählern aus niedrigen Einkommenslagen

2/3 der Menschen, die bei der letzten Bundestagswahl AfD wählten, waren männlich. Insgesamt haben von allen Frauen, die sich an der Wahl beteiligten, lediglich 8 % für die AfD gestimmt. Die AfD ist also eher eine Männerpartei.

In den neuen Bundesländern punktet die AfD eher bei Personen mit unterdurchschnittlichen Haushaltseinkommen oder Industriearbeitern. In den alten Bundesländern ist sie eher in ländlichen Regionen erfolgreich, die ökonomisch schwächer und von Abwanderung bedroht sind.

Während noch im Jahr 2013 der soziale Status keinen Effekt darauf hatte, ob man die AfD wählt, gibt es seit 2016 hier einen deutlichen Zusammenhang: So neigen Menschen mit niedrigerem sozioökonomischen Status eher dazu, die AfD zu wählen als Menschen aus höheren Statuslagen (Quellen: hier oder hier).

Eine Studie zeigte jedoch, dass dies nur vermittelt über die politischen Einstellungen gilt. Also, wenn die Personen zuvor bereits rechte Überzeugungen teilen. Dies deckt sich auch mit anderen Untersuchungen, die zeigen, dass Menschen, die AfD wählen, dies primär wegen ihrer rechten Einstellungen zu Einwanderung tun. Trotzdem gibt es in keiner anderen Partei einen so hohen Anteil an Menschen aus den unteren Einkommensschichten wie bei der AfD.

Fast 3/4 der AfD-Wählerschaft hat Abstiegsängste

Bei einer Umfrage von infratest dimap zur letzten Bundestagswahl gaben ca. 25 % der AfD-Wählerschaft an, dass ihre persönliche wirtschaftliche Situation schlecht sei. 74 % gaben an, sich Sorgen zu machen, ihren Lebensstandard nicht mehr halten können. Abstiegs- und Existenzängste sind für AfD-Wählende also durchaus relevant.

Ca. 1/4 der AfD-Wählenden sind Arbeiter und Arbeitslose. Im Vergleich zu allen anderen Parteien sind sie aber in der AfD überproportional stark vertreten. Auch bei den Landtagswahlen 2019 in Thüringen und Sachsen wurde deutlich, dass viele Arbeiter sowie Menschen mit geringerem Bildungsgrad unter der AfD-Wählerschaft sind. So war die AfD in Thüringen am beliebtesten unter Menschen mit Hauptschulabschluss (30 %) und Mittlerer Reife (37 %). In Sachsen hatte die AfD außerdem im Vergleich zu den anderen Parteien den größten Arbeiteranteil (35 %).

Es zeigt sich, dass die AfD zunehmend für Arbeiter und Menschen aus den unteren Statuslagen attraktiv ist. Hier befinden sich Personen, die mit Abstiegs- und Existenzängsten kämpfen und tagtäglich mit sozialer Ungleichheit konfrontiert sind. Was diese Menschen brauchen ist also konsequente Sozialpolitik. Was ihre Wählerschaft angeht, könnte die AfD folglich in Teilen als Arbeiterpartei angesehen werden, was ihre politische Agenda angeht, jedoch definitiv nicht.

AfD schürt den Sozialneid nach unten

Denn immer wieder zeigt die AfD, wie wenig sie sich für sozial Benachteiligte oder den Sozialstaat interessiert. Der rechtsextreme Thüringer AfD-Politiker Höcke sagte 2014 in einem Interview z. B., dass wir „Abstriche am Sozialstaat in der bisherigen Form machen müssen.“ Ein weiteres Beispiel ist der Bundestagsabgeordnete Thomas Einhorn (AfD), der die Kindergrundsicherung als „Umverteilung von den Produktiven zu den Unproduktiven“ bezeichnete.

Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge stellt fest, dass die AfD mit solchen Aussagen strategisch „den Sozialneid nach unten“ schürt, indem sie „unterprivilegierte Gruppen wie Geringverdiener und Transferleistungsbezieher gegeneinander ausspielt.“ So reichte die AfD 2019 einen Antrag zur Senkung der Sozialabgaben für Gering- und Durchschnittsverdienende ein, den Uwe Witt (AfD) mit folgender Aussage kommentierte: „Teilweise geht es Bürgern, die von Sozialleistungen leben, besser als der arbeitenden Bevölkerung im Niedriglohnbereich.“

Gering- und Durchschnittsverdienenden wird aber nicht wirklich geholfen, wenn die Senkung der Sozialabgaben nicht an anderer Stelle kompensiert wird. Also wenn nicht gleichzeitig von anderer Seite Geld in ein gutes Rentenkonzept, Gesundheitsvorsorge und den anderen Systemen der kollektiven Sicherung fließt. Auch sollte ernsthaft über höhere Löhne und stärkere Besteuerung von Spitzenverdienenden diskutiert werden, wenn den Menschen wirklich geholfen werden soll. Beides lehnt die AfD jedoch ab.

Hetze gegen die Schwächsten im System

Vor allem die Bürgergeld-Debatte macht deutlich, wie die AfD gegen Arbeitslose und Aufstockende hetzt. So behauptete der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD, Bernd Baumann, Bürgergeld führe dazu, dass sich Menschen „in die Hängematte“ legen. Bei der Debatte ging es um eine Erhöhung der Leistung um 53 €. Die Summe wurde z. B. von der Tafel dafür kritisiert, dass sie immer noch nicht ausreiche, um davon ein menschenwürdiges Leben zu führen.

Was von Baumann (AfD) und seinen Parteikollegen ausgelassen wird: nicht zu hohe Transferleistungen oder Sozialabgaben sind das Problem. Das Problem sind einerseits die marktradikalen Hartz-Reformen, die den Niedriglohnsektor stärkten und andererseits die viel zu geringen Mindestlöhne. Die Frage sollte also nicht sein, weshalb es Sozialleistungen gibt, die den Lebensunterhalt sichern. Die wirklich wichtige Frage ist, weshalb es Löhne gibt, mit denen sich der Lebensunterhalt nicht sichern lässt.

Darum geht es der AfD aber nicht. Vielmehr geht es darum, von diesen wirklich wichtigen Problemen abzulenken. Und zwar indem die Schwächsten im Gesellschaftsgefüge zu Sündenböcken gemacht werden, um an anderer Stelle die Löhne nicht erhöhen zu müssen oder Spitzenverdienende nicht höher zu besteuern. Für Geringverdienende würde sich nichts verändern, wenn anderen die Leistungen gekürzt werden. Sie erhalten dadurch nicht automatisch mehr Gehalt. Doch die AfD suggeriert ihnen mit Aussagen wie den obigen genau das.

AfD-Unterstützer, die den Sozialstaat brauchen, werden für Sozialstaatsabbau missbraucht

Die Abschaffung von Hartz IV bezeichnete die AfD als eine „Beleidigung des Sozialstaates„. Konkret meint sie damit die Abmilderung von Sanktionen, wie z. B. Leistungskürzungen bei Pflichtverstößen. Fakt ist aber, dass im Jahr 2021 die Sanktionen lediglich 3 % der Hartz-IV-Beziehenden betraf.

Die Gründe, weshalb diese Menschen mit Sanktionen in Berührung kommen, sind nicht mangelnde Arbeitsmotivation. Die Gründe sind ein geringer Bildungsgrad und fehlendes Wissen, wie eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung zeigte. Die Sanktionen treffen folglich die Schwächsten und verstärken die soziale Ungleichheit. Anstatt dieser Gruppe zu helfen, arbeitet die AfD aktiv gegen sie, indem sie sie gegen Menschen im Niedriglohnbereich ausspielt.

Die AfD stigmatisiert gerade jene Modernisierungsverlierer und durch das System Gefallene, die sie aktiv anwirbt. Also Arbeiter, Geringverdienende, Sozialleistungsempfangende und Arbeitslose. Diese sind extrem wichtige Gruppen für den Erfolg der AfD, weil sie einen großen Teil der Wähler:innen ausmachen. Trotzdem spielt die AfD diese Gruppen skrupellos gegeneinander aus, um am Ende keinem davon wirklich helfen zu müssen. Stattdessen beschuldigt sie Sozialleistungsempfangende nur „auf der Couch zu liegen„, wie der stellvertretende AfD-Fraktionschef N. Kleinwächter beklagte.

Laut Insa-Umfrage wählten aber ca. 30 % der Arbeitslosen die AfD. Bei den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg waren 41 % und 43 % der AfD-Wählerschaft erwerbslos. Diese Menschen sollten sich also wirklich fragen, ob sie von der AfD tatsächlich gut vertreten werden oder ob sie nicht doch eher dafür benutzt werden, auf Stimmenfang zu gehen und den Sozialstaat abzubauen.

Die AfD ist marktradikal

Diese Beispiele decken sich mit einer kürzlich veröffentlichten Studie des DIW Berlins. Diese stellt fest, dass Menschen, die die AfD unterstützen, am stärksten unter ihrer Politik leiden. Sie zeigt außerdem, dass die AfD eine extrem marktradikale Wirtschafts- und Finanzpolitik betreibt. Sie möchte den Sozialstaat beschneiden und die Macht des Marktes vergrößern. Beispiele hierfür sind ihre Bestrebungen nach Steuersenkungen für Reiche bzw. sich gegen die Besteuerung großer Vermögen einzusetzen. Auch den Solidaritätszuschlag, wovon überwiegend Besserverdienende profitieren, möchte die AfD abschaffen. Eine Arbeiterpartei oder Partei für Abgehängte ist sie also definitiv nicht.

Ähnliches zeigt auch eine Analyse der Otto-Brenner-Stiftung, die offenlegt, dass die AfD in Anträgen, Gesetzesentwürfen und Debatten fast nur ordoliberale und marktradikale Positionen vertritt. Das heißt, sie stimmt überwiegend gegen den Erhalt oder Ausbau des Sozialstaates und für Einschränkungen von sozialstaatlichen Maßnahmen. So stimmte die AfD-Fraktion im Untersuchungszeitraum 2017 bis Ende 2020 in 75 % der Fälle genauso ab wie die FDP.

Wenn es nach der AfD ginge, blieben Mindestlöhne gering, die soziale Absicherung für atypisch Beschäftigte auf ein Minimum beschränkt und das Arbeitsschutzgesetz höchstens eine Empfehlung. Arbeitende, Mindestlohnempfangende und atypisch Beschäftigte sollten sich also lieber bei anderen Parteien als der AfD umsehen. Auch wer BaföG oder Bürgergeld bezieht oder zur Miete bzw. in einer Sozialwohnung lebt, ist bei der AfD an der falschen Adresse.

AfD macht eigene Wählerschaft noch ärmer

Insgesamt verfolgt die AfD eine noch stärkere marktorienterte Finanz- und Sozialpolitik als die FDP. Und diese macht bekanntlich Politik für Besserverdienende. Die von der AfD geforderten Steuersenkungen für Spitzenverdienende sowie die Beibehaltung niedriger Löhne für Geringverdienende mit gleichzeitiger Kürzung der Sozialleistungen würden gerade die AfD-Wähler:innen besonders hart treffen.

Eine solche Politik würde dazu führen, dass die AfD-Wählerschaft ihre eigenen Einkommen und Sozialleistungen an andere, viel privilegiertere Menschen als sie abgeben müssten. Sie verfolgt also eine Umverteilung von ihrem eigenen Klientel zu vollkommen anderen Wählergruppen hin. Folglich zieht die AfD ihren eigenen Unterstützer:innen wortwörtlich das Geld aus der Tasche und macht sie nur noch ärmer. Eine Arbeiterpartei oder Partei der kleinen Leute ist die AfD also nicht.

Ökonom Marcel Fratzscher hält fest:

„Nicht wenige AfD-Wähler*innen sind überzeugt, dass eine Rückabwicklung der Globalisierung, ein erstarkender Nationalismus sowie eine marktradikale Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik ihnen persönlich bessere Arbeitsplätze, mehr Sicherheit und bessere Chancen verschaffen würden. Dabei würde genau das Gegenteil passieren.“

Artikelbild: nitpicker