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Plakat aus dem Jahr 2021! BILD erfindet dreist „Stalin-Plakat“ der Grünen Jugend

von | Mai 11, 2021 | Analyse

Nein, das ist kein stalinistisches Propagandaplakat: Bild beim Täuschen erwischt

Die BILD versucht bekannterweise mit allerlei schmutzigen Tricks, Fake News und Framing, die Partei Bündnis 90/Die Grünen schlecht aussehen zu lassen. Dafür wird tief in die BILD-Trickkiste der Manipulation, Täuschung und des irreführenden Framings gegriffen. Jetzt versucht das Boulevardblatt die „Grüne Jugend“ in eine kommunistische, sogar stalinistische Ecke zu stellen, um deren Anliegen, wie beispielsweise den Klimaschutz, als extremistisch und totalitär zu diffamieren. Dabei täuscht sie und verbreitet mehrere reine Falschaussagen. Sie bedient sich plumpen Framings, innerer Widersprüche und glatter Falschbehauptungen, auf die der Sprecher der „Grünen Jugend“ leider sogar selbst hereinfällt.

Grüne wollen „Deutschland“ BEIBEHALTEN: Absurde Fake-Kampagne der Union

Es geht um zwei Bilder, eines von der „Grünen Jugend“ und eines der „Grünen Jugend Freiburg“. Zwar kann Letzteres nach unserer Recherche tatsächlich als problematisch angesehen werden – aber aus anderen Gründen als die BILD angibt. Das andere Bild ist hingegen unproblematisch und ziemlich sicher keine Sowjetpropaganda. Hier hat die BILD einfach Fakten frei erfunden und offenbar auf Recherche verzichtet. Keines der beiden Bilder stammt aus der Stalinzeit.

BILD bezeichnet Grafik aus 2021 als Plakat aus Stalinzeit!

Die „Grüne Jugend“ verwendete folgendes Motiv für ihren „Gerechtigkeitskongress“ im April 2021:

Verschiedene, auch extrem rechte Accounts verbreiteten dann auf Twitter die Falschmeldung, dass dieses Plakat-Motiv irgendetwas mit der Sowjetunion zu tun haben sollte. Doch das ist falsch, das Motiv findet sich in vielen aktivistischen Kontexten. Zum Beispiel hier bei Amnesty International Indonesia:

https://www.instagram.com/p/CE3sC8PgBED/

Auf ihrer Instagram-Seite macht Amnesty International auf ermordete Menschenrechtsaktivist:innen aufmerksam, klingt nicht so stalinistisch.

Dies hier scheint Werbung für eine türkische Gewerkschaft zu sein (Quelle):

Wer rechts ist, für den sind vielleicht Gewerkschaften praktisch schon das gleiche wie Stalin. Aber eigentlich sind Gewerkschaften da in der Regel eher unverdächtig. Die meisten wissen gar nicht, dass in Deutschland praktisch jeder eine Gewerkschaft gründen kann.

Hier wird das Motiv verwendet, um gegen den Militärputsch in Myanmar zu demonstrieren:

Das Militär in Myanmar hat schon mehr als 700 Menschen der jungen Protestbewegung ermordet (Quelle).

Wir sind uns nicht ganz sicher, denn das Internet ist groß, aber das früheste Bild mit dem Motiv fanden wir bei einem Stock-Foto-Service:

Vektor-Fotos (hier). Laut seinen EXIF-Daten ist dieses Stockfoto Anfang 2019 generiert worden (wird gleich nochmal wichtig).

Es kann also praktisch jeder verwenden, mit Stalin oder der Sowjetunion scheint es aber nichts zu tun zu haben.

BILD behauptet, das Bild sei „Lenin-Propaganda“ und stamme aus den 1930ern

Zuerst tauchte die Falschbehauptung in rechtskonservativen Twitter-Kreisen auf. Hier zum Beispiel:

Das Ding ist: Trotz verdächtig russischer Schrift ist das Bild rechts übrigens keine sowjetische Propaganda, sondern die Einladung zu einem Sportfest in Sankt Petersburg – aus dem Jahr 2021. Hier ist der einzige Artikel, der das Bild zeigt. Das Sportfest findet wohl tatsächlich in Tradition von einem stalinistischen Sportfest statt. Die Idee, das einzuführen, hatte Putin (Quelle). Wie gesagt handelt es sich bei der Vorlage für das Sport-Plakat aber eben um ein unspezifisches Stockfoto, das jeder verwenden kann. Es stammt weder aus der Sowjet-Zeit, noch aus Lebzeiten Stalins. Außerdem scheinen die Organisatoren auch mit einigen Traditionen des ursprünglichen Sportfests zu brechen:

„1931 hatte der GTO [Sportfest] so interessante Disziplinen wie das Tragen einer Kiste mit Patronen aus einer Entfernung von 50 Metern, die in einer Gasmaske lief. Unsere Teilnehmer nehmen traditionelle: Laufen, Liegestütze, Presseübungen, Klimmzüge und andere Arten […]“ (zumindest sagt Apple Translate, dass das da steht.)

Wir sind hier keine Russland-Experten, aber es steht eben ziemlich sicher fest: Das ist kein Plakat aus der Sowjet-Zeit, sondern basiert auf dem gleichen Stockfoto aus dem Jahr 2019 wie das Grünen-Plakat.

Eine Dreiviertelstunde nachdem es in rechten Twitter-Kreisen viral ging, wurde das Thema dann auch vom BILD-Ressortleiter Politik aufgenommen. Sicher Zufall. Er verglich es unter anderem mit einer stalinistischen Statue, die zwar völlig anders aussieht als das Bild, aber egal.

BILD legt dann genau so manipulativ mit einem Artikel nach

Dem BILD-Schreiber gefiel sein Fake so gut, dass er daraus am Tag darauf einen Artikel voller tendenziösem Framing und Falschaussagen verfasste. Darin fabrizierte er, offenbar auf Grundlage von „Recherchen“ seiner teils grenzwertigen Twitter-Community, dass die „Grüne Jugend“ mit „Lenin-Propaganda“ geworben hätte. Er behauptet zuerst, die Jugendorganisation habe sich an „zwei Propaganda-Plakaten“ der sowjetischen Jugend bedient, nur um sich kurz darauf selbst zu widersprechen und zu berichten, dass der „Grünen Jugend“ die Herkunft unbekannt war. Was verschwiegen wird: Sie war unbekannt, weil die Herkunft falsch ist.

Die mit Fake News hetzende Kampagnen-Zeitung behauptete frei erfunden, dass die Grünen zwei Poster aus der Stalin-Zeit verwendet hätte, um die Grünen durch Suggestivfragen in die Ecke des Stalin-Terrors zu rücken. Das ist falsch.

Wie die „Grüne Jugend“ laut BILD-Artikel selbst erklärte, hat sie beide Motive aus einer Stockfoto-Datenbank. Hier findet man beide Motive, die die Grünen verwendet haben.

Das zweite ist dieses hier:

BILD sucht verzweifelt nach Ähnlichkeiten für ihren konstruierten Vorwurf

Für das zweite Motiv findet BILD ein lediglich ähnliches Motiv, das nach unseren Recherchen zwar wirklich aus der Sowjet-Zeit stammt, aber lange nach der Stalin-Zeit. Leichte Ähnlichkeit hat die Komposition mit einem russischen Propaganda-Plakat, anscheinend aus dem Jahr 1963.

Richtig plump tut der BILD-Autor so, als wäre eine entfernte Ähnlichkeit ein Beleg dafür, dass die „Grüne Jugend“ mit „Lenin-Propaganda“ werben würde. Keines der beiden Plakate scheint jedoch aus den 1930ern zu stammen. Die „Grüne Jugend“ fällt laut BILD wohl auf den BILD-Fake selbst herein: „BILD fragte die Grünen Jugend zu dem Thema an. Die verblüffende Antwort: Man habe nicht gewusst, dass es sich um Motive der kommunistischen Jugend der Sowjetunion handele. »Wir wurden erst durch Ihre Mail darauf aufmerksam, dass besagte Organisation vor 90 Jahren ein ähnliches Motiv verwendet hatte.«, so der Sprecher des Bundesverbands zu BILD.“

Wenig verwunderlich, dass sie es nicht wussten: Es stimmt offenbar einfach nicht. Wir konnten keine überzeugenden Belege dafür finden. Das erste Plakat scheint schlicht ein Stock-Foto zu sein, das zweite hat Ähnlichkeit mit einem Weltraum-Propaganda-Plakat aus der Sowjetunion, aber eben nicht unter Stalin, Lenin oder in Bezug auf die kommunistische Jugend. Laut BILD distanzierte sich die „Grüne Jugend“ auch: „Daraus irgendwelche Sympathien für stalinistische Propaganda herzustellen, weisen wir entschieden zurück.“ Es stimmt, das zweite Motiv scheint durchaus problematisch zu sein und die „Grüne Jugend“ hätte da besser aufpassen können. Die Darstellungen der BILD sind jedoch wie immer völlig überzogen und falsch. Das erste Bild können wir nach unseren Recherchen nicht beanstanden.

Es ist der plumpe und billige Versuch der BILD, die Grünen durch ein erfundenes „Sowjet-Plakat“ und die Ähnlichkeit mit einem anderen in eine kommunistische oder gar stalinistische Ecke zu stellen. Der Stalin-Terror war schrecklich und brutal, die BILD möchte Forderungen für soziale Gerechtigkeit oder den Klimawandel in diese Ecke stellen – mit Falschaussagen und tendenziösem Framing.

Fazit: Nicht jedes Bild, das alt aussieht, ist von Stalin oder Hitler – und BILD verbreitet rechte Fakes

Grundsätzlich zielt der Fake darauf ab, dass Bilder im Stil des letzten Jahrhunderts auch durchaus Bezug auf die ein oder andere Diktatur nehmen könnten. Aber im letzten Jahrhundert gab es eben auch sehr progressive Bewegungen, die Bilder in diesem Stil verwendet haben. Hier beispielsweise ein Plakat der für ihre Diktatur-Abneigung berüchtigten Sozialdemokrat:innen, das in sehr ähnlichem Stil wie das obere Bild gestaltet ist:

Besonders ironisch: Das zweite Motiv findet sich sogar auf extrem rechten Pro-Trump-Propaganda-Seiten (die Supplemente verkaufen)!

Es zeigt sich eben, dass BILD-Redakteure nicht „Recherchen“ ihrer offenbar ziemlich rechten Filterblase blind vertrauen sollten. Wir waren sogar auch schon drauf und dran, die „Grüne Jugend“ damit zu konfrontieren, hier ein Screenshot eines Tweet-Entwurfs. Im Gegensatz zur „BILD“ recherchieren wir jedoch, bevor wir Anschuldigungen in die Welt setzen.

Dem betreffenden BILD-Autor mussten wir allerdings bereits in der Vergangenheit beim Recherchieren helfen:

Nach peinlichen Tweets: Bild-Journalist fordert uns zu Faktencheck zu Ramelow heraus

Es stimmt, beim zweiten Motiv hätte die „Grüne Jugend“ durchaus etwas besser aufpassen können, denn ein (lediglich) ähnliches Motiv stammt offenbar wirklich aus kommunistischen Kreisen. Das macht ihre Bilder allerdings noch lange nicht zu „Lenin-Propaganda“, wie die BILD schwindelt. Nach Motiven für „Revolution“ zu suchen ist ebenfalls nicht per se kommunistisch oder auch auf die Grünen beschränkt. CSU-Landeschef Dobrindt verwendete den rechten Kampfbegriff „konservative Revolution“. Immer dieser jugendliche Ungestüm aber auch.

Mehr dazu:

Neurechte Netzwerke der AfD Teil 4: Die Konservative Revolution in der Weimarer Republik & heute

Autoren: Philip Kreißel, Thomas Laschyk Artikelbild: pixabay.com, CC0

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