Faktenchecks zeigen Wirkung
Ja, natürlich ist es absurd, dass wir so viel über die Teilnehmerzahl der Demo der Pandemie-Leugner am 1. August in Berlin reden. Die Zahl, die die Polizei an jenem Tag vor Ort per Hubschrauber geschätzt hat ist 17.000, bei der Kundgebung selbst circa 20.000 (Quelle). Wer der Polizei nicht glauben will (, die die Zahl nicht aus politischen Gründen ermittelt, sondern vor allem, um ihren Einsatz zu koordinieren), kann ja auf den Fotos selbst sehen, wie voll die Straße des 17. Juni im Vergleich zur Loveparade 1999 war, die wirklich etwa so viel wie die erfundenen 1,3 Millionen Teilnehmer*innen hatte. Dazu unser Faktencheck:
Faktencheck: Nur 17.000 – So lügen die Pandemie-Leugner über ihre Teilnehmerzahlen
Manche behaupten, die gesamte Straße des 17. Juni wäre voll gewesen, was offensichtlich Quatsch ist. Das sieht man auf Fotos und das können wir persönlich widerlegen, da wir auch vor Ort waren (mehr dazu). Auf anderen Vergleichen sieht man deutlich, dass nur ein kurzer Abschnitt mit der Pandemie-Leugner-Demo befüllt war.
https://www.facebook.com/ProfessorSchwurbelstein/photos/a.150366362291139/602221893772248/?type=3
Zieht man Tools wie Mapchecking heran, sieht man deutlich, dass die tatsächliche Fläche der Corona-Demo auch bei einer großzügig dichten Personenmenge (1 Mensch auf 1 qm – was eine Missachtung der Hygiene-Maßnahmen darstellt) lediglich knapp 15.000 Teilnehmer*innen möglich macht.
Schätzungen von diversen Fotos zeigen allerdings eher eine Ansammlung von circa einer Person auf vier Quadratmeter. Das würde auch bei der gesamten Fläche (angeblich 80.000 qm, Quelle) lediglich maximal 20.000 Menschen ergeben. Entsprechend scheint die Schätzung der Polizei ziemlich realistisch zu sein. Aber selbst wenn wir großzügig sein wollten und die maximal mögliche Zahl (5,5 Personen, Quelle) für diese Fläche herannehmen, kommen wir auf nur 66.000 Personen. Weit entfernt von 500.000 oder gar 1,3 Millionen. Das bestätigen in den letzten Tagen unzählige Faktenchecker*innen und Expert*innen.
Warum diskutieren wir dann so viel über die erfundenen 1,3 Millionen?
Weil die Behauptungen der Pandemie-Leugner so absurd sind. Und zwar nicht nur über ihre Demo-Zahlen. Sie lügen über Infektionszahlen, über angebliche Verschwörungen, sie lügen über die Ansteckung, die Tödlichkeit, die Wirkung von Masken, sogar über die Doktorarbeit von Dr. Drosten oder ob Merkel Abstände einhält oder nicht. Nur gibt es bei diesen Themen viele Unsicherheiten, keiner, nicht mal Expert*innen, weiß alles über Corona und die Pandemie, wir versuchen nur unser Bestes, schlimme Ausbrüche und eine Überlastung unseres Gesundheitssystems zu verhindern. Aber bei den 1,3 Millionen fiktiven Demo-Teilnehmer*innen, da sieht jede*r deutlich, dass es nicht stimmen kann.
Dieses Glossar an Corona-Fakes solltest du teilen, um Verschwörungsgläubige zu überzeugen
Aber daran sieht man auch gut, wie sehr sich diese Filterblase von der Realität abgeschottet hat. Wie sehr sie in einer Parallelwelt leben, wie sehr sie sich eine eigene Öffentlichkeit aufgebaut haben, in der sie alles behaupten können, was sie wollen, damit sie ihr Weltbild nicht hinterfragen müssen. Und in der immer professionellere Betrüger*innen, Rechtsextreme und Verschwörungsideologen ihnen täglich Rechtfertigungen und vermeintliche “Fakten” präsentieren, die sie hören wollen. Und damit Klicks und Aufmerksamkeit bekommen – und damit Geld und Macht.
Dass diese Filterblase so verbissen an einer Zahl festhält, die nie und nimmer stimmen kann, zeigt, wie die Strukturen und Mechanismen funktionieren. Dass sie alles maßlos übertreiben müssen, einfach, weil sie es wahr haben wollen. Und dass sie sich nicht auch von noch so offensichtlichen Belegen davon abbringen lassen können. In dieser Hinsicht ist die 1,3 Millionen-Lüge ein Debakel für die Bewegung der Pandemie-Leugner. Denn sie zeigt dem ganzen Land, was für verblendete Ideologen das sind.
Pandemie-Lügner werden gefactchecked
Da Facebook zusammen mit dem dpa Faktencheck und Correctiv (gelegentlich, aber viel zu selten, mehr dazu) Fake-Beiträge ausblendet, wenn es sie mal erwischt, werden zur Zeit der Reihe nach die Pandemie-Leugner-Seiten, die die Fake-Zahlen verbreitet haben geflagged. Die sind natürlich nicht begeistert und greifen sofort zur Verschwörungs-Keule und Opferrolle. Ironischerweise zeigt es nur erneut, wie verblendet diese Influencer sind. Wenn jede*r einzelne Faktenchecker*in zum gleichen Schluss kommt, was ist wahrscheinlicher? Dass alle “gekauft” sind oder dass sie Recht haben?
Sogar Rechtsextreme rudern zurück
Dass dieses verblendete Anrennen gegen jeglichen Verstand kontraproduktiv ist, erkennen jetzt sogar Rechtsextreme, die wesentlicher Teil dieser postfaktischen Bewegung sind. Nein, die Pandemie-Leugner sind eine breite, bunte Bewegung und nicht nur “Nazis”. Das wäre viel zu unterkomplex. Aber es ist Fakt, dass diese Bewegung aufgrund ihrer vereinfachten Weltbilder, anti-elitären Narrative, ihrer Feindseligkeit gegenüber Presse und Medien und Regierung nicht nur sehr viel Anschlussfläche zu Antisemitismus und Rechtsextremismus hat, sondern auch offensichtlich von diesen stark unterwandert werden. Dass das dort so wenige stört, spricht natürlich Bände.
Drohungen & Nazis: So sehr war die Corona-Demo von Rechtsextremen unterwandert
Dass die “alternative” Social-Media-Infrastruktur dazu führen wird, dass diese neue “Querfront” über kurz oder lang genau wie die alte Querfront von der rechtsextremen Bewegung assimiliert wird, hatte ich ja hier schon beschrieben (mehr dazu). Aber jene Rechtsextreme sind (in kleinen Teilen, übertreiben wir es nicht) schlauer und wissen, dass dieses übertriebene Lügen ihrer Bewegung letztlich schadet. Klar, ohne Lügen kommen sie nicht aus, denn Rechtsextremismus fußt ebenso wie die Pandemie-Leugnung fundamental auf Lügen, Verzerrungen, vereinfachten Weltbildern und absichtlichen Missverständnissen.
Aber manche sind pragmatisch genug, dass sie erkennen, dass zu offensichtliche Lügen die Mehrheit abschrecken. Sie können es zwar nicht lassen, die Zahlen dennoch zu übertreiben, aber eine Lüge von 100.000 Teilnehmer*innen ist weniger offensichtlich Quatsch wie 800.000, 1,3 Millionen oder gar 5 Millionen, wie auch behauptet wurde. So gibt es selbsterklärte “patriotische” Seiten, die die offensichtlichen Lügen “kontraproduktiv” finden und (ohne Belege) eine viel kleinere Übertreibung verbreiten möchten.
Ein rechtsextremes Institut, das vom Verfassungsschutz beobachtet wird, erkennt sogar, wie sehr die Bewegung an Glaubwürdigkeit verliert, dass sie sich in so eine belanglose Lüge festbeißt. Dieses ist natürlich traurig darüber, dass sich so die Pandemie-Leugner nicht dazu instrumentalisieren lassen, die Regierung und die freiheitliche Grundordnung zu stürzen.
Fazit: Faktenchecks wirken
Deshalb ist es auch so wichtig, dass wir auch so eine Quatsch-Behauptung wie die 1,3 Millionen widerlegen. Denn weder den Menschen, die an Wahrheit interessiert sind, noch die Pandemie-Leugner und Rechtsextreme scheren sich um wirklich die konkrete Teilnehmerzahl. Es geht um die Strategien und die Wirkung dahinter. Denn der Großteil der Pandemie-Leugner beharrt unbeirrt auf ihren Lügen. Nicht nur bei der Demo-Teilnehmerzahl, sondern auch bei allem anderen. Alles als “Lügenpresse” oder von Bill Gates gekauft zu verteufeln, was einem widerspricht, mag kurzfristig effektiv sein.
Aber wenn wir mit Fakten dagegen halten, wenn wir auf Belege pochen und diese liefern, dann können wir die Bevölkerung mit Fakten und kritischem Denken “impfen” und die wenigen Corona-Leugner in “Quarantäne” stecken, wo sie nur unter sich sind und keinen größeren Schaden anrichten können. Laut Umfragen lehnt die Mehrheit der Deutschen die Ideologen auf der Demo ab und ist sogar für Strafen für derartige Missachtung der Regeln (Quelle).
Die Wahrheit kann nur gewinnen: Entweder ideologisch verblendete Pandemie-Leugner machen sich mit ihren Lügen lächerlich. Oder sie müssen anfangen, Fakten ernst zu nehmen. Beides ist ein Schritt in die richtige Richtung. Dass sich die Pandemie-Leugner mit ihrer 1,3 Millionen-Lüge derart medienwirksam blamiert haben, dass sogar Rechtsextreme anfangen, die Zahlen runter zu verhandeln, zeigt uns, wie sehr sie sich da verrannt haben. Und dass Faktenchecks wirken.
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Artikelbild: Christoph Soeder/dpa
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