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Nein, der Katastrophenschutz rechnet nicht mit Blackout!

von | Nov 19, 2022 | Faktencheck

Das Axel-Springer-Medium WELT verbreitet wieder mal Desinformation durch eine irreführende Überschrift. Die Energieversorgung zur Zeit ist noch exzellent. Die Gasspeicher in Deutschland sind gerade komplett voll, bei über 100% (Wirklich wahr!). Die Gasbetreiber gehen derzeit davon aus, dass ein Gasmangel im Winter unwahrscheinlich ist, je nachdem wie kalt der Winter wird. Angesichts der Wetterprognosen ist man jedoch optimistisch. Panikmache über einen möglichen Blackout ist also bisher unangebracht.

Warum? Das liegt in der Definition, was ein „Blackout“ eigentlich ist. Das Wort klingt gefährlich und damit wird gerne Angst geschürt. Wenn mal kurz bei dir der Strom ausfällt, ist das aber alles andere als ein Blackout. Unter Blackout versteht man einen großflächigen und länger anhaltenden Stromausfall, bei dem die Netzbetreiber die Kontrolle über die Stromversorgung verlieren. Ein solcher Katastrophenfall würde weite Teile Kontinentaleuropas betreffen, weil die Stromnetze verbunden sind. Und die Gefahr dafür ist natürlich nie Null, aber zur Zeit extrem gering.

Wer heute die Überschrift (denn der Artikel ist hinter einer Paywall) der WELT liest, wird aber einen völlig anderen, falschen Eindruck bekommen und fehlinformiert. In einem Interview mit Chef des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, Ralph Tiesler titelt das unseriöse Medium die definitive Falschaussage, dass der Katastrophenschutz davon ausgehe, es werde im Winter gleich mehrere „Blackouts“ geben. Das ist Desinformation. Denn Tiesler spricht von Stromausfällen und von sog. „Brownouts“ – das ist aber was anderes.

Stromausfall, Brownout, Blackout – Was ist was

Bisher fiel vor allem die rechtsextreme AfD damit auf, mit dem Vermischen von lokalen, kurzzeitigen Stromausfällen und dem Katastrophenfall Blackout Panik zu schüren. Klar, das ist im Sinne der Partei, die hofft, dass es „dramatisch“ wird. Aber wie sich mehrfach gezeigt hat, liefert auch die WELT offenbar gerne die Desinformation und Narrative für das gleiche Publikum. Und bringt so diese irreführenden Schlagzeilen in andere Medien und den Mainstream, dazu später mehr.

Stromnetze sind komplexe Systeme. Damit Leitungen nicht überlastet werden, müssen Stromerzeugung und Stromverbrauch im Gleichgewicht bleiben. Dies gelingt, in dem Kraftwerke kurzfristig zu- oder abgeschaltet werden. Je größer die zusammenhängenden Stromnetzwerke, desto besser können Schwankungen ausgeglichen werden. Mehr Infos dazu, wie Stromnetzwerke funktionieren, findet ihr etwa in diesem Beitrag bei MDR Wissen.

Einen kleinen, einige Minuten anhaltenden Stromausfall haben die meisten von uns schon erlebt. Dazu kommt es immer wieder, etwa, wenn Stromkabel durch Bauarbeiten beschädigt werden. In der Regel kann die Stromversorgung durch Umschaltungen schnell wieder hergestellt werden.

Brownout: Vorbeugen gegen den Blackout

Aber natürlich kann es auch mal zu größeren Störungen kommen. Der sogenannte Lastabwurf (oder auch „Brownout“) ist eine kontrollierte Maßnahme, mit der in einer Krisensituation eine Überlastung der Stromnetzwerke verhindert werden soll. Dafür nehmen die Netzbetreiber kontrolliert und für kurze Zeiträume bestimme Stromkunden vom Netz. Das Ziel dabei ist es, eine Überlastung der Stromnetze und damit einen unkontrollierten Stromausfall zu vermeiden. Seit 2005 kam es in Deutschland zweimal zu solchen ungeplanten Lastabwürfen. Der Lastabwurf ist also der Notfallmechanismus, der greift, um einen großflächigen Stromausfall zu verhindern.

Unter Blackout versteht man einen großflächigen und länger anhaltenden Stromausfall, bei dem die Netzbetreiber die Kontrolle über die Stromversorgung verlieren. Ein solcher Katastrophenfall würde weite Teile Kontinentaleuropas betreffen, weil die Stromnetze verbunden sind. Der Blackout ist also quasi erstmal nur ein Szenario – das größte anzunehmende Katastrophenszenario für das Stromnetz, sozusagen.

Die Gefahr für Blackout ist gering

Die Gefahr eines Blackouts kann natürlich nie gleich null sein. Aber sie ist eben extrem gering, weil es zahlreiche Mechanismen gibt, die diese Situation verhindern. Als mögliche Auslöser werden gezielte Angriffe und verheerende Umweltkatastrophen gehandelt.

Die Sicherheit des Stromnetzes wird regelmäßig überprüft. Wegen der großen Dürre diesen Sommer, des Niedrigwassers in den Flüssen, des aktuellen Ausfalls rund der Hälfte der französischen Atomkraftwerke und des wegen des Kriegs in der Ukraine angespannten Energiemarktes hat das Bundesministerium für Klima und Wirtschaft für diesen Winter eine Sonderanalyse in Auftrag gegeben. 

Das Ergebnis: Im Extremszenario, das von einem extrem unwahrscheinlichen, gleichzeitigen und massiven Ausfall zahlreicher Kraftwerke ausgeht, könnte es in Deutschland stundenweise zu Versorgungsengpässen kommen. Die Rede ist hier auch beim Extremszenario von wenigen Stunden im Jahr. Also nix mit tagelang anhaltendem Chaos, Plündereien und einem kompletten Zusammenbruch des Gesundheitssystems.

Zahlreiche Maßnahmen, wie etwa die Verlängerung der Nutzung von drei Kernkraftwerken bis März 2023, wurden bereits ergriffen, um die Gefahr eines solchen Szenarios weiter zu verringern. 

KatastrophenSchutz-Chef verspricht sich und nutzt falsche definition

Wie auch Journalist Malte Kreutzfeldt auf Twitter kommentierte, nutzt Tiesler im Interview mit WELT aus Versehen oder weil er vergeblich auf die journalistische Integrität des Mediums hoffte, den Begriff „Blackout“ falsch. Er spricht zwar von „Blackout“, aber beschreibt dann normale Stromausfälle oder eben die eher möglichen „Brownouts“. Seine Definition widerspricht der Definition der Bundesnetzagentur.

Später im Interview sagt Tiesler es nämlich wieder richtig: Er rechnet eben NICHT mit einem Blackout, also „lang anhaltenden, großflächigen“. Sondern eben den „Brownouts“.

Wie so oft und für maximale Stimmungsmache nutzt die WELT diese Falschaussage jedoch für den Titel ihres Artikels. Die korrekte Darstellung wiederum bleibt für die meisten Leser:innen unbekannt, da der Artikel natürlich hinter einer Paywall steckt. Das ist Desinformation.

Update 20.11.: Der Katastrophenschutz hatte heute auf Twitter die falsche Aussage ihres Chefs korrigieren müssen. Sie stellt klar: „Ein großflächiger Stromausfall in Deutschland ist äußerst unwahrscheinlich“. Und: „Die missverständliche Formulierung bedauert das BBK und stellt diese hiermit klar.“

Viele medien schreiben (falsch) ab

Offenbar hat sich leider in der Medienlandschaft noch nicht herumgesprochen, wie unseriös WELT arbeitet, beziehungsweise welche (leider) erfolgreichen Taktiken für Aufmerksamkeit sie nutzen. Denn selbst wenn sie mit Desinformation und Panikmache arbeiten, finden sie Nachahmer und so haben diverse Medien die falsche Überschrift via einer afp-Meldung abgeschrieben. Der Merkur kopiert das falsche „Blackouts“.

Bei t-Online wird das irreführende Zitat ebenfalls verwendet.

Viele seriöse Medien machen es besser und nutzen nicht das falsche Zitat, sondern schreiben in den Titel, was wirklich korrekt ist: Dass Tiesler gesagt hat, er rechne mit Stromausfällen. Beim SPIEGEL.

Beim MDR auch gut.

Bei der FAZ.

Und bei der ZEIT.

Man sieht, wie die Begriffe durcheinander geworfen werden und so für Desinformation sorgen können. Der Teaser der ZEIT beispielsweise beschreibt den eigentlichen Sachverhalt ziemlich gut. Es könnte zu zeitweisen, lokalen Stromausfällen kommen, mit Blackouts rechnet auch der Katastrophenschutz bisher nicht, nur mit kurzfristigen, lokalen Brownouts. Und damit konnte ich diesen Artikel so betiteln und er ist korrekter als der WELT-Titel.

Artikelbild: urbans