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Der Faktencheck zum „Corona-Diktatur“-Mythos

von | Aug 10, 2020 | Aktuelles, Corona, Corona-Fake, Gastkommentar

„Man muss die Menschen ernst nehmen“

Gastbeitrag von „Steife Brise – die Wahrheit über Aalsuppe“

Okay das habe ich mir dann mal zu Herzen genommen und ernsthaft darüber nachgedacht und recherchiert, ob es wirklich Anhaltspunkte dafür gibt, dass Deutschland droht, eine „Corona-Diktatur“ zu werden. Woran erkennt man, wenn ein Land auf dem Weg in die Corona-Diktatur ist? Zuerst wird die freie Presse und die Medien beschnitten und gleichgeschaltet.

Ist das in Deutschland so? Die oft gescholtenen öffentlich-rechtlichen Sender berichten nach wie vor kritisch über Renten, Waffenhandel, Berechnung von Hartz-4, Umgang mit Steuergeldern, Gesetzesentwürfe, Fehlverhalten von Politikern aus den Regierungsparteien und der Opposition, Lobbyismus, die Opposition kommt in Talkshows und den Nachrichten zu Wort, auch werden aktuell durchaus die einzelnen Corona-Maßen kritisch betrachtet und über Probleme für Einzelhandel, Schulen, Gastronomie, Kunstschaffende etc. berichtet.

Auch die anderen Medien verhalten sich nicht anders: Wo ist die „Gleichschaltung“?

In Deutschland sitzen exakt null (in Zahlen 0) Reporter*innen wegen ihrer Berichterstattung in Haft. Auch kein*e Blogger*in sitzt wegen seiner/ihrer Arbeit in Haft. Tichy, Achgut, Compact, Deutschland Kurier, Wodrag, Hildmann, Naidoo, Jebsen etc. dürfen ihren Unsinn unzensiert verbreiten. Über das Internet wie auch als analoge Ausgabe ist die internationale überall uneingeschränkt Presse verfügbar.

Auch wird offen und viel über regierungskritische und systemkritische Gruppierungen, Parteien und Einzelpersonen und ihre Inhalte informiert und sie kommen auch selber zu Wort. „Reporter ohne Grenzen“ sieht Deutschland auf Platz 11 im weltweiten Vergleich (Quelle). Und sie sehen auch keine staatliche Beeinflussung der Medien, kritisieren aber, dass Journalist*innen, die in der rechten Szene recherchieren, vom Verfassungsschutz beobachtet werden und es auf rechten Demos zu gewalttätigen Angriffen und Bedrohungen gegenüber Journalist*innen kommt. Die Szene, die bei den Pandemie-Leugnern mitmarschiert übrigens.

Corona-Demo: AfD, NPD, III. Weg, Antisemiten, Holocaustleugner, Neonazi-Kameradschaften

Ein Punkt für die Demokratie.

Nach der freien Presse müsste die freie Meinung der Bevölkerung eingeschränkt werden. Da kommen dann Gesetze, die z.B. „Präsidenten-Beleidigung“ unter Strafe stellen, ins Spiel. Der veraltete Paragraph der Majestätsbeleidigung wurde ersatzlos abgeschafft, nachdem Böhmermann über ihn stolperte (Quelle). Was unter Strafe steht, ist Volksverhetzung, also Holocaust-Leugnung und die pauschale Verächtlichmachung ganzer Bevölkerungsgruppen auf Grund ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Religion, Hautfarbe, Herkunft, ethnischen Zugehörigkeit.

Und auch da muss man sich massiv etwas leisten, damit es justiziabel ist und nicht mehr unter Meinungsfreiheit fällt. Zu sagen „Ausländer sind kriminell“ oder „Corona ist eine Lüge“ reicht da nicht. Das fällt unter Meinungsfreiheit. Und wird nirgendwo in Deutschland unter Strafe gestellt. Es gibt also sogar ein Recht darauf, Bullshit zu erzählen.

Zweiter Punkt für die Demokratie.

Schauen wir uns die Justiz an, wie sieht es da aus? Richter*innen und Staatsanwält*innen gibt es mit jeder Parteizugehörigkeit, von die Linke bis AfD ist alles dabei. Ein Parteibuch ist aber keine Vorraussetzung. Sie sind dem Grundgesetz verpflichtet und können nur bei schweren Straftaten oder bewiesener Verfassungsfeindlichkeit aus dem Amt entfernt werden.

Urteile können nicht mal von Justizministern kassiert werden, sondern nur von der jeweils nächst höheren Instanz. Womit wir bei dem Punkt sind, dass man in Deutschland auch gegen ein Urteil angehen kann, sogar vor internationalen Gerichten. Im April wurde vom Bundesverfassungsgericht zum Beispiel ein generelles Demo-Verbot in Hessen gekippt (Quelle). Komische Corona-Diktatur, die sich für die Rechte ihrer Kritiker*innen einsetzt. Dritter Punkt für die Demokratie.

À propos: Wie sieht es mit dem Demonstrationsrecht aus?

Nun, letztes Wochenende waren 17.000-20.000 „Pandemie-Leugner*innen“ in Berlin auf der Straße und auch dieses Wochenende haben sie gegen eine angebliche „Corona-Diktatur“ demonstriert. Es darf für und gegen Flüchtlinge, Umweltschutz, Diesel-Fahrverbote, Klimawandel, ja sogar Dinge die es gar nicht gibt, wie Chemtrails demonstriert werden. Wenn ich will, kann ich morgen eine Demo für ein Wahlrecht für außerirdische Astralwesen anmelden. Ob dann jemand hingeht, steht genau, wie die Frage, ob Ziele mit dem Grundgesetz konform sind, auf einem anderen Zettel. Jede*r darf und kann die Demo durchführen, die er/sie durchführen möchte. Darauf kommt es an. Punkt 4 für die Demokratie.

Wie steht es um die Parteienlandschaft?

Wir haben aktuell 70 Parteien in Deutschland, darunter so manche, die als verfassungsfeindlich eingestuft sind (NPD, MLDP, …) und auch so lustige wie die Pogo-Partei oder Garten-Partei. Die Hürden eine Partei zu gründen sind auch sehr niedrig und es kommt noch besser: um sein passives Wahlrecht wahrzunehmen, muss man nicht mal einer Partei angehören. The Economist bewertet Deutschland als vollständige Demokratie und vergibt Platz 13 an Deutschland (Quelle). Zum Vergleich: Die USA liegen auf Platz 25 und sind nach den Kriterien des Demokratieindex eine unvollständige Demokratie, Ungarn und Polen stehen kurz davor, als Hybride eingeordnet zu werden. Und Russland gilt bereits als Hybrid.

Punkt 5 für die Demokratie gegen die „Corona-Diktatur“.

Bleibt die Frage nach dem Polizeistaat.

Hier wird es tatsächlich schwierig. Aktuell werden tatsächlich die Befugnisse der Polizei ausgebaut, ohne im gleichen Maß die Rechte der Bevölkerung zu stärken. Aber auch hier ist es durchaus unterschiedlich. Während das neue Polizeigesetz von Bayern noch verfassungsrechtlich auf dem Prüfstand ist und das Urteil noch aussteht (Quelle), will Bremen die Rechte der Bürger *innen verbessern, baut zwar Befugnisse der Polizei aus, schränkt sie aber auf der anderen Seite auch ein (private Datenabfragen, Racial Profiling werden zur Straftat, die anlasslose Personenkontrolle verboten und das Tragen einer Identifikationsnummer auch für Streifenpolizisten zur Pflicht, Quelle).

Aber auch hier ist es so, dass man, um Polizist*in zu werden, in keiner Partei sein muss, aber jeder nicht verfassungsfeindlichen Partei angehören darf. Eine politische Übereinstimmung mit der Regierung ist nicht nötig und hat auch keine Auswirkung auf die Karriere. Einzige Ausnahme auch hier wieder eine zweifelsfrei nachgewiesene verfassungsfeindliche Gesinnung. Davon, ein Polizeistaat zu werden sind wir trotzdem weit entfernt. 1/2 Punkt für die Demokratie.

Was ist mit Wahlen?

Jede der 70 Parteien kann zu jeder politischen Wahl ihre Kandidat*innen aufstellen und darf Wahlwerbespots in Radio und TV schalten. Die OSZE ist seit 20009 regelmäßig bei Wahlen in Deutschland als Beobachter dabei und hat keine entscheidenden Manipulationen feststellen können (Quelle, Quelle). Bei der letzten Bundestagswahl kritisierte sie im Grunde als einziges größeres Ereignis die undurchsichtige Finanzierung der AfD-Wahlwerbung. Wenn es zu Manipulationen durch Einzelpersonen in einem Wahlkreis kommt, wird neu ausgezählt und das Ergebnis dann korrigiert. Noch ein Punkt für die Demokratie.

Abschließend bleibt zu sagen, dass wir weit entfernt davon sind, den demokratischen Boden zu verlassen und zur „Corona-Diktatur“ zu werden. Und nur weil man eine Maske beim Einkaufen und in den ÖPNV tragen soll, ist die Demokratie noch lange nicht in Gefahr. Auch nicht, wenn man davon überzeugt ist eine Verschwörung aufgedeckt zu haben oder meint man wäre „das Volk“. In einer Demokratie muss auch nicht den Forderungen von kleinsten Gruppen nachgegeben werden, schon gar nicht wenn diese auf Nonsens beruhen und ihn beinhalten. Man kann es, wie in einer Familie, auch nicht jedem Recht machen, sondern manchmal nur vielen, also sehr vielen, also der Mehrheit und das eben auch nur auf Basis der Verfassung, die in Deutschland Grundgesetz heißt.

Zu einer Demokratie gehört es eben auch, dass man mit seiner Meinung in der Minderheit sein kann, Gegenwind bekommt und nicht immer seinen Willen durchsetzen kann. Ihn frei äußern und dabei auch noch den Schutz durch Rechtsprechung und Polizei genießen kann man aber nur in einer Demokratie und genau das ist in Deutschland der Fall. Also hört auf, was von „Corona-Diktatur“ zu reden. Das könntet Ihr in einer solchen eben auch nicht ungestraft.

Zum Thema:

Faktencheck: Corona-Maßnahmen sind im Einklang mit dem Grundgesetz

Gastbeitrag von „Steife Brise – die Wahrheit über Aalsuppe“ (Original auf Facebook). Artikelbild: Berit Kessler / Shutterstock.com


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