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Warum manche Dieter Nuhr mit einem Neuen Rechten verwechseln

von | Dez 23, 2019 | Aktuelles, Kolumnen, Schwer verpetzt

Über (zu) harsche Kritik

Auch wenn es manche derjenigen, die uns täglich Hassmails und Drohungen schicken, nicht glauben können, bemühen wir uns beim Volksverpetzer stets um Differenzierung. Wenn ich harsche Kritik übe, dann immer nur dann, wenn ich der Meinung bin, dass diese gerechtfertigt ist. So kam es, dass wir in den letzten Monaten ein paar Mal über den Komiker Dieter Nuhr geschrieben haben, beziehungsweise auch diverse Gastbeiträge zum Thema veröffentlicht haben.

Nuhr hat zuletzt die AfD und die Linke gleichgesetzt, Fridays for Future mit dem Halle-Anschlag, den Klimanotstand mit Hitlers Ermächtigungsgesetz und Antisemitismus mit linker Wohnungspolitik, neben Verharmlosung von Rassismus und erneut verkürzter Kritik an Greta Thunberg. Die Urteile fallen manchmal logischerweise ziemlich harsch aus. Es wurde konkludiert, er habe Vorwürfe wie aus rechtsextremen Websiten zu formuliert, neurechte Narrative zu bedienen und er wurde als „Pseudokabarettist vom rechten Rand“ betitelt.



Dabei habe ich große Bauchschmerzen

Diese Anschuldigungen halte ich für etwas zu harsch. Ich persönlich hätte manchmal nicht so hart geurteilt. Einige Leser*innen waren etwas unzufrieden und hielten die Schlussfolgerungen für übertrieben – und ich stimme teilweise zu. Dieter Nuhr ist kein Neonazi oder vergleichbar. Dies hatte auch der letzte Gastbeitrag allerdings ebenfalls nicht sagen wollen. Dieter Nuhr hat sich durchaus negativ über die AfD geäußert und über Björn Höcke gesagt: „Wenn ich Adolf Hitler wäre, würde ich den Mann wegen Urheberrechtsverletzung verklagen.“ Er hat die Doppelmoral der AfD beim Anschlag von Halle korrekt angeprangert.

Seine Äußerungen über Greta Thunberg und den Klimawandel hat er auch eingeordnet: „Verstehen sie mich nicht falsch. Ich zweifle nicht am Klimawandel, auch nicht an der Dringlichkeit, sondern daran, wie einige das lösen wollen.“ Und „Ich bin froh, dass es Greta gibt, das meine ich ohne Ironie.“ Und das freut mich sehr, und deswegen möchte ich hier das Geschehene ergänzen. Denn die Kritik daraus abzutun ist auch nicht richtig. Wäre an der Kritik nicht etwas dran, wäre keiner der Artikel bei uns erschienen. Denn dass offensichtlich einige in Dieter Nuhrs Kabarett Neurechte Propaganda sehen ist keine „linke Paranoia“, sondern liegt an zwei Dingen:

Feindbilder und Satire

„Darf Satire etwa nicht alles“? oder „Leute, das ist doch nur Satire“ waren viele Reaktionen. Richtig. Denn es wäre falsch, alle überzogenen Vergleiche für bare Münze zu nehmen. Denn wenn Nuhr Klimaaktivist*innen mit Neonazis vergleicht, ist das natürlich mit Absicht überspitzt. Das Problem ist jedoch ein anderes, wie auch im letzten Gastbeitrag geschrieben wurde: Viele dieser Überspitzungen funktionieren nur durch „selektive Falschzitierung und vorsätzliche polemische Falschdarstellung“ der Inhalte.

Klar, wirkt es etwas komisch, einen Satire-Beitrag nach ernsten Maßstäben zu analysieren. Aber erstens kann und soll man das auch machen können – mein Master in Literaturwissenschaft wäre sonst noch sinnloser, als er eh schon ist 😉 – und zweitens kann man ja das transportierte Weltbild dahinter kritisieren. Nuhr ist nicht „rechts“ im Sinne von „rechtsextrem“. Mit seinem Programm bedient er ein Publikum, dass rechts der Mitte zu verorten ist, sich aber für die dezidiert „nicht extremistische“ Mitte hält und dabei einige konservative Weltanschauungen verinnerlicht hat.

Und hier kommen wir zum zweiten Punkt, der nötig ist, damit manche in Nuhrs Programm eine „neurechte Agenda“ sehen: Seine Feindbilder. Beziehungsweise die der Konservativen und Liberalen. Das sind Greta Thunberg, Antirassisten, Grüne und Linke. Das ist ja an sich kein Problem. Das sind nur leider genau die gleichen Feindbilder wie die der Rechtsextremisten, Rassisten und Faschisten und auch der Ansatzpunkt, mit denen diese an das bürgerliche und liberale Spektrum andocken wollen. In Kombination mit Satire kommt dann ironischerweise (ehrlich gesagt glaube ich versehentlich) etwas heraus, das wie Nazi-Propaganda funktioniert.

Applaus von Rechts

Deswegen verstehe ich, warum manche in Nuhr einen neurechten Demagogen sehen, auch wenn ich dieser Einteilung widersprechen würde. Nuhr ist zumindest nicht absichtlich einer. Denn rechtsextreme Propaganda funktioniert über die maximale Übertreibung und Lächerlichmachung ihrer Feindbilder. Faschismus hat mehrere wichtige Komponenten, wie die Expertin Natascha Strobl hier erklärt, aber eines davon ist die Dramatisierung jeder Kritik am Feindbild der „Linken“ – bis es nicht mehr geht. Sie sollen völlig irrational und unmenschlich dargestellt werden. Dazu bedient man sich der Verkürzung, der Auslassung und der Lüge.

Und wenn Nuhr jetzt über genau das gleiche Feindbild satirisch Auslassungen und verkürzte Darstellung verwendet, hat das einen etwas anderen Zweck als die Propaganda der Faschisten und ist auch im Unterschied zu ihnen nicht so ernst gemeint. Das Endprodukt sieht diesem aber eben verdammt ähnlich! Das hat nichts damit zu tun, dass mir die Satire nicht gefällt. Satire muss nicht gefallen, Satire fußt aber immer in der Realität und nimmt diese etwa mittels Übertreibung aufs Korn. Gute Satire ist genau so nah an der Realität, dass der satirische Bruch nicht unplausibel wirkt und für möglich gehalten wird. Das ist bei Nuhr in den kritisierten Passagen jedoch nicht mehr der Fall.

Das liegt auch daran, dass Nuhr „bürgerliches Kabarett“ betreibt, wie es unser Autor in einem Artikel beschrieb (hier). Denn gute Satire kritisiert in der Regel die Mächtigen und Machtstrukturen. Buchstäblich Kindern vorzuwerfen, sie würden mit zivilem Ungehorsam quasi kleine Ermächtigungsgesetze erlassen und sich über die Demokratie hinwegsetzen, ist aber ein Nach-unten-Treten. Um unseren Autor zu zitieren: „Ein nicht bestehendes Tabu (Anti-Rassismus, Kritik an Greta Thunberg) erst zu inszenieren, um es dann zu brechen: Das ist kein Widerstand gegen den „Gutmenschen-Gesinnungsterror“. Das ist einfach nur um eine bequeme, gefahrlose Fortsetzung der gesellschaftlichen Machtverhältnisse.“

Diese Feindbilder und Narrative sind problematisch

Wenn Nuhr oder andere, die sich in der „Mitte“ verorten, AfD und Linke gleichsetzen oder rechtsextreme Terroristen mit Klimademonstrat*innen, dann äußern sie sich nicht „gegen jeden Extremismus“, sondern verharmlosen (oft durchaus unbewusst) rechten Terror und Faschismus. Die Linke ist auf gar keinen Fall das linke Pendant zur AfD (mehr dazu). Die Meinungsfreiheit ist durch Studierenden-Proteste nicht so bedroht wie durch Faschisten (mehr dazu). Diese Narrative gehören aber zur Selbstverharmlosung von Neuen Rechten, Faschisten, Liberalen und Konservativen, die darin eine bequeme Möglichkeit sehen, all ihre Feindbilder bequem unter einen Hut zu packen – helfen werden sie letztlich nur Anti-Demokraten.

Und hier müssen wir unterscheiden: Nuhr will sicher keinen neuen Faschismus in Deutschland und ich glaube auch nicht wirklich, dass er Nazi-Blogs liest. Doch dass er z.B. Greta Thunberg dafür kritisiert, dass sie in ihrer „How Dare You“-Rede ihre gestohlene Kindheit beklagt, weil sie angeblich Kinder in der dritten Welt vergisst, ist entweder faul oder unehrlich. Denn er hat den buchstäblich nächsten Satz aus ihrer Rede weggelassen. “Ihr habt meine Träume und meine Kindheit mit euren leeren Worten gestohlen. DABEI BIN ICH EINE DER GLÜCKLICHEN. MENSCHEN LEIDEN. MENSCHEN STERBEN.“ Und so funktioniert das ständig, wie auch im letzten Gastbeitrag beschrieben.

„Kindheit gestohlen“: Diesen Anti-Greta-Post kann man mit einem Satz zerlegen

Nuhr ist kein alter weißer Mann – nur schlecht informiert

Ja, schön, dass es Satire ist. Aber wenn die Pointe nur funktioniert, wenn man über das Thema schlecht oder falsch informiert ist (oder wird), dann verbirgt sich hinter dem Witz kein kluger Gedanke, sondern nur unkritische (Selbst-)Bestätigung von Weltbildern. Ob Nuhr sich für kritisch hält, oder absichtlich nur die Vorurteile seines Publikums bedient, vermag ich nicht zu sagen. Und dass ein*e Kabarettist*in das Weltbild seines Publikums bestätigt ist letztlich auch ein sich im Kreis drehender Vorwurf. Das macht „Die Anstalt“ ja eigentlich auch. Man liest und hört diejenigen auch, eben weil man sein Weltbild bestätigt haben möchte.

Das Problem liegt nur darin, dass nach der Satire das Publikum mit genau diesen aufgefrischten Weltbildern und (falschen) Vergleichen nach Hause geht. Greta ist eine Heuchlerin, Fridays for Future übertreibt einfach nur, Linke sind genau so undemokratisch wie Faschisten. Das ist problematisch. Als Dieter Nuhr außerhalb seines Programms seine Witze über Greta und Fridays For Future erklärte, entblößte er, auf welchen falschen und verkürzten Annahmen diese funktionieren (müssen). Ein weiterer Gastbeitrag bei uns hat sich seinerzeit damit beschäftigt:

Sorry Dieter Nuhr: Du bist kein alter weißer Mann

Fazit

Nuhr ist nicht rechtsextrem. Er ist nicht rechter als CDU-Wählende. Er bedient/glaubt nur falsche Vorurteile über Anti-Rassismus und die Forderungen der Klimabewegung. Und übt dann in seinen Programmen verkürzte und falsche Kritik an ihnen, die jedoch die Vorurteile seines Publikums bestätigen. Durch die satirische Überspitzung dieser verkürzten Darstellungen sieht das Endprodukt anschließend jedoch leider teilweise genau so aus wie die ernst gemeinte Propaganda von Faschisten, weil diese die gleichen Feindbilder haben. Und das ist natürlich ein großes Problem.

Ich glaube nicht, dass Nuhr eine geheime, neurechte Agenda hat. Aber ich möchte betonen, dass sein Kabarett nun mal genau diese neurechten Narrative dem Anschein nach bestätigt und deren Feindbilder durch verkürzte Darstellungen festigt. Im schlimmsten Fall macht es das konservative, liberale Publikum anfälliger für diese neurechte Propaganda, weil sie an Sprachbildern anknüpft, die durch Nuhr eigentlich im Scherz etabliert wurden. Und das kann nun wirklich nicht in seinem Sinne sein.

Greta und Schüler*innen, die für den Planeten demonstrieren, sind nicht die Mächtigen, die das gut situierte Bürgertum diskriminieren. Antirassistische Menschen und PoC, die von Blackfacing diskriminiert werden, bedrohen nicht unsere Freiheit, sie kämpfen um ihre eigene. Dieter Nuhr inszeniert die Forderungen von Minderheiten und Klimaaktivist*innen, die sich gegen mächtige Konzerne und ihre Lobbys stellen, als Extremismus und reproduziert somit gesellschaftliche Machtverhältnisse. Und das sieht leider manchmal so aus wie Propaganda von Nazis und Klimawandelleugnern.

Artikelbild: EukuCC BY-SA 3.0