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Urteile der Woche (KW 27): Strafe für Alubrillen-Heilpraktiker

von | Jul 9, 2023 | Serie

Es gibt nicht nur immer mehr Prozesse gegen „Querdenker“ – es gibt auch immer mehr Urteile. Oder wie heute Hausdurchsuchungen. Da es mittlerweile so viele sind, fassen wir die Urteile regelmäßig in einem Sammelartikel zusammen. Zuletzt berichteten wir von 140 Hausdurchsuchungen in einer Woche:

Was uns jedoch in letzter Zeit zunehmend aufgefallen ist: die Abgrenzung, wer „Querdenker“, Rechtsextremist, Antisemit, Reichsbürger oder alles gleichzeitig ist, fällt uns mit dem Wegfall der Covid19-Schutzmaßnahmen immer schwieriger. Am Ende wählen die meisten ohnehin die rechtsextreme AfD oder stehen ihr ideologisch zumindest nahe. Die Übergänge verfließen immer weiter. Zugleich haben viele der Verurteilten auch deutliche Schnittmengen mit anderen demokratiegefährdenden Gruppen, sodass wir uns nun entschlossen haben, die „Querdenker“-Urteile umzubenennen und auszuweiten. Ab sofort werden wir nur noch die „Urteile der Woche“ veröffentlichen, und darin alle Demokratiefeinde, Desinformationsverbreiter und Wissenschaftsfeinde aufzählen.

Der Alubrillen-Heilpraktiker hat sein Urteil

Ihr erinnert euch? Es geht um den Heilpraktiker, der mit einer Brille aus Alufolie zu seinem Prozess wegen gefälschter Impfpässe aufgetaucht ist. Wir haben hier berichtet:

Wir hatten euch Anfang Juni versprochen, euch auf dem Laufenden zu halten. Jetzt gibt es ein Urteil. Das Gericht sah die Tatvorwürfe (gefälschte Impfpässe, Scheinimpfungen, sowie Verkauf verschreibungspflichtiger Drogenersatz-Medikamente) als erwiesen an und verurteilte ihn wegen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz. Im Verhältnis zu den bisherigen Urteilen gab es diesmal eine verhältnismäßig hohe Strafe: vier Jahre und drei Monate Haft (Rechtskraft unklar), ebenso trägt er die Kosten des Verfahrens. Bei der Höhe selbstverständlich ohne Bewährung. Der Merkur berichtet weiter: „Eine Frau, die an Corona erkrankt war und sich von Holger G. mit Vitaminlösungen behandeln ließ, war voriges Jahr verstorben.“

Von den ursprünglich 130 angeklagten Fällen blieben am Ende des Verfahrens u.a. 96 Körperverletzungen, sowie 102 illegale Arzneimittelabgaben übrig.

Doch das hohe Urteil resultierte nicht allein aus den aktuell verhandelten Taten. Viel mehr sei Holger G. bereits mehrfach vorbestraft gewesen, auch seine Zulassung ist ihm bereits vor einiger Zeit entzogen worden. Er soll zudem in einer Entziehungseinrichtung untergebracht werden. Um welche Suchterkrankung es sich handelt, ist nicht bekannt.

Reichsbürger-Lehrer von Waldorf-Schule geflogen

Bislang kannten wir Waldorf-Schulen eher im Kontext von Impfkritikern, bei denen es auch mal ein großes Corona-Cluster gab. Viele Eltern, die ihre Kinder auf eine Waldorfschule schicken, sind oft auch impfkritisch und lehnen evidenzbasierte Medizin ab. Um dennoch nicht aufzufallen, legten sie beispielsweise gefälschte Impfatteste vor:

In Ravensburg fiel eine Waldorfschule nicht nur wegen überdurchschnittlich vieler Maskenatteste auf, sondern jetzt auch, weil dort ein Lehrer unterrichtet, der Reichsbürger-Dokumente mit in den Unterricht gebracht haben soll. Er soll die Schüler:innen beeinflusst haben, sodass der Vertrag Anfang März aufgelöst wurde. Neben einem fiktiven Reichsbürgerausweis soll er auch einen falschen Führerschein mit sich getragen haben. Neben ihm soll es auch Vorwürfe gegen zwei weitere Lehrkräfte geben, diese aber wohl schon Jahre zurückliegen würden, wie die Schule behauptet.

Eine Sprecherin der Interessensvertretung Bund der Freien Waldorfschulen sagt, es handele sich dabei lediglich um „Einzelfälle“.

Wem hilft eigentlich die Justizopferhilfe?

Die Justizopferhilfe ist im Reichsbürgerkontext bekannt geworden und scheint dort ihren Ursprung zu haben. Ihre Fahne ist gestreift und von oben nach unten schwarz-weiß-rot. Sonnenstaatland hat sich die Justizopferhilfe näher angeschaut. Sie sehen sich als Sprachrohr und Helfende für diejenigen, die vermeintlich Opfer der (willkürlichen) Justiz geworden sein sollen. Laut Verfassungsschutz treten sie als „Rechtsbeistände“ in Gerichtsverfahren auf. Selbst ernannte ‚Rechtsbeistände‘ angeblicher Justizopfer behindern damit gezielt die Justiz. Bei Querdenkern, Rechtsextremen und Reichsbürgern stoßen sie dort auf offene Ohren. In deren Welt ist der Staat regelmäßig entweder korrupt oder nicht legitimiert. Die Justizopferhilfe unterhält nicht nur eine Freikirche, sondern bietet Szene-Anhängern rechtliche Unterstützung.

Wie das aussieht, konnte in Bielefeld beobachtet werden. Dort erschien eine Reichsbürgerin nicht vor Gericht. Ihr wurde vorgeworfen, in einer Apotheke einen gefälschten Impfpass vorgezeigt zu haben. Stattdessen schickte sie mehrere krude Schreiben der Justizopferhilfe an das Gericht, wohl um zu beweisen, dass die Gerichte in Deutschland nicht handlungsfähig seien und gar nicht existieren dürften. Reichsbürger versuchen immer wieder den Staat zu delegitimieren. Am Ende musste sie die Strafe für das gefälschte Attest trotzdem zahlen. Man könnte meinen, die Justizopferhilfe schafft in erster Linie eines: Opfer zu machen, anstelle sie zu retten. Den vermeintlichen Opfern helfen sie jedenfalls nicht, wohl aber finanziell sich selbst. Der Verfassungsschutz beobachtet die Justizopferhilfe bereits seit 2017 (Verfassungsschutzbericht 2017, Seite 92f.).

Artikelbild: Collage, dpa-/Sven Hoppe