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Die „WELT“ hat Angst vor Faktencheckern

von | Nov 24, 2022 | Aktuelles

Die „Welt“ bricht eine Lanze für Homburg, Guérot und die „Alternativmedien“

Der erste Reflex ist, die Angelegenheit um des „Welt“-Friedens willen rechts liegen zu lassen. Doch dann verstört doch zu sehr, was der freie Autor Frank Lübberding in einem Text für das rechtskonservative Blatt an Halbwahrheiten, Verdrehungen und Fake News zusammengetragen hat. „Die grüne Gesellschaft und ihre Feinde“ ist der Text im Kulturteil der gedruckten Zeitung überschrieben, in der Online-Version heißt die Zeile „Wenn der Aktivismus zur Bekämpfung politischer Gegner staatlich subventioniert wird“.

Die Textbausteine der beiden Stücke sind zum Teil gleich, manches fehlt in der Print-Variante der „Welt“, etwa das Lob auf die Bonner Wissenschaftlerin Ulrike Guérot. In der Online-Fassung wird sie gewürdigt für ihr „leidenschaftliches Eintreten für pandemie-politische Besonnenheit und Freiheitsrechte“. Dort wird auch Unverständnis darüber geäußert, dass Guérot – ohne sie namentlich zu nennen – kürzlich von der Universität Bonn gerügt wurde. Demnach, so die Hochschule, gehöre es zu den „allgemeinen Standards guter wissenschaftlicher Praxis, „spekulative, nicht wissenschaftlich belegbare Behauptungen zu unterlassen“.

In der gedruckten „Welt“ wird sie kurz und knapp lediglich als „umstritten“ vorgestellt. Was vorsichtig ausgedrückt ist: In der „Zeit“ warf ihr der Trierer Politikwissenschaftler Markus Linden nicht nur vor, plagiiert zu haben. Sondern auch systematisch Fakten durch Meinungen zu ersetzen. Ähnlich äußerte er sich in einem Gastbeitrag für die FAZ.

„WELT“ nennt Corona-Verharmloser nur „umstritten“ und jegliche Kritik daran gleich zu maostischer Ideologie

Das nur zur Einführung in die Kritik an Lübberdings Rundumschlag. Damit es nicht zu unübersichtlich wird: Die Pointe beider Stücke ist identisch. Sie lautet, es gebe ein Netzwerk, das politische Feinde markiere und vor allem den Zweck habe, die politische Macht der Grünen zu befördern. Es wolle Kritikerinnen wie Guérot oder auch Stefan Homburg – er wird von Lübberding ebenfalls nicht Corona-Verharmloser genannt, sondern wiederum als „umstritten“ bezeichnet – „zum Schweigen zu bringen“, an ihnen ein „Exempel zu statuieren“. Der „Welt“-Autor schreibt, es handele sich bei diesem Netzwerk um einen Angriff auf die freiheitliche Verfassung unserer Gesellschaft, dies subventioniert vom Steuerzahler. Man orientiere sich an Mao Tse-Tung, der 1968 gesprochen hat: „Alles, was der Feind bekämpft, müssen wir unterstützen; alles, was der Feind unterstützt, müssen wir bekämpfen.“

Und Lübberding listet auf: das staatlich geförderte Zentrum Liberale Moderne, das im Herbst vergangenen Jahres das „Gegenmedien“-Projekt gestartet hat, um die wachsende Landschaft „alternativer Medien“ mit Monitoring-Berichten und Fallstudien zu beleuchten, den Blog Volksverpetzer. Und, natürlich, Außenministerin Annalena Baerbock. Auch Christian Drosten wird erwähnt, nachdem er den Volksverpetzer für dessen Recherchen zu Corona gelobt hatte.

Bei der Grünen-Politikerin gilt als Beleg für ihre Zugehörigkeit zum vermeintlichen Netzwerk die Tatsache, dass sie die frühere Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan zu ihrer Staatssekretärin ernannt hat, ein „kleines Teil im Lobby-Puzzlespiel“. Der Autor dieses Textes bekommt eine Schlüsselrolle in dem Beitrag, nachdem er ab und zu Texte für den Volksverpetzer geschrieben hat und – freiberuflich – zum Rechercheteam des „Gegenmedien“-Projekts gehörte.

Für „WELT“ scheint Kritik an sich verwerflich – Was kritisiert wird, wird verschwiegen

Die Beweiskette der „Welt“ ist holprig. Umso wortgewaltiger geht Lübberding gegen die angeblichen Beteiligten des von ihm konstruierten Netzwerkes vor. Der Volksverpetzer widme sich demnach „der medialen Diskurskontrolle und der Denunziation abweichender Personen“, betreibe „unverhohlen Propaganda für die No-Covid-Ideologie“. Das Zentrum Liberale Moderne, begründet von den Grünen-Politikern Ralf Fücks und Marieluise Beck, stelle wiederum „liberale Staatsferne vor allem durch staatliche Förderung unter Beweis“. Lübberding behauptet: „Die ,Gegneranalyse‘ spielt Verfassungsschutz.“ Und die Kernkompetenz des Autors dieses Textes sei „die Suche und Markierung politischer Feinde“, heißt es weiter in der „Welt“.

Was konkret geschehen ist, trägt all diese kühnen Feststellungen Lübberdings nicht im Ansatz. Kern der Argumentation des „Welt“-Stücks ist die Tatsache, dass der Autor dieses Textes im Oktober für den Volksverpetzer darüber berichtet hat, dass an der anthroposophisch geprägten Privatuniversität Witten-Herdecke eine Konferenz mit den Querdenker-Ikonen Homburg und Guérot geplant war.

Auch der Chef des inzwischen aufgelösten Corona-Sachverständigenrates, Stefan Huster, war ursprünglich geladen, sagte aber ab, weil er nicht Feigenblatt sein und mit „einer eingeschworenen Truppe mit fester Meinung“ diskutieren wollte. Homburg pflege nur sein „wirres Weltbild“, sagte Huster. Studierende warnten, dass an ihrer Hochschule Desinformation und Verschwörungsmythen verbreitet werden sollten. Vergeblich bemühten sich die Organisatorinnen der Konferenz um Ersatz für Huster. Schließlich untersagte die Uni-Leitung aus Sorge um den Ruf der Hochschule die Nutzung der Räume.

„WELT“ FRAGT WEDER UM STELLUNGNAHME, NOCH SCHEINEN DIE KRITISIERTEN ARTIKEL GELESEN WORDEN ZU SEIN

Was der Volksverpetzer getan hat, war journalistische Chronistenpflicht. „Welt“-Autor Frank Lübberding aber dreht die Dinge um: Böse ist bei ihm, wer kritische Fragen stellt. „Kampagne“ und „Skandal“ heißt es dann in dem Springer-Blatt. Aktivismus habe die Tagung an der Uni Witten-Herdecke zu Fall gebracht. Huster twittert zu diesem journalistischen Konstrukt: „Ich verstehe nicht, wie jemand bereit ist, für solchen Unfug Zeit und Geld zu investieren. Eine einzige intellektuelle Dunkelheit, in der alle Katzen grau sind…“ Lübberding hat übrigens weder das Zentrum Liberale Moderne noch den Volksverpetzer noch den Autor dieses Textes um eine Stellungnahme gebeten, was der Sorgfaltspflicht nicht entspricht.

Nach dem gleichen Muster wie in der Causa Witten-Herdecke verfährt die „Welt“ auch, wenn es um Kritik an den „alternativen Medien“ geht. Der Volksverpetzer oder auch das Zentrum Liberale Moderne haben sich, um nur ein Beispiel zu nennen, mehrfach zum Blog NachDenkSeiten geäußert, der nicht nur Pandemieleugnern eine Plattform gibt, sondern auch im Sinne des Kreml trommelt zuletzt sogar Propaganda für die AfD und andere Rechtsradikale machte.

Lübberding aber fragt, als ob er des Lesens nicht mächtig ist: „Warum ausgerechnet die NachDenkSeiten, ein ursprünglich aus dem Gewerkschaftsmilieu stammender Blog, die repräsentative Demokratie beschädigen sollen, bleibt unklar.“ Wohlgemerkt: Es geht nicht darum, Parallelmedien zu überwachen, zu zensieren oder gar zu verbieten. Aber eine Portion Lesekompetenz darf ja wohl noch im Rahmen politischer Bildungsarbeit oder journalistischer Faktenchecks vermittelt werden? Oder, Herr Lübberding?

„Es wird verschwiegen, was wir an radikalisierten Dauerlügnern wie Homburg kritisieren“

Thomas Laschyk, Redaktionsleiter des Volksverpetzers, ist wenig überrascht über den „Hetz-Beitrag ohne Belege und Beispiele“, wie er ihn nennt: „Die ,Welt‘ scheint wohl in Bedrängnis zu sein, wenn unabhängige Faktenchecker wie wir regelmäßig ihre Desinformation aufdecken müssen.“ Mit rhetorischen Tricks werde der Blog in die „Staatsfinanziert“-Ecke gestellt und „es wird verschwiegen, was wir an radikalisierten Dauerlügnern wie Homburg kritisieren, der Corona-Maßnahmen mit dem Dritten Reich und Faktenchecker mit Faschisten verglichen hat, um unsere Kritik inhaltsfern und mit negativem Framing zu diskreditieren“.

Statt sich einer kritischen Auseinandersetzung zu stellen, begeben sich die Beteiligten in eine Opferrolle und pflegen ihre Verschwörungstheorien. Von Guérot und Homburg ist man dies bereits gewöhnt. Die NachDenkSeiten berichteten neulich, dass ihrem Förderverein zum Jahresende 2022 die steuerliche Gemeinnützigkeit entzogen worden sei: „Der Anstoß dazu kommt vermutlich nicht vom zuständigen Finanzamt Landau, sondern von oben“, schrieben sie.

NachDenkSeiten-Redakteur Florian Warweg, der im Sommer vom russischen Staatspropagandamedium RT Deutsch zu dem Portal kam, verbreitet auf Twitter Screenshots mit Auszügen aus dem Text: „Jetzt hat sich auch @welt mit den fragwürdigen Aktivitäten von @MatthiasMeisner im Rahmen von @gegneranalyse beschäftigt“ [sic], schreibt er. Tim Röhn, „Chefreporter Recherche“ der WELT preist den Text seiner Zeitung im Kurznachrichtendienst wiederum als „Nahaufnahme des teils von Bundesministerien subventionierten Wirkens von @fuecks, @StefanHuster & @MatthiasMeisner“ [sic] an. Anfang des Monats hat Warweg bei einem Vortrag in Paderborn die „Welt“ ausdrücklich gelobt. Das Axel-Springer-Blatt sei „im Mainstreambereich“ fast das einzige Medium, wo es „einen kritisch hinterfragenden Diskurs“ zu den Coronamaßnahmen gebe. Letztlich stellt sich die Frage, wer sich hier Maos Leitsatz zu eigen gemacht hat.

Artikelbild: Screenshot