Tim Röhn will Kritik verbieten – und scheitert vor Gericht
Gastbeitrag von Matthias Meisner
Am Freitag dieser Woche hat „Welt“-Chefreporter Tim Röhn einen großen Auftritt beim Kommunikationskongress in Berlin, veranstaltet vom Bundesverband der Kommunikatoren. Im Gespräch mit dem Journalisten Hajo Schumacher soll er im Kuppelsaal des bcc am Alexanderplatz über das Thema „Bedingt auskunftsbereit: Haben Pressestellen Journalisten während der Coronakrise an der Nase herumgeführt?“ diskutieren. Röhn wird im Programm fast wie ein Star angekündigt: „Wie kein anderer Journalist hat sich Tim Röhn von der ,Welt‘ während der Coronakrise einen Namen gemacht.“ Röhn habe nachgebohrt bei Behörden, Verbänden und den während der Pandemie bestimmenden Akteuren. Nun will der erst vor kurzem zum Leiter des „Welt“-„Schwerpunktrecherche“ beförderte Redakteur ein Gespräch führen „über mangelnde Transparenz, Hartnäckigkeit und Twitter als Hilfsmittel, um doch an Antworten zu kommen“, wie es weiter im Programm heißt.
Ja – Twitter. Das soziale Netzwerk spielt im Leben des „Welt“-Reporters eine nicht ganz unwichtige Rolle. Er hat dort die stolze Zahl von (Stand Mittwoch) 81.514 Follower:innen – eine Community, die ihn in seiner Rolle als Chefankläger von denen stärkt, die Corona-Maßnahmen konzipieren und durchsetzen, bis hin zu Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Aber manchmal geht auch etwas schief. Aktuell in einer juristischen Auseinandersetzung mit dem Verfassungsrechtler Stefan Huster, Professor für Öffentliches Recht in Bochum und Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, vor allem aber auch Vorsitzender der Corona-Sachverständigenkommission.
Darf man Röhns Berichte als “Fake News” bezeichnen?
Was war passiert? Röhn wollte Huster nicht durchgehen lassen, dass dieser seine Berichterstattung in der „Welt“ zur Evaluationskommission der Maßnahmen auf Twitter als „Fake News“ bezeichnete hatte. Unter anderem hier als Reaktion auf einen Tweet von Welt-Journalist Robin Alexander:
Oder in der darauf folgenden Diskussion mit dem ehemaligen BILD-Chef und Querdenken-Supporter Julian Reichelt:
Ohne Röhn namentlich zu erwähnen, war bei Huster im gleichen Kontext auch von „absurdesten Falschmeldungen“ die Rede:
Man darf, sagt die erste Instanz!
Röhn schaltete im Mai eine Anwaltskanzlei in Berlin ein, die Huster eine Abmahnung wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung schickte. Ein Move, der bei der späteren juristischen Auseinandersetzung vor dem Gericht aber nicht vom Erfolg gekrönt war. Zwar kam das Landgericht Hamburg in seinem Beschluss Ende Juni (Aktenzeichen: 324 O 231/22) nicht zu der Auffassung, dass der „Welt“-Reporter Röhn einen „absichtsvollen Täuschungsversuch“ unternommen habe. Wohl aber verstehe der „maßgebliche unvoreingenommene und verständige Durchschnittsleser“ die Äußerungen so, dass seine Berichterstattung falsch sei. „Für diese Meinungsäußerung des Antragsgegners (Stefan Huster, die Red.) liegen hinreichende Anknüpfungstatsachen vor.“ Entsprechend gilt das laut Gerichtsbeschluss auch für die Formulierung mit den „absurdesten Falschmeldungen“. Beides sind laut Gericht ausdrücklich zulässige „Meinungsäußerungen“. Die Kosten des Verfahrens wurden Röhn auferlegt.
Rechtskräftig: Er darf sagen, Welt hat Fake News verbreitet
Rechtskräftig ist der Beschluss erst seit ein paar Tagen, nachdem Röhns Anwälte die sofortige Beschwerde vor dem Hamburgischen Oberlandesgericht zurücknahmen. Im Ergebnis darf Huster nun also die Berichterstattung der „Welt“ über die Evaluationskommission „Fake News“ und „Falschberichterstattung“ nennen.
Der Hintergrund: Huster hatte sich als Vorsitzender der Evaluationskommission darüber geärgert, dass Röhn immer wieder behauptete, Gesundheitsminister Lauterbach wolle die Evaluation verhindern oder verzögern. Aus Sicht des Wissenschaftlers war genau das Gegenteil der Fall. Demnach wollte die Kommission mehr Zeit und die Politik habe sie nicht geben wollen. Röhn aber hatte sich bereits auf Lauterbach eingeschossen. Lauterbach hatte ein entsprechendes Interview von Huster mit der „Süddeutschen Zeitung“ auf Twitter verbreitet und dazu kommentiert:
Die Schlappe Röhns vor dem Landgericht Hamburg ist auch deshalb bemerkenswert, weil Röhn immer wieder juristisch gegen Kritiker:innen seiner Corona-Berichterstattung vorgeht. Dem SPD-Politiker Igor Matviyets aus Halle/Saale wollte er – damals mit Erfolg – im Januar nicht durchgehen lassen, dass dieser getwittert hatte, Röhn verteidige Demos von rechten Verschwörungstheoretikern.
Mit Quatschjura vor Gericht
Auch gegen den Autor dieses Textes ging Röhn mehrfach juristisch vor. Mal wegen eines falschen Details in einem „taz“-Bericht. Ein anderes Mal, weil er aus einem Text des Volksverpetzers über Röhn zitiert hatte, konkret einen Satz zu einer angeblich unter anderem von Röhn verbreiteten „Quatsch-,Studie‘“ über Impfnebenwirkungen, auch von ihm „mit Querdenker-Mythen“ gepaart. Ja, das waren und sind absurde Vorwürfe, wir berichteten:
Das Vorgehen löste damals einen gewaltigen Shitstorm gegen Röhn aus, unter anderem der Würzburger Anwalt Chan-jo Jun sprach von „Quatschjura“.
Zwei Dinge sind in diesem Zusammenhang bemerkenswert: Zum einen wehren sich die von Röhn eingeschalteten Jurist:innen dagegen, wenn ihr Mandant als „streitsüchtig“ dargestellt wird. Andererseits lässt Röhn manches auch im Sande verlaufen. Die Sache mit den „Querdenker-Mythen“ verfolgte er nicht weiter, obwohl dazu nie eine Unterlassungserklärung abgegeben wurde
So wie Huster den Begriff „Fake News“ im konkreten Zusammenhang verwenden darf, ist vermutlich also für den Autor dieses Textes der Vorwurf der „Querdenker-Mythen“ im Zusammenhang mit Röhns Corona-Berichterstattung möglich.
Sturheit statt Einsicht
Auf Anfrage des Volksverpetzers schickte Röhn ein längeres Statement zum Ausgang des Verfahrens gegen Huster, mit dem er, wie er schreibt, „natürlich nicht glücklich“ sei. Er ermuntert den Autor dieses Textes, „im Stile eines ,Faktencheckers‘ einen Blick auf unsere Recherchen zur Evaluierungskommission zu werfen“. Röhn: „Sie werden sehen: Unsere Berichterstattung war absolut korrekt.“ Die Aussage Husters beanstande er bis heute. Er schreibt weiter: „Es bleibt mir ein Rätsel, wie das LG Hamburg dazu kommt, diese gegen mich und unsere Berichterstattung gerichteten unzutreffenden Vorwürfe als Meinungsäußerungen und nicht als unzulässige falsche Tatsachenbehauptungen anzusehen.“
Natürlich hätte Röhn auch sagen können, er habe damals in der Berichterstattung über die Corona-Kommission einen Fehler gemacht. Womöglich hat er die Sache ja tatsächlich, wie Huster vermutet, nicht oder falsch verstanden. Hätte, könnte, wäre. Aber vielleicht ist es für das Selbstwertgefühl und die zur Schau gestellte „Hartnäckigkeit“ einfach besser, den Eindruck zu vermitteln, die anderen seien einfach zu blöd, wenn ein juristischer Streit nicht im eigenen Sinne ausgeht.
Autor: Matthias Meisner. Der Autor ist freier Journalist. Er ist seit 1994 Mitglied der Bundespressekonferenz. Seit November 2021 gehört er zum Rechercheteam des „Gegenmedien“-Projekts des Zentrums Liberale Moderne. *Korrektur 23.09: In einer früheren Fassung hieß es, Röhn sei zum Leiter des Investigativressorts befördert worden, das war falsch. Dies ist weiterhin Anette Dowideit.