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„Verkürzung durch die Medien“: Drosten entlarvt Rhetorik von WELT-Chef Poschardt

von | Apr 1, 2021 | Aktuelles

Drosten über Verkürzung in den Medien

Dr. Drosten ist bekannt dafür, dass er von den Taktiken gewisser Medien, die wissenschaftliche Positionen verkürzt und verdreht darstellen, um Klicks zu bekommen und gewisse politische Positionen dem Anschein nach zu rechtfertigen, nicht viel hält. Und dank der medialen Aufmerksamkeit, die der weltweit führende Corona-Experte (Quelle) durch die Pandemie genießt, hat er zum Glück auch die Möglichkeit, sich dagegen zu wehren. Schmerzhaft musste das bereits das Springer-Blatt „BILD“ erfahren, das letzten Mai mit einigen Tricks Drostens Forschung diskreditieren wollte – was völlig nach hinten losging. Wir berichteten:

Keiner nimmt sie mehr ernst: BILD-Hetze gegen Drosten geht nach hinten los

Doch die ideologisch motivierten Angriffe auf Dr. Drostens wissenschaftlich fundierte Einschätzungen werden nicht nur von der „BILD“ betrieben, sondern auch von anderen Springer-Blättern, vorne weg die „WELT“ unter Ulf Poschardt, der anscheinend versucht, unter dem Deckmantel der Sachlichkeit mit einiger Verzerrung, Strohmann-Darstellung und nicht-subtilem Framing eine Lockerungs-Agenda wider jede Wissenschaft voranzutreiben. Die Anzeichen dafür sind zahlreich.

Der „Lockerungsfetischist“ Ulf Poschardt und seine „Welt“

Dass Poschardt wohl ein eher einseitiges Verständnis von Wissenschaft hat, haben wir bereits an einem anderen Beispiel ausgeführt. Auf „Wissenschaft“ wird verwiesen, wenn sich Studien oder (vermeintliche) Expert:innen finden, die die eigene Position stärken. In so einer Darstellung verkommt der gemeinschaftliche Diskurs der Wissenschaft eher zu einem Pferderennen, in welchem man auf das Pferd setzt, das einem eher gefällt und dann hofft, dass es gewinnt. Und wenn man ein ganzes Medium hat, um die Öffentlichkeit darin zu beeinflussen, dass das „eigene“ Pferd am Gewinnen ist, umso besser. Seine Parteilichkeit ist auch kein Geheimnis. Allein zum Thema Klimakrise könnte man eine lange Liste machen. Mehr dazu:

Wenn WELT-Chef Ulf Poschardt „Listen to the science“ sagt, dann meint er „Listen to me!“

Der Versuch, eine Lockerungs-Agenda zu pushen und umgekehrt, Stimmen, die auf den Konsens unter Expert:innen hören, als irrational zu diffamieren, sieht man vielfach bei „WELT“ und Poschardt. Da sind Stimmen der Wissenschaft in vollem Framing-Modus „Lockdown-Fetischisten“. Das hat nichts mehr mit einer ausgewogenen Darstellung zu tun. Besonders ironisch, weil er hier das Tübinger „Modellprojekt“ bereits vorzeitig als „erfolgreich“ feierte. Die Inzidenz in Tübingen ist kurz darauf innerhalb weniger Tage stark angestiegen, und das Modellprojekt steht kurz davor zu scheitern. Ohnehin lässt sich der Erfolg bisher schwer überprüfen, da es keine transparenten Zahlen gibt (Quelle). Palmer ziehe bereits „die Notbremse“ (Quelle).

Poschardt bezeichnete Corona-Maßnahmen als „absurd“ (Quelle), er bezeichnete Wissenschaftler:innen, die NoCovid forderten, als „Panikfreunde“ (Quelle) und immer wieder bediente er das gleiche Narrativ: Wer funktionierende Maßnahmen fordert, ist verblendet, mindestens ideologisch beeinflusst, man selbst ist hingegen lediglich für „Freiheit!“ (Quelle). Aber anscheinend halt nicht für „Wissenschaft!“

„Welt“: „Panikmacher Drosten“

Und das ist nicht alles. Wie alles andere als wissenschaftlich die Agenda der „WELT“ teilweise aussieht, konnte man im Februar bereits deutlich sehen, als der leitende Redakteur für Zeit- und Kunstgeschichte der „WELT“ Drosten als „Panikmacher“ bezeichnete und ihm glatt unterstellte „wahrscheinlich Hunderttausende Menschenleben auf dem Gewissen“ zu haben. Der gleiche Autor bezeichnete den Inzidenzwert auch als „völliger Unfug“, bezeichnete Corona als „Hysterie“, verharmloste und verbreitete weitere Fake News über das Virus. Die „extrem zugespitzte Formulierung“ bedauerte er später aber und löschte den Kommentar (Quelle).

Bei „WELT“ scheinen zumindest teilweise Einstellungen vorhanden zu sein, die man genauso gut auch in Telegram-Gruppen der extremistischen Querdenker finden kann. Es wundert vielleicht weniger, wenn man sich daran erinnert, dass solche krassen Klimawandelleugner-Artikel immer noch auf „WELT“ zu finden sind und immer noch regelmäßig von AfD & Co. geteilt werden.

Da werden (hinter Paywall) solche Artikel veröffentlicht, die allem Anschein nach dafür plädieren, zugunsten der Freiheit Corona-Infektionen in Kauf zu nehmen.

Drosten sagt nicht nur Pandemie-Verlauf voraus, sondern auch Poschardt-Tweets

Aber kommen wir endlich zurück zu Dr. Drosten. Der beschrieb in seinem letzten NDR-Podcast (Quelle) nämlich nicht nur, was man jetzt nach dem wochenlangen Zögern der Bundesregierung in Sachen Corona-Maßnahmen tun müsste, sondern auch, was Stimmungsmacher wie Poschardt als Nächstes twittern werden. Im Gegensatz zur einseitigen Darstellung seiner Position durch Poschardt (dazu gleich mehr), erklärt Drosten differenziert:

„Natürlich können wir diese Welle aufhalten. Die Frage ist nur: Mit welchen Maßnahmen und zu welchem Preis? Das ist jetzt ein Punkt, an dem sich die gesamte gesellschaftliche Debatte entflammt.“

Und er bedauert, dass man den „Holzhammer, den Lockdown“ hervorholen müsse, wie zu Anfang der Pandemie. Er spielt damit auf die „Hammer und Tanz-Theorie an, die wir vor ziemlich genau einem Jahr erklärt hatten. In dieser nutzt man am Anfang den „Hammer“, harte, undifferenzierte Maßnahmen, um später gezielter und mit mehr Wissen genauer vorzugehen.

Was getan werden muss, um bald wieder raus zu können: Der Hammer & der Tanz

Dass wir immer noch den „Holzhammer“ anwenden „müssen“, so Drosten, liegt daran, dass in der politischen Debatte wissenschaftliche Argumente fehlverwendet werden. „Die geht fast in den Bereich von Wissenschaftsleugnung, von den klassischen Motiven der Wissenschaftsleugnung. Die kennt man schon aus der Klimadebatte.“ Und weiter:

„All das hat dazu geführt, dass die Zeit, die sowieso knapp war gegenüber diesem Virus, eigentlich verschwendet wurde, um bestimmte Maßnahmen zu verbessern, um besser zu reagieren, gezielter, in der Infektionskontrolle.
Sodass uns, weil wir eben diese Maßnahmen nicht entwickelt und erprobt haben, praktisch jetzt nur noch der Holzhammer bleibt.“

An dieser Stelle empfehlen wir, den ganzen Podcast anzuhören, damit man sich einfach selbst ein Bild machen kann – eben weil selektive Auswahl von Zitaten immer zu Verzerrung führen kann.

Und was macht Ulf „Lockerungs-Fetischist“ Poschardt daraus?

In typischem Framing verzerrt Poschardt die sachliche Darstellung des Corona-Experten, um seine Narrative und Feindbilder zu befeuern: Jetzt sei es quasi Schuld der bösen Wissenschaftler:innen, dass wir einen harten Lockdown brauchen. Nicht zum Beispiel die des medialen Verzerrens wie durch ihn oder seine Zeitung.

https://twitter.com/ulfposh/status/1377152051738669056

Und genau diese plumpe, populistische und gar wissenschaftsfeindliche Instrumentalisierung hat Drosten selbst vorhergesagt. Indirekt spielt er auf die Narrative von Poschardt, Palmer & Co. an:

„Wir alle wundern uns im Moment darüber, wie die Politik agiert oder nicht agiert, wie bestimmte Dinge präsentiert als neue Lösungen werden, die schon aus einem gesunden Menschenverstand heraus kaum als Lösungen zu erkennen sind. Also nur mal so das Grundprinzip des Einpreisens der Zukunft. Wir können jetzt testen, also machen wir mal alles auf. Wir wissen doch alle genau, dass wir in Wirklichkeit nicht testen können, dass die Tests gar nicht so verfügbar sind, sondern dass das demnächst erst kommen wird. Woher kommt dieses Argument?“

Und dann geht er auf Wissenschaftsleugung ein: Es gebe „Pseudoexperten“, es gibt „diejenigen Experten, die gerne im Fernsehen präsentiert werden“. Und weiter: „Die haben Professoren- und Doktortitel, aber in einem anderen Fach. Häufig sind das Leute, die schon lange Zeit im Ruhestand sind. Ich nenne hier mal ganz absichtlich einen Namen, Wodarg als Paradebeispiel.“ Dazu ergänzen wir gerne:

PCR-Tests sind sehr genau: Teile diesen Text, um die zentralen Lügen der Pandemie-Leugner zu widerlegen

„PLURV-Prinzip“

Und hier zitiere ich am besten Drosten im Ganzen, denn er hat es zum einen schon deutlich genug gesagt, zum anderen geht es hier ja darum, ihn unverzerrt darzustellen:

„Es gibt noch viele andere, die nicht so frappierend sind in ihrer Erscheinung. Wir haben den falschen Konsens, also das Präsentieren einer Gruppe von scheinbaren Experten. Ich sage hier nur Great Barrington Declaration: Das ist eine ganze Gruppe von Pseudoexperten. Die sind alle nicht aus dem Fach, haben sich aber über infektionsepidemiologische Themen laut geäußert, in Form von schriftlichen Stellungnahmen. Wir haben auch speziell bei uns in Deutschland im Herbst die KBV-Stellungnahme, wo gesagt wurde: Stellungnahme der Medizin und »der« Wissenschaft. Da waren absolute wissenschaftliche Minderheitsmeinungen oder Personen involviert.“

Unterzeichner wie „Dr. Person Fakename“: Der Betrug hinter der „Great Barrington Erklärung“

Und weiter: „Wir haben das typische Phänomen der »false balance« in den Medien: Das Präsentieren vom Vertreter der einen und der anderen Meinung, sodass diese Meinungen als gleichgroß dargestellt werden, wohingegen in Wirklichkeit eine absolute Minderheitsmeinung gegen eine Mehrheitsmeinung steht. Die Mehrheitsmeinung wird aber häufig von Leuten vertreten, die professionelle Wissenschaftler sind und die neben der Medientätigkeit auch andere Berufstätigkeiten haben. Die können nicht so auf die Trommel hauen, die schaffen das einfach aus zeitlichen Gründen nicht. Deswegen sieht das am Ende in den Medien so aus, als wäre das 50:50.“

Laut Drosten sei das die zentrale Dichotomie: „Überschrift gegen Inhalt“. Das „P“ in „PLURV“ steht für „Pseudoexperten“. Dafür ist die „WELT“ auch schon kritisiert worden. Desinformationsverbreiter wurden dort bereits mit Politik-Empfehlungen, die ins eigene Narrativ passten, prominent platziert, wie Ökonom Rudi Bachmann kritisierte. Dessen Kritik daran wiederum wollte die „WELT“ nicht veröffentlichen (Quelle).

https://twitter.com/BachmannRudi/status/1253435878938079235

Das „L“ steht für „Logikfehler“, das sind die „Tricks“, die Wissenschaftsleugner verwenden (mehr dazu). Weitere Beispiele sind ad-hominem-Argumente, falsche Vergleiche, „Blendgranaten“, unerfüllbare Erwartungen und verkehrte Begriffe. Es lohnt sich hier das Hören/Lesen des ganzen Berichtes.

Und nichts anderes tat Poschardt – und wurde dafür angeprangert

Und genau in dem Beitrag, in welchem Drosten erklärt, wie Medienpersonen wie Poschardt wissenschaftliche Positionen mit ideologischer Agenda verzerren, hat dieser genau das getan. „Die Verkürzung durch die Medien wird immer archaischer.“ Er empfahl Poschardt, doch mal seinen Podcast anzuhören, bevor er „in dieser Art“ über ihn verbreite. Autsch. Trocken, aber vernichtend, wie immer.

Drostens trockene Art, mit Hatern und Trollen umzugehen, haben wir hier bereits einmal behandelt:

„Bilden Sie sich fort!“: Wie cool Drosten seine Hater auf Twitter abfertigt

Nicht nur hat Drosten in dem Podcast genau solche Verkürzungen erklärt und angeprangert; ihn als „archaisch“ darzustellen ist sogar genau falsch, wenn man seine Argumente wirklich kennt. Er selbst beklagt sich, dass durch die lange Untätigkeit und Verfehlungen nur noch solche Werkzeuge übrig bleiben. Drosten ergänzt kurz darauf auf Twitter seine Erklärung der Wissenschaftsleugnung um das Strohmann-Argument: Man verzerrt medial eine Position, um seine eigene Meinung als „Stimme der Vernunft“ zu präsentieren.

Poschardt beschwerte sich später in den Kommentarspalten über die „Dünnhäutigkeit“ Drostens, doch es war klar, dass dessen Verzerrungen und Framing nicht mehr ziehen. Überhaupt scheint sich in der immer zugespitzeren Rhetorik des „WELT“-Chefs Frust zu verstecken, dass seine Zeitung nicht mehr die Deutungshoheit erreichen kann wie zuvor, wenn in den sozialen Medien die Ziele der irreführenden Berichterstattung direkt – und mit mehr Reichweite – widersprechen können.

Knapp wie immer hat Drosten die ganze Strategie hinter Poschardt und seiner „WELT“ entlarvt: Wissenschaftsleugnung im typischen Deckmantel von Framing und Verzerrung. Im Framing von „Freiheit“ und Sachlichkeit. Dabei versucht die „WELT“ anscheinend gezielt durch irreführende Schlagzeilen mit Artikeln hinter Paywall das klick- und hassfreudige Publikum am rechten und verschwörungsideologischen Rand zu bedienen (mehr dazu). Vielleicht bleibt irgendwann nur noch dieses übrig, wenn sie weiter so machen.

Zum Thema:

Querdenker-Framing: Wie die „WELT“ aus dem Nichts einen Skandal fabriziert

Artikelbild: Michael Kappeler/dpa

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