München, Solingen, Magdeburg: Zu allen Anschlägen gab es einen Brennpunkt in der ARD. In Solingen sogar zwei. Zur gestrigen Amokfahrt in Mannheim bisher nicht. Nach München erklärte Kanzler Scholz, der psychisch kranke Täter müsse „die volle Härte des Rechtsstaats spüren“. Nach der Tat des vermutlich psychisch kranken Tatverdächtigen in Mannheim sagte Scholz, mit so einer Tat „können wir uns nicht abfinden“. AfD-Rechtsextremistin Weidel twitterte zu München: „Soll das immer so weitergehen? Migrationswende jetzt!“ Zu Mannheim twitterte sie ihr „aufrichtiges Mitgefühl“ den Hinterbliebenen – ohne politische Forderungen. Der Unterschied zwischen den Vorfällen? Der Tatverdächtige von Mannheim war ein Deutscher mit dem Vornamen Alexander.
Als die Herkunft bekannt wurde, schaltete man die Live-Streams aus
In Mannheim ist gestern ein Mann mit seinem Kleinwagen in eine Menschenmenge gefahren. Zwei Menschen starben, elf wurden verletzt. Gestoppt wurde der mutmaßliche Tatverdächtige von dem Taxifahrer Muhammad A. Das war den rechtsextremen Medien völlig egal, die spulten routiniert ihre inszenierte Empörung ab. Faschist Krah wusste nach Mannheim: „Masseneinwanderung ist tödlich“.

Die AfD Saarland behauptete, „nur mit der AfD“ würde Deutschland „wieder sicher“ werden.



Die Flut an Lügen und Fake News war unendlich, wie man sich sicher vorstellen kann.

Manche waren auch immer noch nicht zufrieden, als bereits bekannt war, dass es sich bei dem Tatverdächtigen um einen 40-jährigen Deutschen handelte, weil sie seinen Arierausweis noch nicht gesehen hatten. Woher sollten sie sonst wissen, ob ihnen dieser Terror und die Toten wichtig sein sollen, oder nicht?


Ich glaube, wir wissen alle, wie Social Media aussah, insbesondere in den rechten Ecken, die es zu ihrem Job gemacht haben, Tragödien und Terror für politische Zwecke auszuschlachten. Zumindest bis man überhaupt erst wusste, was passiert war und wer mutmaßlich verantwortlich war. Unser Diskurs ist so vergiftet, wenn der Täter kein weißer Deutscher ist, ist vermeintlich klar, was die Konsequenz sein muss. Nach Solingen sagte Scholz, man sei es den Opfern „schuldig“ die „irreguläre Migration zu begrenzen“. Am frühen Abend stoppten die Medien bereits ihre Live-Streams. Morgen redet vermutlich kaum noch jemand darüber.
Wohin schieben wir Deutsche Täter eigentlich ab?
Dass der mutmaßliche Täter von Solingen ausreisepflichtig war, war für viele – auch Nicht-Rechte – der Beweis, dass wir die Migrationspolitik noch weiter verschärfen sollten. Was auch von der Ampel drastisch getan wurde. Ohne, dass es irgendjemand im Übrigen gewertschätzt oder überhaupt erwähnt hätte: Merz und die AfD taten so, als ob nichts verändert wurde und forderten noch drastischere Verschärfungen. Dass der mutmaßliche Täter von München legal hier war, hätte vielleicht erwarten lassen können, dass da keine rassistischen Forderungen folgten, aber nein.
Ich las sogar buchstäblich, dass das „noch schlimmer“ sei. Legal, illegal, scheißegal: Die Faschisten fragen doch nicht nach den Vornamen von Deutschen, weil es ihnen um irreguläre Migration geht. Dass auch die demokratischen Parteien weder begreifen, dass es nicht um die Legalität von Migration geht, sondern um jegliche Migration („millionenfache Remigration“), noch, dass Asylverschärfungen weder die AfD klein halten, noch derartige Taten verhindern, das lernt Deutschland wohl nie. Zumindest nicht mit so einer Medienlandschaft.

Zum Brennpunkt übrigens noch: Es gab einen Brennpunkt zu den Bauernprotesten. Keinen zu den Anti-Rechts-Demos. Wären die Verhältnise realistisch, hätte es 40 Brennpunkte zu den Anti-Rechts-Demos geben müssen. Es ist auch ein Medienproblem.
Der Tatverdächtige von Mannheim
Alexander S. sei mehrfach vorbestraft. Und: „2018 sei gegen ihn wegen Verdachts des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen aus dem rechten Spektrum ermittelt worden. Zudem habe er online verfassungsfeindliche Inhalte geteilt.“ Die Polizei geht hingegen nicht von einem politischen Motiv aus.
Wenn ein Nicht-Deutscher (oder selbst ein Deutscher mit „falschen“ Vornamen) eine Tat verübt, dass ist das für uns inzwischen politisch, einfach weil er beim Morden die „richtige“ Hautfarbe hatte. Dass der Tatverdächtige von München islamistische Postings gemacht haben soll – auch vieles gegen Islamismus sprach – reichte für den Verdacht eines derartigen Motivs. Rechte Hasskriminalität in Mannheim jedoch nicht anscheinend.
Aber was machen wir jetzt mit einem offenbar sogar rechten, deutschen Tatverdächtigen? Dass die Rechten das nicht ausschlachten können, ist klar. Alice Weidel hat nach Mannheim keine Forderungen. Die AfD hat das stets falsche Versprechen abgegeben, dass Deutschland „wieder sicher“ werden würde. Aber wie macht sie das hier? Wie verhindern wir solche Taten, wenn einmal für jeden sichtbar wird, dass das Bestrafen von unschuldigen Schutzsuchenden nichts bringt?
In Leipzig wurde eine Familie auseinandergerissen, Vater und zwei Kinder wurden abgeschoben, die Mutter liegt mit Hirntumor im Krankenhaus. Die Kinder sprechen gut deutsch und gingen zur Grundschule und weinen jeden Tag um ihre Mutter. Sag, hat diese Abschiebung und viele wie diese Deutschland sicherer gemacht? Viele der Tatverdächtigen haben gemeinsam, dass sie psychische Probleme gehabt haben sollten. Sprechen wir über die psychische Versorgung, statt über Abschiebungen?
Wir hätten eher den Helden, der den Fahrer von Mannheim stoppte, abgeschoben, als etwas Sinnvolles gegen solche Taten zu unternehmen. Auch wurde der Tatverdächtige in Villach von einem Schutzsuchenden gestoppt. Auch in München, Solingen und Aschaffenburg waren die Opfer Schutzsuchende und Migranten. Die Rechten – und das ist nicht mehr nur die AfD – hätten neben tausender Unschuldiger, friedlicher Menschen auch viele der Opfer und der Helden mit abgeschoben.
A propos „Deutschland sicher“
Wusstest du, dass wir die sichersten zehn Jahre der deutschen Geschichte erleben? Dass Deutschland zwischen 2017 und 2022 so sicher war wie nie zuvor? In keinem Jahr seit der Wiedervereinigung gab es weniger Straftaten. Selbst die Gewaltkriminalität lag auf einem historischen Tiefpunkt. Auch 2023 gab es nicht mehr Kriminalität als 2010. 2021 und 2022 waren die häufigsten Vornamen der tatverdächtigen Deutschen, die Messerangriffe verübt haben in Berlin: Christian, Alexander und Nico.
1993 gab es 1,4 Morde pro 100.000 Einwohner. 2023 waren es halb so viele: 0,8. Ja, genau die Jahre, nachdem über eine Million Menschen zu uns geflohen sind, waren die sichersten Jahre seit der Wiedervereinigung. In Sachsen liegt die Mordrate bei 0,7 – bei nur 8,5 % Menschen mit Migrationshintergrund. Rheinland-Pfalz hat 28 % und kommt trotzdem auf eine niedrigere Mordrate von gerade einmal 0,4. Wie passt das zusammen? Und in Sachsen, genau dort, wo so viele AfD wählen, angeblich wegen der Migranten, leben kaum welche.
Weniger straffällige Ausländer als vor der Pandemie
Wusstest du, dass die Zahl ausländischer Tatverdächtiger von Gewaltverbrechen 2023 leicht ZURÜCKgegangen ist? Dass das Verhältnis der Straftaten mit ausländischen Tatverdächtigen verglichen mit der ausländischen Wohnbevölkerung im Vergleich zu vor der Pandemie sogar leicht gesunken ist? Jahre zwischen 1993 und 2016 (bis auf 2010) hatten mehr polizeilich erfasste Straftaten als 2023!
98,7 % aller anerkannten Schutzsuchenden fällt nie strafrechtlich auf. Deutsche unter 30 sind rein statistisch viel krimineller als anerkannte Schutzsuchende. Migration führt nicht zu mehr Kriminalität. Aber über Jahre haben BILD und AfD unsere Köpfe vergiftet. Studien zeigen, dass die Medien fast nur noch negativ über Migration sprechen, und fast nur noch über die Minderheit (!) der Straftaten, die von Migranten begangen werden. Alle anderen Fälle, die fast täglich passieren, werden totgeschwiegen. Natürlich begehen die absolut meisten Straftaten und Gewalttaten die Deutschen selbst.
Eine brandaktuelle Studie des ifo-Instituts hat die Kriminalität nach Landkreisen zwischen 2018 und 2023 untersucht und belegt, dass mehr Ausländer die Kriminalitätsrate NICHT erhöhen. Das gilt speziell für Schutzsuchende.
Die mediale Gehirnwäsche
Studien zeigen, dass wir Dinge für glaubwürdiger halten, je öfter wir sie hören. Denn für uns ist Wiedererkennbarkeit das gleiche wie Wahrheit. Die extreme Rechte hat das Spiel inzwischen extrem gut raus und wie wir in Mannheim gesehen haben, ist erstmal zweitrangig, was wirklich passiert ist. Die Propaganda-Maschine läuft schon an. Was wirklich war, ist längst egal. Mannheim ist auch ein Ausrutscher. Sollte sich der Tatverdächtige doch nicht als das Feindbild herausstellen, wird das bequem schnell wieder vergessen, wie in Viersen, bei Magnitz, in München (2018), beim Brand von Notre Dame, Münster, Bottrop, Halle, Hanau und vielen anderen Fällen.
Über Mannheim wird vermutlich auch bald niemand großartig reden. Und auch deshalb gibt es weniger Anreiz für seriöse Medien darüber zu sprechen. Es bringt wenig Klicks. Kein Wunder, dass viele wie selbstverständlich schreiben, dass Herkunft und Kriminalität eng verbunden seien. Obwohl das ein Mythos ist, der inzwischen sogar in Parteien links der Mitte nicht mehr als solcher erkannt wird.
Es ist eine wissenschaftlich erwiesene Tatsache, dass Medien überproportional oft über Straftaten von Nicht-Deutschen berichten. Obwohl im Vergleich zu vorigen Jahrzehnten weniger Gewalttaten stattfinden, wird mehr über sie berichtet. Es wird mehr über Messer-Gewalt berichtet. Und wenn, dann fast ausschließlich über die von Nicht-Deutschen. „Medien berichten vor allem über drastische und seltene Delikte. Dies ist besonders bei Messerangriffen der Fall. In den erfassten Medienberichten sind tödliche Delikte überrepräsentiert“, wie es in einer Studie heißt.

Das ist das Paradoxe: Je seltener eine Straftat ist, desto mehr wird über jene Fälle in den Medien berichtet. Was den merkwürdigen Effekt hat, dass es den meisten Menschen als schlimmeres Problem vorkommt, weil sie öfter davon hören.
Mehr Migration macht uns nicht unsicherer
Es sind wissenschaftlich fundierte Fakten, die du leider heutzutage fast nirgends liest: Mehr Migration macht uns nicht unsicherer. Die meisten Straf- und Gewalttaten werden von Deutschen begangen. Und ja, auch Deutsche mit „deutschen“ Vornamen. Auch sind Nicht-Deutsche nicht proportional öfter straffällig, auch das ist ein riesiger Mythos.
Ob jemand kriminell wird oder nicht, hängt vor allem von drei Faktoren ab: Alter, Geschlecht und Wohlstand. Junge Männer aus prekärem sozialem Umfeld beispielsweise begehen viel wahrscheinlicher eine Straftat als eine weibliche Seniorin. Unabhängig davon, wo sie geboren sind oder welchen Pass sie haben. Deshalb sind junge Deutsche auch mal viel krimineller als anerkannte Asylbewerber.
Niemand hat in den letzten Jahren getitelt: „Ausländer haben Deutschland sicherer gemacht“, weil diese Verwechslung von Korrelation und Ursache offensichtlich Blödsinn ist. Umgekehrt wird dieser Kurzschluss aber ständig gemacht. Obwohl die Kriminalität gerade auf einem niedrigen Niveau ist!
Medienversagen führt zum Rechtsruck
Vermutlich hattest du sogar den Eindruck, dass alles seit Jahren immer gefährlicher geworden ist, obwohl Deutschland sicher ist. Kein Wunder, denn wie eine Studie feststellte, wurden in deutschen Medien die weitestgehend gesetzestreuen und friedlichen Schutzsuchenden massiv als Gefahr und negativ dargestellt, und es wurden „überproportional schwere Straftaten“ thematisiert, während eine andere zeigte, dass sie weit überproportional mit Kriminalität in Verbindung gebracht wurden. Beide Studien machten die BILD als größten Übertäter aus.
Das sind Fakten, die ich seit Jahren ständig anspreche. Erst vor zwei Wochen ging ein Text von mir mit diesen Fakten viral. Vielleicht hast du einige Fakten wieder erkannt, aber ich wiederhole sie gern nochmal. Denn niemand will sie hören. Und die Medien versagen darin – selbst mit guten Absichten – ein akkurates Bild der Realität wiederzugeben, weil sie zwar selten konkret falsche Informationen verbreiten, aber eben die und nur die Feindbilder und Narrative, die auch die AfD bedient. Eben weil AfD & Co. sie bedienen. Und dann kann man ja nicht nicht darüber reden. Und sie werden immer normaler, immer sebstverständlicher. So passiert der Rechtsruck. Wir merken uns die News nicht an Zahlen, sondern an „Vibes“. Und die sind medial durch die Bank auf AfD-Linie.
Wir werden abgelenkt
Denn die bittere Wahrheit war auch gestern in Mannheim: Wir haben alle das gleiche gedacht. Wir haben uns alle gefragt, welche Herkunft der Täter hat. Unsere Köpfe sind erfolgreich vergiftet. Niemand kann mehr abwarten, um die Opfer trauern. Who cares? Was sagt der Ausweis? Kriegt die AfD wieder einen Prozentpunkt mehr? Und ja, die mediale Obsession kann Studien zu Folge wirklich zu Nachahmung führen. Aber es ist klar, dass wir uns medial viel stärker auf die fokussieren, die in das Narrativ passen, das viele ausschlachten wollen. Und damit in den Köpfen vieler Menschen die Realität verzerren.
Wir sprechen deshalb schon reflexhaft von den falschen Lösungen. Das sind reine Ablenkungen, die niemandem etwas bringen. Der rechtsradikale Publizist Tichy sagte zu Mannheim, die Politik würde „nichts“ unternehmen. Selbst wenn SPD und Grüne die Grenzen geschlossen haben, was uns im Übrigen so viel Geld kosten wird, wie das gesamte prognostizierte Wirtschaftswachstum 2025, interessiert das niemanden, Es wird gefordert, dass „endlich was passiert“. Damit macht man von AfD bis Merz bis auch Scholz inzwischen Politik. Die Familien totkranker Mütter abschieben bringt aber herzlich wenig, außer dass die AfD noch stärker wird.
Will jemand Autos verbieten? Über das Gewaltproblem von Männern sprechen? Über Vereinsamung und Radikalisierung bei Männern? Oder wird sowas als hinnehmbar, als etwas „unpolitisches“ wahrgenommen, gegen das man halt nicht wirklich was tun kann, so wie Femizide, wo fast jeden Tag eine Frau getötet wird? Hier liegt die Krux. Wir wollen keine Lösungen für diese Probleme. Wir wollen Rassismus. Und wir werden uns dessen nicht mal bewusst werden können, wenn wir uns dessen nicht bewusst werden. Wenn wir medial nicht das Hamsterrad verlassen und aktiv anders darüber sprechen. Das ist nicht „neutral“, weshalb es leider auch vermeintlich seriöse Medien nicht tun werden. Aber das, was sie gerade für „neutral“ halten, ist es doch auch offensichtlich nicht.
Hast du gehört, dass bis zu 40 Personen einen Jugendclub in Brandenburg stürmen wollten, und dabei rechte Parolen gerufen und Steine geworfen haben sollen? Im Gegensatz zu Kriminalität von Nicht-Deutschen waren rechte Straftaten 2024 auf einem Rekord. Vielleicht sollten wir bewusster Medien konsumieren. Und von unseren Medien verlangen, nicht die immer gleichen, falschen Muster zu wiederholen.
Artikelbild: Uwe Anspach/dpa; Screenshots twitter.com