WELT-Diskussion – 6 Monate später als Drosten-Podcast
Die WELT scheint es wohl ernst zu meinen, sich wegen der rückläufigen Auflage in Zukunft Klicks und Leserschaft unter Rechtsextremen und Querdenker:innen holen zu wollen. Wie die WELT systematisch Wissenschaftsleugnung im Kontext von Corona (und Klimawandel) betreibt, Zitate verkürzt und Framing nutzt, um eine Agenda zu befeuern, die auch Rechtsextremen und Querdenker:innen nützt, haben wir hier schon ausführlicher behandelt, als sich WELT-Chef Poschardt erfolglos an Dr. Drosten abarbeiten wollte:
In einem neuen Artikel („Wir müssen die Ergebnisse der PCR-Tests genauer auswerten“) spricht WELT über CT-Werte und betreibt aktiv die Verbreitung von Desinformation – unter viel Applaus von Rechtsextremen und Querdenker:innen, was wohl der gewünschte Effekt gewesen sein dürfte. Der Autor tut so, als habe er skandalöse Details über PCR-Tests herausgefunden, die von der Politik ignoriert werden, obwohl diese längst bekannt und ausdiskutiert sind. Entweder hat er schrecklich schlechte Recherche betrieben – z. B. von Fake-News-Blogs abgeschrieben – oder wollte bewusst in die Irre führen. Er tut so, als würden diese längst bekannten Fakten dem Stand der Wissenschaft (und Dr. Drosten) widersprechen – und verschweigt viel wichtigen Kontext. Ziel ist es, weiter Verharmlosung der Pandemie zu betreiben und natürlich die Inzidenzwerte anzugreifen.
Der Autor hätte das alles schon vor 6 Monaten in Dr. Drostens Podcast lernen können
PCR-Tests weisen (ausschließlich Corona-)Infektionen nach, sie sind validiert und extrem genau (Mehr dazu). Diese wissenschaftlichen Fakten erfährt man im WELT-Text allerdings nicht, dort wird gegen Strohmänner argumentiert. Der Autor schreibt im ersten Satz: „Ein positiver PCR-Test ist weder gleichbedeutend mit einer Corona-Erkrankung noch mit Infektiosität.“ Er weist auf die Bedeutung des CT-Werts hin, die entscheidender sei. Das ist richtig, aber etwas anderes behauptet auch niemand. Das ist auch keine skandalöse Entdeckung, sondern längst bekannt und tausendfach kommuniziert. Demgegenüber kritisiert der Autor, dass dies vermeintlich zu wenig diskutiert und kommuniziert werden würde.
Diese Darstellung in der WELT ist allerdings ziemlich irreführend, Dr. Drosten hat das Thema „CT-Wert“ schon vor 6 (!) Monaten in seinem Podcast besprochen. Entweder hat der WELT-Autor die Erklärung bewusst verschwiegen oder nicht gut genug recherchiert, was beides eine journalistische Blamage ist.
Der CT-Wert beschreibt ungefähr, wie viele Viren in der Probe waren. Die Abkürzung steht für Cycle Threshold, also wie viele Zyklen von Vermehrung man braucht, bis man in der Probe etwas erkennt. Ein hoher CT-Wert zeigt dementsprechend eine niedrige Zahl von Viren im Abstrich an.
Dr. Drosten antwortet hier auf die Frage, ob ein CT-Wert festgelegt werden sollte:
„Ab einer Million Kopien pro Abstrich-Tupfer oder auch pro Milliliter Flüssigkeit, das wäre eine Maßeinheit. Für die Insider, die zuhören: Es gab ja in den letzten Tagen einen »New York Times«-Artikel und da ging es nicht um eine Viruslast von einer Million Kopien, sondern da ging es um einen CT-Wert von 30, der wurde vorgeschlagen. Das ist nur auf den ersten Blick gut. Wenn man genau hinschaut, wird man feststellen: Die CT-Werte zwischen einzelnen Reaktions-Chemien der PCR und zwischen Maschinen unterscheiden sich. Ein CT-Wert von 30 in dem einen Labor ist nicht dasselbe in Form von Viruslast wie ein CT-Wert von 30 in einem anderen Labor.“
Also ein fester CT-Wert, ab dem keine Gefahr mehr vom Patienten ausgeht, ist keine gute Idee, denn das unterscheidet sich von Labor zu Labor. Es wäre aber denkbar, dass die Labore ihre Tests auf 1 Mio. Kopien eichen.
Das RKI nutzt diese 1 Mio. Kopien/ml schon längst als Kriterium zur Entisolierung (Quelle). Das ist also keine neue Diskussion, sondern entsprechende Entscheider:innen haben das Thema schon seit Monaten im Blick. Nur bei der WELT offenbar niemand. Die behauptet einfach, dass das in Deutschland nicht der Fall sei.
CT-Wert schwankt extrem, auch zu Beginn der Infektion
Man muss nämlich wirklich gut überlegen, in welchen Bereichen der CT-Wert überhaupt eine relevante Information ist. Wenn der erste PCR-Test einer Person nun zeigt, dass der CT-Wert hoch, also die Viruslast gering ist, was kann das heißen?
- Der Test war schlecht durchgeführt
- Die Person ist am Beginn ihrer Infektion (logisch, die Viren müssen sich erst vermehren)
- Verschiedene Tests von verschiedenen Herstellern haben bei gleicher Virusmenge unterschiedliche CT-Werte
- Die Infektion ist schon in der Lunge und nicht mehr im Rachen
- oder eben dass die Infektion schon seit ein paar Tagen überstanden ist und man nur noch “totes” Material findet.
Daraus ergibt sich ganz klar, warum auch Fälle mit geringer Viruslast als „Fall” gezählt werden sollten: Selbst im Fall 5, dass es sich um “totes” Virus handelt, war die Person nun mal kürzlich infiziert gewesen, also warum sollte man sie nicht zählen? Das würde doch nur die „Dunkelziffer“ erhöhen?! Mal abgesehen davon, dass dies offenbar ziemlich selten vorzukommen scheint und die meisten Personen trotzdem Antikörper entwickeln, wie diese Studie aus Wuhan zeigt:
Die RKI-Empfehlung macht also total Sinn, den CT-Wert nur dann zu berücksichtigen, wenn man weiß, dass die Person am Ende ihrer Infektion steht. Ist dann die Viruslast niedrig, kann die Quarantäne vorzeitig beendet werden.
Positiver PCR-Test heißt Infektionsfall
SARS-CoV-2 ist kein Bestandteil der normalen Flora im Rachen. Findet man dort Virusbruchstücke, dann müssen die ja irgendwie dahin gekommen sein. Das betont auch Sandra Cieseck im NDR Podcast:
„Aber, und das muss man ganz klar sagen, Coronaviren gehören nicht dazu. Die sind nicht Bestandteil der Normalflora und die gehören da nicht hin, genauso wie Influenzaviren. Und das ist, glaube ich, was manchmal so ein bisschen durcheinandergeht.“ (Quelle)
Wer das Virus oder auch nur seine Bestandteile im Rachen hat, der war oder ist nun mal infiziert, denn im Gegensatz zum MERS-Virus kann sich das SARS-CoV-2 auch im Rachen replizieren und die Person ansteckend machen. Das wird im WELT-Artikel nicht erwähnt. Daher gibt es auch einen Unterschied zwischen MERS und Covid-19. Hier greift der WELT-Autor dreist eine alte Fake-News-Meldung der Querdenker:innen auf. Unter der irreführenden Zwischenüberschrift „Was sagt Christian Drosten?“ erzählt der Autor *nicht*, was Dr. Drosten ganz aktuell zum CT-Wert und PCR-Tests gesagt hat – entweder weil er nicht fähig war, es zu finden, zu faul, oder weil es seine ganze Argumentation ad absurdum geführt hätte.
Er reißt ein Zitat Dr. Drostens aus dem Jahr 2014 aus dem Kontext. Dieser hat damals erklärt, dass PCR-Tests für MERS weniger zuverlässig seien. Der WELT-Autor verschweigt aber den wichtigen Unterschied zwischen SARS-2 und MERS, der für die abweichende Einschätzung von Dr. Drosten von 2014 entscheidend ist: SARS-CoV-2 kann sich im Rachen replizieren, MERS-CoV nur in der Lunge. Und dementsprechend zeigt ein positiver Rachen PCR-Test bei MERS noch nicht unbedingt Gefahr an, bei SARS-2 allerdings schon. Den Fake haben wir schon im Oktober aufgeklärt:
Anstatt zu beschreiben oder auch nur mit einem Wort zu erwähnen, was Dr. Drosten aktuell wirklich über PCR-Tests sagt, wird ein 7 Jahre altes Zitat aus dem Kontext gerissen. Ist das noch Journalismus oder schon die Methoden von Fake-News-Blogs? Aber kommen wir zum wichtigsten Punkt:
Was würde passieren, wenn wir nur noch bestimmte CT-Werte als „Fall” ansehen?
Gar nichts. Es würde sich an den Maßnahmen nichts ändern. Der Autor tut so, als hätte er eine große Entdeckung gemacht, die die gesamte Bewertung der Pandemie auf den Kopf stellen würde und an die vorher keiner gedacht habe. Das ist aber Quatsch. Die WHO weist doch schon längst darauf hin, dass PCR-Tests mit hohen CT-Werten vorsichtig und nicht ohne Befund bewertet werden sollten – etwas, das Querdenker:innen übrigens genau so versucht haben zu skandalisieren – aber was in Deutschland schon längst Praxis ist (mehr dazu).
Würde man aber einfach zum Beispiel PCR-Tests mit CT-Werten ab 30 nicht mehr als „Fall“ ansehen – wofür es wie aufgelistet viele gute Gegenargumente gibt -, würde das ja nichts ändern. Wir müssten das Virus ja trotzdem eindämmen. Es geht ja nicht weg, nur weil wir andere Zahlen nutzen. Klar, die Zahlen wären erst mal kurz niedriger. Die Maßnahmen müssten dafür aber eher noch strenger sein, weil wir dann mehr falsch negative Fälle hätten, also Leute, die aus oben genannten Gründen trotz niedriger Viruslast auf dem Teststäbchen dann doch noch ansteckend sind oder werden. Die laufen dann herum und stecken munter viel mehr Menschen an. Das würde effektiv die Pandemie-Eindämmung schwerer machen. Sie sind ungenauer, ja, aber wir irren uns lieber auf der sicheren Seite. Das hat auch rechtliche Auswirkungen: Welcher Laborarzt übernimmt die Verantwortung, zu sagen: „Die Person ist nicht ansteckend“ – Wenn das auf sehr wackligen Beinen steht und möglicherweise tödliche Folgen hat?
Aber selbst wenn man das verhindern könnte: Man müsste dann eben auch die Inzidenz-Grenzwerte niedriger ansetzen, um eine Überlastung der ITS zu verhindern. Also eine Überlastung würde dann schon bei viel niedrigeren Zahlen drohen. Die Zahlen wären niedriger, aber niedrigere Inzidenzwerte würden dann früher gefährlich werden. Am Ende würde sich dadurch also nichts ändern. Der ganze WELT-Artikel ist nichts weiter als heiße Luft.
Applaus von Rechtsextremen und Querdenker:innen
Da der WELT-Artikel durch seine Auslassungen und irreführenden Darstellungen genau in das Horn von Rechtsextremen und Querdenker:innen bläst, kriegt er entsprechend in verschwörungsideologischen Kreisen viel Applaus und Interaktionen.
Möchte die WELT wirklich von diesen vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall eingestuften Personen gelobt werden?
Die WELT schreibt einen tendenziösen Artikel voller Falschdarstellungen, die längst bekannte Fakten zum Skandal aufbauschen und wichtigen Kontext und Aussagen von Expert:innen verschweigen. Der Autor scheint entweder bewusst den Sachverhalt falsch darzustellen, eben weil die WELT sich Klicks von Verfassungsfeinden erhofft und dabei in Kauf nimmt, diese zu stärken, oder hat furchtbar schlecht recherchiert. Es passt aber in die offensichtliche, wissenschaftsfeindliche Agenda dieser Zeitung. Ein Meinungsartikel entschuldigt nicht einen derartigen journalistischen Totalausfall.
Zum Thema:
Autoren: Thomas Laschyk, Philip Kreißel. Artikelbild: pixabay.com, CC0
Unsere Autor:innen nutzen die Corona-Warn App des RKI.