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Musk warf Extremismusforschenden Loder persönlich von Twitter – Wissing naiv

von | Jan 26, 2023 | Analyse

Seit Elon Musks Twitter-Übernahme sind mehrere Recherchekollektive und Forscher:innen von Twitter gebannt worden, die rechte Gewalt aufdeckten und darüber berichteten. Eine:r von ihnen ist Chad Loder. Loders Account fiel gezielten rechten Meldewellen zum Opfer, wahrscheinlich steckte sogar persönliche Willkür von Musk dahinter. Anfang Januar war der deutsche Minister für Digitales, Volker Wissing (FDP) bei Musk zu Besuch. Doch statt sich kritisch mit solchen Vorkommnissen zu beschäftigen, wurden leere Worte getauscht und Selfies gemacht.

Musks Willkür trifft antifaschistische:n ExtremismusForschenden Loder

Loder beansprucht die Pronomen they/them.

Seit seiner Twitter-Übernahme hat Elon Musk dort rechter Propaganda freien Lauf gelassen, Journalist:innen, die ihm nicht passten, gesperrt und eine gewaltige Show um das dann doch geplatzte Twitter-Comeback von Donald Trump gemacht. Zeitweise kamen die Fails so schnell hintereinander, dass wir mit dem Artikelschreiben nicht nachkamen. Immerhin ein paar witzige Momente waren auch dabei, wie der, als Musks eigener Tweet auf der Plattform einen Faktencheck bekam (was nicht nur einmal passierte). Und dann brach er auch noch den Weltrekord für den historisch größten Verlust an Vermögen.

Doch bei aller Schadenfreude und trotz hohem Facepalm-Potential ist die Sache auch ziemlich gefährlich. Denn Elon Musk schränkt auf Twitter schlicht und ergreifend willkürlich die Meinungs- und Pressefreiheit ein. Das zeigte sich zum Beispiel im Fall von Chad Loder. Loder forscht zu Extremismus und ist auch politisch aktiv, hatte aber offenbar die falschen Nachforschungen angestellt, wenn man Musk fragt. Denn Loder hatte es gewagt, sich mit einigen „Größen“ der US-amerikanischen Rechten anzulegen.

Loders Recherchen zur amerikanischen Rechten

Chad Loders Recherchen haben schon zu einigen Verhaftungen rechter und rechtsextremer Aktivist:innen in den USA geführt. Hier nur ein paar Beispiele, um den Rahmen nicht zu sprengen. Im Juli 2021 teilte Loder ein Video, in dem zu sehen war, wie der rechte Aktivist Aaron Simmons einen Filmemacher mit einem Metallrohr schlug. Der rechte Influencer Andy Ngo hatte den Fall zuvor auf Twitter so dargestellt, als wäre es eine „Antifa-Attacke“ gewesen. Ngos Erwähnung ist nicht zufällig, über ihn werden wir noch reden. Simmons wurde schließlich verhaftet.

Zum Dorn im Auge der Rechten wurde Loder dadurch, Beteiligte am Sturm auf das Kapitol am 06. Januar 2021 enttarnt zu haben. US-amerikanische Rechte hatten an diesem Tag das US-Kapitol gestürmt mit dem Ziel, die Formalitäten zur Amtseinführung des neuen US-Präsidenten Joe Biden zu unterbrechen. Loder präsentierte auf Twitter Bilder, die halfen, diesen feigen Versuch zur Abschaffung der Demokratie zu sanktionieren. Da dies auch bekannte Namen der rechten Szene traf, wurde Loder zur Hassfigur der Rechten.

Beispielhaft für den Erfolg Loders Arbeit sind Beweise, die den Rechten David Dempsey aus Kalifornien als Teilnehmer am Sturm zeigten. Dempsey wurde später verhaftet – unter anderem dank Loders Recherchen. In einem ausführlichen Beitrag von The Intercept wird aufgezeigt, wie Loder einen anderen Rechten, Adam Kiefer, enttarnte. Loder hatte wiederum auf Twitter Beweise aufgeführt, die Kiefer als einen Teilnehmer des Sturms auf das Kapitol zeigten.

Auch Chaya Raichik, die hinter dem transphoben Twitter-Account „LibsofTikTok“ steckt, ist von Loder als Teilnehmerin am Sturm auf das Kapitol enttarnt worden. Den Artikel dazu veröffentlichte Loder allerdings erst nach der Verbannung von Twitter. Interessant ist, dass Elon Musk mindestens 8 Mal auf seinem offiziellen Twitter-Account mit LibsOfTikTok-Tweets oder solchen, in denen der transphobe Account erwähnt wurde, interagiert hat. Ein kleiner Vorgeschmack auf die Connections des Twitter CEOs in die Welt der US-amerikanischen Rechtsextremen:

Die Musk-Ngo connection, die Loder vertrieb

Doch kommen wir noch einmal zurück zu Andy Ngo. Der Journalist und rechtsradikale Aktivist profilierte sich unter anderem mit dem lächerlichen Versuch, seinen Leser:innen London als islamistische Dystopie zu verkaufen. Neben eher schwachen Fakes wie der oben zitierten erfundenen Antifa-Attacke, hat Ngo es aber auch auf Loder abgesehen. Er teilte unter anderem illegale Videoaufnahmen von Loders Wohnung und hetzte gegen Loder als angeblichen „Antifa-Extremisten“. Das Video stammte von der Rechtsextremistin Sarah Mason, die wiederum später von Loder getracked wurde.

Und nun kommt endlich Elon Musk ins Spiel. Am 24. November hatte der neue Twitterchef auf einen Tweet geantwortet, in welchem Twitters Aktionen gegen Pädophilie mit einer „Eliminierung der Antifa“ gleichgesetzt wurden. Aus welcher politischen Blase solche Gedanken kommen, muss man sicherlich nicht erklären. Diese absurde Unterstellung kommentierte Musk nicht, stattdessen ermunterte er den User und seine extremistische Bubble dazu, ihn in den Kommentaren auf Dinge hinzuweisen, die Twitter beheben sollte. Und da sah Andy Ngo seine Chance gekommen:

Screenshot twitter.com

Im weiteren Verlauf des Threads sammelte Ngo, ermuntert von Musk, angebliche oder echte Fälle von „linker Gewalt“.

Musk feuert Angestellte – rechte Meldewellen rollen ungebremst

Eine auf Social Media bekannte und weit verbreitete rechte Strategie sind möglichst große „Meldewellen“ mit dem Ziel, dass die bloße Anzahl an Meldungen die Verantwortlichen überfordert und dadurch eine Account-Sperrung erzielt werden kann. Es geht nicht unbedingt darum, wirklich rechtswidrige Inhalte zu melden, sondern einfach nur so viele Meldungen zu einem Account zu erzeugen, wie möglich. In der Regel sind das gezielte, koordinierte Aktionen. Dazu gibt es buchstäbliche Anleitungen im Internet.

Und Twitter wusste das auch, wie ein Blick in diesen Bericht gegen Manipulation der Plattform zeigt. Doof nur: Twitter hatte viele Mitglieder des zuständigen „trust and safety“ Teams zwischenzeitlich gefeuert. Die rechte Massenmelde-Strategie wird damit noch einfacher. Denn der überforderte Rest vom Team kommt umso weniger hinterher. Dass Musk das entgeht, kann man sich kaum vorstellen. Ist es vielleicht sogar Strategie und erwünscht? Es spricht nicht so viel dagegen.

Loder nicht einziges Opfer der rechten Meldewellen

Jedenfalls ist Chad Loder auffällig kurz nach dem oben zitierten Austausch zwischen Musk und Ngo von Twitter gebannt worden.

Angesichts der Hintergrundgeschichte ist das ein skandalöser Eingriff in die Meinungsfreiheit derer, die anders denken als Musk selbst, der nachgewiesenermaßen selbst immer wieder rechtsextreme Verschwörungsmythen verbreitet. Noch schlimmer wird es, wenn man den Banngrund erfährt. Offenbar hatte Twitter nicht einmal einen guten Grund gefunden, Loder zu sperren. Keine „extremistischen“ Tweets von Loder oder irgendwelche Hassrede. Denn der Grund für die Sperre ist: „Ban Evasion„. Umgehung einer angeblichen, anderen Verbannung. Keine Pointe.

Quelle:Screenshot kolektiva.social/@chadloder

Ähnlich erging es dem linken Kollektiv „CrimethInc“. Am 25. November wurde der Twitter-Account von Ngo angeschwärzt und kurz darauf gebannt, wie The Intercept berichtete. In diesem Artikel werden auch ähnliche Vorgänge gegen den Journalisten Vishal Singh, der über rechte Demonstrationen berichtet hatte und gegen den John Brown Gun Club analysiert. Diese Vereinigung hat sich zum Ziel gesetzt, marginalisierte Gruppen vor rassistischen und anderen rechten Attacken zu schützen.

Insider: Wurde Loder auf direkten Befehl von Musk gebannt?

Besonders pikant im Fall Loder sind Aussagen eines ehemaligen Twitter-Angestellten, von denen die Washington Post berichtet. Demnach sei Loder sogar auf direkten Befehl von Elon Musk gebannt worden:

Angesichts der Konversation zwischen Ngo und Musk sowie der zuvor schon öffentlichen Hassattacken von Ngo gegen Loder wäre es nur naheliegend, dass Musk da seinem rechtsextremen Freund einen kleinen Gefallen getan hat. Doch selbst, wenn die Informationen der Washington Post falsch sein sollten, hat Musk mindestens indirekt geholfen, Loders Extremismusforschungen auf Twitter mundtot zu machen. Denn indem er gleichzeitig die Verbreitung von Hass und Meldelisten erleichterte und das für Meldungen zuständige Team fast komplett von Twitter vertrieb, machte er freie Bahn für die rechte Strategie der Massenmeldungen. Ein weiteres Indiz dafür, wie willkürlich die Sperrung von Loder war, legt Loder selbst auf Mastodon vor. Demnach seien der Grund für die Sperrung nicht einmal fragliche oder strafbare Äußerungen gewesen, sondern „Ban Evasion“, also die Umgehung eines Bannes.

Ist Musk nur naiv und glaubt ernsthaft, er würde die Freiheit verteidigen? Oder ist er perfide genug, unter dem Deckmantel der Freiheit seine rechte Gesinnung durchzuprügeln? Vielleicht ist die Antwort eine Mischung von beidem, wir wissen es nicht. Im Ergebnis führt es jedenfalls dazu, dass Rechte Hetze immer mehr freie Hand auf Twitter bekommt. Und Aufklärung immer weniger Reichweite bekommt. Oder, um es mit Chad Loder zu sagen:

Quelle: Screenshot kolektiva.social@chadloder

Volker Wissing bei Elon Musk – naives Selfie statt kritischer Auseinandersetzung

All diese Machenschaften von Elon Musk dürften – oder müssten – auch unserem Minister für Verkehr und Digitales, Volker Wissing (FDP), bekannt sein. Und dennoch hat ihn das nicht davon abgehalten, auf seiner USA-Reise Anfang des Jahres Elon Musk einen Besuch abzustatten. Gab es bei diesem Treffen eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema „Sperrung von Forschenden und kritischen Journalist:innen“? Vertrat unser Minister für Digitales und Verkehr die Werte von Meinungsfreiheit und Schutz vor dem zunehmend irrational agierenden Musk? Kurze Antwort: Ncht wirklich. Aber ein nettes Foto war drin.

Auf Twitter schreibt Wissing von einem „konstruktiven Gespräch“. Auch die Selbstverpflichtung gegen Desinformation hebt der Minister für Digitales hervor. Fast schon stolz fügt er hinzu: „Elon Musk agreed with me“. Elon Musk habe ihm zugestimmt. Doch nur wenige Wochen zuvor bannte Twitter Wissenschaftler:innen und Rechercheplattformen. Ob nun auf Musks direkte Anweisung (wie im Fall Loder vermutet) oder einfach nur durch seine katastrophale Unternehmensführung: Es ist bei weitem nicht alles heiter Sonnenschein, wie das Kumpel-Foto auf Twitter impliziert.

Volksverpetzer hat bei Wissing nachgefragt, ob dieses Thema auf der USA-Reise des Ministers mit Musk besprochen wurde. Eine Sprecherin teilte uns daraufhin mit, Musk habe zugesichert, dass er „die Selbstverpflichtungen und künftig die Regeln des DSA einhalten will.“ Mit dem DSA soll laut EU unter anderem eine „Minderung systemischer Risiken wie Manipulation und Desinformation“ gelingen. Ob Wissing in diesem Kontext mit Musk auch kritisch über gesperrte Wissenschaftler:innen oder Rechercheplattformen, wurde nicht beantwortet. Die Sprecherin verweist darauf, dass sie sich nicht über einzelne Aussagen im Detail äußern könne. Dass es darüber eine ernsthafte Auseinandersetzung gab, kann man also vermutlich ausschließen.

Gute Presse für Musk, schlechte Nachrichten für die Meinungsfreiheit

Während er natürlich nicht direkt Schuld an der Sperrung von Loder und anderen ist, muss man hier aber auch Digitalminister Wissing eine gewisse Naivität vorwerfen. Als offizieller Vertreter Deutschlands in die USA zu fliegen und auf seinem Twitter-Account ein nettes Selfie mit Elon Musk wie eine Trophäe zu teilen, ist nicht das, was wir an seriöser Arbeit von einem Minister erwarten. Denn es ist auch gute Presse für Musk, sich mit Offiziellen anderer Länder zeigen zu können. Die mündliche Zusage von Musk, sich brav an die Regeln zu halten, ist natürlich nichts wert, solange er weiter willkürlich Leute dafür bannt, über rechte Gewalt und Desinformation zu berichten. Das einfach zu glauben und den Followern in der Heimat so zu präsentieren, ist naiv.

Eine Grünen-Politikerin postete in Anspielung auf den kontroversen FDP-Wahlkampfslogan „Digital first, Bedenken second“:

Fazit: Musk gefährdet die Meinungsfreiheit – Bundesregierung schaut zu

Am Beispiel Elon Musk sehen wir, warum es so gefährlich ist, wenn einzelne Personen undemokratisch große Macht bekommen. Musk missbraucht sie eiskalt, um seinen rechten Buddys die Diskussionshoheit auf Twitter einzuräumen und kritische Stimmen zu verbannen. Er agiert so, als wäre er eine staatliche Institution, die Legislative, Exekutive und Judikative in sich vereint. Niemand kann ihn effektiv daran hindern, auf Twitter zu tun, was er möchte. Versteckt hinter Slogans wie „Comedy is now legal on Twitter“ schränkt er die Meinungsfreiheit all derer ein, die nicht seiner Meinung sind. Extreme Demokratiefeinde werden entbannt, die, die gegen diese ankämpfen gebannt. Genau solch despotisches Verhalten wäre doch der Moment, in dem eine Regierung eingreifen müsste.

Doch der deutsche Digitalminister Volker Wissing lässt sich offenbar mit einem schicken Foto für Twitter und ein paar leeren Worten abspeisen. Klar, man kann als Politiker auch nicht immer jedem das ins Gesicht schreien, was man vielleicht gern würde. Aber dennoch könnte man erwarten, dass mit den Machenschaften eines rechten superreichen Internettrolls kritisch umgegangen wird. Stattdessen ist alles, was wir bekommen, ein Selfie. Da muss man sich dann doch fragen, ob die FDP, die Partei für die Freiheit, nicht mehr zu bieten hat.

Doch es gibt auch gute Nachrichten: Immer mehr Akteur:innen aus der breiten Gesellschaft lassen sich nicht von Musks Willkür einschüchtern. So verklagte beispielsweise Anwalt Chan-jo Jun Twitter wegen ihrer katastrophalen Content-Moderation – und das erfolgreich! Unterstützt wurde er dabei von HateAid, einer Organisation gegen Hass im Netz. Sie initiierte auch ein anderes Verfahren am Landgericht Berlin, gemeinsam mit der Organisation European Union of Jewish Students. Es geht um mehrere Fälle antisemitischer Hetze, die von Twitter explizit nicht gelöscht wurden. Sie erhoffen sich ein Grundsatzurteil, welches bestätigt, dass die Nutzer:innen einen Rechtsanspruch auf die Durchsetzung der AGB haben (die rechte Hetze verbieten). Damit soll auch die willkürliche Moderationspraxis überwunden werden und Twitter sich wenigstens an seine eigenen Regeln halten müssen. Es gibt also durchaus Hoffnung für die Welt der Social Media.

Artikelbild: kovop