Für WELT hat sich der unseriöse Journalismus gelohnt
Mehrere Krankenhäuser in Hessen verhängten einen Aufnahmestopp, weil sie so wegen Corona-Patient:innen überlastet waren (Quelle). Auch Wittich in Rheinland-Pfalz (Quelle). Köln war so überlastet, dass Menschen in andere Kliniken verfrachtet werden mussten (Quelle), Stuttgart wollte OPs verschieben (Quelle). Auch aus Thüringen mussten Patient:innen verlegt werden (Quelle). Warum sage ich das? In den letzten Tagen wurden in Social Media viele Zweifel daran gestreut, dass eine Überlastung gedroht hätte. Damit wird unterstellt, dass das DIVI oder gleich die Regierung absichtlich Zahlen manipuliert hätte, um eine künstliche Knappheit zu erzeugen: das sogenannte #DIVIGate.
Nichts davon ist wahr, dafür gibt es keine Anhaltspunkte. Bisher war das nur ein Fake-Märchen aus der extremistischen „Querdenken“-Szene, die damit seit Monaten hausieren geht, um ihre Verschwörungsmythen von der Fake-Pandemie zu rechtfertigen (mehr dazu). Jetzt hat ein fehlerhaftes und unseriöses Thesenpapier aber quasi die gleichen Thesen aufgestellt, jedoch seriöser verpackt und die Anschuldigungen als Suggestivfragen gestellt. Und prompt führte es zum Pseudo-#DIVIGate. Das Problem: Es gab viele Zahlen- und Denkfehler, einiges wurde nicht richtig recherchiert, und auch richtige Zahlen wurden falsch eingeordnet. Alles, um es in eine „Querdenken“-Agenda zu pressen.
Der Faktencheck
Ausführlich haben wir den Faktencheck zum #WELTGate vor 3 Tagen gemacht. Es wurden falsche Zahlen als Grundlage hergenommen, Sachen nicht richtig recherchiert (und die fehlende Antwort dann als Teil der Unstimmigkeiten gezählt), und wilde Spekulationen aufgestellt, die weder von den falschen, noch richtigen Zahlen gedeckt wurden. Das Problem: Die „WELT“ hat zwei Artikel darüber veröffentlicht und die Schlussfolgerungen und falschen Zahlen des Thesenpapiers völlig unkritisch wiedergegeben, nicht hinterfragt und sogar dreist gefordert, man solle „immer schön bei der Wahrheit bleiben!“ – Während man selbst massiv Fake News verbreitet hatte und den Hashtag #DIVIGate mit lostrat.
„Irreführende Vorwürfe“: „WELT“ verbreitet Fakes über DIVI-Auslastung – Intensivmediziner entsetzt
Das sagen übrigens nicht nur wir bei Volksverpetzer, die Fehler haben viele Journalist:innen gefunden. Hier, hier, hier, hier. Auch viele Intensivmedizinier:innen – die es besser wissen müssten – widersprachen heftig. Sie waren entsetzt ob der tendenziösen Berichterstattung der WELT und des unseriösen Thesenpapiers. In einer gemeinsamen Erklärung weisen DIVI, Marburger Bund und DKG die „Vorwürfe von Matthias Schrappe aufs Schärfste zurück“ (Quelle).
Und das sagen nicht nur diese, auch die Autor:innen des Thesenpapiers selbst mussten zugeben, Fehler gemacht zu haben und korrigierten ihre Zahlen (Quelle). Dass die korrigierten Zahlen die unbelegten Thesen noch weniger untermauern als zuvor, wurde dort allerdings ignoriert, ebenso wie andere Lücken. Sogar die WELT selbst veröffentlichte nach massiver Kritik an ihrer journalistischen Bankrotterklärung selbst einen Faktencheck (Quelle). Darin kommt sie selbst zu dem Schluss, dass (u. a. unsere) Kritikpunkte völlig berechtigt waren und sogar die zentralen Vorwürfe des Thesenpapiers zum Großteil unberechtigt waren.
Seine eigenen Fake News 2 Tage später aufklären, ist kein guter Journalismus
Trotz eines Bombardements an Hetze aus den Hassportalen und der rechtsextremen und der Pandemie leugnenden Bubble ist also klar: Das ganze Thesenpapier beweist nicht viel, sicherlich nicht die Verschwörungsmythen, die diese Leute gerne wahr hätten. Und das sagen nicht böse Faktenchecker:innen, sondern das müssen auch diejenigen teilweise zugeben, die diese Fake News verbreitet haben. Aber natürlich wird das bei diesen Ideolog:innen niemals ankommen. Sie haben sich nur gemerkt, dass sie vermeintlich die ganze Zeit über schon recht hatten. Den Fake werden wir noch Monate hören. Der Schaden von #DIVIGate ist angerichtet.
Da hilft es kein bisschen, dass die WELT ihren riesigen Bock durch einen „Faktencheck“, der genau wie der Original-Artikel hinter einer Paywall steckt, wieder richtiggestellt hat. Zu gutem Journalismus gehört es, eigene Fehler transparent zu korrigieren. Wir bei Volksverpetzer machen auch Fehler und machen das transparent, hier zum Beispiel (Ironischerweise verschweigen unsere Kritiker:innen aber unsere eigenen Richtigstellungen). Bei WELT ist das jedoch anders, denn der erste Artikel war kein Versehen, sondern journalistisches Totalversagen. Normalerweise sollte man VOR Veröffentlichung solcher Thesen kritisch nachfragen, selbst recherchieren.. oder vielleicht andere Stimmen befragen. Am besten von Leuten, die die vielen offensichtlichen Lücken und Fehler leicht erklären hätten können.
Bei WELT hat das System: Der Faktencheck 2 (!) Tage später, wenn das Thema schon keinen mehr interessiert und die Desinformation bereits überall verankert wurde, wo sie konnte, verpufft wie heiße Luft und taugt nicht mal als Feigenblatt für seriösen Journalismus. Die WELT hat sich die Klicks, Abos und das Geld und den Applaus schon geholt. Da liegt das Problem.
„Sowas hatten wir noch nie“: WELT bejubelt Abo-Rekorde dank #DIVIGate-Gate
Laut medieninsider freut sich der Digital-Chef der WELT riesig über den Erfolg ihrer Fake News mit #DIVIGate: „Sowas hatten wir noch nie.“ Und schrieb: „Wir sind noch nicht sicher, ob die Althistoriker in 10.000 Jahren den 16. Mai 2021 als das Elke-Ereignis oder das Bodderas-Beben (Anmerkung der Red.: Der Name der Autorin ist Elke Bodderas) der Welt-Geschichte bezeichnen, oder beide Begriffe verwenden werden. Beides wäre angezeigt.“ Die WELT hat in Zeiten sinkender Auflagen (und massivem Stellenabbau) aus Business-Sicht alles richtig gemacht. Viele neue Abos, viele Klicks, im Gespräch.
Für seriöse Medien, denen Ansehen und korrekte Berichterstattung wichtig sind, wäre so eine massive Fake News eine Katastrophe. Der MDR bezeichnet das als „Unfall“, wenn HR oder MDR nach dem Verbreiten von Fake News selbst Korrekturen veröffentlichen müssen (wir haben auch darüber berichtet). Bei WELT nimmt man das eher als vollen Erfolg wahr. Denn wie ich auch in unserem Faktencheck bereits festgestellt habe, war das kein losgelöster Einzelfall bei der WELT.
Der Applaus von Verschwörungsideolog:innen war gewollt
Der Applaus von Rechtsextremist:innen und „Querdenker:innen“ war kein Versehen, sondern ist Teil des neuen Geschäftsmodells. Ich wiederhole mich hier der Vollständigkeit halber noch mal gerne:
Es ist in letzter Zeit relativ deutlich geworden, dass in der WELT-Redaktion entweder Personal sitzt, dass derartigem verschwörungsideologischen Denken anhängt oder man zynisch die teilungsfreudige Blase von Rechtsextremist:innen, Pandemie-Leugner:innen & Co. mit vermeintlicher Bestätigung ihrer wissenschaftsfeindlichen Weltanschauung bedienen will. Oder beides. Wir bei Volksverpetzer haben bereits viele Faktenchecks von fehlerhaften WELT-Artikeln machen müssen, die in das gleiche Horn bliesen wie „Querdenker:innen“. Wie hier über PCR-Tests:
WELT täuscht über Fakten zum PCR-Test – bekommt Applaus von Rechtsextremen und Querdenker:innen
Oder hier mit irreführendem „Querdenker“-Framing:
Querdenker-Framing: Wie die „WELT“ aus dem Nichts einen Skandal fabriziert
Ausführlich haben wir die wissenschaftsfeindliche Einstellung der WELT in diesem Artikel analysiert, als Dr. Drosten die Desinformations-Methoden des WELT-Chefs Poschardt angeprangerte und kritisierte.
„Verkürzung durch die Medien“: Drosten entlarvt Rhetorik von WELT-Chef Poschardt
WELT-Chef Poschardt bezeichnete Corona-Maßnahmen als „absurd“ (Quelle), er bezeichnete Wissenschaftler:innen, die NoCovid forderten, als „Panikfreunde“ (Quelle) und immer wieder bediente er das gleiche Narrativ: Wer funktionierende Maßnahmen fordert, ist verblendet, mindestens ideologisch beeinflusst, man selbst ist hingegen lediglich für „Freiheit!“ (Quelle). Aber anscheinend halt nicht für „Wissenschaft!“ Und das ist nicht alles. Wie alles andere als wissenschaftlich die Agenda der „WELT“ teilweise aussieht, konnte man im Februar bereits deutlich sehen, als der leitende Redakteur für Zeit- und Kunstgeschichte der „WELT“ Drosten als „Panikmacher“ bezeichnete und ihm glatt unterstellte „wahrscheinlich Hunderttausende Menschenleben auf dem Gewissen“ zu haben.
Der gleiche Autor bezeichnete den Inzidenzwert auch als „völliger Unfug“, bezeichnete Corona als „Hysterie“, verharmloste und verbreitete weitere Fake News über das Virus. Die „extrem zugespitzte Formulierung“ bedauerte er später aber und löschte den Kommentar (Quelle).
Es werden mehr „Querdenken“-Fakes wie #DIVIGate von der WELT kommen
Die WELT erschließt nicht erst mit dem Pseudo-#DIVIGate ein neues Terrain an ideologischer Berichterstattung. Es ist neu und von „Mainstream-Medien“ – in der Regel sind damit „seriöse“ Medien gemeint – nicht erschlossen, weil man hierfür pausenlos lügen, fälschen, täuschen, verzerren und cherry-picken muss. Deswegen berichten solche Dinge nur Fake-News -Medien vom rechten Rand wie z. B. „Reitschuster“ oder eben Betrüger:innen und Hetzer:innen aus der „Querdenken“-Szene. Für die WELT scheint es jedoch lukrativ, diesen hyperpartisanen Weg einzuschlagen, um diese klickfreudige, ideologisch abgeschottete Blase zu bedienen. Gerade heute reißt wieder ein WELT-Redakteur auf Twitter Zitate der Virologin Priesemann irreführend aus dem Kontext, um ihr Fehler und Ahnungslosigkeit zu unterstellen. Und weiß offenbar auch ganz genau, dass er das tut.
Es ist wirklich völlig aus dem Zusammenhang gerissen. Sind Sie so ein schlechter Journalist oder verbreiten Sie mit Absicht Desinformation? Ist der Applaus aus der Pandemie-Leugner-Ecke wirklich so lukrativ? https://t.co/ReoXGtfa7C
— Volksverpetzer (@Volksverpetzer) May 20, 2021
Unter dem immer öfter wissenschaftsleugnenden Ulf Poschardt als Chef, der mit rechtspopulistischen Desinformations-Accounts auf Twitter kuschelt (und tendenziöse Autoren verteidigt, mit einer nicht unbedeutenden rechtsextremen Followerschaft), scheint das die dezidierte Richtung zu sein. Und es ist nicht zu erwarten, dass sich das in nächster Zeit ändert. Erst recht nicht, wenn die WELT damit so viel Erfolg hatte. Es ist wichtig, die Menschen öffentlich davor zu warnen, Artikel der WELT zu konsumieren. Weil spätestens jetzt klar ist, dass man der Berichterstattung nicht grundlegend trauen kann. Nicht dass Dinge, die man dort liest, zwei Tage später als völlig an den Haaren herbeigezogener, jedoch sehr lukrativer Unsinn zugegeben werden müssen, weil die WELT journalistische Standards fallen lässt, um Klicks aus einer bestimmten ideologischen Richtung zu bekommen.
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Artikelbild: Claudio Divizia
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