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Auf diese 6 Dinge musst du achten, um Verschwörungsmythen zu durchschauen

von | Mai 20, 2020 | Aktuelles, Analyse, Corona

Verschwörungsmythen durchschauen

Verschwörungsmythen (oder auch „Verschwörungstheorien“ genannt) sind während der Corona-Pandemie äußerst beliebt, da sie einfache Erklärungen und eindeutige Schuldige liefern. Verschwörungsmythen postulieren, dass es mächtige Menschen und Gruppen gibt, die geheime Pläne schmieden, um gewisse soziale, politische und wirtschaftliche Ziele zu erreichen. Verschwörungsmythen haben meistens das Ziel, Erklärungen für gewisse Zustände zu finden und „Schuldige“. Ein wesentlicher Teil ist auch stets, dass die „Verschwörer“ böse oder eigennützige Absichten haben und ihre Pläne nicht nur geheim halten wollen, sondern auch aktiv versuchen, sie zu vertuschen und mögliche Aufklärung zu verhindern oder in die Irre zu führen.

Das sind wesentliche Merkmale von Verschwörungsmythen und sie sollten bei allen sofort die Alarmglocken schlagen lassen. Das Problem ist aber nicht, dass es nicht mächtige Gruppen gibt, die oftmals versuchen, abseits der Öffentlichkeit eigennützige Ziele zu erreichen. Solche Vorgänge sind ja historisch belegt und vorgekommen. Der Trugschluss wäre jedoch, davon auszugehen, dass jede Verschwörungstheorie wahr sein müsste, weil es bereits Verschwörungen gab. Umgekehrt aber ebenfalls, jede dieser Erklärungen pauschal zu leugnen. Deshalb ist es wichtig, einige Merkmale und Tricks zu kennen, wie man Verschwörungsmythen durchschauen und von Kritik unterscheiden kann.

Dieser Artikel stützt sich auf das Essay „Zur Beurteilung von Verschwörungstheorien“ von Patrick Körner, erschienen im Mythos-Magazin (Link) und insbesondere auf den Entwurf einer Kurzfassung des Autors, welche noch offiziell  erscheinen wird. An dieser Stelle eine ausdrückliche Leseempfehlung. Nachtrag: Hier findet sich die nun veröffentlichte Kurzfassung des Autors (Link).

1. Übertrieben, zu kompliziert und gleichzeitig zu einfach

Ein wesentlicher Faktor ist, dass viele Verschwörungsmythen völlig übertriebene Behauptungen machen. Es gibt einen Unterschied zwischen der Kritik an der WHO, dass sie sich zu sehr auf private Spender*innen stützen muss, und der Behauptung, Bill Gates habe die WHO „gekauft“, um überall auf der Welt „Diktaturen“ zu errichten, damit er irgendwie durch einen Impfstoff reich werden könnte. Diese übertriebenen Geschichten kriegen viel Staunen, Häme und Unglauben, weshalb sie Aufmerksamkeit generieren. Wird viel darüber gesprochen, wird der Mythos oft wiederholt. Und wird etwas oft wiederholt, klingt es glaubwürdiger.

Denn es wird für uns „normaler“ und wir glauben eher das, was wir für „normal“ halten. Aber Verschwörungsmythen sind meistens gleichzeitig zu einfach und zu kompliziert. Zu einfach: Sie gehen davon aus, dass nur wenige Menschen so viel Macht besitzen, dass sie beispielsweise eine weltweite Pandemie inszenieren können (und wollen), nur um mit Impfungen Geld zu verdienen oder dergleichen. Gleichzeitig basieren Verschwörungsmythen auf enorm vielen (unbewiesenen) Annahmen. Es müssten enorm viele Dinge zutreffen, die nie belegt oder bekannt waren, damit alles funktionieren könnte.

Bill Gates müsste alle Impfhersteller besitzen, ein Virus erzeugen können, oder alle Regierungen aller Länder überzeugen, mit seinen circa 8 % Spenden der WHO diese auch irgendwie kontrollieren können und natürlich auch noch alle Medien aller Länder besitzen oder kaufen können und am Ende sollen wir glauben, dass keiner dieser hunderttausend Leute das auch mal versehentlich ausplaudert (die gängigsten Fake News haben wir hier aufgeklärt)? Hier wird enorm viel einfach als vorausgesetzt genommen, das erst einmal bewiesen werden müsste. Jeder Einzelschritt des Verschwörungsmythos wäre ein großer Skandal, wenn er aufgedeckt werden würde. Merke: Je komplizierter und fantastischer die Theorie, desto unwahrscheinlicher wird sie.

2. Die meisten Verschwörungen fliegen auf

Ein Aspekt, der gerade genannt wurde. Je größer die vermeintliche Verschwörung, je weittragender die Folgen, umso mehr Menschen involviert sein müssen, damit sie funktioniert, desto unwahrscheinlicher, dass sie nicht schon längst aufgeflogen wäre. Enorm viele Menschen müssten davon wissen: Millionen Mitarbeitende in allen Krankenhäusern weltweit, aller Pharmaunternehmen, aller Medienunternehmen. Warum sollten sie das machen? Warum sollten die alle uns einsperren oder krank machen wollen?

Und wichtiger: Würden nicht viele das ausplaudern, sogar versehentlich? Es würde massenhaft bekannt sein und so eine massive Verschwörung wäre längst aufgeflogen – und dann bräuchte man keine Verschwörungsmythen mehr, um sie aufzudecken. Das macht Verschwörungsmythen unglaubwürdig. Verschwörungsideolog*innen wollen über diese Lücken und Widersprüche hinwegtäuschen durch skandalöse Geschichten und indem sie sie als äußert seriös verkaufen.

3. Es gibt Zufälle, Menschen machen Fehler

Da Verschwörungsmythen Erklärungsmodelle für aktuelle Situationen liefern, zäumen sie das Pferd stets von hinten auf: Sie fragen sich, wer von der aktuellen Situation irgendwie (angeblich) profitiert haben soll und schlussfolgern daraus, dass das von dieser Person oder Gruppe genau so geplant sei. Dabei wissen wir doch alle, dass Menschen Fehler machen, dass Unfälle passieren, dass Zufälle passieren. Keiner von uns ist allwissend, wir schätzen Situationen falsch ein und uns fehlen Informationen. Viel Macht bedeutet aber nicht zwangsläufig unendlich viel mehr Wissen. Die Allwissenheit der Verschwörer wird einfach vorausgesetzt.

Verschwörungsmythen unterstellen, dass eine Person wie beispielsweise Bill Gates Jahre in die Zukunft planen kann, tausende Regierungen, die WHO und alle Medien kontrollieren könnte (sogar daran denken würde, angeblich einen kleinen, deutschen Blog wie uns zu finanzieren, mehr dazu) und diese Kontrolle perfekt läuft und keiner einen Fehler macht. Selbst kleine Projekte in einzelnen Firmen laufen ständig schief, aber eine weltweite Verschwörung geht perfekt über die Bühne? Ein Verschwörungsideologe müsste erst einmal erklären, wie tausende Menschen das alles fehlerfrei planen konnten und woher sie das alles denn wissen konnten, um es so perfekt zu inszenieren. Sie sollen belegen, wie man das vor ein paar Jahren schon alles hätte wissen können. Eine weitere, große Lücke.

4. Über alles misstrauisch, außer sich selbst

Verschwörungsideolog*innen sind grundsätzlich misstrauisch gegenüber staatlichen Quellen und offiziellen Darstellungen, oder auch allen größeren Medienhäusern, die sie „Mainstream“ nennen. Das geht soweit, dass sie allem misstrauen, was nur die gleichen Argumente wiederholt wie (vermeintlich) Staat, Medien und Wissenschaft. Auch wir als unabhängiger Blog seien deshalb unglaubwürdig, weil wir die „Meinung“ des „Mainstream“ „wiederholen“ würden. Dieses Misstrauen artet dann jedoch in Paranoia aus, die zu einer Zirkellogik führt: Alles, was der Verschwörungstheorie widerspricht, muss falsch sein, weil es der Verschwörungstheorie widerspricht. Damit könnte man an alles glauben.

Man fragt dann ständig, ob jemand bezahlt worden sein könnte, eine Aussage zu behaupten, ob alle Beweise gefälscht sein könnten und so weiter. Man ist misstrauisch, selbst wenn es keinen Grund dazu gibt, außer dass man die Beweise eben nicht wahr haben will. Aber die Verschwörungsideolog*innen sind nie so selbstkritisch. Warum wird der Youtuber, der abenteuerliche Behauptungen aufstellt, nicht genau so kritisch hinterfragt? Warum fragt man sich nicht, ob die Informationen in dem Telegram-Channel nicht gefälscht oder bezahlt sind? Es gibt wirklich bezahlte Verschwörungsmythen: Russische Trolle streuen zum Beispiel gezielt Verschwörungsmythen, um Angst vor Impfungen zu machen (Quelle). Dabei werden in Russland Impfungen sogar vorgeschrieben, wenn man dort als Ausländer arbeiten will (Quelle).

5. Überprüfbare Quellen

Ein Verschwörungsmythos hat in der Regel wenig überprüfbare Quellen. Informationen müssen nachvollziehbar sein und Daten müssen öffentlich einsehbar und seriös sein. Es reicht nicht aus, einfach den Youtube-Kanal oder Blog eines anderen Verschwörungsideologen zu verlinken. Oder es wird eine offizielle Quelle angegeben, jedoch steht darin gar nicht das, was behauptet wird – entweder weil man etwas aus dem Kontext reißt oder absichtlich falsch interpretiert. Bill Gates sagt nicht 700.000 Impftote voraus – er warnt davor, eine Impfung freizugeben, die solche Nebenwirkungen haben könnte (mehr dazu).

Oft sind die „Quellen“ jedoch unbekannte „Insider“, die angeblich irgendwelche Dinge behaupten. Oft sind diese noch dazu anonym. Sie können aber keine Beweise liefern – nur die Versicherung, dass es angeblich Beweise gäbe. Geheime Zahlencodes, die man erst durch Rätselraten herausfinden könnte, sind kein „Leak“. Auch nicht die private Meinung eines BMI-Mitarbeiters, der seltsamerweise nur externe „Quellen“ nutzt (mehr dazu).

6. Sie müssen auf Kritik hören

Ganz wichtig: Nicht derjenige hat Recht, der am festesten an seiner Meinung festhält. Seriöse Wissenschaftler*innen und andere ändern ihre Meinung, wenn sie mit Daten und Beweisen konfrontiert werden. Viele (auch wir!) hielten das Corona-Virus Anfang des Jahres für harmloser als es ist. Dass man sich von der Wissenschaft überzeugen lässt und Fehler eingesteht, ist kein Zeichen von Schwäche oder „Heuchelei“ – sondern von Seriosität. Wissenschaft basiert auf Theorien und Hypothesen – und sie entwickelt sich weiter, wenn sie durch bessere Theorien und Hypothesen ersetzt werden.

Nur so kann man dazu lernen. Wenn jemand ernsthaft an Aufklärung und Wissen interessiert ist, muss man auch Kritik an ihrer Erzählung ernst nehmen und darauf reagieren – mit Fakten und Quellen. Man darf nicht Kritik am Verschwörungsmythos verhindern und wegerklären. Wie oben gesagt: Wer jede*n, der/die einem widerspricht, zum Teil der Verschwörer*innen macht und behauptet, sie seien gekauft, baut sich eine Zirkellogik auf, keine ernstzunehmende Theorie. Wenn der Verschwörungsideologe nicht eingesteht, auch falsch liegen zu können und Kritik nicht zulässt und nicht darauf sachlich reagiert, ist es ein Verschwörungsmythos.

Fazit

Nicht jede Kritik ist Verschwörungstheorie. Nicht jede*r, der oder die mit der derzeitigen Situation unzufrieden ist, ist ein Aluhut. Der Unterschied zwischen seriöser Kritik und Verschwörungsideologie dürfte inzwischen deutlich sein. Es gibt einen Unterschied zwischen einem Rentner, der auf eine Corona-Demo geht, weil er nicht weiß, wohin er mit seiner Trauer soll, weil er seine Frau im Altersheim nicht besuchen kann, und dem, der ihn anschreit, er dürfe dem „Merkel-Regime“ nicht trauen. „Man muss doch vernünftig bleiben“, sagte er. Und genau das ist der Punkt. Die ganze Geschichte:

Corona-Verschwörungsideologe brüllt weinenden Rentner nieder, der wirklich leidet



Artikelbild: pixabay.com, CC0