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Warum die AfD überwacht werden muss: Die ganze Radikalisierung von 2013-2022

von | Mrz 8, 2022 | Aktuelles

Radikalisierung des Denkens und der Sprache

RADIKALISIERUNG DES DENKENS UND DER SPRACHE (DIE BEWEGUNGSPARTEI NIMMT FAHRT AUF)

„Dieser Weg wird kein leichter sein“ – Der ‚Erfurter Weg‘ des Björn Höcke (Recherche 2016 zu Höcke und Lucke)

Schon  2016 hatten wir den weiteren Weg von Höcke analysiert:

Nach der Sommerpause 2016 meldete sich Björn Höcke mit einem Zitat von Xavier Naidoo (der sich vor zwei Jahren ins Abseits stellte, als er ein Konzert vor Rechten gab) zurück. Björn Höcke wäre nicht Björn Höcke, wenn er nicht bedeutungsschwangere Sätze fallen ließe, die immer einen Bezug zur Geschichte haben. So bezeichnet er auch seine „Erfurter Resolution“ als „Erfurter Weg“, die eine „Rückversicherung für die AfD“ bedeute, und durch Wolfgang Gedeon einen ‚wichtigen Beitrag zur Klärung des Selbstverständnisses‘ der AfD liefert.

WIE KAM ES ZUR ERFURTER RESOLUTION?

Anfang 2015 wollten das Ehepaar Kubitschek/Kositza in die AfD eintreten. Bernd Lucke verhinderte dies. Ellen Kositza reagierte am 15. März 2015 in ihrem Blog beleidigt „Bei der AfD bin ich strategisch unerwünscht – oder nicht ich. Sondern überhaupt.“

Und für Kubitschek sprang Björn Höcke wohl in die Bresche: „Die Partei habe Mitglieder verprellt und verstoßen, deren Profil unverzichtbar ist.“ Dieser Satz findet sich dann in der „Erfurter Resolution“ wieder, die Björn Höcke am 13. März 2015 veröffentlichte. Und im ersten Satz spricht Höcke von dem „Projekt Alternative für Deutschland“, das in Gefahr sei – vom Projekt AfD spricht auch Kubitschek, der neben dem Projekt AfD auch die „Projekte“ wie Pegida, Identitäre Bewegung oder Einprozent als Vordenker, Wegbereiter und Betreuer begleitet.

Unternehmensberatungen sind irgendwann mal dazu übergegangen, strategische Firmenzusammenschlüsse mit fiktiven Projektnamen zu versehen, denn es sollte nicht gleich aus dem Projektnamen ersichtlich sein, worum es geht. Wenn aber nun die neue Partei auch nichts anderes als ein Projekt ist, dessen Arbeitstitel „Alternative für Deutschland“ lautet, dann fragt man sich, was denn am Ende des Projektes herauskommen soll, wenn immer wieder anklingt, die Verfassung müsse neu geschrieben werden. Es hat sich mittlerweile herausgeschält, dass die AfD völkisch-nationalistisch ist, die neoliberale und konservative Elemente verbinden will, um gegen einen „links-rot-grün versifften“ Sozialismus zu kämpfen.

Nur ist die Sozialdemokratie in Deutschland kein Sozialismus; offenbar nur für die ewig Gestrigen. Und für sie hat der Konservatismus seine Wurzeln weit vor dem Nationalsozialismus und der Konservativen Revolution, sei aber schon vor dem Nationalsozialismus „falsch abgebogen“.

BERND LUCKE WURDE AUSMANÖVRIERT

Falsch abgebogen dürfte für Höcke auch Bernd Lucke sein, als er der Parteiaufnahme von Kubitschek und Kositza widersprach, mit der Begründung, dass beide rechtsextreme Positionen vertreten würden. Konfrontiert mit den Vorwürfen einer rechtsextremen Vergangenheit eines Björn Höcke, forderte Bernd Lucke Höcke zu einer Abgabe einer eidesstattlichen Erklärung auf, aus der hervorgehen soll, dass Björn Höcke nicht unter dem Pseudonym „Landolf Ladig“ Texte für die Eichsfelder NPD von Thorsten Heise (in deren Gebiet Höcke ein altes Pfarrhaus im Eichsfelder Bornhagen gekauft hatte) geschrieben habe. Und dann forderte Lucke Höcke auf, aus der Partei AfD auszutreten.

Es endete damit, dass Höcke weder diese eidesstattliche Erklärung abgab noch aus der Partei austrat, dafür aber wurde Lucke als Parteivorsitzender abgewählt und verließ mit weiteren Mitgliedern die AfD, die nun mehr und mehr nach rechts abdriftete. Und noch eines lässt aufhorchen: Für den 18.03.2015 wurde die Veröffentlichung der Liste der 1.000 Unterzeichner (die mittlerweile angewachsen sein dürften) der Erfurter Resolution angekündigt.

Aber mehr als die 20 Erstunterzeichner sowie die öffentliche Erwähnung, dass Gauland ebenfalls unterzeichnet hätte, ist nicht in Erfahrung zu bringen. Wer noch alles diesen „Faustischen Pakt“ eines rechtsextremen Weges unterzeichnet hat, bleibt nach wie vor im Dunkeln – würde doch offenbar werden, wer alles hinter Björn Höcke steht und an strategischen Positionen in Partei, Landesverbänden, Kreisverbänden, Schiedsgerichten usw. in Stellung gebracht wurde.

Erfurt und Thüringen als Ausgangs-, als Dreh- und Angelpunkt Deutschlands

Björn Höckes Hang zu codierter Sprache und Anspielungen auf historische Bezüge, die nur seine Anhänger verstehen, sowie die wenigen Passagen im Parteiprogramm der AfD und Äußerungen einzelner AfD-Politiker lassen aber den kundigen Historiker aufhorchen.

Die AfD sieht sich in der „Tradition der Revolution von 1848“. Ihr daraus resultierendes Demokratieverständnis sowie eine von Klassismus geprägtes Menschenbild und die Forderung einer „Direkten Demokratie nach Schweizer Vorbild“ erinnern aber sehr stark an die „Erfurter Union“.

Und dann wird auch deutlich, warum Björn Höcke von Thüringen aus agiert und nicht in Hessen, der geografischen Mitte der Bundesrepublik Deutschlands. Thüringen war damals die geografische Mitte des Deutschen Bundes oder in den Grenzen von 1939. Die Erfurter Union und ihre Verfassung weisen erstaunliche Parallelen zum Demokratieverständnis und zu den einzelnen Positionen und Forderungen der AfD auf.

Der „Erfurter Weg“ soll der Weg für ein neues Deutschland sein. Ein konservatives und völkisch-nationalistisches Deutschland, das jahrelang unter der links-rot-grün versifften Politik leiden musste. Und so bezeichnet Björn Höcke auch das Projekt „Alternative für Deutschland“ als die letzte friedliche evolutionäre Chance für ein neues Deutschland.

DIE ERFURTER UNION

Die „Erfurter Union“ oder auch „Deutsche Union“ war ein Versuch Preußens 1849/50, einen deutschen Nationalstaat zu errichten. Noch während Preußen die Revolution von 1848/49 niederschlug, lud es im Mai 1849 andere deutsche Staaten im „Dreikönigsbündnis“ (Bündnisvertrag zwischen Preußen, Sachsen und Hannover vom 26.5.1849) zu diesem Bundesstaat ein. Der Erfurter Verfassungsentwurf war eine Kopie der Frankfurter Reichsverfassung, aber im konservativen Sinne abgeändert.

Ursprünglich sollte dieser Einigungsversuch ein „Deutsches Reich“ gründen. Weil wichtige Gründungsmitglieder wie Hannover und Sachsen sich im Laufe der Monate vom Projekt abwandten, wurde der zu gründende Nationalstaat im Februar 1850 in „Union“ umbenannt. Man spricht deshalb von der „Erfurter Union“, weil das Erfurter Unionsparlament in der damals preußischen Stadt Erfurt zusammenkam.

Im Mai 1850 erklärten sich nur zwölf Unionsstaaten (von einst 26) bereit, die Unionsverfassung als gültig anzuerkennen. In der Herbstkrise 1850 musste Preußen auf österreichisch-russischen Druck die Unionspolitik endgültig aufgeben. Der „Deutsche Bund“ wurde im Sommer 1851 wieder in alter Form aktiviert.

Von Ws-KuLa – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=34923988

WIE KAM ES ZUR „ERFURTER UNION“?

In der Revolutionszeit hatte Friedrich Wilhelm IV. immer wieder Signale ausgesendet, dass er bereit sei, an die Spitze eines deutschen Bundesstaates zu treten. Die Frankfurter Reichsverfassung lehnte er innerlich ab, weil sie von Liberalen und Demokraten beschlossen wurde. Außerdem wünschte er sich eine konservativere Verfassung und scheute sich vor dem Titel eines Kaisers. Schließlich war es ihm wichtig, die Zustimmung seiner Standesgenossen, der anderen deutschen Fürsten, zu erhalten.

Sein wichtigster Berater in diesen Fragen war Joseph von Radowitz, der in der Frankfurter Nationalversammlung auf der Rechten saß. Radowitz’ Einigungsplan kam dem König gelegen, um nicht nur bloß negativ zur deutschen Frage zu stehen. Bereits am 3. April 1849, als Friedrich Wilhelm IV. die Kaiserkrone ablehnte, ließ er die übrigen deutschen Staaten wissen, dass er an die Spitze eines deutschen Bundesstaates treten wolle, an dem diejenigen Staaten teilnehmen sollten, die dies wünschten.

Radowitz übernahm im Wesentlichen den Plan eines Doppelbundes, wie ihn der liberale Reichsministerpräsident Heinrich von Gagern entwickelt hatte. Demnach sollte Preußen mit den übrigen deutschen Staaten, außer Österreich, einen engeren Bund bilden (Kleindeutschland). Dieser engere Bund, ein Bundesstaat, sollte dann mit ganz Österreich über einen weiteren Bund verknüpft sein. In einer Denkschrift vom 9. Mai bot die preußischen Regierung Österreich eine „Unionsakte“ an.

Dieser zufolge würden der deutsche Bundesstaat einerseits und die österreichische Monarchie andererseits die „deutsche Union“ gründen, als einen unauflösbaren völkerrechtlichen Bund, der dem Deutschen Bund geähnelt hätte, aber mehr Kompetenzen und eine Exekutive bekommen sollte: In diesem Direktorium mit Sitz in Regensburg wären Österreich und der Bundesstaat mit jeweils zwei Mitgliedern vertreten gewesen, wobei Österreich den „Geschäftsvorsitz“ innehaben durfte.

Doch Österreich lehnte den Doppelbund ab. Zu einer Konferenz in Berlin, die ab dem 17. Mai tagte, waren außer Preußen die vier übrigen Königreiche im Deutschen Bund vertreten: Bayern, Württemberg, Hannover und Sachsen. Die süddeutschen Königreiche lehnten eine Teilnahme am Bundesstaat ab, doch mit Sachsen und Hannover unterzeichnete Preußen am 26. Mai das „Dreikönigsbündnis“. Sachsen und Hannover räumten aber schon damals ein, dass sie der späteren Verfassung nur beitreten würden, wenn alle deutschen Staaten (außer Österreich) dies tun würden.

Die Kleinstaaten beispielsweise in Thüringen fühlten sich zunächst noch an ihre Zusage zur Frankfurter Reichsverfassung gebunden. Nach der endgültigen Absage des Preußenkönigs wurden die Bruchstellen zwischen Liberalen und Demokraten sichtbar, und die Unruhen bei der Reichsverfassungskampagne machten die Regierungen und die Liberalen empfänglich für die konservativere Unionspolitik. Doch es gab auch skeptische Stimmen, einerseits, weil Preußen offensichtlich seine Macht ausdehnen wollte, andererseits, weil in Thüringen ebenfalls Aufstände ausbrechen konnten, wenn die Regierungen plötzlich die Reichsverfassung aufgäben.

DIE ERFURTER UNIONSVERFASSUNG

Auf der Grundlage der Erfurter Unionsverfassung (ursprünglich: Reichsverfassung) sollte 1849/50 ein deutscher Bundesstaat entstehen. Der Verfassungsentwurf vom 28. Mai 1849 basierte auf der Frankfurter Reichsverfassung vom 28. März 1849. Träger des Projekts einer Erfurter Union war das Königreich Preußen. Es wollte zwar einen kleindeutschen Staat führen, aber auf Grundlage einer Verfassung, die konservativer als das Frankfurter Vorbild war.

Der Verfassungsentwurf vom 28. Mai 1849 wurde am 26. Februar 1850 durch eine Additionalakte geändert, der sie an die aktuellen Geschehnisse anpasste. Dazu gehörte auch der Namenswechsel des Bundesstaates von Reich zu Union. Das Erfurter Unionsparlament vom März und April 1850 beriet über die Verfassung, nahm den Entwurf aber als Ganzen an.

Am 28. Mai 1849 wurde ein Entwurf für die Verfassung des Deutschen Reiches vom 26. Mai 1849 veröffentlicht, den die drei verbündeten Regierungen als provisorische Ordnung annahmen. Der Entwurf wird heute oft als EUV abgekürzt, für Erfurter Unionsverfassung. Er hielt sich weitgehend an die Frankfurter Reichsverfassung (FRV), sowohl im Aufbau als auch in den Formulierungen. Zwei Drittel der Bestimmungen aus der FRV finden sich wörtlich in der EUV wieder.

Statt 197 hatte die EUV 195 Paragraphen. Die EUV stärkte aber die Regierung gegenüber der Volksvertretung und gab den Einzelstaaten mehr Rechte. Hans Boldt: „Der Frankfurter Verfassungskompromiss war in der neuen Vorlage sozusagen nach rechts verschoben“, denn die FRV beruhte auf der Verständigung von Liberalen und Demokraten, während die EUV einem Kompromiss zwischen liberalen Vorstellungen und den Regierungen gleichkam.

BUNDESSTAAT UND EINZELSTAATEN

Während die FRV vom bisherigen Bundesgebiet sprach und Österreich noch den Weg in das Reich offenhielt, ging die EUV von vornherein davon aus, dass das Verhältnis zu Österreich gesondert geregelt werden müsse. Der Union sollten diejenigen Staaten angehören, die dies wollten (§ 1 EUV). Im Gegensatz zur mehr einheitsstaatlich denkenden FRV spricht die Denkschrift davon, dass die Union nur leisten solle, wozu die Einzelstaaten nicht in der Lage seien (Subsidiaritätsprinzip). Außerdem sollte der Bundesstaat nicht mehr eigene Steuern erheben dürfen, sondern grundsätzlich auf Matrikularbeiträge der Einzelstaaten angewiesen sein, wie es später im Kaiserreich verwirklicht wurde.

OBERHAUPT

Das Oberhaupt des deutschen Bundesstaates, für das verfassungsmäßig der König von Preußen vorgesehen war, hieß in der EUV nicht mehr Kaiser, sondern Reichs- und später Unionsvorstand. In Bezug auf die Exekutive entsprachen die Rechte des Reichsvorstands dem Frankfurter Vorbild. In Bezug auf seine Rechte in der Gesetzgebung konnte der Reichsvorstand allerdings nur als Teil eines neuen Organs handeln, des Fürstenkollegiums (§ 65 EUV).

Das Fürstenkollegium durfte nicht nur Gesetzentwürfe vorlegen und den Beschluss von Gesetzen aufschieben, sondern auch Gesetze sogar verhindern, wodurch es ein absolutes statt eines suspensiven (aufschiebenden) Vetos, wie in der FRV vorgesehen, bekommen hätte.

Im Fürstenkollegium sollte es sechs Stimmen geben, je eine für (§ 67 EUV):
Preußen;
Bayern;

gemeinsam für Sachsen, Sachsen-Weimar, Sachsen-Coburg-Gotha, Sachsen-Meiningen-Hildburghausen, Sachsen-Altenburg, Anhalt-Dessau, Anhalt-Bernburg, Anhalt-Cöthen, Schwarzburg-Sondershausen, Schwarzburg-Rudolstadt, Reuß älterer Linie, Reuß jüngerer Linie;

  • gemeinsam für Hannover, Braunschweig, Holstein, Mecklenburg-Schwerin, Mecklenburg-Strelitz, Oldenburg, Lübeck, Bremen, Hamburg;
  • gemeinsam für Württemberg, Baden, Hohenzollern-Hechingen, Hohenzollern-Sigmaringen, Liechtenstein;
  • gemeinsam für Kurhessen, das Großherzogthum Hessen, Luxemburg und Limburg, Nassau, Waldeck, Schaumburg-Lippe, Lippe-Detmold, Hessen-Homburg und Frankfurt.
  • Bei Stimmengleichheit gab die Stimme des Reichsvorstandes den Ausschlag. Aus Sicht der bisherigen verfassungspolitischen Debatte sollte die EUV den erblichen Kaiser mit einem Direktorium verbinden.

PARLAMENT UND WAHLRECHT

Der Reichstag blieb mit seinem Zweikammersystem erhalten. Allerdings wurde das von Landesregierungen und -parlamenten ernannte Staatenhaus aufgewertet, in dem das Budgetrecht nun für beide Kammern gleichermaßen galt. Wegen des absoluten Vetos für das Fürstenkollegium und weil der Haushalt für drei Jahre gelten sollte, erhielt das Parlament insgesamt ein weniger hohes Gewicht.
Die wichtigste Änderung betraf aber das Wahlrecht. Sah das Frankfurter Wahlgesetz noch ein allgemeines, gleiches und direktes Wahlrecht vor, so legte das Erfurter Wahlgesetz ein „Dreiklassenwahlrecht“ fest.

Darauf hatten Hannover und Sachsen gedrängt. Es war sogar noch restriktiver als das preußische Vorbild, da nur wählen sollte, wer eine direkte Staatssteuer entrichtete und das Gemeindewahlrecht an seinem Wohnort hatte. [Diese Gedanken finden sich bei Konrad Adam wieder, der das Wahlrecht ebenfalls daran knüpft, wer ‚erwerbstätig‘ ist, denn nur Erwerbstätige zahlen Steuern, Hartz IV-Empfänger nicht.] Laut Denkschrift vom 11. Juni sollte die Reichsgesetzgebung in Zukunft die Wahlrechtsgrundsätze auch in den Einzelstaaten durchsetzen dürfen. Wegen des starken Gewichts Preußens hätte man befürchten müssen, dass das Dreiklassenwahlrecht überall eingeführt worden wäre.

Bei einem Dreiklassenwahlrecht wählen die Wahlberechtigten in drei Abteilungen (Klassen), von denen jede gleich viele Wahlmänner bestimmt. Diese Wahlmänner entscheiden dann über die Abgeordneten. In der ersten Klasse befinden sich einige wenige Reiche, in der zweiten Klasse eine größere Gruppe und in der dritten die vielen übrigen, ärmeren Wähler. Wegen dieser Ungleichheit lehnten die Demokraten die Union ab und boykottierten die Wahlen zum Erfurter Unionsparlament zum Jahreswechsel 1849/50. Die Liberalen konnten sich damit jedoch abfinden, war ihnen die Frankfurter Regelung eigentlich zu weit gegangen.

GRUNDRECHTE

Die Grundrechte der FRV wurden teilweise abgeschwächt, so mit einem Vorbehalt mit Blick auf Landesgesetze für Gebiete, in denen der Bundesstaat nicht zuständig war. [Vergleiche auch hier die Forderungen nach mehr Souveränität einzelner Bundesländer, die ihre Souveränität und Kompetenzen bei Gründung der Bundesrepublik Deutschland an den Bund abgegeben haben. Das soll wieder rückgängig gemacht werden. Weniger Kompetenzen für den Bund.] Die Abschaffung der Todesstrafe und des Adels als Stand wurden in der EUV rückgängig gemacht [Vergleiche auch hier die Bestrebungen der Adligen Beatrix von Storch], indirekte Beschränkungen der Pressefreiheit nicht mehr ausdrücklich untersagt.

Im Falle von Aufruhr sollte die Pressefreiheit aufhebbar und Sondergerichte statthaft sein. Die Trennung von Staat und Kirche wurde abgeschwächt. Davon abgesehen blieb der Kern von Grundrechten und rechtsstaatlichen Garantien der FRV erhalten.

Von Ziko van Dijk – Eigenes Werk, CC-BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=35768092

BEWERTUNG

Laut Gunther Mai war das Erfurter Unionsparlament eines der willfährigsten des 19. Jahrhunderts, mit Liberalen, die an die Grenze der Selbstverleugnung gegangen sind. So habe es von Demokraten und Konservativen „als blamable Episode mehr Spott als ernsthafte Würdigung erfahren“. In der Parlamentsgeschichte wurde es kaum beachtet. Dabei „debattierte [es] zweifellos nicht weniger leidenschaftlich und brillant als die Frankfurter Nationalversammlung, arbeitete indes zügiger und routinierter als diese, geführt von erfahrenen Präsidenten und geprägt von inzwischen ergebnisorientierten Parlamentariern.“

Nicht am Parlament, sondern an Preußen war die Union gescheitert. Wie die Schmach von Olmütz sollte auch das Unionsparlament möglichst schnell vergessen werden. Aber das Verfahren der Verfassungsvereinbarung wurde 1867 von Bismarck und den verbündeten Regierungen stillschweigend für den Norddeutschen Bund kopiert.

Und so erinnert auch die Erfurter Unionsverfassung an die Schweizer Demokratie- und Staatsform, in der die einzelnen Kantone (Bundesländer) mehr Souveränität besitzen als der Bundesrat, aber nach außen als eine Union auftreten. Die Einführung der direkten Demokratie hat nur ein Ziel: die jetzige Verfassung der Bundesrepublik Deutschlands, das Grundgesetz, abzuschaffen und eine neue Verfassung zu beschließen.

Auch die Rückkehr zu einer „Ständegesellschaft“, (der „Ständerat“ in der Schweiz bedeutet etwas anderes, Stand ist der alte Name für Kanton) in der „freie Bürger“, also Steuern zahlende Bürger, ein Wahlrecht haben und die Politik eines Staates bestimmen, widerspricht so ziemlich all dem, was in den letzten 70 Jahren an Realität gewonnen hat. Die Rückkehr eines Adelsstandes und eines Staatsoberhauptes (ob Monarch oder Präsident) mit weitreichenden Kompetenzen ist nicht nur reaktionär, sondern verträgt sich ebenfalls nicht mit einem modernen aufgeklärten Demokratieverständnis und Menschenbild.

Es liegt an den Menschen und Bürgern des 21. Jahrhunderts, ob sie sich weiter entwickeln oder einen Sprung von ca. 175 Jahren zurück machen wollen, in eine Zeit, in der weder Frauen noch Arbeiter Rechte hatten. In denen Boden, Arbeit und Kapital, um es mal mit den marxistischen Begriffen auszudrücken, in der Hand weniger Privilegierte lagen, die sich die Privilegien weder beschneiden noch wegnehmen lassen möchten, wie es eine Einführung und Verschärfung der Erbschafts- und Vermögenssteuer ihrem Verständnis nach tun würden. Das 21. Jahrhundert sollte geprägt sein von Frieden und Solidarität. Mehrere Kriege, nicht nur die beiden Weltkriege, in den letzten 200 Jahren, unzählige Revolutionen und Kämpfe um Rechte sind ein zu hoher Preis, um wieder in einen Konservatismus zurückzufallen, wie die AfD ihn wieder installieren will. Als „Liberale und Konservative“ sind sie einer Zeit verpflichtet, die es nicht mehr gibt und deren Rad man nicht zurückdrehen kann. Eine Diskussion sollte im 21. Jahrhundert auch nicht mehr über Liberalismus, Konservatismus und Sozialismus geführt werden, sondern vielmehr über Solidarität, Solidargemeinschaften, wie es Europa sein möchte.

Die Diskussion sollte darüber geführt werden, was Gleichheit und Gerechtigkeit bedeutet – und zwar für alle Menschen, die vor dem Grundgesetz und den europäischen Menschenrechten gleich sind. Obrigkeiten als von Gott eingesetzt, stehen Parlamenten mit von Menschen gewählten Vertretern im krassen Widerspruch. Dieses Denken und dahinter stehende Menschenbild ist weder konservativ noch sozialistisch, sondern einfach nur aufgeklärt und modern.

Björn Höcke will von Erfurt aus mit seinen Großdemonstrationen „Geschichte schreiben“. Die Rückkehr zu einer völkisch-nationalistischen und konservativen Politik von Erfurt aus starten. Dabei bedient er sich einer nationalsozialistischen Rhetorik und spricht und zieht Rechtsextremisten an. Aber Konservatismus, Liberalismus und Sozialismus sind politische Strömungen vergangener Zeiten. Wir sind heute alle weiter. Es liegt also nun an den Menschen und Bürgern des 21. Jahrhunderts, den „Erfurter Weg“ als eine Sackgasse in die Vergangenheit zu begreifen und hinter sich zu lassen und stattdessen den Weg zu einer modernen und offenen Gesellschaft hin zu beschreiten.