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Skandal! Tatverdächtiger Lübcke-Mörder heißt Mohammed mit Vornamen!

von | Jun 17, 2019 | Aktuelles, Kommentar

Habe ich Mohammed gesagt? Ich meinte natürlich Stephan.

Aber stellt euch vor, es wäre so gewesen. Ein „Migrant“ würde verdächtigt werden, Lübcke ermordet zu haben. Dann wäre aber was los gewesen, oder? Stellt euch den Hass in den sozialen Netzwerken vor, die AfD-PolitikerInnen, die sich mit Forderungen überschlagen. „Danke Merkel“ in allen Kommentarspalten. Übertrieben? Schauen wir uns erst einmal den Stand der Dinge an:

Kassels Regierungschef Dr. Walter Lübcke (65), CDU, wurde in der Nacht auf Sonntag am 2. Juni ermordet. Wegen eines Anti-Rechts-Statements im Jahr 2015 wurde er das Opfer von rechtsextremen Hass und Morddrohungen. Am Samstag wurde ein dringend Tatverdächtiger festgenommen. Die Bundesanwaltschaft geht von einer rechtsextremen Tat aus. Der Verdächtige ist wegen versuchten Totschlags verurteilt, hat einen Anschlag mit einer Rohrbombe auf ein Asylbewerberheim verübt und er spendete auch an die AfD (Quelle).

Die Rechtsextremen feierten zuerst den Mord, wie wir dokumentiert haben:

Grausam: So widerlich feiern Rechtsextreme den Mord an Lübcke

Und leugneten anschließend, dass die Möglichkeit besteht, dass der Mörder ein Rechtsextremer hätte sein können. Die AfD war bei all dem auch mit von der Partie.

Rechtsextremer Verdächtiger bei Lübcke-Mord: Nazis hetzen schamlos weiter & rufen „Lügenpresse“

Die Diskrepanz in der Berichterstattung unter den seriösen Medien und erst Recht in der rechtsextremen Medienwelt zwischen dem Fall Lübcke und anderen Vorfällen, haben wir in dieser Analyse im Vergleich zum Angriff auf den AfD-Politiker Magnitz verdeutlichen können. Im Fall Lübcke haben die Medien richtig vorsichtig berichtet und nichts skandalisiert – etwas, das sie sonst nicht beachten.

Analyse Kantholz vs. Lübcke: Warum über Lübckes Tötung weniger berichtet wird als über Magnitz



Gibt’s einen AfD-Trauermarsch?

Seit bestätigt wurde, dass die Staatsanwaltschaft von einer rechtsextremistisch motivierten Tat ausgeht und wohl auch eine erdrückende Beweislage mit DNA-Treffer vorliegt, ist die rechtsextreme Blase jedoch auffällig ruhig. Die Recherchegruppe #DieInsider berichtet nur von wenigen Posts. Die größten AfD Accounts schweigen zum Thema. Spekulationen und Unterstellungen sind unschön, aber um zu wissen, dass diese Ecke sich nicht derart zurückgehalten hätte, wenn obige Schlagzeile wahr gewesen wäre, muss man nicht weit schauen.

Nehmen wir den Fall Viersen. Die AfD und die rechte Filterblase schäumte gegen Merkel, weil ein junges Mädchen ermordet wurde. Also nicht, weil die junge Frau ermordet wurde, denn es gibt viele ermordete Frauen, die von der AfD nie erwähnt werden (Beispiele). Nein, sondern weil die AfD dachte, es sei ein „Türke“ oder ein „Nordafrikaner“ gewesen. Doch das stimmte nicht, mehr dazu:

Viersen-Mörder KEIN Türke: Das kommt davon, wenn man zu früh hetzt

Nur straftaten von ausländern sind interessant

Genau deshalb gibt es einen Unterschied zwischen „Täter“ und „Tatverdächtigen“. Oder nehmen wir Bottropp, wo ein Mann mit der „klaren Absicht, Ausländer zu töten“ eine Amokfahrt verübte. Rechte und die AfD behaupteten oder spekulierten nach den ersten Meldungen offen, ob es wieder ein islamistischer Anschlag gewesen sei. Oder Amberg, wo vier angetrunkene Jugendliche mehrere Menschen verprügelten. Das Skandalöse? Es waren Asylbewerber. Wie die rechtsextremen Reaktionen aussahen:

SOHO Minden, Amberg, Bottrop: So extrem sind rechte Verdrehungen & Verharmlosungen

Dass gleichzeitig 20 deutsche Jugendliche Passanten krankenhausreif geprügelt hatten, beachtete hingegen niemand (Mehr dazu). Ein (zu Unrecht) beschuldigter Asylbewerber machte Schlagzeilen, weil er eine 14-jährige vergewaltigt haben soll, aber ein verurteilter rechtsextremer Deutscher, der eine 14-jährige vergewaltigte, bekam gerade mal einen einzigen Zeitungsartikel (Mehr dazu).

Jedes Mal, wenn die Tatverdächtigen (Nicht Täter!) auch nur ansatzweise nicht-deutsch sein könnten (zum Beispiel, wenn sie Mohammed heißen, aber Deutsche sind), wird die rechte Propaganda-Maschinerie angeworfen, um Verschwörungen, Vermutungen und Unterstellungen zu verbreiten. Selbst wenn sich in Fällen wie Bottropp oder Viersen die Sache ganz anders herausstellt. In einer Analyse Mittels Mediacloud stellten wir fest, dass bei den rechten Medien und rechtsextremen Blogs der Mordfall Lübcke so gut wie gar nicht behandelt wird:

Heuchelei der AfD

Noch einmal: Ich fordere nicht, dass jetzt ebenfalls journalistische Standards über Bord geworfen werden und wir jemanden öffentlich verurteilen, bevor endgültig feststeht, dass er die Tat begangen hat. Obwohl, wenn man sich das Vorstrafenregister und den neonazistischen Hintergrund des Tatverdächtigen anschaut, dieser durchaus viel Verachtung verdient. Wenn bisher auch noch nicht für den Mord. Er ist ein polizeibekannter Neonazi und zumindest schon versuchter Mörder.

Aber es sollte klar sein, dass die AfD und die „alternativen“ Medien bei allem Gerede von „Sicherheit“ kein bisschen Sicherheit im Sinne haben. Sondern nur die Dämonisierung von Menschen mit Migrationshintergrund und Nichtdeutschen. Die AfD und ihre AnhängerInnen sind Rassisten, schlicht und ergreifend. Daran ändert auch das Feigenblatt der Polizeistatistik nichts (Mehr dazu). Deutschland ist nämlich so sicher wie seit der Wiedervereinigung nicht mehr. Es ist nachgewiesen, dass die AfD fast ausschließlich über Straftaten von Nicht-Deutschen berichtet und damit den Großteil einfach verschweigt.

Kriminalität: So realitätsfern ist die „alternative“ Sicht der AfD-Wähler

Und die seriösen Medien lassen sich davon beeinflussen. Warum das so ist, habe ich hier ausführlicher erklärt. Und nein, es ist nicht weil die meisten Redaktionen heimlich die AfD stark machen wollen. Sondern umgekehrt, weil die entsprechende „alternative“ Medienwelt, Bots, Fake-Accounts und Hetz-Netzwerke fehlen, die gezielt Meldungen herauspicken und skandalisieren und einen wirtschaftlichen Anreiz schaffen. Sie wollen erreichen, dass „ihre“ Themen die meiste Aufmerksamkeit bekommen. Und es klappt leider.

Wo sind die Talkshows?

Nein, der Mordfall um Lübcke sollte nicht skandalisiert werden. Und nein, wir sollten die Polizei und Staatsanwaltschaft erst ihre Arbeit machen lassen, bevor wir zu Folgerungen springen. Aber sollte sich der dringende Tatverdacht erhärten, müssen wir endlich eine Diskussion führen, die schon längt überfällig ist: Dass Deutschland ein Problem mit Rechtsextremismus hat.

Und nein, Verharmlosungsversuche, die jedes Mal daraufhinweisen, dass „jeder Extremismus“ zu verurteilen ist, hindert diese Debatte, denn auch wenn man jeden „Extremismus“ verurteilen sollte, so sind die Dimensionen völlig andere. Linksextreme haben nicht 190 Menschen seit 1990 umgebracht. Es gibt keine linksextreme Gruppe bei der Polizei (Quelle), oder bei der Bundeswehr (Quelle). Es werden keine Drohfaxe mit „RAF 2.0“ versendet (Sondern NSU 2.0, Quelle) und es gibt keine im Bundestag vertretene Partei, die Mitarbeiter von vom Verfassungsschutz überwachten Gruppen einstellt. Oder selbst überwacht werden könnte. Und vieles mehr:

9 Vorfälle allein im Jahr 2019: So rechtsextrem ist Deutschland bereits

Falsche Prioritäten

Anstatt uns stärker nach Rechts abzugrenzen, die AfD konsequent zu ächten, die offen Rechtsextreme und Neonazis in ihren Reihen bis in die höchsten Ämter toleriert, deren rechtsextremer Flügel der stärkste der Partei ist, reden einige davon – und kriegen unverständlicherweise viel Presseresonanz dafür -, dass die CDU mit der AfD koalieren könnte. Oder dass man „Rechts“ mehr tolerieren solle (Mehr dazu). Und jetzt hat vielleicht einer von ihnen einen Politiker umgebracht. Dafür ist es viel zu ruhig in diesem Land. Wäre der Täter ein „Mohammed“ und kein „Stephan“, sähe das anders aus.

Artikelbild: Aaron Amat, shutterstock.com