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Butscha-Leugner springt Wagenknecht zur Seite nach „Hart aber Fair“

von | Mrz 2, 2023 | Faktencheck

INHALTSWARNUNG: im folgenden Artikel findet sich an mehreren Stellen sexualisierte, sowie weitere körperliche Gewalt in schriftlicher Darstellung!

Ein Pro-Kreml-Propagandist leugnete die Massaker in Butscha. Jetzt verteidigt er Sahra Wagenknecht mit Desinformation.

Das Leugnen von Kriegsverbrechen ist eine der schlimmsten Formen von Kriegspropaganda. Und der Kreml war besonders in der ersten Phase des Kriegs sehr stark darauf fokussiert. Für die Mörderbanden Putins ist diese Propaganda eine Ablenkung, um ungestört und gestraft vergewaltigen und töten zu können. Wenn Putins Leute sicher sein können, dass alle ihre Verbrechen relativiert und in Zweifel gezogen werden, können sie schlimmste Grausamkeiten folgenlos begehen. Die Brigade, die für die Massaker in Butscha verantwortlich war, wurde von Putin sogar ausgezeichnet.

Deshalb sind Kriegsverbrechen auf russischer Seite eben keine Einzelfälle, sondern systematische Taten. Es ist (im Gegensatz zu ukrainisch kontrollierten Gebieten) niemand da, der die Täter verurteilt oder sie von ihren Taten abhält. Im Gegenteil: Putins Propaganda schafft erst den rechtsfreien Raum, in dem sich die Täter sicher fühlen können. Auch die UN stellt fest: Egal, ob Vergewaltigungen oder Tötung oder Misshandlung von Kriegsgefangenen: Russische Kriegsverbrechen sind systematisch, auf ukrainischer Seite gibt es Einzelfälle, die aber von der Ukraine verurteilt und bestraft werden.

Faktencheck: Was über (russische) Kriegsverbrechen bekannt ist

Was über Kriegsverbrechen bekannt ist: Bisher hat nur Russland zivile Ziele – auch Zivilisten – in der Ukraine angegriffen, aber die Ukraine keine zivilen Ziele in Russland. Auf der Grundlage der gesammelten Beweise sei die Kommission zu dem Schluss gekommen, „dass in der Ukraine Kriegsverbrechen begangen wurden“. Die UN bestätigt eine hohe Anzahl an Exekutionen und Folterungen durch russische Truppen. Russland wird ein „Katalog der Grausamkeit“ vorgeworfen, voller „außergerichtlichen Hinrichtungen, sexueller Gewalt, Folter und anderer unmenschlicher und erniedrigender Behandlung von Zivilisten und Kriegsgefangenen“. Auf der anderen Seite werden auch „zwei Vorfälle von Misshandlungen von Soldaten der Russischen Föderation durch ukrainische Streitkräfte“ untersucht.

Auch wird Russland vorgeworfen, systematische Vergewaltigungen als Kriegswaffe einzusetzen. Es sind viel zu viele Fälle, als dass man sie zählen könnte. Laut UN-Sonderbeauftragter Pramila Patten sind die bekannten Opfer zwischen vier und 82 Jahre alt. Die meisten seien Frauen und Mädchen, aber auch Männer und Jungs würden sexuell misshandelt.

Wenn „Frauen und Mädchen tagelang gefangengehalten und vergewaltigt“ würden, wenn „kleine Buben und Männer“ vergewaltigt würden, „wenn wir Genitalverstümmelungen sehen, wenn man die Aussagen von Frauen hört, die von mit Viagra ausgerüsteten russischen Soldaten berichten, dann ist das eindeutig eine militärische Strategie“. Es sind nur die Fälle, die bekannt wurden. Auch die UN lastet den Großteil der Taten der russischen Armee an. In einem UN-Bericht vom Juli 2022 wurden auch in zwei Fällen sexualisierte Gewalt den ukrainischen Streitkräften vorgeworfen, in späteren Berichten werden wieder nur noch russische Täter zugeordnet. Es ist also klar: Für das Ausmaß der Verbrechen der russischen Armee – die darüber hinaus einen illegalen Angriffskrieg verübt – gibt es keinen Vergleich.

Leugnung russischer Kriegsverbrechen

Einer dieser Pro-Putin-Propagandisten und Desinformationsverbreiter ist Manaf Hassan. Wir hatten seine Propaganda bereits analysiert. Er hat genau das getan, was ich eben geschrieben habe: Er macht seit Monaten nichts anderes, als den illegalen Angriffskrieg und die Kriegsverbrechen der russischen Armee zu relativieren. Russische Soldaten haben Zivilisten von Butscha ermordet, das hat die UN offiziell festgestellt. Nachdem die russischen Truppen sich am 31. März 2022 zurückgezogen hatten, meldete Butschas Bürgermeister Anatoly Fedoruk Anfang April den Mord an mindestens 300 Zivilist:innen. Rund 280 seien von russischen Soldaten in Massengräbern verscharrt worden, dazu säumten 20 weitere Leichen eine Straße.

Wir hatten das Thema bereits letztes Jahr behandelt, und die Zeitlinie der Befreiung von Butscha rekonstruiert. Dabei zeigte sich, dass die Videos über Leichen in Butscha bereits kurz nach der Befreiung auftauchten. Russische Lügenpropaganda nutzte den Zeitverzug, der entstand, da westliche Medien erst zwei Tage später über diese Videos berichteten – auch weil sie die Lage vor Ort erst verifizierten. Der Bürgermeister von Butscha sprach aber sogar am Tag der Befreiung selbst von Menschenrechtsverletzungen.

Später belegten auch Satellitenbilder und Drohnenaufnahmen, dass die Leichen in Butscha unter russischer Besatzung auftauchten:

Wir haben sogar eine Anleitung geschrieben, wie ihr die Satellitenbilder auch kaufen könnt, um die Analyse der NY Times selbst zu wiederholen und euch selbst zu überzeugen, wie die Pro-Putin-Propagandisten euch belügen:

Manaf Hassan wurde für seine Leugnung der russischen Schuld an den Verbrechen sogar 7 Tage von Twitter gesperrt. Nach seiner Entsperrung wiederholt er es ohne Einsicht. Uns ist nicht bekannt, dass er bis heute die russische Schuld an den Massakern anerkannt hätte:

Butscha-Leugner will Wagenknechts Relativierungen relativieren

Derselbe Lügner springt nun Wagenknechts Relativierung von Vergewaltigungen und Kriegsverbrechen zur Seite. Wagenknecht hatte vor wenigen Tagen russische Kriegsverbrechen relativiert, indem sie von Verbrechen auf „beiden Seiten“ gesprochen hatte. Das ist die typische Strategie des Whataboutismus, also dem Ablenken von einem Verbrechen mit einer anderen Tat. Dabei soll der Eindruck erweckt werden, dass beide Seiten gleich schlimm sind. 

Das ist natürlich in diesem Fall völlig absurd. Russland führt einen illegalen Angriffskrieg, an dem ganz allein Putin Schuld ist. Er hat den Einmarsch befohlen, ohne den es den Krieg nicht geben würde. Seine Soldaten haben ganz offensichtlich Straffreiheit in den besetzten Gebieten und dürfen dort offenbar foltern, morden und vergewaltigen so viel sie wollen. Es ist also auch klar, dass man mit vereinzelten Kriegsverbrechen ukrainischer Soldaten (, die es ohne Putins Krieg auch nicht gäbe) nicht die monströsen Verbrechen von Putins Mördern aufwiegen kann. Doch auch so relativiert ein buchstäblicher „Bothside-ism“ die russischen Kriegsverbrechen, weil das Ausmaß und die Anzahl einfach nicht vergleichbar sind.

Entsprechend konterte Louis Klamroth Wagenknecht in seiner Sendung „Hart aber fair“ mit einem UN-Bericht, der zeigte, dass Vergewaltigungen auf russischer Seite Teil der Kriegsstrategie (!) sind. Dies ist auf ukrainischer Seite laut UN Angaben nicht der Fall – wie auch, die Ukraine führt ja auch einen Krieg zur Selbstverteidigung. Über diese Auseinandersetzung und über das grundsätzliche Problem der Faktenchecks in Live-Sendungen haben auch wir einen Artikel verfasst:

Die weitere Entwicklung unterstreicht umso mehr die Grundaussage unseres Textes: Komplexe Sachverhalten und Fakten hat man nicht ad hoc zur Hand.

Manaf Hassan manipuliert mit zugeschnittenem Screenshot

Der Desinformationsverbreiter Manaf Hassan verbreitet nun einen Screenshot, auf dem zu lesen ist, dass es auf ukrainischen Gebiet Vergewaltigungen gab: 

Sein Ziel ist es – erneut – die russischen Kriegsverbrechen zu relativieren und die Versuche von ihm so lästigen Faktenchecks zu diskreditieren. Dabei lässt er, weil er ein Pro-Putin-Propagandist ist, natürlich den entscheidenden Punkt weg:

„Auch in diesem Bericht wird der Großteil der verübten Verbrechen Russland angelastet“ – wer diesen Satz BEWUSST weglässt, beteiligt sich wieder an der Relativierung von Kriegsverbrechen. Tatsächlich zeigen die Berichte, die ja nur deshalb überhaupt geschrieben werden konnten, weil entsprechende Gebiete aus russischen Händen befreit werden konnten, dass die UN-Ermittler tatsächlich alle Kriegsverbrechen gleichermaßen ermitteln.

Sie kommen aber nun mal zu dem Schluss, dass die russische Invasionsarmee für den absoluten Großteil davon verantwortlich ist. Nochmal: Für die Ukraine ist das ein Verteidigungskrieg, für Russland ein Angriffskrieg. Die Ukraine greift keine russischen Zivilisten an. Die Ukraine verübt keine Massaker an der russischen Zivilbevölkerung und setzt nicht Vergewaltigungen als Kriegswaffe ein, wie es Russland tut.

Weiter heißt es – auch das lässt er weg, um sein Publikum zu manipulieren: 

„In einem Bericht aus dem September werden den russischen Streitkräften 30 Taten sexualisierter Gewalt vorgeworfen, den ukrainischen Streitkräften zwei Fälle. In einem Folgebericht der UN-Menschenrechtskommissarin aus dem Dezember ist von 86 Fällen sexualisierter Gewalt im Zusammenhang mit dem Krieg die Rede, ukrainische Täter werden nicht erwähnt.“

Die Aussagen in der Sendung, dass der UN keine Fälle von Vergewaltigungen (!) durch ukrainische Soldaten bekannt seien, ist hingegen korrekt. Zwar haben auch ukrainische Soldaten in zwei Fällen sexuelle Gewalt begangen, in der Sendung ging es aber um Vergewaltigungen.

Fazit: Russland ist der Täter

Es ist gut und richtig, dass wir die Augen vor Verbrechen von Ukrainern nicht verschließen. „Der Umstand, in der Position des Verteidigers zu sein, entbindet das ukrainische Militär nicht davon, das interna­tio­nale Völkerrecht zu respektieren“, heißt es in einem Bericht von Amnesty International. Das unterscheidet uns von Putins Mörder-Regime. Und das unterscheidet auch die Ukraine davon.

Als Misshandlungen russischer Soldaten durch ukrainische Streitkräfte bekannt wurden, hat die Ukraine diese eindeutig als Kriegsverbrechen benannt, verbal verurteilt und Strafen angekündigt. Selenskyj-Berater Oleksiy Arestovych sagte, das sei „ein absolut inakzeptables Verhalten. Das ist ein Kriegsverbrechen“. Die Verantwortlichen würden „hart“ bestraft werden. Die ukrainische Regierung nehme die Kriegsverbrechensvorwürfe „sehr ernst“. „Wir misshandeln keine Kriegsgefangenen, wir sind eine europäische Armee.“ Putin gibt russischen Soldaten, die hunderte Zivilisten ermorden, hingegen Abzeichen. Auch darum ist es Relativierung.

Aber Wagenknecht und Manaf Hassan BENUTZEN diese wenigen Taten, um unzählige russische Verbrechen zu relativieren. Es ist eine unehrliche Debatte und eine verzerrte Darstellung.

Denn das Ungleichgewicht in den Kriegsverbrechen ist offensichtlich, allein schon deshalb, weil Russland durch die Annexion der Krim 2014 und jetzt seinen illegalen Angriffskrieg überhaupt erst den Krieg begonnen hat, der fast ausschließlich auf ukrainischen Territorium stattfindet. Erschreckenderweise ist es auf russischer Seite Teil der Kriegsstrategie, Menschen zu foltern und zu vergewaltigen.

Wir kennen bisher nur den Bruchteil der Grausamkeiten, der in den Gebieten stattgefunden hat, die nun von der Ukraine zurückerobert worden sind. Kreml-Propagandisten tragen dazu bei, die schrecklichen Verbrechen mit Whataboutismen und dem Schüren von Zweifeln zu decken. Es gibt einen Raum der Rechtlosigkeit, in welchem Putins Mörder und Verbrecher keine Konsequenzen für ihre Taten fürchten müssen, der auch dadurch existieren kann, wenn wir diese Lügen durchgehen lassen. 

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