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Diese unglaublichen Aussagen von Attila Hildmann musst du teilen!!1

von | Jul 9, 2020 | Aktuelles, Kolumnen, Schwer verpetzt

Oder: Aufklärung vs. Plattform bieten

Ok mit diesem Clickbait-Titel habe ich etwas geflunkert. Denn du wirst sehr wohl glauben, was der Verschwörungsideologe Hildmann jeden Tag so verbreitet. Der ehemalige Kochbuchautor postet täglich nur noch antisemitische Märchen und verschwörungsideologische Mythen, garniert mit rechtsextremen Vokabular. So postet der Verschwörungsideologe beispielsweise kürzlich nicht nur eine Reichskriegsflagge, sondern auch den Text der ersten Strophe des Deutschlandliedes. Er wird inzwischen auch schon vom Staatsschutz überprüft und dutzendfach angezeigt.

Das wissen wir schon, darüber hat auch Volksverpetzer schon mehrfach berichtet. Und hier ist der Knackpunkt: Bei Rechtsextremen, bei Hetzer*innen, bei Verschwörungsideolog*innen bewegt man sich auf einem schmalen Grat zwischen wichtiger Aufklärung, Warnung und der kostenlosen PR für toxische Ideologien. Der Versessenheit der Medien für die kruden Thesen der AfD, für die Lächerlichkeit Trumps wird eine Mitschuld am Erfolg von Rechtspopulisten und -extremisten gegeben. Nicht zu Unrecht.

Durch den bloßen Akt der Aufmerksamkeit verleihst dem betreffenden Subjekt ein Werkzeug der Selbstinszenierung. Doch wer hier mit der Lektion davon kommt, dass man nie und auf gar keine Weise über Nazis und Verschwörungserzähler sprechen darf, der hat das Problem nicht verstanden. Ich will nicht sagen, dass wir bei Volksverpetzer immer alles richtig gemacht haben, aber es gibt Personen und Ideologien und Zeitpunkte, in denen ein Ignorieren einem Wegschauen gleich käme. Wann macht man was?

Framing…

Ein großer Teil der Provokationen, der unglaublichen Aussagen und der absurden Behauptungen hat schlicht und ergreifend das Ziel, Aufmerksamkeit zu erzeugen. Egal ob AfD, Trump oder ein Attila Hildmann: „Das hat er nicht gesagt!“ hat in sich einen Erzählwert. Jede*r will den Screenshot aus dem Telegram-Kanal sehen. Und Medien können Klicks und Werbeeinnahmen generieren, wenn sie sich darüber Empören oder Aufregen. Oder zumindest ihre Leserschaft die Möglichkeit dazu bieten. Empörung und Wut sind die wichtigsten Katalysatoren für Viralität in Social Media. Neben Auslachen der out-group natürlich.

Und hier schlagen die Hetzer*innen die Medien mit ihren eigenen Waffen. Denn wer „neutral“ darüber berichten will – was in der Theorie ja ein erstrebenswerter Anspruch ist – wird diese irren oder volksverhetzenden Lügen unkommentiert reproduzieren. Man wird „sachlich“ den oder die Hetzer*in zitieren (Es sind meisten Hetzer). Man will ja die Empörung und die Klicks der Leserschaft, aber man will nicht parteiisch erscheinen, sondern man berichtet ja nur unkommentiert darüber. Der Effekt? Die zuvor hirnrissigen Behauptungen und Lügen stehen plötzlich gleichwertig in der Zeitung neben ernst zunehmenden Zitaten und Berichten.

Natürlich erkennen viele selbst den Antisemitismus, die Verschwörungsideologie, den Rechtsextremismus und verurteilen ihn. Aber eben nicht alle. Die lesen dann plötzlich über einfache Weltbilder und Lügen, die ihnen ganz sympathisch erscheinen. Und wer ist eigentlich dieser Kochbuchautor, der diese tollen Sachen sagt? Dem muss man folgen und mehr über ihn und seine Thesen lesen… und letzten Endes sind die Medien durch diesen Mechanismus mitverantwortlich dafür, dass mehr Menschen in den Sog gezogen werden. Man darf diese Hetze nicht nur zitieren. Man muss sie auch kritisch einordnen und faktenchecken. Eine Lüge darf nicht gleichwertig neben der Wahrheit stehen, und erst Recht nicht alleine. Mehr dazu habe ich hier schon erklärt:

Das Wahrheits-Sandwich: Sich über Nazis & Verschwörungsgläubige richtig aufregen

…und kritische Masse

„Schenkt dem doch nicht Aufmerksamkeit!“ ist ein richtiger Einwand. Aber zum einen sind wir ein Blog, der sich gezielt mit Fake News, Hetze, Verschwörungsmythen und Rechtsextremismus auseinandersetzt und darüber aufklärt. Würden wir Hetzer*innen immer ignorieren, wäre dieser Blog leer. Und, wie gesagt, wir machen sicher auch Fehler – wir lesen täglich in Aluhut-Telegram-Kanälen, rechtsextremen AfD-Hetz-Gruppen und Bücher darüber, wie Verschwörungmythen funktionieren. Da verliert man sich sicher mal im Klein-klein.

Aber ihr dürft uns glauben – ihr wisst gar nicht, über wie viele Dinge wir nicht berichtet haben, um ihnen keine Aufmerksamkeit zu schenken. Auch wenn es spannende Geschichten gewesen wären. Weil es sich nur am kollektiven Gaffen beteiligt hätte. Bei beinahe jedem Artikel grübeln wir lange darüber nach und wägen ab. Aber hier kommt die kritische Masse ins Spiel: Wenn ein Verschwörungsideologe oder ein Nazi einen gewissen Punkt an Reichweite erlangt, entweder weil tausende deren Screenshots teilen (was gefährlich ist!) oder ohnehin alle Medien darüber schreiben, dann kann man ihn nicht versehentlich berühmt machen, weil er das schon ist.

Dann wird es wichtiger, vor den schlimmsten Seiten der Ideologie zu warnen. Die Arbeit zu übernehmen, die in unkritischen Medien und in Social Media nicht gemacht wird (oder werden kann). Wenn wir dann berichten, dann so, dass keinen Zweifel darüber bestehen kann, was hinter der Ideologie steckt. Wenn Attila Hildmann ganz aktuell wieder unverblümt antisemitische Verschwörungstheorien teilt, wie sie buchstäblich von den ursprünglichen Nazis unter Hitler verbreitet wurden, dann muss davor gewarnt werden. Dann müssen alle gewarnt werden, wer dieser Mann ist. Dann müssen sich die Behörden einschalten.

Ganz aktuelle Screenshot – mit alter Nazi-Propaganda neu verpackt

Wie ihr dabei helfen könnt, haben wir hier erklärt:

Teile diese Anleitung, um zu verbreiten, wie man Aluhüte wie Hildmann & Co anzeigt

Ich sehe nur noch Hildmann – Screenshots

Wenn wir über Mechanismen und Aktionen von Rechtsextremen berichten, versuchen wir nach Möglichkeit zu vermeiden, deren Namen zu erwähnen. Verlinkt nicht ihre Seiten. Wenn ihr Dinge belegen wollt, nehmt Screenshots. Weniger ist mehr. Wir müssen über die Ideologie reden, über ihre Taktiken, über ihre gezielte Selbstverharmlosung. Damit nicht der WDR „versehentlich“ einen Urlauber mit Nazi-Tattoo interviewt (Quelle). Ein Beispiel, wie wir aufklären, ohne Aufmerksamkeit für die Vertreter*innen gefährlicher Ideologien zu schaffen, ist hier:

Rechtsextremist wollte Marken für Rassismus missbrauchen – das ging nach hinten los!

Und ich verstehe die Verführung, den nächsten Screenshot von Attila Hildmann zu teilen. Aber wenn ihr das macht, zensiert vielleicht Teile des Screenshots, die nicht relevant sind, um seine Aussagen nicht als „blinden Passagier“ mitzutragen. Markiert den Screenshot mit einem „Fake“ Hinweis, dass niemand deinen Screen teilt, weil er die Message darin gut findet. Denkt dran, die Fakten dazu zu schreiben und Lügen und Hetze konkret als solche zu benennen. Zeigt Dinge an, die strafbar sein könnten, protestiert dagegen, wenn Lügen von Medien nicht eingeordnet werden. Wenn sie sich zum Helfershelfer der Verbreitung machen.

Es gibt einen Grund, warum die Verschwörungsideologen und Nazis Menschen, die über ihre Ideologie aufklären, ignorieren. Attila Hildmann meint, Volksverpetzer solle man keine Aufmerksamkeit schenken. Weil er weiß, dass es uns hilft, wenn unsere Screenshots und Artikel in seinen Gruppen landen. Weil seine Follower*innen dann die Gefahr laufen, mit der Wahrheit hinter seinen Lügen konfrontiert zu werden. Umgekehrt ist es ähnlich. Es gibt einen Grund, warum in der rechtsextremen Filterblase alle Andersdenkenden geblockt werden und man nur gefälschte oder aus dem Kontext gerissene Screenshots und Videos teilt: Damit niemand mit der Wahrheit über ihre Lügen in Berührung kommt, sondern nur mit einer Karikatur davon.

Fall für die Behörden, nicht Twitter-Trends

Attila Hildmann will seine Gegner*innen „ins KZ“ stecken, wenn er „die Macht hat“, er erzählt, dass jüdische „Geheimgesellschaften“ die Welt kontrollieren würden, bezeichnet sich als rechts von der AfD, die in großen Teilen bereits vom Verfassungsschutz als rechtsextrem überwacht wird, setzt Kopfgelder auf Andersdenkende aus (Quelle) und stellt Journalistinnen, die darüber berichten, mit Name und Emailadresse an den Pranger und lügt pausenlos über die Corona-Pandemie und Bill Gates. Seine Mythen-Highlights haben wir hier schon mit Fakten zerlegt:

Wir haben die Antwort von Verschwörungsideologe Attila Hildmann auf Rezo zerlegt

Aber irgendwann ist das alles gesagt und alles erklärt. Der Imbissbesitzer ist mit seinen Produkten bei fast allen Läden ausgelistet worden, wir haben hier berichtet. Er ruiniert sich sein Geschäft und der Aufprall auf das harte Pflaster der Justiz wird schmerzhaft werden. Aber seine Reichweite schwindet, die Märchen, Lügen und antisemitische Hetze wiederholen sich. Man muss ich fragen: Welchen Mehrwert hat der hunderste Screenshot der immer gleichen Hetze? Wir wissen inzwischen, dass dieser Mann geächtet gehört.

Analyse: Attila Hildmann & Co kämpfen mit Bedeutungslosigkeit auf Telegram

Zeigt seine strafbaren Inhalte an. Und wenn es eine neue Entwicklungen geben würde, werden auch wir beim Volksverpetzer wieder berichten. Bis dahin muss man abwägen, ob man die Grenze zu Schaulustigkeit und „Plattform bieten“ überschreitet oder noch Aufklärung betreibt. Wenn jemand noch nicht über ihn bescheid weiß, die Artikel mit Belegen gibt es schon. Es ist verführerisch, auch für viele Medien. Auch für uns. Wer nicht widerstehen kann: Achtet auf die kritische Einordnung, das richtige Framing und das Ummanteln der Lügen mit den Fakten. Ansonsten ist das mächtigste Werkzeug gegen diese Hetze (neben der Strafverfolgung): Das Verpuffen in der eigenen Filterblase.

Artikelbild: Christophe Gateau/dpa


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