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Das Patriarchat – wie lange gibt es das schon? Eine Expertin klärt auf

von | Aug 28, 2023 | Analyse

DNA, Skelett und Grabbeigaben versus Selbstwahrnehmung

Soviel also erst mal zu den Schwierigkeiten, überhaupt das biologische Geschlecht einer in prähistorischer Zeit verstorbenen Person zu bestimmen.

Damit ist es ja aber nicht genug, denn jetzt geht es an die Interpretation dessen, was man während der Ausgrabung
beobachtet hat. Und da kommen wir zu dem, was man im Englischen als „Gender“ bezeichnet.

Man kann es an dieser Stelle nur wiederholen: eine tote Person, vor allem, wenn diese Person vor 900, 3000, 6000 Jahren verstorben ist, kann man nicht mehr danach fragen, ob sie sich als Frau oder Mann oder beides oder weder-noch gefühlt hat. Alles, worauf man sich als Archäologe stützen kann, was die Außenwahrnehmung einer Person betrifft, sind die Grabbeigaben, die ja auch nicht von der Person selbst mit ins Grab genommen, sondern von den Hinterbliebenen mit begraben werden (zumindest ist das stark anzunehmen, andernfalls landen wir bei Geistern, Wiedergängern und generell im eher esoterischen Spektrum).

Letzten Endes arbeiten Archäologen also nicht notwendigerweise mit den Beigaben, die eine Person für sich selbst gewählt hat, sondern mit dem, was andere Leute dachten, dass diese Person mit ins Grab bekommen sollte. Das kann natürlich mit der Selbstwahrnehmung einer Person zu ihren Lebzeiten sehr gut übereinstimmen, aber es kann auch sein, dass eine Person mit Gegenständen beerdigt wurde, die sie selbst niemals ins Grab hätte haben wollen.

Grab nach Schema

Zugegeben, prähistorische Bestattungen sind, wie weiter oben erwähnt, oft bis zu einem gewissen Grad „genormt“. Das bedeutet, bestimmte Personengruppen bekamen regulär bestimmte Gegenstände mit ins Grab. Frauenskelette zum Beispiel werden oft mit Perlen oder anderem Schmuck gefunden – oder ab und zu auch mit sehr spezifischen Objekten wie beispielsweise einem Ring im Beckenbereich, der einen Uterusprolaps verhindern sollte. Männer- wie Frauenskelette finden sich meist mit Fibeln, den Sicherheitsnadeln der Prähistorie, weil diese nun mal die Kleidung zusammenhielten, mit der sie beerdigt wurden. Die Art der Fibeln kann dabei dieselbe für Männer- wie Frauenskelette sein oder es können unterschiedliche Fibeltypen sein, das kommt immer auf die Zeit und Region an.

Und dann gibt es natürlich auch noch die Waffengräber, die traditionell als Männergräber interpretiert werden. Das allein ist ein riesengroßer Diskussionskomplex innerhalb der Archäologie, auf den hier genau aus diesem Grund nicht eingegangen werden soll, abgesehen von dieser Anmerkung: ob ein Schwert in einem Grab von der Person, mit deren Skelett es gefunden worden ist, auch tatsächlich aktiv benutzt wurde, davon kann rein aufgrund der Tatsache, dass die beiden zusammen begraben wurden, nicht ausgegangen werden. Das gilt sowohl für Männer- wie Frauenskelette.

Aufgrund dieser Überschneidungen bestimmter Objektgruppen und -typen können Gräber also auch einem bestimmten biologischen Geschlecht zugeordnet werden – ob das nun aber mit dem biologischen Geschlecht der einzelnen begrabenen Person übereinstimmt oder nicht, das ist nicht immer zu sagen, denn wie bereits weiter oben erklärt, die Bestimmung des biologischen Geschlechts anhand von Skelett oder aDNA ist nicht immer vorhanden oder zweifelsfrei.

Weil man eben aber die Beobachtung gemacht hat, dass bestimmte Objektgruppen mit sehr viel höherer Wahrscheinlichkeit in Gräbern mit Frauenskeletten gefunden werden als in Gräbern mit Männerskeletten und umgekehrt, hält man sich als Archäologe in solchen Fällen dann eben ans Wahrscheinlichkeitsprinzip. Es ist wahrscheinlicher – nicht sicher! – dass in diesem Grab ein Frauenskelett lag, denn es finden sich darin diese Objekte.

Leben nach Schema?

Die Frage danach, ob diese Objekte der Person tatsächlich gehört haben oder ob sie sie im täglichen Leben benutzt hat, kann man nicht abschließend beantworten. Denn wir wissen wenig über die Bestattungsriten und -zeremonien, die damit einhergegangen sind. Und wir wissen erst recht nichts darüber, ob die begrabene Person mit ihren Beigaben einverstanden gewesen wäre. Deshalb ist es auch so schwierig, bei Gräbern von Selbstwahrnehmung des Bestatteten oder einer Zuordnung zu einem anderen „gender“ zu sprechen, auch wenn es durchaus Forschungsansätze gibt, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen. In dem Fall stellt sich ja gleich das doppelte Problem: nicht nur die begrabene Person ist tot und daher für Nachfragen nicht mehr zugänglich, die Leute, die diese Person beerdigt haben, sind es auch!

Deshalb versuchen viele Anthropologen und Archäologen, so objektive Beschreibungen wie möglich zu liefern, wenn sie darüber sprechen oder schreiben. Sprachlich ist das aber nicht ganz so einfach, wie ja hier vielleicht auch schon deutlich geworden ist. Man kann natürlich von „Männerskeletten“ statt „Männern“ sprechen oder von einem „Waffengrab“ statt von einem „Männergrab“, um der automatischen Verbindung zu entgehen. Das ändert aber nichts daran, dass man eine solche Zuordnung früher oder später braucht, um zum Beispiel die Frage beantworten zu können, wie die durchschnittliche Lebenserwartung einer Frau im 10. Jahrhundert in Norddeutschland war. Anthropologen und Archäologen sind sich dessen natürlich bewusst, wenn sie ihre Berichte und Veröffentlichungen schreiben, deshalb wird dort dann eben oft doch von „Frauengräbern“ gesprochen statt von „Gräbern mit Frauenskeletten“ – die Kollegen wissen ja schließlich Bescheid, die haben dieselbe Ausbildung.

Vermittlungsaspekt

Fachfremde Personen, die eine solche Publikation lesen, wissen das nicht unbedingt und gerade in den Medien kommt es deshalb häufig dazu, dass die vorsichtige Formulierung in etwas umgewandelt wird, das sehr sicher klingt und eine gute Schlagzeile hergibt.

Um mal ein relativ aktuelles Beispiel zu nennen: „Das Geheimnis des ältesten Runensteins der Welt“ oder „2000 Jahre alte Schriftzeichen: Ältester Runenstein der Welt in Norwegen entdeckt“ klingt halt nun mal cooler als „Ältester Runenstein der Welt gefunden – also bis wir einen finden, der noch älter ist. Kann passieren“.

Und natürlich bekommt „Nicht-binäre Wikinger:innen“ auch mehr Aufmerksamkeit als „Neolithische und bronzezeitliche Gräber, in denen die Grabbeigaben aus verschiedenen vorstellbaren Gründen nicht mit den dem biologischen Geschlecht nach zu erwartenden übereinstimmen“.

Ja, der eigentliche Artikel, auf dem der taz-Artikel basiert, erwähnt das berühmt-berüchtigte Grab aus Birka genau einmal, denn die Studie selbst wurde auf der Basis von neolithischen und bronzezeitlichen Gräberfeldern durchgeführt. Aber wie oben bereits gesagt: Archäologie ist eine Wissenschaft und da gehört Restunsicherheit dazu. Man muss selbst kein Archäologe sein, um zu verstehen, dass eine tote Person sich nicht selbst beerdigen oder Gegenstände mit ins Grab legen kann. Oder dass es vielleicht nicht ganz so einfach ist, das biologische Geschlecht einer Person zu bestimmen, von der man nur das halbe Skelett oder vielleicht sogar nur ein paar Knochen und viel Asche hat.