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Wir haben einen Hassbrief von einem Pandemie-Leugner bekommen. Unsere Antwort.

von | Jan 28, 2021 | Aktuelles, Kommentar

Die Post ist da!

Ein Jahr lang schlagen wir uns in Europa bald schon mit Covid-19 herum. Ein entbehrungsreiches Jahr, zweifelsohne. Für manche mehr, für manche weniger. Doch die Maßnahmen – so notwendig sie auch sein mögen – schlagen vielen zunehmend auf das Gemüt.

Ich würde Leserbriefe, wie den, mit dem wir uns heute befassen wollen, gerne darauf zurückführen, dass Menschen wie die Autoren desselben mit ihrer Verzweiflung nicht anders umzugehen wissen. Doch wenn wir ehrlich sind, haben wir beim Volksverpetzer bereits lange vorher ähnlich liebevolle Post bekommen. Alleiniger Grund und Motivation, sich postalisch an uns zu wenden, wird die Corona-Krise also nicht sein.

Wir haben einen widerlichen Hassbrief bekommen. Unsere Antwort.

Und doch will ich zugunsten der Urheber einfach mal hoffen, dass die Umstände hier ein nennenswerter Katalysator waren. Ich will gerne einsehen, dass es vielen schwer fällt, etwas nicht greifbares wie ein Virus als Verantwortlichen für die Situation akzeptieren zu können – auch wenn es nun einmal so ist.

Und so gipfelt die Unzufriedenheit einer aufgrund der verwendeten Pronomen lediglich auf mindestens zwei Personen einzugrenzenden Gruppe von Menschen in einem strammen Einseiter, der unseren Chefredakteur in physischer Form erreichte.

Nun denn, hinein ins Vergnügen …

Anrede

Liebe Hetzer, Denunzianten, Moralisten, Heuchler, bezahlte Verleumder und andere “angenehme” Zeitgenossen

Ich selbst vermag auch Genuss daraus zu ziehen, Dritten, denen gegenüber ich keinerlei Sympathie hege, unnötig förmlich daherzukommen. Ich will mich auch nicht beschweren, für gewöhnlich beginnen “solche” Leserbriefe nämlich eher nach folgendem Schema:

“IHR [beliebiges Schimpfwort, gerne mit Schreibfehler] [Gemischte Tüte Satzzeichen für 2,- €, mindestens 45% Ausrufezeichen-Anteil]”

Erlaubt mir dennoch eine kleine Manöverkritik an der Anrede. Die Devise sollte lauten: Spare in der Zeit, so hast du in der Not.

Ich weiß, eure Gemüter schäumen vermutlich über vor Beschimpfungen, die ihr uns an den Kopf werfen wollt. Aber verfeuert nicht gleich sämtliche Kohlen in der ersten Zeile. Das wirkt plump und hektisch. Lieber im Text hier und da mal wieder eine Beleidigung unterbringen, das sorgt für Kontinuität und gleichzeitig Abwechslung beim Lesefluss.

Ich weiß, ich erwähne das jedes Mal, aber auch für euch: Wenn ihr genauere Informationen dazu habt, wer uns “bezahlt”, setzt euch gerne direkt mit uns in Verbindung. Irgendwie mag es uns nämlich nach wie vor nicht gelingen, diese Zuwendungen zu erhalten, sodass wir nach wie vor nur crowdfundingfinanziert sind.

Wir haben da mal ein paar Fragen

wir haben da mal ein paar Fragen:

Sicher habt ihr die. Und damit wir sie euch beantworten können, habt ihr freilich weder einen Namen oder eine Adresse oder irgendeine andere Kontaktmöglichkeit bereitgestellt, an die wir die Antwort adressieren können.
Erlaubt mir also, wenn ich ernsthafte Zweifel an eurem Drang nach Antworten hege. Wer zur Hölle ist denn “wir”?

Jetzt, wo Verschwörungstheorien, über die Ihr Euch die letzten zehn Monate so gerne lustig gemacht habt, langsam eine nach der anderen wahr werden… lacht ihr da eigentlich immer noch?

Hey, das ist unfair. Wir machen uns schon viel länger als nur zehn Monate über Verschwörungstheorien lustig. Aber zugegeben, alleine in den letzten zehn Monaten gab es so viele davon, dass ich keine Ahnung habe, welche genau ihr meint. Was ist denn wahr geworden? Dass euresgleichen keine Quellen angibt, daran ist man ja gewöhnt, aber nun sogar die Behauptungen wegzulassen grenzt wirklich an Faulheit, meint ihr nicht?

Sei’s drum:

Ich kann nicht für alle Teamkolleg:innen sprechen, aber ich für meinen Teil lache nach wie vor recht gerne. Mein Leben war aber auch niemals – auch nicht in den letzten zehn Monaten – an einem solchen Tiefpunkt, dass ich mich bemüßigt gefühlt hätte, Hassmails an einen Blog zu schicken. Ich kann eure Gründe, nicht mehr zu lachen, also leider nicht nachfühlen.

Jetzt, wo der erste Quarantänebrecher-Knast gebaut wird, jetzt, wo fatale Impfschäden kein Gerücht mehr sind, jetzt, wo sich Armbinden für Attest-Träger hoher Beliebtheit erfreuen, jetzt, wo Kinder ohne Maske auf offener Straße niedergeprügelt werden, jetzt, wo Tech-Giganten die Meinungsfreiheit weltweit einschränken, jetzt, wo kritische Ärzte ihre Zulassung verlieren, jetzt, wo offensichtlich geworden ist, dass die Superreichen als die großen Gewinner aus der Krise hervorgehen, während die Armut in der gesamten Welt in schwindelerregende Höhen steigt… sitzt Ihr nun immer noch so selbstgerecht da, wedelt mit dem erhobenen Zeigefinger, schreit “Verschwörung!” und “wir bleiben Zuhause!” und lacht euch kaputt?

Liebe Leserinnen und Leser, dies ist ein hervorragendes Beispiel dafür, dass zwischen “Schwachsinn erzählen” und “Schwachsinn widerlegen” ein eklatanter Unterschied in Sachen Zeitaufwand vorherrscht.

Diese in Sachen Lesefluss an ein Telefonbuch erinnernde Liste von gefühlten BILD-Schlagzeilen abzutippen hat vermutlich nicht einmal fünf Minuten gedauert. So zumindest mein erster Eindruck. Bei genauerem Hinsehen stellt sich jedoch heraus, dass es vermutlich eher nur zwei Minuten waren. Und ich darf nun wieder recherchieren, um dem Käse etwas entgegenzusetzen. Also bitte …

Quarantäne-Knast

Was bei euch klingt, als würde in einer kargen Einöde eine Festung errichtet, in der Uneinsichtige von der Zivilisation abgeschnitten werden sollen, stellt sich inder Realität etwas harmloser dar. zunächst einmal wird hier nichts “gebaut”. In einigen Regionen werden hartnäckige Verweigerer der Quarantäne aber in der tat mit Freiheitsentzug bestraft – als letztes Mittel (siehe hier, hier und hier). Man nimmt hierfür aber Gebäude, die schon vorher da waren.

Und wieso auch nicht? Wer wiederholt gegen geltendes Recht – und das sind die Corona-Maßnahmen nun einmal, ob ihr es wahrhaben wollt oder nicht – verstößt, muss mit Strafe rechnen. Der Ansatz, hier direkt eine Freiheitsstrafe anzusetzen, mag zwar etwas drastisch erscheinen, bringt aber den immensen Vorteil mit sich, dass er andere gleichzeitig davor schützt, durch die fehlende Einsicht der Verweigerer gefährdet zu werden. Und die Bedingungen, WENN es mal dazu kommt, entsprechen keineswegs denen regulärer Haft, wie den Artikeln zu entnehmen ist.

Impfschäden

Richtig, fatale Impfschäden sind kein Gerücht mehr. Vielmehr war es schon immer eine ausgewachsene Falschbehauptung und kein “Gerücht”. Das liebe Kollegium hat sich dem Thema schon ausreichen gewidmet, daher spare ich mir das an dieser Stelle:

Schaut doch einfach mal hier nach

Warum News über Tote zufällig nach der Impfung so gute Fakes abgeben

Armbinden

Ja, gibt es (bspw. hier). Aber die Armbinde ist freilich komplett optional und sagt im Grunde nichts anderes aus, als das – im Idealfall – zugrundeliegende Attest, das von der Maskenpflicht befreit. Dass Menschen, die berechtigterweise ein solches Attest haben, Anfeindungen erleben, will ich gar nicht in Abrede stellen – oder verteidigen. Aber warum wird so darauf reagiert?

Hat es etwa mit den zahlreichen Fake-Attesten zu tun, die im Umlauf sind? Sodass sich jeder Ladenbesitzer, wenn ihm ein solcher Wisch unter die Nase gehalten wird, fragen muss, ob er hier eine Person vor sich hat, die tatsächlich aus medizinischen Gründen keine Maske tragen kann, oder ob es wieder irgendein verblendeter „Corona-Rebell“ ist, der der Meinung ist, er kämpfe hier wieder an vorderster Front um seine ach so eingeschränkte Freiheit, und der sich dazu von einem traurigerweise promovierten Gesinnungsgenossen einen jeglicher Grundlage entbehrenden Wisch hat ausstellen lassen, der nichts anderes zur Folge hat, als das hier geschilderte Problem: Menschen, die WIRKLICH keine Maske tragen können, müssen sich von solchen Gestalten abgrenzen, was nicht immer einfach ist. Kollege Mike kennt das.

Kinder ohne Maske werden verprügelt

Lässt sich nicht leugnen. Werde ich auch nicht versuchen. Wird auch dadurch nicht besser, dass umgekehrt Leute wegen ihrer Maske oder auch nur dem Hinweis auf die Maskenpflicht ebenfalls verprügelt und angegriffen werden (jaja, ich höre die Whataboutismus-Glocke auch schon bimmeln, ich bin ja schon ruhig).

Aber wie sich sicherlich unsere gesamte Leserschaft – und selbst ihr – sich sicher denken kann, befürworten wir solche Angriffe in keinster Weise.

Tech-Giganten schränken Meinungsfreiheit ein

Die Kehrseite davon, wenn man es sich so einfach macht, wie ihr, und niemals Quellen angibt, ist, dass in Fällen wie diesem auch noch erraten werden muss, was hier genau gemeint ist. Ich versuche es mal:

Twitter hat Donald Trumps Account gesperrt Das meint ihr doch, oder? Findet ihr gemein, nicht wahr? Ganz ehrlich? Heult leise. Der Mann hat pausenlos Falschbehauptungen von sich gegeben und dadurch mindestens wesentlich dazu beigetragen, dass ein Haufen Verblendeter einen ausgewachsenen Angriff auf die amerikanische Demokratie gestartet haben (ihr wisst schon, diese Kapitol-Sache).

Sturm aufs Capitol: Sogar anderen Rechtsextremen sind die Antifa-false-flag-Fakes peinlich

Ist das ein Angriff auf die Meinungsfreiheit? Nein. Er hat die Meinung, dass das ganze Geblubber, das er von sich gibt, stimmt, ja immer noch. Und er kann sie auch weiterhin straffrei von sich geben, wovon er – hier hege ich eine traurige, jedoch tiefe Überzeugung – auch weiterhin regen Gebrauch machen wird.

Was er nicht mehr kann, ist das über Twitter tun, wovon ihn das dahinterstehende Unternehmen – unter Berufung auf seine Nutzungsbedingungen, gegen die klar verstoßen wurde – nun abhält.

Es ist das alte Dilemma mit euresgleichen. Ihr verwechselt das Recht auf eure Meinung mit dem Recht, keine Gegenrede abzubekommen, wenn Andere an eurer Meinung Anstoß nehmen – und dieses Recht gibt es nun einmal nicht … wofür ich ziemlich dankbar bin.

„Kritische“ Ärzte verlieren Zulassung

Meint ihr Bodo Schiffmann? Ja, “kritisch” ist hier wirklich das richtige Wort. Dass der Mann Arzt ist, finde ich auch kritisch. Er leugnet wissenschaftliche Fakten, führt das Konzept des Masken-Befreiungsattests ad absurdum, indem er die Dinger verteilt, als seien es Flyer für eine Discothekeneröffnung und wundert sich dann, dass die Leute sie auch noch benutzen. Das Problem mit Schiffmanns Zulassung ist nicht, dass man sie ihm entziehen will, sondern dass es hier überhaupt etwas zu entziehen gibt.

Falsche Atteste & Impf-Lügen: Schwindel-Arzt Schiffmann soll Zulassung verlieren

Wie könnt ihr nur …

War noch was? Achja, Reiche werden reicher, Armut steigt. Ich will das hier nicht lapidar abtun und vermutlich sind die zugrundeliegenden Mechanismen durch Corona zumindest in Teilen weiter begünstigt worden, aber was genau ist hier euer Kritikpunkt? Das wird ja von niemandem in Abrede gestellt.

Und im Angesicht all dieser “Fakten”, die ihr hier hervorbringt, wollt ihr nun wissen, ob wir immer noch selbstgerecht dasitzen (1), “Verschwörung!” schreien (2), “wir bleiben zuhause!” schreien (3) und uns kaputtlachen (4). Nun …

  1. Bezogen auf die genannten Punkte: Definitiv. Okay, ich habe neulich bei Amazon bestellt und Jeff Bezos damit sicher unnötigerweise noch reicher gemacht, aber davon ab ist mein Gewissen, was meinen Umgang mit Corona angeht, rein.
  2. Wir schreien eher selten. Meistens sind es die Verschwörungs-Dullis, die schreien. Entweder wortwörtlich, draußen bei ihren Corona-Partys, oder im Internet, indem sie ihre Capslock-Taste zu Doppelschichten verdonnern oder ihre Sätze in Ausrufezeichen ersäufen. Wir sitzen dann (ja, schon auch mitunter selbstgerecht) da, schütteln den Kopf und schreiben einen Artikel wie diesen hier.
  3. Taten sprechen lauter als Worte. Ich BIN z.B. grade zuhause. Es gibt daher keinen Grund, hier im Büro zu hocken und “ich bleibe zuhause” zu schreien. Ich mache das einfach. Ihr müsst verstehen, dass normale Menschen sich nicht zusammenhanglos gegenseitig zuschreien, was sie gerade tun.
  4. Streckenweise. Sicher nicht über das Leid, das Covid-19 verursacht. Wohl aber über Fanpost wie die eure.

Ist es bereits bis zu Euch durchgedrungen, dass diese Welt alle Würde und Menschlichkeit verloren hat oder braucht es noch ein bisschen?

Braucht noch ein Bisschen. Hier geht’s noch. Ich sag euch Bescheid, wenn es soweit ist.

Ein bisschen mehr Schmerz, ein bisschen mehr Hunger, ein bisschen mehr Willkür, ein bisschen mehr Hass, ein bisschen mehr Polizeigewalt?

Nein, passt schon, aber hättet ihr eventuell noch ein wenig von dem Pathos? Das ist so angenehm im Abgang …

Spaß beiseite, wir wünschen uns freilich nichts davon. Aber wir sind auch fest davon überzeugt, dass unsere Arbeit nichts davon begünstigt. Im Gegenteil.

Vielleicht ein kleiner Bürgerkrieg gefällig?

Soll das eine Drohung sein? Plant ihr etwas Konkretes?

Nur mal hypothetisch

Und nur mal so hypothetisch… falls es jemals so weit kommen sollte, dass bei Euch der Groschen fällt, bevor diese Welt endgültig den Bach runter geht:

denkt Ihr, Ihr werdet dann die Größe haben, Euch zu entschuldigen? Bei den Freunden, die Ihr verraten und bei den Nachbarn, die Ihr verpfiffen habt? Bei den Angestellten, die Ihr entlassen und bei den Kunden, die Ihr erniedrigt habt? Bei den Kindern, die Ihr mit den Masken gequält, bei den Pflegebedürftigen, die Ihr mit Isolation misshandelt und bei allen Mitmenschen, denen Ihr das Leben zur Hölle gemacht habt?

Nur mal hypothetisch … FALLS es jemals jemandem gelingt, eure leider nicht zu Ende beleuchteten Gemüter davon zu überzeugen, dass Covid-19 eine ernsthafte Pandemie ist, gegen die gerade die gesamte Welt kämpfen muss und die potentiell jeden treffen kann, ob arm oder reich, und die täglich mehr Menschenleben kostet, als sie es täte, gäbe es nicht Menschen wie euch, die diesen Kampf zusätzlich erschweren …

Würdet ihr euch dann entschuldigen? Bei den Freunden und Bekannten, die ihr durch eure Ignoranz gefährdet habt, bei den Menschen, die ihr beschuldigt und denunziert, obwohl sie nur ihr Bestes geben, um zur Lösung des Problems beizutragen, bei den Menschen, die Maßnahmen ertragen müssen, die in diesem Maß nicht nötig wären, würde man ein Mindestmaß an Vernunft bei jedem voraussetzen können? Ich glaube, wir kennen die Antwort.

Jetzt, wo Ihr hautnah miterleben dürft, wie Faschismus funktioniert und ganz sicher langsam erkennt, dass er manchmal einfach nur das Mäntelchen wechselt…

Aussagen wie diese verspotten all jene Menschen, die WIRKLICH unter faschistischen Regimes leben. Aber das wirklich Traurige daran ist, dass es scheinbar nicht einmal siebzig Jahre dauert, bis in einem Land, das den Faschismus überwunden hat, Menschen leben, die kein Bewusstsein für diese Vergangenheit haben.

… Hochachtungsvoll?

können wir das Experiment endlich abbrechen oder müssen wir es wirklich zu Ende spielen, damit Ihr danach sagen könnt, Ihr hättet von nichts gewusst??!

Puh, ich hatte schon Angst, diesmal tatsächlich ohne überflüssige Satzzeichen auskommen zu müssen. Das war knapp.

Wir dachten, wir fragen Euch mal, einfach um herauszufinden, wie’s um Euren aktuellen Geistes-Zustand so steht…

Und wir dachten, wir antworten einfach mal.

Hochachtungsvoll

Sehr höflich. Wahrscheinlich habt ihr euch beim Verfassen ein bisschen dafür gefeiert, dass ihr uns am Ende noch einmal so ein schnippisches “Hochachtungsvoll” dagelassen habt. Vielleicht habt ihr dazu laut “Ha! Als ob!” gerufen und euch überlegen gefühlt. Ich spare mir mal den Subtext, den ihr hier so formvollendet an den Tag gelegt habt und verbleibe

in kopfschüttelnder Verachtung

Friedemann Kipp

Artikelbild: shutterstock.com

Unsere Autor:innen nutzen die Corona-Warn App des RKI: