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Die deutschen Medien haben schon längst vor der AfD kapituliert

von | Sep 7, 2023 | Aktuelles

Es wird heftig diskutiert, wie man gegen die grassierenden Fake-News vorgehen soll. Wie rechtsextreme Narrative eindämmen? Wie über die AfD berichten? Oh, wie den Höhenflug der AfD stoppen? Willkommen im Jahr 2016. Oh halt nein, wir diskutieren das alles immer noch, sieben Jahre später. Komplett ohne Lerneffekt, stur und naiv werden die gleichen Fehler jedes Jahr weiter gemacht. Wie das Reh im Scheinwerferlicht stehen die deutschen Medien auf die AfD – und versagen vollkommen. Und es wird immer schlimmer, die AfD legt selbstverständlich immer weiter zu. Der Kampf gegen den Rechtsextremismus im Diskurs ist schon längst verloren. Denn ich bezweifle leider, dass so viele Medien und so viele Journalisten jetzt noch das Rad herumreißen können.

Die rechten Fakes sind der Mainstream

In der Corona-Pandemie hatten wir trotz aller Tragödien und widrigen Umstände, was die mediale Deutungshoheit anging, tatsächlich eine Auszeit vom Höhenflug der rechten Narrative. Klar, „Querdenker“ haben sich massiv radikalisiert und sind es in großen Teilen bis heute noch – auch wenn nie eine ihrer Verschwörungsmythen wahr wurde. Aber da waren sie noch der „Rand“. Dass sich jetzt nur wenige für ihren Wahn damals schämen, liegt auch daran, dass seit Ende der Pandemie die Lügen und die Desinformation … Mainstream geworden sind. Ich habe mich schon damals darüber beklagt.

Der Kampf ist schon längst verloren. Während sich Diskussionen 2023 allen Ernstes noch immer darüber drehen, wie man nur Fake News bekämpfen kann oder was man gegen den Erfolg der AfD tun kann, verliere ich langsam jede Hoffnung. Während das Märchen, „die Medien“ oder auch nur die öffentlich-rechtlichen Medien seien „linksgrünversifft“ oder würden zu viel über Klima und zu wenig über Migranten sprechen, ist buchstäblich das Gegenteil der Fall.

Der Axel-Springer-Verlag bestimmt, was in Deutschland geglaubt wird

Wie wahrscheinlich die meisten aus unserer Leserschaft wissen, sind wir große Verteidiger der Medienlandschaft und insbesondere der öffentlich-rechtlichen Medien gegen die rechten „Lügenpresse“-Attacken. Deshalb nehmt unsere Meinung bitte ernst, wenn ich sage, dass etwas gewaltig schiefläuft. Denn die rechten Angriffe zeigen vollste Wirkung: Indem man genau das Gegenteil dessen behauptet, was stimmt, fügt sich die Medienlandschaft der Kritik und berichtet genau so, wie man es von ihnen will. Und erreicht genau das Gegenteil dessen, was man will.

Wir wissen alle, dass es auch bei den „großen“ Medien unfaire Akteure gibt. Eine Wahrheit, die sich kaum jemand traut, auszusprechen ist doch, dass der Axel-Springer-Verlag mit BILD und WELT rechte Desinformation und Narrative etabliert wie sonst niemand. Gezielte politische Kampagnen – voller Desinformation – gegen Politiker wie Baerbock oder Habeck werden achselzuckend akzeptiert. Kampagnen, die nachgewiesenermaßen „von oben“ angeordnet werden, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen – und dementsprechend Wahlergebnisse!

Die Lügen-Kampagnen funktionieren

Im Gegenteil – diese Kampagnen funktionieren auch noch. Es nützt nichts, wenn es mehr als genug gute, seriöse Journalisten in vielen guten Medien gibt, wenn die keine Antwort auf diese Meinungsmache finden. Aus Angst davor, die „Lügenpresse“-Vorwürfe zu füttern, die so oder so kommen, versteckt man sich hinter einer nie dagewesenen Neutralität, was letztlich nur dazu führt, dass man passiv auf den Wellen reitet, die Axel-Springer entstehen lässt. Selbst wenn man den Lügen widersprechen will und das auch oft tut, versagt man.

Anfang des Jahres haben wir eine komplett inszenierte Debatte über „Silvester-Krawalle“ geführt, wie ich damals schon ausführlich analysierte. Allein, dass du, lieber Leser, über diesen Satz vielleicht stutzst, ist schon der Beweis, wie erfolgreich die rechten und falschen (!) Narrative sind. Lies gerne den Artikel von damals, wenn noch nicht geschehen. Oder ein jüngeres Beispiel: Die irre Debatte um das Heizungsgesetz. Die massive Kampagne von Axel-Springer und der Gaslobby hatte vollen Erfolg. Das Gesetz wurde massiv entkernt – und das zu sehr großen Teilen wirklich einfach mit Lügen. Ja, fast alles an der „Kritik“ war komplett inszeniert. Und das habe ich auch hier ausführlich belegt. Dass du auch hier vielleicht denkst: Hä, wovon redet der Volksverpetzer ist nur umso mehr ein Beweis dafür, wie erfolgreich diese Narrative und Desinformation ist.

Und es ist auch nicht nur die BILD oder WELT, wenn man auch z.B. beim Focus fast schon auf AfD-Parteilinie von „üblichen linken Medienprotagonisten“ spricht.

Und die seriösen Medien versagen

Und die Konsequenz daraus ist: Unter Merz radikalisieren sich Teile der Union in der Kulturkampf-Sackgasse – und letztlich profitiert vor allem die AfD davon. Ob es Unfähigkeit, Bösartigkeit oder einfach die traurige Konsequenz daraus ist, dass viele Medien finanziell zu kämpfen haben und viele Journalisten unterbezahlt und überarbeitet sind, kann ich nicht sagen. Aber Fakt ist, dass man auch in den seriösen Medien diesen Kampagnen nichts entgegensetzen kann oder will. Entweder werden Framing und Narrative einfach übernommen und legitimiert, oder selbst im Versuch, ihnen zu widersprechen, macht man die immer gleichen Fehler.

Die Löhne sind zu niedrig

Die neuesten Fake News der BILD, die wie immer versucht, Niedriglöhner gegen Bürgergeld-Empfänger auszuspielen, sind vielleicht ein aktuelles Beispiel. Die Tatsache, dass der Mindestlohn zu niedrig sei und die Unternehmen zu niedrige Löhne zahlen, wird mit dem uralten Trick des Sozialneids und der Ablenkung gegen das Bürgergeld instrumentalisiert. Es ist offensichtlich: Damit die Forderung aus der Feststellung, dass sich „Arbeit nicht lohne“ nicht ist, dass der (Mindest)Lohn erhöht wird, wird mit wie stets tendenziösen Schlagzeilen die Wut auf die gelenkt, die noch weniger haben. Da wird eine Umfrage manipulativ in einen anderen Kontext gesetzt oder ein Kronzeuge inszeniert, der nur deshalb lieber Bürgergeld bekommen will, statt zu arbeiten, weil er sich illegal durch Schwarzarbeit etwas dazuverdienen muss.

Aber der Fakt, dass man immer noch mehr verdient, wenn man ordentlich arbeitet, und man keinen Cent mehr verdient, wenn man auf Bürgergeld-Empfänger losgeht, anstatt für höhere (Mindest)Löhne zu kämpfen, wird sich auch nicht in der Öffentlichkeit durchsetzen. Denn entweder wird der Unfug abgeschrieben oder selbst der ehrenwerte Versuch, ihm zu widersprechen, geht völlig nach hinten los. Denn das, was wirklich die BILD-Fakes und deren Neid-Framing widerlegt, ist vielleicht eher das, was ich gerade gemacht habe, oder? Die Wahrheit aussprechen. Zuerst. Deutlich. Und nicht nur über den Fake sprechen.

Lohnt sich debunking noch?

Und bei meiner ganzen Liebe für den Bayerischen Rundfunk, die haben heute bei dem Versuch wieder total versagt. In ihrem neuesten Artikel wollen sie dem Mythos widersprechen, aber sie machen nichts anderes, als ihn zu wiederholen:

Wir haben 2023 und es ist immer noch nicht angekommen, dass man es auch gleich ganz sein lassen kann, wenn man den Mythos wiederholt. Die meisten lesen nur die Überschrift – und das Fragezeichen nicht. Alles, was hängen bleibt: Arbeit lohne sich nicht, wegen des Bürgergeldes. Der Fake ist ein knackiger Slogan – nicht nur in der BILD-Überschrift, sondern sogar im eigenen Debunk! Während die Wahrheit verklausuliert, uneindeutig und ganz unten im Artikel zu finden ist.

Nach meiner (zugegebenermaßen genervten) Kritik am Framing ergänzte man den „Spoiler“ noch unter den Artikel auf Twitter.

Während die unseriösen Journalisten die Lügen und falschen Narrative in knackige Slogans verpacken, sodass sie jeder sehen kann, verstecken die seriösen Journalisten die Wahrheit als „Spoiler“. Und wir wundern uns, warum sich die Fakten nicht durchsetzen.

Der ÖR ist zu rechts

Es ist bei weitem nicht das einzige Beispiel und sicherlich auch nicht das schlimmste. Wir haben euch sehr lieb, BR! Aber ihr müsst besser im Framing werden. Mehr „Mut zur Wahrheit“, wenn ihr so wollt. Aber die Summe dieser vielen schlechten Versuche ist, dass das Gift der AfD tief in unsere Medienlandschaft eindringt. Wir debattieren die Fakes, und niemand spricht deutlich die Wahrheit aus. Wozu das führt? Dass sogar der öffentlich-rechtliche Rundfunk zu rechts berichtet.

Klingt schon absurd, das auszusprechen in Zeiten der Märchen des „linksgrünversifften Rundfunks“. Eine bereits tendenziöse „Analyse“ der CDU zeigte Anfang des Jahres versehentlich, dass ARD, ZDF und RTL überwiegend „neutral“ berichteten, oft die Regierung kritisierten und konservative Politiker die meiste Aufmerksamkeit bekamen. Und WELT schaffte es trotzdem, alles so ins Gegenteil zu verkehren, dass das rechte Narrativ von „Gleichschaltung“ und linksgrünen Vorurteilen bedient wurde.

Eine Studie hingegen zeigte dieses Jahr, dass die Öffentlich-Rechtlichen ZU WENIG über die Klimakrise berichten. Die Autoren der Studie kamen zu dem Schluss, dass die Klimaberichterstattung in den Öffentlich-Rechtlichen bei langem nicht der Tragweite und Wichtigkeit des Themas entspricht. Dabei wünscht sich sogar die Mehrheit der Bevölkerung mehr Berichterstattung darüber. Mehr dazu:

Und umgekehrt berichtet der ÖR ZU VIEL über Migration und stellt diese auch entgegen der Fakten und der Ansichten der meisten Deutschen als Gefahr dar. Auch das zeigt eine andere Studie. Das Gros der Leitmedien stellt Migration vor allem als Risiko dar, zu kurz kommen die Chancen und positive Geschichten von Migration. Und auch Politiker rechts der Mitte sind überpräsentiert.

In der Debatte um Flucht und Einwanderung kommt in den untersuchten öffentlich-rechtlichen Formaten keine politische Kraft mehr zu Wort als die Union.

Thomas Hestermann, Professor an der Macromedia Hochschule Hamburg

Auch hier mehr dazu:

Die Lüge ist Mainstream

Gauland sagte 2017 „Wir werden sie jagen“. Und die AfD jagt wirklich die Medien mit ihren Narrativen vor sich her – mit bester Unterstützung des Axel-Springer-Verlags, versteht sich, der diesen Rassismus und diese Verschwörungsnarrative für den Mainstream legitimiert. Während Aiwanger vor Jahren noch sofort hätte zurücktreten müssen, bleibt er nicht nur im Amt, viele – einschließlich Aiwanger selbst – verbreiten die Verschwörungserzählung, die Berichterstattung wäre nur eine Kampagne gewesen, um einen „unliebsamen“ Politiker loszuwerden. Und nicht, ihr wisst schon, eine Berichterstattung, die richtig heftige Vorwürfe über Verherrlichung des Holocaust und des desaströsen Umgangs damit. Wenn sehr viele jüdische Personen und Organisationen entsetzt sind, wie Aiwanger mit dem Skandal umging, legen die Freien Wähler à la „jetzt erst recht“ zu.

Also während ein Großteil der deutschen Medien die Ideologie der AfD normalisiert, vor allem Konservative zu Wort kommen lässt, zu wenig über das Klima und zu viel über die „bösen Migranten“ berichtet, glauben viel zu viele an die „linksgrüne Presse“. Und das ist natürlich Teil des Tricks. Teil der Strategie. Während Lügen von erfundenen Fleischverboten, Grünen-Feindbild-Bashing, Wir-gegen-Sie-Rhetorik und Opferhaltung exakt wie in der AfD in rechten Medien und rechten Parteien völlig normal werden, versucht der Rest verzweifelt, denen zu gefallen, die sie ohnehin abgrundtief und mit vorgespielten Argumenten hassen. Oder um es mit den Worten von Michael Bittner zu sagen: „Hier kämpfen Parteivorsitzende, Milliardäre und Verlagschefs als verfolgte Opposition tapfer gegen eine herrschende Elite von unterbezahlten Journalisten.“

Wir schreien ins Leere

Auch diesen Artikel lesen wie immer ein paar (zehn)tausend Menschen und dann passiert nichts. Es ist vielleicht wirklich nicht die Schuld vieler Journalisten, aber sie werden die gleichen Fehler weiter machen. Rechtem Agenda Setting hilflos hinterherlaufen. Denn eigene Akzente setzen oder besseres Framing nehmen wird sofort als „Kampagne“ und „Lügenpresse“ tot geschrien. Und aus Angst lässt man sich erpressen. Dabei kommt der Hass und die Verschwörungsmythen sowieso. Die Opferinszenierung kommt so oder so. Man lädt immer noch Faschisten ein, um ihnen 30 Minuten eine Bühne zur Prime Time zu geben, in der sie sich als Opfer inszenieren können. Damit sie sich angeblich nicht als Opfer inszenieren können. Obwohl sogar Studien zeigen, dass das Rechtsextreme nur stärken kann.

Und es ist so unnötig. Es gibt so viele gute, seriöse Medien. So viele aufrichtige Journalisten und Journalistinnen. Journalistin Eva Quadbeck sagte bei ProSieben, als sie übrigens über die Volksverpetzer-Petition sprachen, (richtig!), dass man das „Gift“ der AfD „neutralisieren“ müsse. Alle nickten und das Fazit der Runde war ein: Hoffen wir, dass es nicht noch schlimmer wird. Und ich frage mich: Und WIE neutralisieren wir das „Gift“? Wann wollen wir damit anfangen? Wir bei Volksverpetzer sagen diese Dinge seit Jahren. Es kann so nicht weitergehen. Aber ich habe das Gefühl, die deutschen Medien haben bereits aufgegeben.

Es muss sich fundamental in der deutschen Medienschaft etwas ändern. Und zwar schnell. Denn natürlich ist der AfD-Aufstieg nicht alleine die Schuld von den Medien, aber an politischen Ansichten kann nur das herauskommen, was zuvor in den Diskurs hereingekommen ist. Und wenn … „üblichen rechten Medienprotagonisten“ die Agenda und das Framing setzen, und der Rest nicht daraus ausbrechen kann, dann sind das die Dinge, über die wir reden. Die Dinge, an die die Deutschen glauben. So, wie sie wählen. Wer das nicht will, sollte schleunigst das Ruder herumreißen. Sonst haben wir schon längst gegen die AfD verloren.

Artikelbild: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa